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Klaus Pätzold

 

Statt Weihnachten diesmal Ramadan:

Zum ersten Mal in seinem Leben wird Klaus Pätzold dieses Jahr nicht das Fest der Geburt Christi feiern. Vor sechs Monaten (Juni 2000) ist der Hamburger Wissenschaftler zum Islam konvertiert. Für ihn ist jetzt Fastenzeit. Was das bedeutet, hat er hier aufgeschrieben.

 

Es ist wieder so weit. Die Hamburger City und ihre Geschäfte und Einkaufszentren erstrahlen im vorweihnachtlichen Glanz. Es ist Adventszeit, und den Vorübergehenden steigt der Duft von Lebkuchen und gerösteten Mandeln verlockend in die Nase. Die Kinder drängeln sich um die Weihnachtsmänner in den Kaufhäusern, voller Ahnung und Vorfreude auf die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum, während die einkaufsgestressten Erwachsenen noch dabei sind, sich den Kopf zu zerbrechen, wem sie was noch schenken könnten.

 

Gelegentlich werden die Menschen auch daran erinnert, dass Weihnachten etwas mit Religion zu tun hat, wenn sie im Vorbeigehen eine Krippe mit dem Christuskind in einem Schaufenster erblicken. Jedenfalls gehen die meisten Durchschnittschristen nach wie vor zum Weihnachtsgottesdienst und vielleicht noch einmal zu Ostern in die Kirche, aber das war es dann auch schon an religiösen Pflichtübungen.

So habe ich bisher auch jedes Jahr als evangelischer Christ die Adventszeit und die Weihnachtstage erlebt.

In diesem Jahr ist bei mir alles ganz anders, denn ich bin vor einem halben Jahr zum Islam konvertiert mit allen Rechten und Pflichten eines Muslims. Ich folge nicht mehr dem Klang der Kirchenglocken, sondern dem Ruf des Muezzins, der die Gläubigen vom Minarett der Moschee zu den fünf täglichen Pflichtgebeten und zum gemeinsamen Freitagsgebet in der Moschee auffordert.

 

Den Ruf des Muezzins kann ich mir hierzulande allerdings nur gedanklich vorstellen. Selbst das Minarett, das schlank und grazil in den Himmel ragt und die Gläubigen stumm zur Andacht und zum Gebet mahnt, erregt noch Anstoß. Es darf nicht höher sein als die örtliche Kirchturmspitze, wie die Verantwortlichen in Mannheim vor einiger Zeit entschieden haben.

 

Dabei glauben Christen und Muslime an ein und denselben Gott. Es ist Advent, Vorweihnachtszeit, und es ist zugleich in diesem Jahr Ramadan, Fastenzeit vom 27. November bis voraussichtlich zum 27. Dezember. Weihnachten und Ramadan: Für die Anhänger beider großer Offenbarungsreligionen Christentum und Islam ist es die Zeit des Friedens, der Versöhnung und der Nächstenliebe. Die Muslime nennen den Ramadan auch noch den Monat der Geduld.

 

"Ihr Gläubigen! Euch ist vorgeschrieben zu fasten, so wie es auch denjenigen, die vor euch lebten, vorgeschrieben worden ist. Vielleicht werdet ihr gottesfürchtig sein." Mit diesem und einigen weiteren Versen aus der Sure Al-Baqara des Korans werden die Muslime verpflichtet, im Monat Ramadan zu fasten. Von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang dürfen sie keinerlei Nahrung und Flüssigkeit zu sich nehmen, nicht rauchen, und sie müssen sich auch einiger anderer leiblicher Genüsse strikt enthalten.

Am Anfang, vor allem während der ersten drei Tage, fiel mir das Fasten schwer. Inzwischen habe ich mich, rascher als gedacht, daran gewöhnt. Nach jedem Fastentag fühle ich mich nicht nur mental stärker, auch meine körperliche Fitness ist besser.

