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Empfohlene Beiträge

Sechsundzwanzigster Blitz

 

Ein Seelenführer für die Alten

 

Diese Abhandlung beinhaltet sechsundzwanzig »Hoffnungen« und Tröstende Lichter.

 

Erinnerung: Der Grund, dass ich am Anfang jeder »Hoffnung« meine seelischen Schmerzen dermaßen in Trauer versetzend und Mitleid erregend geschrieben habe, liegt darin, dass ich die außerordentliche Wirkung des Heilmittels, welches aus dem weisen Qur’an kommt, zeigen will. Diese Abhandlung, die den Alten gehört, konnte aus drei, vier Gründen eine schöne Ausdrucksweise nicht beibehalten.

 

Erstens: Da sie zu meinem Lebenslauf gehört, war ich in meiner Vorstellung in vergangenen Zeiten, und sie wurde in dieser damaligen Stimmung geschrieben. Daher konnte ich eine wohlgesetzte Ausdrucksweise nicht immer durchhalten.

 

Zweitens: Da sie in einer Zeit nach dem Morgengebet geschrieben wurde, in der ich mich sehr müde fühlte und gezwungen war, schnell zu schreiben, ist die Ausdrucksweise unregelmäßig geworden.

 

Drittens: Da ich nicht immer jemanden bei mir habe und der Schreiber, den ich habe, vier, fünf Aufgaben hat, die die Risale-i Nur betreffen, ist sie unregelmäßig geworden, da wir keine Zeit für die Korrektur hatten.

 

Viertens: Nach der Abfassung waren wir beide, mein Schreiber und ich müde, konnten auf den Inhalt nicht konzentriert achten und begnügten uns nur mit einer oberflächlichen Korrektur. Mit Sicherheit werden sich in der Ausdrucksweise Fehler finden. Ich bitte die verehrten Alten, meine Fehler in der Ausdrucksweise mit Nachsicht zu betrachten. Die gesegneten Alten, deren Hände die Barmherzigkeit Gottes nicht leer lässt, mögen uns auch in ihre Gebete mit einschließen, wenn sie ihre Hände nach der Schwelle Gottes ausstrecken.

 

 

»Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen. Kaf-Ha-Ya-’Ain-Ssad. Gedacht sei (in dieser Verkündigung) der Barmherzigkeit, die dein Herr seinem Diener Zacharias bezeigt hat! (Damals) als er im Stillen seinen Herrn anrief! Er sagte: ›Herr! Das Gebein ist mir schwach geworden, und der Kopf altersgrau. Und ich hatte, wenn ich zu dir, Herr, betete, nie Misserfolg.‹«(Sure 19, 1-4)

Dieser »Blitz« besteht aus sechsundzwanzig »Hoffnungen«.

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Erste Hoffnung Oh Ihr verehrten alten Schwestern und Brüder, die Ihr in ein reifes Alter gekommen seid! Ich bin auch alt, wie Ihr. Ich will die »Hoffnungen«, die ich in der Zeit meines Altseins dann und wann gefunden habe, und manche von den geistigen Zuständen, die ich erlebt habe, niederschreiben, um Euch an dem tröstenden Licht dieser Hoffnungen teilnehmen zu lassen. Das Licht, das ich gesehen habe, und die Türen der Hoffnungen, die ich gefunden habe, wurden mit Sicherheit meiner mangelhaften, gleichsam getrübten Begabung entsprechend gesehen und geöffnet. Inscha-a’llah, so Gott will, werden Eure sauberen und klaren Begabungen die von mir gesehenen Lichter noch glänzender erscheinen lassen und die von mir gefundenen Hoffnungen noch weiter stärken.

Die Quelle, Born und Brunnen dieser folgenden Hoffnungen und Lichter ist also der Glaube.

 

 

 

Zweite Hoffnung Am Anbeginn meines Alters betrachtete ich einmal die Welt an einem Nachmittag im Herbst von einem hohen Berg aus. Auf einmal überkam mich ein Gefühl des Mitleids und der Trauer und eine in gewisser Hinsicht dunkle Stimmung. Ich sah, ich war alt, der Tag wurde auch alt, das Jahr wurde alt und die Welt wurde auch alt. Inmitten dieses Altseins verspürte ich, dass sich die Zeit der Trennung von der Welt und des Abschieds von allen meinen Geliebten näherte. Das Altsein erschütterte mich zutiefst. Plötzlich öffnete sich die Barmherzigkeit Gottes mir gegenüber dermaßen, dass sie diese Mitleid erregende Traurigkeit und Trennung in eine starke Hoffnung und in das Licht einer glänzenden Tröstung umwandelte.

In der Tat, oh Ihr Altgewordenen wie ich! Die Barmherzigkeit des gütigen Schöpfers, der sich uns im weisen Qur’an an hundert Stellen mit den Eigenschaften »der Barmherzige, der Gütige« vorstellt, der Seine Barmherzigkeit ständig den Lebewesen auf der Erde, die sich nach Barmherzigkeit sehnen, zu Hilfe schickt, der jedes Jahr den Frühling mit grenzenlosen Gaben und Geschenken aus dem Verborgenen füllt und uns, die wir der Versorgung bedürfen, zu Hilfe eilt, und der dem Grade der Schwäche und Hilflosigkeit entsprechend Seine Barmherzigkeit erscheinen lässt, ist für uns in diesem unserem Altsein die größte Hoffnung und das stärkste Licht. Diese Barmherzigkeit zu finden, ist nur dadurch möglich, dass man durch den Glauben in nähere Beziehung mit diesem Barmherzigen tritt und in der Einhaltung der Pflichtgebote Ihm gegenüber seinen Gehorsam erweist.

 

 

Dritte Hoffnung Einmal, als ich aus dem Schlaf in der Nacht meiner Jugend am Morgen des Altseins erwacht war, betrachtete ich mich selber. Mein Körper bewegte sich in Richtung des Grabes, als liefe er einen Abhang hinunter. Wie Niyazi Misri sagte:

 

»Jeden Tag fällt ein Stein von meinem Lebensgebäude auf die Erde,

Der Geist liegt sorglos und ahnungslos, während sein Gebäude eine Ruine wird.«

 

so wurde auch mein Körper, der das Haus meines Geistes ist, zu einer Ruine, in der jeden Tag ein Stein herunterfiel. Meine Erwartungen und meine Hoffnungen, die mich fest an die Welt banden, begannen zu zerreißen. Ich verspürte, dass sich die Zeit der Trennung von meinen zahllosen Freunden und Geliebten näherte. Ich suchte nach der Salbe für diese geistige, sehr tiefe und scheinbar unheilbare Wunde. Ich konnte sie nicht finden. Nochmals sagte ich wie Niyazi Misri:

 

»Das Herz nach Bestand, Gott der Gerechte, dass verschwand der Körper verlangt,

Von einem unheilbaren Schmerz bin ich betroffen,

ach! Wofür selbst Lokman (der Arzt) den Rat nicht weiß.« *

 

Auf einmal wurde das Licht des ruhmreichen Propheten, mit dem Friede und Segen sei, der das Sprachrohr, Beispiel, Inbegriff, Ausrufer und Repräsentant der Barmherzigkeit Gottes ist, unser Fürsprecher, der Menschheit ein Geschenk der Rechtleitung zu einer guten Salbe und einem Heiltrank für jene unheilbar geglaubte Wunde, meinen grenzenlosen Schmerz. Es verwandelte meine düstere Verzweiflung in eine lichtvolle Hoffnung.

Ja, in der Tat, ihr meine sehr verehrten Herren und Damen, die ihr wie ich euer Altsein fühlt! Wir gehen; Darüber können wir uns nicht hinwegtäuschen. Auch wenn wir davor die Augen schließen, können wir nicht länger bleiben. Das ist der Aufbruch. Die Welt des Grabes, die uns durch die finsteren, irrigen Vorstellungen, die aus Gottvergessenheit und zum Teil von den Leuten des Irrweges kommen, als Trennung und finster erscheint, ist der Versammlungsort der Freunde. Sie ist die Welt des Wiedersehens, vor allem mit unserem Fürsprecher, dem Geliebten Gottes, mit dem Friede und Segen sei, und mit allen unseren Freunden. In der Tat ist er seit 1350 Jahren der König von 350 Millionen Menschen, der Erzieher ihrer Seelen, der Lehrer ihres Verstandes und der Geliebte ihrer Herzen. An jedem Tag werden so viele Pluspunkte für die Wohltaten seiner ganzen Gemeinde nach dem Geheimnis von

 

 

»Der Verursacher wird bewertet wie der Täter.«

auf das Konto seiner guten Taten gebucht. Er ist der Anlass und das hohe Ziel Gottes in Seiner Schöpfung. Er ist der Grund für die Erhöhung des Wertes allen Seins. In dem Augenblick, als er, Ahmed, mit dem Friede und Segen sei, nach absolut zuverlässiger Überlieferung und auf Grund wahrhafter visionärer Schauungen zur Welt kam, rief er »Oh meine Gemeinde, oh meine Gemeinde«. Genauso wird er am Tage der Wiederauferstehung, an dem jeder nur an sich denken und »meine Seele, meine Seele (= ich; ego)« rufen wird, wieder »Oh meine Gemeinde, oh meine Gemeinde« rufen und in einer heiligen und zuhöchst erhabenen Opferbereitschaft mit seiner Fürsprache seiner Gemeinde zu Hilfe eilen. Wir gehen in die Welt, in die diese Persönlichkeit gegangen ist. Wir gehen in eine solche Welt, die um jene Sonne mit den Sternen von zahllosen Reinen und Heiligen erleuchtet wird.