 

Im Islam wird von niemandem mehr verlangt, als er oder sie zu leisten imstande ist. Niemand wird über Gebühr belastet. Kranke, körperlich Geschwächte, Alte und Gebrechliche brauchen nicht zu fasten, ebenso Frauen, die ihre Regel haben oder gerade ein Kind zur Welt gebracht haben. Auch Reisende sind vom Fasten befreit, sofern sie es zu einem späteren Zeitpunkt nachholen.

 

Mit der Ausbreitung des Islam in andere Regionen der Erde stellte sich im Zusammenhang mit dem Ramadan für die Gelehrten die knifflige Frage, die im Koran nicht im Detail geregelt ist, welche Fastenzeiten beispielsweise in Nordschottland oder Nordskandinavien einzuhalten sind, wenn der Fastenmonat nach dem islamischen Mondkalender wieder einmal in die europäische Sommerzeit fällt und die Sonne in diesen Breiten dann fast gar nicht mehr untergeht. Sollen die Gläubigen dort einen Monat lang täglich mehr als 20 Stunden fasten, um den Buchstaben des Koran gerecht zu werden?

 

In einem Rechtsgutachten, einem so genannten Fatwa, des angesehenen Scheichs von Al-Azhar in Kairo wird den Gläubigen empfohlen, in Fällen mit extrem langer Dauer des Tageslichtes nur so viele Stunden zu fasten, wie den Bewohnern der heiligen Stadt Mekka vorgeschrieben sind.

 

Natürlich ist das Fasten im Islam wie auch in anderen Religionen mehr als nur eine von höherer Warte aus verordnete körperliche Entschlackungs- und Schlankheitskur.

 

Das Fasten fördert die Selbstdisziplin, die aufzubringen ist, um die damit verbundenen Entbehrungen durchzustehen. Im Islam sind die Gläubigen verpflichtet, von ihrem Besitz und Vermögen einen festgesetzten Teil für soziale Zwecke abzugeben. Darüber hinaus sind alle diejenigen, die es sich leisten können, aufgefordert, freiwillig für die Bedürftigen zu spenden, insbesondere für die Waisen. Vor allem im Ramadan sollen die Gläubigen am eigenen Leibe verspüren, was es heißt, Hunger und Durst zu leiden.

 

Das Wesentliche und alles andere Überlagernde im Fastenmonat Ramadan ist jedoch sein spiritueller Aspekt: Beim Fasten begegnet der Mensch Gott, denn - so heißt es in der Überlieferung - alles, was der Mensch tut oder unterlässt, tut er für sich selbst, mit Ausnahme des Fastens im Ramadan, das er einzig und allein für Gott, den Allmächtigen, tut.

 

Erst durch die Einbettung des Fastens in diese transzendentale Dimension, die der Gläubige mit einer ganz persönlichen Bekräftigung seiner Absicht zu fasten, der "Niyyat", vornimmt, wird das Fasten als sakrale Handlung gültig. Erst dadurch werden die Fastenden auch spirituell von all dem Alltagsballast, ihren kleinen und großen Verfehlungen, gegen die kein Mensch gefeit ist, gereinigt, so dass nunmehr - wie es in der Überlieferung heißt - ihr Atem, der aus ihrer Seele kommt, ganz rein ist und herrlicher duftet als das wunderbarste Parfüm.

 

Der Ramadan ist nicht nur der Fastenmonat der Muslime. Er ist zugleich der Monat, in dem in der "Lailat-ul-Qadar", der Nacht der Bestimmung, der Koran von Gott zu den Menschen in arabischer Sprache herabgesandt wurde. Hier empfing Mohammed (570-632), den Gott zu seinem Gesandten auserwählt hat, durch den Engel Jibrail seine erste Offenbarung. Ihr sollten über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren weitere Offenbarungen folgen, bis der Koran mit seinen mehr als 6.666 Versen vollendet war.