Das also ist der Ausweg, um die Fürsprache jener Persönlichkeit zu erlangen, Nutzen zu ziehen aus seinem Licht und sich vor der Finsternis der Grabeswelt zu retten: die Befolgung seiner »hochgeschätzten Sitte«.

 

 

 

Vierte Hoffnung In einer Zeit, in der ich den Fuß schon über die Schwelle des Alters gesetzt hatte, nahm zugleich auch meine Gesundheit, die meine Gottvergessenheit fortgesetzt hätte, schaden. Alter und Krankheit haben mich zusammen angegriffen, haben mir ständig auf den Kopf getrommelt und haben mir den Schlaf geraubt. Ich hatte nichts, was mich an die Welt hätte binden können, wie Haus, Hof und Familie. Als Frucht meines Lebens, des Kapitals, das ich im Rausch der Jugend verloren hatte, fand ich nur Fehler und Sünde. Wehklagend sagte ich wie Niyazi Misri:

 

»Ein Geschäft habe ich nicht gemacht,

die Barschaft meines Lebens veflog,

aufgewacht hab ich mich aufgemacht,

doch ach, die ganze Karavane ist auf und davon schon,

und ich ohne Ahnung.

Tränen in den Augen, brennend der Schmerz, ratlos der Verstand, und ich ohne Ahnung.«

 

Damals war ich in der Fremde. Eine Traurigkeit in Verzweiflung, ein Bedauern in Reue und eine nach Hilfe suchende Sehnsucht verspürte ich. Auf einmal kam der Qur’an, dessen Verkündigung ein Wunder ist, mir zu Hilfe. Er öffnete mir eine Tür zu einer starken Hoffnung und verlieh mir das Licht einer dermaßen wahrhaftigen Tröstung, das selbst eine hundertfach stärkere Verzweiflung als die in meinem damaligen Zustand zu beseitigen und jene Finsternisse zu vertreiben vermochte.

In der Tat, oh Ihr verehrten alten Frauen und Männer, deren Bindungen mit der Welt sich wie bei mir zu lösen und deren Fäden, die Euch mit der Welt verbinden, abzubrechen beginnen!

Ist es möglich, dass der majestätische Schöpfer, der diese Welt äußerst vollkommen und wohlgeordnet wie eine Stadt und wie ein Schloss erschuf, mit Seinen wichtigsten Gästen und Freunden in jener Stadt und in jenem Schloss nicht sprechen sollte? Er machte dieses Schloss nun einmal mit Absicht, ordnete und verzierte es mit Seinem Willen und mit Seiner Entscheidung. Der, welcher etwas tut, weiß, was er tut; und so ist es auch der, welcher etwas weiß, der weiß, was er sagt. Da Er uns dieses Schloss, diese Stadt nun einmal zu einem schönen Gästehaus und Handelsplatz machte, wird es auch mit Sicherheit eine Beschreibung, ein Buch geben, das Seine Beziehungen zu uns aufzeigt und was Er von uns erwartet.

So ist das Vollkommenste jener heiligen Schriften, der Qur’an, dessen Verkündigung ein Wunder ist, der sich in vierzig Hinsichten als Wunder zeigt, der in jeder Minute mindestens auf hunderttausenden Zungen ist, der Licht sprüht, der mit jedem Buchstaben mindestens zehn Segenspunkte und soviel Segen wie von zehn Wohltaten, manchmal zehntausend, manchmal in dem Geheimnis der Nacht der Bestimmung (Leyle-i Kadir), dreißigtausend Wohltaten und so viele Früchte im Paradies und Licht in die Grabeswelt (Berzah) bringt. Im Kosmos gibt es überhaupt kein Buch von gleichem Rang, das mit ihm konkurrieren könnte, und niemand kann ein solches herbeibringen. Da dieser Qur’an in unserer Hand nun einmal das Wort und der Erlass ist, welcher die absolute Herrschaft des majestätischen Schöpfers der Himmel und der Erde, Seine Gottheit und den Umfang Seiner Barmherzigkeit offenbart, und eine Quelle Seiner Barmherzigkeit ist, halte dich an ihm fest! Eine Heilung für jeden Schmerz, ein Licht für jede Finsternis und eine Hoffnung für jede Verzweiflung liegt darin.

So ist der Schlüssel dieser ewigen Schatzkammer der Glaube und die Ergebung, dadurch dass man ihn hört, annimmt und liest.

 

 

 

Fünfte Hoffnung In einer Zeit, zu Beginn meines Alt-seins war ich auf dem Berg Juscha in Istanbul in der Umgebung vom Bosporus mit dem Wunsch, ein Einsiedlerleben zu führen. Im Alleinsein suchte meine Seele nach einer Erholung und innerer Ruhe. An einem Tag betrachtete ich von diesem hohen Berg die Umgebung bis zum Horizont. Ein überaus trauriges und bedrückendes Bild von dem Untergang und der Trennung sah ich durch die Ermahnung des Altseins. Von der hohen Stelle des fünfundvierzigsten Zweiges meines Lebensbaumes, welcher das fünfundvierzigste Lebensjahr war, ließ ich mein Auge über die unteren Sprossen meines Lebensbaumes schweifen. Ich sah, dass sich innerhalb eines jeden Jahres da unten an jedem Ast zahllose Leichnahme meiner lieben Freunde und Bekannten befanden. In einem überaus bedrückenden seelischen Eindruck, der von jener Trennung und von dem ständigen Abschied erwuchs, dachte ich an die Freunde, die sich von mir verabschiedet hatten, und stöhnte wie Fuzuli Bagdadi:

 

»Jedes Mal, wenn ich mich daran erinnere, dich wieder zu treffen, muss ich weinen.

Solange mein dürrer Körper noch atmet, werde ich erheben ein Wehgeschrei.«

 

So suchte ich nach der Tür einer Tröstung, eines Lichtes und einer Hoffnung. Plötzlich kam mir das Licht aus dem Glauben an das Jenseits zu Hilfe. Er gab mir ein nie erlöschendes Licht und eine nie zerbrechende Hoffnung.

Oh, ihr Schwestern und Brüder, die ihr alt geworden seid, wie ich! Da es nun einmal das Jenseits gibt und es ewig besteht und noch schöner ist als diese Welt, und da der Herr, der uns erschaffen hat, nun allweise und barmherzig ist, sollen wir nicht über das Alter klagen und trauern. Im Gegenteil ist das Alter, das im Glauben und in der Gottesanbetung ein reifes Alter erreicht, ein Zeichen der Entlassung vom Lebensauftrag und des Heimgangs in das Land der Barmherzigkeit. Daher müssen wir uns darüber freuen. In der Tat haben alle die, nach einer Hadith, 124 tausend Propheten, welche den edelsten Teil der Menschheit verkörpern, gemeinsam und übereinstimmend verkündet, und zwar gestützt teils auf ihre eigene Zeugenschaft, teils auf die Gewissheit ihrer Wahrhaftigkeit, dass über die Existenz eines Jenseits Einmütigkeit besteht und alle Menschen dorthin gebracht werden, so wie es der Schöpfer des Alls fest versprochen hat, sie in das Jenseits hinüberzuführen. In ähnlicher Weise bezeugen auch die 124 Millionen Heiligen, welche die Berichte (der Propheten) mit ihren Beobachtungen, Entdeckungen und Zeugnissen als gesichertes Wissen bestätigen, dass es ein Jenseits gibt. Auch alle Namen des weisen Baumeisters des Alls, deren Manifestationen in dieser Welt sichtbar werden, erfordern ganz offensichtlich eine beständige Welt und bezeugen wiederum die Existenz des Jenseits. Jedes Jahr im Frühling empfangen alle diese unzählbar vielen, wie tot auf ihren Beinen stehenden Skelette der Bäume, auf dem ganzen Erdenrund von der grenzenlos Urewigen Macht auf den Befehl:

 

 

»Sei und es ist!« (Sure 2, 117)

ein neues Leben, offenbaren »ba’thu ba’d al-maut«, werden die dreihunderttausend Pflanzenarten und Tiergattungen auferweckt und wieder versammelt, bilden hunderttausende Beispiele der Auferstehung und Wiederversammlung. So ist auch die Urewige Weisheit niemals kleinlich berechnend und dennoch niemals verschwendend. So erfordert auch die beständige Barmherzigkeit und das immerwährende Gnadengeschenk, das alles, was da lebt und der Nahrung bedarf, in vollkommener Liebe auf wunderbare Weise ernährt und jeden Frühling in kurzer Zeit Arten von Schönheit und Wert ohne Zahl und Grenzen hervorbringt, ganz offensichtlich die Existenz eines Jenseits. Schließlich gibt es da noch diese starke, unerschütterliche und immerwährende Liebe zur Beständigkeit, Begeisterung für die Ewigkeit und Hoffnung auf Unsterblichkeit im Menschen, der die vollkommenste Frucht der Schöpfung, das bevorzugte Kunstwerk des Meisters der Schöpfung ist, und mit allem, was da ist und lebt, in dieser Schöpfung am stärksten verbunden ist, die ganz offensichtlich ein Zeichen und Beweis dafür ist, dass wir nach dem Ende dieser vergänglichen Welt eine beständige Welt, eine jenseitige Wohnstatt und einen Ort der Glückseligkeit vorfinden werden. Und dieser Beweis trägt in sich eine so absolute Sicherheit, dass man die Existenz des Jenseits genauso klar und offen annehmen muss, wie die Existenz des Diesseits *.

Da aber nun einmal der wichtigste Unterricht, den uns der Weise Qur’an erteilt, der Glaube an das Jenseits ist, ist dieser Glaube so stark, und liegen in diesem Glauben eine solche Hoffnung und eine solche Tröstung, dass die Tröstung, die aus diesem Glauben hervorgeht, dazu im Stande ist, dem Alter, das den Menschen befällt, hunderttausendfach Widerpart zu bieten. Wir alten Leute sollten:

 

 

»Allah sei Dank für den vollkommenen Glauben.«

sagen und uns unseres Alters erfreuen.

 

 

 

Sechste Hoffnung Einmal, als ich in dem Schmerz meiner Gefangenschaft von den Menschen floh, verweilte ich allein auf der Hochebene von Barla auf dem Gipfel des Tannenberges (Tscham Daghi). So allein wie ich war, suchte ich nach einem Licht. Eines Nachts befand ich mich in meinem nach oben hin offenen Baumhaus in dem Wipfel einer hohen Tanne auf dem Gipfel dieses hohen Berges. Mein Alter und mit ihm verbunden drei, vier verschiedene Arten ineinander verquickter Entfremdungen machten sich mir bemerkbar. Wie bereits im »Sechsten Brief« erläutert, erweckte diese Nacht mit ihren Stimmen, die aus dem Raunen und Rauschen der Bäume kamen, mit ihrer Traurigkeit, in der ich in meinem Alter still, stumm und allein in der Fremde zurückblieb, in mir ein tiefes Gefühl der Rührung. Es gemahnte mich das Alter daran, dass – so wie der Tag mit einem schwarzen Grab vertauscht wurde und die Welt sich in ein schwarzes Leichentuch eingehüllt hatte – sich auch der Tag meines Lebens in eine Nacht, diese Welt, wie ein Tag, sich in die Nacht des Zwischenreiches (Berzah) und auch der Sommer des Lebens sich in die Winternacht des Todes verwandeln werde, und sagte in meines Herzens Ohr. Und sogleich sagte mir meine Seele:

»Nicht nur weit entfernt von der Heimat bin ich hier. Nein, noch heftiger sind Trauer und Schmerz mir ob meiner Lieben, die ich während fünfzig Jahren meines Lebens verloren habe. Allein zurückgeblieben bin ich hier als ein Fremder und mein Weinen darüber ist schlimmer noch als mein Heimweh. Und schon wächst in mir die Trauer und der Schmerz einer Entfremdung, noch stärker als die Fremdheit in der Gestalt dieses seltsamen Berges und der Erscheinung dieser unheimlichen Nacht. Es ist die Kunde, die das Alter mir vom Nahen der festgesetzten Zeit der Trennung von aller Welt bringt.« Entfremdet fand ich mich inmitten der Fremde. Trauer über Trauer nahm Gestalt an. Da suchte ich nach einem Strahl der Hoffnung und des Lichtes. Da kam mir plötzlich der Glaube an Allah zu Hilfe und es wurde mir ein solcher Trost zuteil, dass er mir in meiner -zigfachen Verlassenheit vollauf genügte und mir auch dann noch Trost genug gewesen wäre, hätte sie sich tausendfach vermehrt.

In der Tat, oh ihr alten Männer und Frauen, kann es Fremde für uns nicht geben, weil wir nun einmal einen barmherzigen Schöpfer haben; und weil es nun einmal Ihn gibt, sind auch alle Dinge für uns da; weil es nun einmal Ihn gibt, gibt es auch Seine Engel. Wenn das aber so ist, dann ist auch diese Erde nicht leer. Die unbewohnten Berge und die öden Wüsten sind erfüllt von den Dienern und Anbetern Gottes des Gerechten. Außer diesen, Seinen mit Bewusstsein begabten Dienern und Anbetern kann in Seinem Licht und in Seinem Namen selbst jeder einzelne Stein und Baum uns zu einem vertrauten Freund werden. Auf ihre Art können sie Zwiesprache mit uns halten und uns erfreuen. In der Tat legen alle Beweise und Zeugnisse entsprechend der Menge alles dessen, was da ist im All und entsprechend der Zahl der Buchstaben dieses großen Weltenbuches Zeugnis ab für Seine Existenz und beweisen nach der Menge der Ausrüstungsgegenstände, Nahrungsmittel und Gnadengaben, die Ausdruck der Liebe, Barmherzigkeit und Gnade für alles Lebendige sind, auf die (göttliche) Barmherzigkeit hin, zeigen uns die Schwelle zu unserem Schöpfer, Baumeister und Beschützer, der für uns der Barmherzige, und der Freigiebige, Freund und Vertrauter ist. An dieser Schwelle ist das Bewusstsein der eigenen Schwäche und Hilflosigkeit der vollkommenste Anwalt. Und die beste Zeit, sich dieser seiner Schwäche und Hilflosigkeit bewusst zu werden, ist das Alter. Diesem Alter, das an einer solchen Schwelle willkommener Anwalt ist, darf man nicht zürnen, man muss es lieben.

 

 

 

Siebente Hoffnung In einer Zeit, am Anbeginn meines Altseins, als sich das Lachen des Früheren Said in das Weinen des Neuen Said umgewandelt hatte, stellten sich die Weltleute (Politiker) in Ankara mich noch als den Früheren Said vor und luden mich dorthin ein. Ich ging. Es war bald Herbstende, da ich einmal die höchste Stelle der mehr als ich altgewordenen, zerfallenen, abgetragenen Festung von Ankara bestieg. Diese Festung erschien mir als Ereignisse der Geschichte, die sich in Stein verwandelt hatten. Der Herbst, Altsein des Jahres, mein Altsein, das Altsein der Festung, das Altsein der Menschheit, das Altsein des ruhmreichen osmanischen Reiches und das Ableben der Herrschaft des Kalifats und das Altsein der Welt ließen mich in einem überaus traurigen, niedergeschlagenen und schmerzvollen Zustand von dieser hohen Festung in die Bäche der vergangenen Zeit und auf die Berge der zukünftigen Zeit schauen, und ich schaute. In Ankara verspürte ich inmitten der vier-, fünffachen Finsternisse des Altseins, die ineinander eng umschlungen mich umfassten, einen dunkelsten geistigen Zustand *, weshalb ich nach einem Licht, einer Tröstung, einer Hoffnung suchte. Nach rechts, in die vergangene Zeit schaute ich und suchte nach einer Tröstung. Die Vergangenheit erschien mir als ein riesiges Grabmal meines Vaters, meiner Großväter und meiner Gattung, und vermittelte mir ein Gefühl der Verlassenheit statt einer Tröstung. Die Zukunft, auf meiner linken Seite, betrachtete ich, um nach einer Abhilfe zu suchen. Ich sah sie als ein großes und finsteres Grab für mich, für meine Altersgenossen und für die künftigen Generationen. Statt einer Vertrautheit überkam mich Entsetzen. Von rechts und links schaute ich entsetzt auf den gegenwärtige Tag, in dem ich mich befand. Diesen meinen gottvergessenen und geschichtsbewussten Augen erschien dieser gegenwärtige Tag als ein Sarg, der einen halbtoten und auf der Schlachtbank leidenden Körper, quasi meinen Leichnam trug. Als ich dann auch in dieser Hinsicht verzweifelt war, hob ich meinen Kopf und betrachtete die Krone meines Lebensbaumes. Ich sah, dass dieser Baum nur eine einzige Frucht hatte, diese Frucht war mein Leichnam. Er hing oben am Baum und schaute mich an. Auch von diesem Anblick war ich entsetzt und senkte meinen Kopf. Ich betrachtete den unteren Teil, die Wurzel des Lebensbaumes. Ich sah, dass die Erde dort unten wie eine Mischung aus der Erde, zu der meine Knochen geworden waren, und der Erde, aus der sie ursprünglich erschaffen worden waren, quasi mit Füßen getreten wurden. Das war also auch kein Heilmittel, sondern fügte zu meinem Schmerz nur noch einen weiteren Schmerz hinzu. Blieb einzig noch der Blick nach hinten. Ich sah: Die Welt, die keine feste Grundlage hat und vergänglich ist, rollt in den Bächen der Nichtigkeiten und in dem Dunkel des Nichts immer weiter. Wo ich doch für meinen Schmerz nach einer lindernden Salbe suchte, wurde ihm noch Gift hinzugefügt. Da ich auf dieser Seite auch nichts Gutes sah, schaute ich nach dem, was vor mir lag und richtete meine Blicke dahin. Ich sah: Das Tor des Grabes stand offen, mitten auf meinem Weg. Mit geöffnetem Maul erwartete es mich. Hinter ihm verlief eine Straße, die in Richtung Ewigkeit führte, und die Scharen, die auf dieser Straße gingen, traten schon von weitem in mein Blickfeld.