 

Damit ist der Koran für die Muslime das unmittelbare, unumstößliche Wort Gottes. Er ist nicht nur die göttliche Offenbarung über die Beziehungen zwischen den Menschen und ihrem allmächtigen Schöpfer und über das Leben nach dem Tode im Jenseits. Der Koran ist zugleich eine Anleitung zum Handeln auf dieser Erde, die für die Muslime absolut verbindlich und nicht verhandelbar ist.

 

Deswegen hat der Ramadan von allen Monaten im Jahr für die Muslime eine ganz besondere spirituelle Bedeutung, und sie versammeln sich nach dem Fastenbrechen (Iftar) jeden Abend zum gemeinsamen Gebet und Rezitieren von Suren aus dem Koran.

 

Meine Frau ist eine Muslimin aus West-Sumatra, und so war es für mich nahe liegend, mich gemeinsam mit meinen indonesischen Glaubensbrüdern und -schwestern zu versammeln. Das Hamburger Generalkonsulat hat der Gemeinschaft der indonesischen Muslime die Benutzung eines seiner Räume gestattet. In Windeseile werden die sonst dort stehenden Möbel, Sessel und Stühle ausgeräumt und Matten und Teppiche auf dem Fußboden ausgebreitet.

 

Nach den üblichen rituellen Waschungen betreten wir ohne Schuhe den Raum. Viele haben ihren eigenen kleinen Gebetsteppich mitgebracht, denn nicht nur die Betenden sollen sauber sein, sondern auch der Untergrund, auf dem wir beten und uns vor Gott niederwerfen mit der Stirn auf dem Boden.

Wegen der Enge des Raumes und der vielen Anwesenden sitzen wir auf Tuchfühlung dicht gedrängt auf dem Boden, die Männer auf der einen Seite, die Frauen uns gegenüber auf der anderen Seite des Raumes. Es herrscht eine feierliche, weihevolle und zugleich entspannte Atmosphäre. Neben mir zu meiner Rechten sitzt mein alter Freund Ali aus Aceh. Ab und zu streicht er mit der Hand über seinen struppigen, spärlichen Bart. Sein Gesicht hat einen andächtigen, konzentrierten Ausdruck angenommen. Er spricht schon einmal leise einige Gebete, seine Lippen bewegen sich kaum dazu. Der fromme Ali hat den Koran gründlich studiert, und er kennt viele Verse daraus auswendig, die er gerne bei jeder Gelegenheit auf Arabisch zitiert.

 

Einer von uns übernimmt die Leitung des Gebetes. Es gibt im Islam kein Priesteramt, keinen Klerus. Jeder Gläubige, der die Gebetsformeln, die von allen Muslimen auf der Welt auf Hocharabisch zu sprechen sind, beherrscht, kann als Vorbeter das Gebet anführen. Wir beten länger als sonst, und nach jedem Rezitieren der Eröffnungssure Al-Fatiha des Korans schallt ein vielstimmiges, kräftiges "Aamiin" durch den Raum.

Das Ende des Ramadan, das Id-ul-Fitr, das die Indonesier auch Lebaran und die Türken Seker Bayrami nennen, wird freudig begrüßt und vor allem auch als ein mehrtägiges großes Familienfest und ein Fest der Begegnung der Muslime gefeiert. Es findet in diesem Jahr kurz nach dem Weihnachtsfest, voraussichtlich am 28. Dezember, statt. Wenn möglich, kommen alle Familienmitglieder zusammen, wobei die Jüngeren stets zu den Älteren, die Kinder zu den Eltern kommen.

 

Die Menschen besuchen einander spontan ohne irgendwelche Vorankündigung. Für unabsichtlich oder auch absichtlich zugefügte Kränkungen und auch so manches andere, das man sich gegenseitig angetan hat, bitten die Menschen einander um Verzeihung und bemühen sich, sich miteinander zu versöhnen.

 

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