Gegen diese Schrecken, die aus sechs verschiedenen Richtungen kamen, hatte ich nichts anderes außer dem Bruchteil einer persönlichen Entscheidungsfreiheit, die mir als einen Stützpunkt und Waffe zur Verteidigung dienen sollte. Diese persönliche Entscheidungsfreiheit, welche gegen zahllose Feinde und unzählbare, schädliche Dinge die einzige Waffe des Menschen ist, ist mangelhaft, unzureichend, schwach und kann nichts zu Stande bringen. Sie kann einzig nur der Akzeptanz dienen. Weder vermag sie in die Vergangenheit zurückzugehen, sodass sie die Trauer, die mir aus ihr entstand, beenden könnte, noch in die Zukunft vorauszugehen, sodass sie die Ängste, die aus ihr erwuchsen, hindern könnte. Ich sah, dass sie meinen Hoffnungen und Schmerzen bezüglich dem, was vergangen ist und was noch kommen wird, nichts nutzte. Als ich noch in der Furcht, Verlassenheit, Finsternis und Verzweiflung, die aus diesen sechs Richtungen kamen, zappelte, eilten mir die Glaubenslichter, die am Himmel des Qur’an, dessen Verkündigung ein Wunder ist, leuchteten, zur Hilfe. Sie erleuchteten diese sechs Seiten so sehr und füllten sie so mit Licht, dass, auch wenn sich jene Schrecken und Finsternisse hundertfach verstärkt hätten, dieses Licht dennoch gegen sie überreichlich wäre. Es verwandelte alle diese Schrecken einen nach dem anderen in Trost und diese Einöden eine nach der anderen in Vertrautheiten. Es ist dies wie folgt:

Der Glaube zerriss diese fürchterliche Gestalt eines großen Grabmales der vergangenen Zeit und zeigte mir mit augenscheinlicher, sogar wahrhaftiger Gewissheit, dass sie eine vertraute, erleuchtete Versammlung und ein Zusammentreffen der Freunde ist.

Und der Glaube zeigte mit wissenschaftlicher Gewissheit die Zukunft, die durch gottvergessene Betrachtung in der Gestalt eines großen Grabmals erschien, in der Gestalt einer liebenswerten Versammlung bei dem Gastmahl des Erbarmers in den Palästen der Glückseligkeit.

Und der Glaube zerbrach die Gestalt der gegenwärtigen Zeit, die in gottvergessener Betrachtung wie ein Sarg aussieht, und auch die Gestalt dieses gegenwärtigen Tages und ließ diesen Tag sichtbar vor Augen die Gestalt eines Geschäftes annehmen, eines Handelsabkommens für das Jenseits, eines prächtigen Gästehauses des Erbarmers.

Und der Glaube zeigte mit wissenschaftlicher Gewissheit, dass die einzige Frucht, die der Baum des Lebens trägt, nicht eine Leiche ist, wie es ja in gottvergessener Betrachtungsweise erscheint, sondern dass mein Geist, der das ewige Leben in sich trägt und ein Anwärter für die ewige Glückseligkeit ist, sein zerfallendes Nest verlässt, um zu den Sternen zu reisen.

Und der Glaube zeigte mir in dem Geheimnis des Glaubens, dass die Erde, zu der meine Knochen geworden sind und die Erde, aus der sie erschaffen wurden, keine bedeutungslosen, vermoderten Gebeine sind, die man mit Füßen tritt, sondern dass diese Erde das Tor der Barmherzigkeit und ein Vorhang vor dem Saal des Paradieses ist.

Und der Glaube zeigte mir im Geheimnis des Qur’an den Zustand der Welt, die hinter mir lag und in Gottvergessenheit betrachtet in Nichtigkeit, in der Finsternis des Nichtseins dahinrollte. Was diese Welt, die scheinbar in Finsternissen dahinrollt, betrifft, so zeigte der Glaube mir, dass sie ein Teil der Briefe dessen ist, der nichts und niemandes bedarf, dessen aber alles und jedes bedarf, und dass sie die Seiten der Ornamente des Gepriesenen ist, die ihren Auftrag erfüllten, ihren Sinn zum Ausdruck brachten und ihre Früchte an ihrer Stelle im Dasein ließen.

Und der Glaube zeigte mir, im Lichte des Qur’an, das Grab, das vor mir mit aufgerissenen Augen auf mich lauerte, und die Straße, die hinter dem Grab in die Ewigkeit führt, dass dieses Grab kein Eingang zu einem Schacht ist, sondern das Tor in die Welt des Lichtes, und dass dieser Weg nicht in die Nichtigkeit und in das Land des Nichts führt, sondern ins Dasein, in das Land des Lichts und in die ewige Glückseligkeit. Da der Glaube mir dies vollkommen überzeugend zeigte, wurde das Grab zu einem Heilmittel und einer Salbe für meine Wunden.

Und der Glaube verleiht dem Menschen anstelle einer bruchstückhaften, persönlichen Entscheidungsfreiheit, die kaum mehr ist als ein wenig Akzeptanz, eine Urkunde, die sich in der Hand dieser persönlichen Entscheidungsfreiheit gegen zahllose Feinde und Finsternisse auf eine nicht endende Macht stützt und mit einer grenzenlosen Barmherzigkeit verbindet. Vielmehr wird der Glaube zu einer Urkunde in der Hand dieser persönlichen Entscheidungsfreiheit. Diese persönliche Entscheidungsfreiheit ist Waffe des Menschen, zwar selbst noch unzulänglich, schwach und mangelhaft. Aber wie ein Soldat, der, wenn er seine persönliche sehr geringe Kraft im Namen des Staates verwendet, tausendfach mehr Arbeiten, als in seiner Kraft liegen, vollbringen kann, genauso kann durch das Geheimnis des Glaubens auch diese bruchstückhafte, persönliche Entscheidungsfreiheit ein Paradies von einer fünfhundertjährigen Breite gewinnen, wenn sie im Namen Gottes des Gerechten auf Seinen Wegen eingesetzt wird.

Und der Glaube nimmt die Zügel dieser persönlichen Entscheidungsfreiheit, die in die vergangene und die zukünftige Zeit nicht eindringen kann, aus den Händen des Leibes und übergibt sie dem Herzen und dem Geist. Da aber der Lebensbereich des Geistes und des Herzens nicht nur auf die gegenwärtige Zeit beschränkt ist wie der des Körpers und sowohl sehr viele Jahre der Vergangenheit als auch sehr viele Jahre der Zukunft zu seinem Lebensbereich gehören, bleibt diese persönliche Entscheidungsfreiheit nicht mehr nur persönlich und bruchstückhaft sondern gewinnt ihre Ganzheit. Wie sie in die tiefsten Bäche der vergangenen Zeit durch die Kraft des Glaubens eindringen und die Finsternis aller Traurigkeit beseitigen kann, so kann sie durch das Licht des Glaubens die fernsten Berge der Zukunft besteigen, und die Ängste vernichten.

Nun, ihr Geschwister, Damen und Herren in hohem Alter, die ihr wie ich die Mühsal des Alters durchmachen müsst! Elhamdu-li’llah, aller Dank sei Allah, dass wir nun einmal Leute des Glaubens sind und da im Glauben so viele lichtvolle, angenehme, liebliche, süße versteckte Schätze vorhanden sind, und da unser Alter uns an diese Schätze noch näher heranführt, sollten wir uns doch in jedem Fall nicht über das Alter, wenn es denn aus dem Glauben gelebt wird, beklagen, sondern vielmehr dafür tausende Male danken.

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Achte Hoffnung Zu einer Zeit, da sich mein Haupt mit weißen Haaren, dem Merkmal meines Alters zu bedecken begann, sah ich den Tumult des Weltkrieges, welcher den tiefen Schlaf meines Jungseins (in dem ich mich bis dahin noch immer befunden hatte) noch mehr vertiefte, erfuhr ich die Ungewissheit meiner Gefangenschaft, stieg auf zu Amt und Würden, Ehre und Ansehen. Als ich dann in Istanbul ankam, wurde ich, angefangen von dem Kalifen, über den Scheich-ul’Islam, den Obersten Kommandanten bis hinab zu den Schülern in den Medressen mit weit größerer Hochachtung willkommen geheißen, als mir eigentlich zustand. Der Rausch der Jugendzeit und die geistige Haltung, die aus diesem Zustand erwuchs, vertiefte jenen Schlaf dermaßen, dass ich die Welt als quasi beständig und mich selbst in einem seltsamen Zustand erfuhr, gleich einem, der, als sei er selbst unsterblich, der Welt verhaftet ist.

In jener Zeit ging ich im heiligen Monat Ramadan in die gesegnete Moschee Bayezid in Istanbul, um den Rezitatoren zu lauschen, die den Qur’an aufrichtigen Herzens vortrugen. Der Qur’an, dessen Verkündigung ein Wunder ist, verkündet mit seinem hohen Anspruch vom Himmel herab durch den Mund der Rezitatoren den Erlass

 

 

»Eine jede Seele wird einmal den Tod kosten!« (Sure 3, 185)

mit großer Macht, ein Ruf, welcher die Vergänglichkeit des Menschen und die Sterblichkeit alles Lebendigen verkündet. Dieser Ruf drang in mein Ohr ein, nistete in meinem Herzen, schlug jene so mächtigen Schichten des Schlafes, des Rausches und der Gottvergessenheit in Stücke. Ich ging aus der Moschee. In der Trunkenheit jenes langen und tiefen Schlafes, der so lange über meinem Haupte gelegen hatte, erlebte ich mich noch Tage lang wie ein Schiff, das gleich einem Unwetter, Feuer und Rauch über meinem Kopf, die Orientierung verloren hat. Jedes Mal, wenn ich mich im Spiegel betrachtete, sagten mir meine weißen Haare: »Gib Acht!« In der Ermahnung meiner weißen Haare wurde mir meine Lage klar und ich sah:

Die Jugendzeit, der ich so sehr vertraut hatte und in deren Freuden ich vernarrt gewesen war, sagte mir Lebewohl. Und das irdische Leben, dessen Liebe ich so sehr verhaftet gewesen war, begann zu verlöschen. Und die Welt, der ich so sehr verhaftet gewesen, in die ich geradezu verliebt gewesen war, sagte mir: »Viel Glück auf deinem Weg!«, und gemahnte mich daran, dass ich aus diesem Gasthaus ausziehen werde. Sie selbst aber sagte zu mir: »Gott befohlen!« und bereitete sich auf ihren Abschied vor. Wenn der Qur’an, dessen Verkündigung ein Wunder ist, den Vers

 

 

»Eine jede Seele wird einmal den Tod kosten!« (Sure 3, 185)

in seinem gesamten Sinngehalt verkündet, so sagt er damit: »Die Menschheit ist in ihrer Ganzheit eine Seele. Um wieder aufzuerstehen, wird sie sterben. Und auch die Erde ist eine Seele. Um ihre ewige Gestalt annehmen zu können, wird auch sie sterben. So ist auch der gesamte Kosmos eine Seele. Um seine jenseitige Gestalt annehmen zu können, wird sie auch sterben.« Meinem Herzen öffnete sich diese Bedeutung durch den Hinweis dieses Qur’anverses.

In dieser Verfassung betrachtete ich meine Lage: Die Jugend, die die Quelle der Freude ist, vergeht. An ihre Stelle tritt das Alter, das der Ursprung der Trauer ist. Und dieses so glanzvolle, strahlende Leben vergeht. Der uns so finster und schrecklich erscheinende Tod bereitet sich vor, an seine Stelle zu treten. Ich sah, dass die Welt, die wir in ihrer Beständigkeit für so lieblich halten, und die die Geliebte der Gottvergessenen ist, in großer Geschwindigkeit ihrem Untergang entgegen strebt.

Um mich selbst zu täuschen und meinen Kopf erneut in die Gottvergessenheit zu versenken, hielt ich nach dem Genuss gesellschaftlicher Anerkennung Ausschau, die ich in Istanbul weitaus mehr erfahren hatte, als ich verdiente, was mir jedoch nichts nutzte. Alle Hochachtung, alles Entgegenkommen und aller Trost können nur bis an das nahegelegene Tor des Grabes reichen und verlöschen dort. Und unter dem geschmückten Schleier des Ruhmes und der Würde, die ein Traumziel der Ruhmsüchtigen ist, sah ich eine bedrückende Heuchelei, eine kalte Selbstgefälligkeit und einen nur vorübergehenden Rausch. Und so verstand ich, dass diese Dinge, die mich bis jetzt getäuscht hatten, mir keinerlei Trost geben können und es in ihnen überhaupt kein Licht gibt.

Um erneut vollständig zu erwachen, begann ich wieder den Qur’an-Rezitationen in der Bayezid Moschee zuzuhören, um an der himmlischen Lektion des Qur’an teilzunehmen. Sodann vernahm ich und entnahm dieser himmlischen Lektion frohe Botschaften mit heiligen Erlassen wie

 

 

»Verkünde frohe Botschaft denjenigen, die glauben, usw.«

Durch den Segen, den ich aus dem Qur’an erhielt, suchte ich nicht mehr von außerhalb Trost, sondern gerade innerhalb jener Dinge, die mir Furcht, Verlassenheit und Verzweiflung einflößten, nun den Trost, die Hoffnung und das Licht. Dank sei Gott dem Gerechten hunderttausend Mal: Innerhalb des Schmerzes selbst fand ich das Heil, innerhalb der Finsternis selbst fand ich das Licht und innerhalb der Furcht selbst fand ich den Trost. Als allererstes betrachtete ich das Gesicht des Todes, das alle in Schrecken versetzt und das als das Allerschrecklichste dargestellt wird. Ich sah im Lichte des Qur’an:

Der Schleier des Todes ist zwar finster, schwarz und hässlich; für einen Gläubigen aber ist sein wirkliches Antlitz schön und von guter Ausstrahlung. Und in vielen Abhandlungen stellte sich diese Tatsache mit unwiderlegbar sicheren Beweisen heraus. Wie wir schon in vielen Abhandlungen wie in dem »Achten Wort« und in dem »Zwanzigsten Brief« erläuterten, ist der Tod keine Hinrichtung, keine Trennung, sondern der Anfang des ewigen Lebens, sein Anbeginn und der Feierabend von der Mühsal des Lebensauftrages, eine Entlassung und ein Ortswechsel. Er ist ein Wiederzusammentreffen mit den Scharen der Freunde, die in das Zwischenreich ausgewandert sind. Durch dergleichen Wahrheiten wie diese, erkannte ich das wahre, schöne Gesicht des Todes. Nicht fürchtend, sondern in einer Hinsicht sehnsüchtig betrachtete ich das Antlitz des Todes. Ich verstand nun ein Geheimnis, das den Ordensleuten entsprechend in dieser Verbundenheit mit dem Tod liegt.

Dann betrachtete ich mir die Jugendzeit, die in ihrem Vergehen mich wie jeden zum Weinen bringt, über die jeder entzückt ist, deren Liebhaber ein jeder ist, und die mit Sünden und in Gottvergessenheit vergeht und vergangen ist. In ihrem derartig schönen, geschmückten Kleid erkannte ich ein überaus hässliches, trunkenes, berauschtes Gesicht. Hätte ich ihren Sinn nicht schon vorher erkannt, so hätte sie mich für hundert Jahre zum Weinen gebracht – falls ich so lange auf Erden verweilt hätte – nachdem sie mich für einige Jahre berauscht und zum Lachen gebracht hatte. Wie auch einer derer, denen es so ergangen war unter Tränen gesagt hat:

 

Das heißt: »Ach könnte meine Jugendzeit eines Tages zurückkehren, würde ich mich bei ihr beklagen, welch traurige Zustände dieses Altsein über mich brachte.«

Tatsächlich weinen die Alten – wie der obige – die den Sinn der Jugendzeit nicht kannten, indem sie sie bedauern und sich nach ihr sehnen, wenn sie an sie zurückdenken. In Wirklichkeit ist die Jugend ein ganz besonders solventes Handelsgut, ein guter und schöner Anlass zu segensreichen Taten, wenn sie von den Gläubigen, den Leuten des Herzens, d.h. Leuten, die sich ständig der Gegenwart Gottes bewusst sind und die ihre Sinne beisammen und das Herz am rechten Fleck haben, für Gottesdienst, für segensreiche Taten und für einen Handel ausgegeben wird, der für das Jenseitige nutzt. Und diese Jugend ist für diejenigen, die sie nicht missbrauchen, sondern die ihre religiöse Pflicht kennen, ein Geschenk Gottes, das wertvoll ist und froh stimmt. Wenn die rechte Leitung, Sittsamkeit und Gottesfurcht nicht die Jugendzeit begleitet, ist sie sehr gefährlich. Durch ihre übermütigen Handlungen schwächt die Jugend ihr Ewiges Glück und das jenseitige Leben. Sie verdirbt vielleicht auch ihr weltliches Leben vollkommen. Ja, sie wird sogar an Stelle der ein-, zweijährigen Freude in der Jugendzeit viele Jahre im Alter Kummer und Sorge haben. Die meisten Menschen kommen in ihrer Jugendzeit zu Schaden. Daher müssen wir Alten, Allah danken, dass wir nicht mehr den schädlichen und gefährlichen Einflüssen der Jugendzeit ausgesetzt sind. Wie alle Dinge werden auch mit Sicherheit die Freuden der Jugend vergehen. Wurde aber diese Zeit für Gottesanbetung und segensreiche Taten ausgegeben, bleiben an ihrer Stelle ihre Früchte bestehen und bewirken, eine Jugend im ewigen Leben zu gewinnen.

Dann betrachtete ich die Welt, in die die meisten Menschen verliebt und vernarrt sind. Im Lichte des Qur’an sah ich: Es gibt drei universelle Welten, die ineinander verflochten sind.

Der Aspekt der ersten betrifft die Namen Gottes, für die sie als Spiegel dient!

Der Aspekt der zweiten betrifft das Jenseits, für das sie ein Acker ist!

Der Aspekt der dritten betrifft die Weltleute! Für Leute, die gottvergessen leben, ist sie ein Spielplatz.

Zudem hat jeder in dieser Welt seine eigene riesengroße Welt. So, als ob nach der Anzahl der Menschen Welten ineinander verflochten sind. Aber für jeden ist sein eigenes Leben die tragende Säule seiner persönlichen Welt. Wenn aber sein Körper zusammenbricht, bricht auch seine eigene Welt über seinem Kopf zusammen und bricht auch sein Weltuntergang an. Da die gottvergessen lebenden Leute diesen Zustand ihrer eigenen Welt (in sich), die so leicht zusammenzubrechen droht, nicht kennen, halten sie sie für so beständig wie die Welt (um sich und) im Allgemeinen und beten sie an.

»So wie die Welten der anderen habe auch ich eine Welt für mich, die leicht zerbricht und verdirbt. Was hat diese meine persönliche Welt in dieser so kurzen Lebensspanne für einen Nutzen?«, fragte ich mich. Im Lichte des Qur’an erkannte ich: Sowohl für mich, als auch für jeden anderen gleicht diese Welt einem zeitweiligen Messe- und Handelszentrum, einem Gasthaus, das sich jeden Tag füllt und wieder leert, einem Basar, der zum An- und Verkauf aller, die da auf der Straße kommen und gehen, errichtet ist, ein Buch, in dem der urewige Designer in Seiner Weisheit immer wieder aufs Neue schreibt und wieder löscht. Jeder Frühling ist ein Brief von Ihm, geschrieben mit goldenen Lettern; und jeder Sommer ist Seine gereimte Kasside. Die Welt ist eine Vielzahl von Spiegeln, die die Erscheinungen der Namen des majestätischen Schöpfers immer neu zeigen. Sie gleicht einer Baumschule für das Jenseits, einem Setzbeet der Barmherzigkeit Gottes, einem Webstuhl, der vorübergehend aufgestellt wurde, um die Szenen, die in der ewigen Welt gezeigt werden sollen, auf ihm zu gestalten. In diesem Sinn erkannte ich die Welt und dankte hunderttausend Mal dem majestätischen Schöpfer, der diese Welt in dieser Form und Gestalt erschafft. Und ich erkannte, dass diejenigen, denen die Liebe zur Welt, die doch der Menschheit als deren schöner innerer Aspekt geschenkt wurde, der das Jenseits und die Namen Gottes betrachtet, missbrauchen und sie (die Liebe) als deren vergänglichen, hässlichen und verderblichen Aspekt ausgeben, einen Aspekt der Gottvergessenheit, der den Sinn der heiligen Hadith

 

 

»Die Liebe zur Welt ist der Anfang aller Fehler.«

erkennen lässt.

Dies also, meine Damen und Herren im vorgerückten Alter, habe ich im Lichte des weisen Qur’an und durch mein eigenes Alter als Wahrheit erkannt, nachdem mir der Glaube die Augen geöffnet hatte. Und in vielen Abhandlungen bewies ich sie mit unwiderlegbaren Zeugnissen. Ich fand dadurch eine wahrhaftige Tröstung, eine starke Hoffnung und ein hell strahlendes Licht. Ich fand Zufriedenheit in meinem Alter und war froh, dass meine Jugend vorüber war. So sollt auch ihr nicht weinen, sondern danken. Da dies nun einmal der Glaube ist und so die Wahrheit, mögen die Leute der Gottvergessenheit weinen, mögen die Leute des Irrweges weinen...

 

 

 

Neunte Hoffnung Während des ersten Weltkrieges befand ich mich weit weg im nordöstlichen Russland in der Stadt Kostroma in Gefangenschaft. Es befand sich da am Ufer des bekannten Wolgastromes eine kleine Moschee der Tataren. Ich langweilte mich unter den Offizieren, die dort als meine Kameraden mit mir gefangen waren. Es verlangte in mir nach Einsamkeit. Draußen konnte ich nicht ohne Erlaubnis spazieren gehen. Die Tataren leisteten für mich eine Bürgschaft und nahmen mich in diese kleine Moschee am Ufer der Wolga mit. Ich schlief allein in der Moschee. Der Frühling war nahe. In diesen langen und tiefen Nächten im Norden des weiten Landes lag ich sehr lange wach. In diesen dunklen Nächten, in dieser düsteren Fremde, bei dem melancholischen Rauschen der Wolga, in dem klagenden Rinnen des Regens, in dem sehnsuchtsvollen Wehen des Windes wurde ich zumindest vorübergehend aus meinem tiefen, sorglosen Schlaf aufgeweckt. Ich wusste mich überhaupt noch nicht alt. Aber wer den Weltkrieg gesehen hat, der ist alt. Es war, als sei mir das Geheimnis von

 

 

»Der Tag, an dem sich Kinder als Greise wiederfinden.«

offenbar geworden. In solchen Tagen, da Kinder zu Greisen werden, war ich vierzig Jahre alt; aber ich befand mich in einem solchen Zustand, als sei ich schon achtzig Jahre alt. Während dieser dunklen langen Nacht, in dieser betrüblichen Fremde, in diesem betrüblichen Zustand überkam mich eine Art Verzweiflung am Leben. Ich betrachtete meine Schwäche, meine Einsamkeit, gab meine Hoffnung auf. Während ich mich noch in diesem Zustand befand, kam mir die Hilfe aus dem weisen Qur’an. Mein Mund sprach:

 

 

»Allah ist mir genug und Er ist der vortrefflichste Anwalt.« (Sure 3, 173)

Und auch mein Herz sagte weinend:

 

 

»Ich bin in der Fremde, ohne Verwandte, schwach, kraftlos. Ich flehe um Schutz. Ich bitte um Verzeihung. Ich rufe um Hilfe an Deiner Schwelle, oh Allah!«

Mein Geist dachte auch an die alten Freunde in der Heimat und stellte sich meinen Tod in der Fremde vor und wie Niyazi Misri sagte ich:

 

»Ich habe die Sorge um weltliche Dinge aufgegeben und

meine Flügel im Nichts gebreitet und

Begeisterung mit jedem Atemzug! –

fliege ich und rufe aus: Freund! Freund!«

 

So sagte ich und suchte Freunde. Wie dem auch sei, in dieser langen Nacht in der Fremde, die so voll der Sehnsucht, von Traurigkeit und Klage erfüllt das Herz rührte, wurde meine Hilflosigkeit und Schwäche an der Schwelle des Hauses Gottes zu einem so großen Fürsprecher und Mittler, dass ich noch jetzt darüber erstaunt bin. Denn einige Tage später brach ich völlig unerwarteter Weise und – obwohl ich kein russisch konnte – ganz allein zu einer Flucht über eine Entfernung von einem Jahr Fußmarsch auf. Meine Schwäche und Hilflosigkeit rief die Gnade Gottes herbei und so habe ich mich auf wunderbare Weise gerettet. Auf dem Wege über Warschau gelangte ich nach Österreich, kam in Istanbul an. Es ist ein großes Wunder, auf was für eine leichte Art ich mich zu retten vermochte. Obwohl auch die klügsten und tapfersten Männer, selbst wenn sie russisch konnten, nicht ans Ziel gelangten, habe ich doch auf eine ganz leichte und einfache Weise diese meine Reise auf der Flucht zu Ende geführt. Aber der Charakter jener oben erwähnten Nacht in der Moschee am Ufer der Wolga hat in mir den folgenden Entschluss reifen lassen: »Ich werde den Rest meines Lebens in Höhlen verbringen! Ich habe mich um das soziale Leben der Menschen gekümmert und jetzt ist es genug. Da ich nun einmal am Ende einsam ins Grab steigen werde, will ich die Einsamkeit wählen, mich ab heute an die Einsamkeit gewöhnen.« Aber in Istanbul ließen mich meine vielen bedeutenden und wichtigen Freunde und das glanzvolle irdische Leben dort in Istanbul und besonders so nutzlose Dinge wie Ruhm und Ehre, die man mir im Übermaß erwies, diesen meinen Vorsatz vorübergehend vergessen. Als ob diese Nacht in der Fremde das lichtempfindliche Schwarz im Auge meines Lebens gewesen wäre und der weiße, glanzvolle Tag von Istanbul das lichtunempfindliche Weiß im Auge meines Lebens, sodass ich nicht nach vorne schauen konnte, und wieder einschlief, bis dass mir zwei Jahre später Abdulkadir Geylanis Buch »Futuh-ul’Ghayb« (Durchbruch durch das Unsichtbare) erneut die Augen öffnete.

Also oh ihr alten Frauen und Männer! Wisset, dass die Schwäche und Ohnmacht im Alter ein Anlass ist, die Barmherzigkeit und Güte Gottes heranzuziehen. Wie ich in meinem persönlichen Leben durch viele Ereignisse immer wieder erfahren habe, so zeigt auch die Erscheinung der Barmherzigkeit auf dem Antlitz der Erde, diese Wahrheit in einer Überaus offensichtlichen Weise. Denn die Schwächsten und Ohnmächtigsten in der Tierwelt sind die Jungtiere. In der Tat sind sie es, die die süßeste und schönste Erscheinung der Barmherzigkeit erfahren. Durch die Ohnmacht eines Jungen im Nest auf dem Wipfel eines Baumes nimmt die Erscheinung der Barmherzigkeit als einen gehorsamen Soldaten seine Mutter in Dienst. Sie fliegt umher und bringt ihm seine Nahrung. Wann immer aber dieses Junge im Erstarken seiner Flügel seine Ohnmacht vergisst, sagt ihm seine Mutter »Geh, such deine Nahrung selber!« und sorgt sich fortan nicht mehr um ihn.

Also, dieses Geheimnis der Barmherzigkeit, das für die Neugeborenen gilt, gilt auch für die Alten, die hinsichtlich der Schwäche und Ohnmacht den kleinen Kindern gleichen. Ich habe so viele Erfahrungen, die mich absolut sicher überzeugen, dass, wie den Säuglingen ihre Nahrung wegen ihrer Ohnmacht durch die Barmherzigkeit in einer wunderbaren Weise, aus den Hähnen der Brüste gesandt wird und fließt, auch den gläubigen Alten, die eine Unschuld erlangt haben, ihre Nahrung in Form des Segens gesandt wird. Außerdem beweist eine heilige Hadith diese Tatsache in dem folgenden Abschnitt:

 

*

das heißt: »Wären keine alten Leute mit gebeugten Rücken unter euch, so würden Unglücke über euch wie eine Sintflut herabstürzen,« was besagt, dass die tragende Säule in einem Haus, die Alten sind, die in ihm leben, und dass, was ein Haus vor Unglücken schützt, die hilflosen alten Frauen und Männer mit gebeugtem Rücken sind, die in dem Haus leben.

Da die Schwäche und Ohnmacht des Alters nun einmal ein solcher Anlass ist, die Barmherzigkeit Gottes heranzuziehen, und da der Weise Qur’an nun einmal mit den Versen

 

 

»Und zu den Eltern (solltest du) gut sein. Wenn eines von ihnen (Vater oder Mutter) oder (alle) beide bei dir (im Haus) hochbetagt geworden (und mit den Schwächen des Greisenalters behaftet) sind, dann sag nicht ›Pfui!‹ zu ihnen und fahre sie nicht an, sondern sprich ehrerbietig zu ihnen, und senke für sie in Barmherzigkeit den Flügel der (Selbst)erniedrigung (d.h. benimm dich ihnen gegenüber aus Barmherzigkeit freundlich und gefügig) und sag: ›Herr! Erbarm Dich ihrer (ebenso mitleidig), wie sie mich aufgezogen haben, als ich klein und (hilflos) war!‹« (Sure 17, 23-24)

die Kinder in einer überaus wunderbaren Ausdrucksweise in fünf Hinsichten zum Respekt und zur Liebe den alten Müttern und Vätern gegenüber aufruft, und da die Religion des Islam nun einmal Respekt und Güte den Alten gegenüber befiehlt, und da die Menschlichkeit in ihrem Wesen den Respekt und die Barmherzigkeit den Alten gegenüber erfordert, bekommen wir Alten auf jeden Fall anstelle von einem vorübergehenden materiellen Genuss, welcher der Genussfähigkeit der Jugend entspricht, die Barmherzigkeit und den Respekt, welche geistig, beständig und wertvoll sind und aus der Güte Gottes und aus dem Mitgefühl erwächst, und die geistigen Freuden, die aus dieser Barmherzigkeit und diesem Respekt herrühren. Daher sollen wir dieses unser Altsein gegen hundert Mal Jugend nicht tauschen. Ja, ich versichere euch, dass ich, könnte man mir zehn Jahre Jugend des Alten Said zurückgeben, kein Jahr von dem jetzigen Zustand des Neuen Said in seinem Alter abgeben würde. Mit meinem Alter bin ich zufrieden. Ihr sollt auch mit eurem zufrieden sein.

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Zehnte Hoffnung Einmal aus der Gefangenschaft zu-rückgekehrt, übermannte mich in Istanbul für ein, zwei Jahre wieder die Sorglosigkeit. Das politische Klima hatte mir den Blick von mir selbst hinweg gehoben und in alle Winde zerstreut. So saß ich eines Tages in Istanbul an hoher Stelle im Eyyub Sultan Friedhof und blickte hinunter in den Bach. Ich ließ meine Blicke über Istanbul hinweg bis zum Horizont schweifen. Plötzlich sah ich, wie mir meine persönliche Welt starb. Es kam mir eine Phantasievorstellung, so als zöge sich gewissermaßen mein Geist hinweg. Ich sagte mir: »Bringen mir etwa die Inschriften auf den Grabsteinen dieses Friedhofes solche Phantasievorstellungen?« Ich zog meinen Blick wieder zurück, ließ ihn nicht in die Ferne schweifen, sondern richtete ihn auf den Friedhof. Mein Herz wurde gemahnt: »In diesem Friedhof um dich herum ist hundert Mal Istanbul. Denn hundert Mal wurde Istanbul hierher entleert. Du kannst dich nicht vor dem Urteil des Allmächtigen Königs retten, der die Einwohner von ganz Istanbul hierher entleert hat, und eine Ausnahme bilden. Auch du wirst gehen!« Ich verließ den Friedhof und trat in dieser fürchterlichen Vorstellung in ein kleines Zimmer der Eyyub Sultan Moschee ein, wie ich das schon oft getan hatte. Ich dachte mir, dass ich in dreifacher Hinsicht ein Gast bin: So wie ich in diesem Zimmer hier ein Gast bin, so bin ich ein Gast auch in Istanbul, ein Gast auch in dieser Welt. Ein Gast muss auf den Weg achten. Wie ich aus diesem Zimmer weggehen werde, so werde ich eines Tages auch aus Istanbul weggehen, eines Tages auch aus der Welt weggehen.

In diesem Zustand beschlich Schmerz, Kummer und Sorge mir Herz und Verstand, ein Gefühl des Mitleidens in der Stunde der Trennung. Denn ich verliere nicht nur ein, zwei Freunde, nein, so wie ich mich von Tausenden mir liebgewordenen Freunden in Istanbul trennen muss, so werde ich auch mein so geliebtes Istanbul verlassen müssen. So wie ich mich in dieser Welt von Hunderttausenden Freuden trennen muss, so muss ich auch diese schöne Welt verlassen, die ich so liebe und der ich verhaftet bin. So dachte ich und begab mich wieder an jenen hohen Platz auf dem Friedhof. Ich ging damals gelegentlich ins Kino, weil mich diese neue Technik interessierte. In diesem Augenblick kamen mir die Menschen wie Schatten vor, die im Kino von der Vergangenheit in die Gegenwart hineinprojiziert werden, wobei man längst Verstorbene wieder umherwandeln sieht. In gleicher Weise erschienen mir die Menschen, die ich in diesem Augenblick sah, wie wandelnde Leichname. Mein Phantasiebild sprach zu mir: Da man nun einmal einen Teil derer, die hier auf dem Friedhof liegen, im Kino umherwandeln sehen kann, betrachte auch diejenigen, welche ganz bestimmt einmal auf diesen Friedhof getragen werden, so, als habe man sie bereits hierher gebracht. Auch sie sind wandelnde Leichname... Plötzlich wandelte sich im Lichte des weisen Qur’an und unter der Rechtleitung von Gauth-u ‘Azam Scheich Geylani (Allah heilige seine Geheimnisse) Hazretleri diese betrübliche Verfassung in einen fröhlichen und glücklichen Zustand um. Und zwar so: In dieser trübseligen Verfassung gemahnte mich das Licht, das aus dem Qur’an hervorgeht:

Du hattest im Nordosten, in Kostroma, in der Fremde, ein, zwei mitgefangene Offiziere zu Freunden. Du wusstest, dass diese Freunde auf jeden Fall nach Istanbul zurückkehren würden. Hätte jemand zu dir gesagt: »Willst du nach Istanbul zurückkehren oder hier bleiben?« und hättest du auch nur einen Funken Verstand gehabt, wärest du damit einverstanden gewesen, froh und heiter nach Istanbul zurückzukehren. Denn von tausend und einem Freund sind 999 in Istanbul. Ein oder zwei sind hier geblieben. Auch sie werden dorthin zurückkehren. Nach Istanbul zu reisen bedeutet für dich keine bedauerliche Trennung, keinen schmerzlichen Abschied. Und nun, da du angekommen bist, bist du etwa nicht zufrieden? Du hast dich vor den so düsteren, langen Nächten und den so kalten stürmischen Wintern in diesem feindlichen Land gerettet. Du bist in dieses schöne Istanbul gekommen, das in dieser schönen Welt wie ein Paradies ist. In gleicher Weise gilt: »Von deinen Lieben sind seit deiner Kindheit bis zum heutigen Tage neunundneunzig von hundert in dieses dir Furcht einflößende Gräberfeld umgesiedelt worden. Du hast noch ein oder zwei Freunde, die in dieser Welt zurückgeblieben sind. Auch sie werden dorthin umgesiedelt werden. Dein Tod in dieser Welt ist keine Trennung, sondern eine Begegnung. Du wirst deine Freunde wiedersehen. Sie, das heißt die ewigen Geister, verlassen ihr alt gewordenes Nest unter der Erde, ein Teil wandelt zwischen den Sternen, ein Teil wandert über die Stufen der Schattenwelt.« So wurde ich ermahnt. Ja, Qur’an und Glaube haben diese Wahrheit in einem solchen Grade und mit so absoluter Sicherheit bewiesen, dass, wer nicht ganz und gar ohne Herz und Verstand ist, oder wessen Herz nicht auf einem Irrweg versunken ist, sie im Glauben annehmen muss, als sähe er sie vor Augen. Denn der freigiebige und barmherzige Meister, der diese Welt mit so zahllosen Arten Seiner Huld und Güte geschmückt hat und über ihr Seine Herrschaft mit solcher Gast- und Menschenfreundlichkeit walten lässt, der auch so winzige und bedeutungslose Dinge wie ein Samenkorn schützt, wird sicherlich und gewiss den Menschen, dieses vollkommenste und vielseitigste, dieses bedeutendste und geliebteste unter all Seinen Geschöpfen, nicht so ganz ohne Sinn und Erbarmen verurteilen, zerstören, vernichten, wie es nach außen hin den Anschein hat. Nein, der Barmherzige Schöpfer begräbt Seine geliebten Geschöpfe für eine Zeitlang unter der Erde, damit sie ihnen ein Tor zur Barmherzigkeit werde, so wie ein Bauer den Samen in die Erde streut, damit er in einem neuen Leben erblühe *.

So also erschien mir dieses Gräberfeld lieblicher als Istanbul, nachdem ich einmal diese Ermahnung aus dem Qur’an empfangen hatte. Das Leben wie ein Eremit in der Einsamkeit wurde mir willkommener als gesellschaftlichen Umgang zu pflegen. So fand ich denn auch in Sariyer ein abgelegenes Haus für mich nahe am Bosporus. So wie mir der Ghauth-u ‘Azam (Allah heilige seine Geheimnisse) durch sein »Futuh-ul’Ghayb« zum Meister, Arzt und Lehrer geworden war, so wurde mir nun Imam Rabbani (Allah möge mit ihm zufrieden sein) mit seinem »Mektubat« (Briefe) zu einem Freund, Vater und Lehrer. Um diese Zeit begann ich schon älter zu werden und von den Genüssen des Stadtlebens Abstand zu nehmen und mich vom gesellschaftlichen Leben abzusondern. Dadurch bin ich sehr froh geworden. Dank sei Allah...

Also ihr Leute, die ihr wie ich in das Alter (des Lebens) eingetreten seid und durch die Ermahnung des Altseins öfters an den Tod erinnert werdet! Im Lichte des Glaubensunterrichtes, den uns der Qur’an erteilt, sollen wir das Alter, den Tod und die Krankheit als schön betrachten, ja mehr noch: uns in gewisser Hinsicht darauf freuen. Da wir nun einmal ein grenzenlos wertvolles Geschenk wie den Glauben besitzen, so ist auch das Alter schön, auch die Krankheit ist schön und auch der Tod ist schön. Was unschön ist, das sind die Sünden, die Ausschweifungen, die Ketzerei und der Irrglaube.

 

 

 

Elfte Hoffnung Nachdem ich aus der Gefangenschaft nach Istanbul zurückgekehrt war, wohnte ich mit meinem verstorbenen Neffen Abdurrahman (er ruhe in Frieden) zusammen in einer Villa auf dem Berg Tjamlidja. Dieses mein Leben konnte man vom Standpunkte des irdischen Lebens aus betrachtet für Menschen meines Standes als das glücklichste Leben bezeichnen.

Denn ich hatte mich aus der Gefangenschaft gerettet. An der »Dar-ul’Hikmet« hatte ich in meinem Beruf als Wissenschaftler entsprechend in höchstem Maße Erfolg mit meinen wissenschaftlichen Publikationen. Ich genoss ein hohes Ansehen und man hatte mich mit Ehren überhäuft. Verglichen mit anderen Wohnvierteln Istanbuls wohnte ich hier in Tschamlidscha in der schönsten Gegend. Alle meine Angelegenheiten waren aufs Beste geordnet und es fehlte mir an nichts. Mein verstorbener Neffe Abdurrahman, ein hochintelligenter, idealgesinnter Schüler, wohnte bei mir und war zugleich mein Diener und Sekretär und mein Adoptivkind. Ich wusste, dass ich in dieser Welt mehr als andere glücklich war. Da schaute ich in den Spiegel: Ich erblickte weiße Haare auf meinem Kopf und in meinem Bart. Da wurde plötzlich mein Geist wieder so wach wie während meiner Gefangenschaft in der Moschee von Kostroma. Infolgedessen begann ich die Umstände und Ursachen kritisch zu betrachten, mit denen ich in meinem Herzen verbunden war, und die ich für den Angelpunkt meines irdischen Glückes hielt. Welche ich auch immer untersuchte, ich sah, dass sie faul, nicht des Interesses wert, und trügerisch waren. In der gleichen Zeit beobachtete ich bei einem Kollegen, den ich für absolut loyal gehalten hatte, eine Unkollegialität und unvorstellbare Unzuverlässigkeit. Ein Widerwille gegenüber dem irdischen Leben überkam mich. Ich sagte mir in meinem Herzen:

Habe ich mich denn so völlig geirrt? Ich sehe, dass uns sehr viele Menschen in unserer Situation beneiden, wo wir doch in Wirklichkeit zu bedauern wären... Sind alle diese Menschen verrückt geworden? Oder werde ich jetzt selbst verrückt, sodass ich die Menschen, welche diese Welt anbeten, für verrückt halte? Wie dem auch sei... erst jetzt erkannte ich mit dem Scharfsinn, den das Alter verleiht, die Vergänglichkeit der vergänglichen Dinge, für die ich mich interessiert hatte.

Ich betrachtete mich selbst, erkannte schließlich meine Schwäche. Zu gleicher Zeit sagte mir mein Geist, der nach Ewigkeit verlangte und dem Vergänglichen verhaftet war, das er für beständig erachtete, mit aller Kraft: Da nun einmal mein Körper vergänglich ist, was soll mir da noch aus dem Vergänglichen an Gutem zuteil werden? Da ich nun einmal hilflos bin, was habe ich da noch von diesen Hilflosen zu erwarten? In meinem Kummer sagte ich mir: es muss einen Unvergänglich-Unsterblichen, einen Allmächtig-Ewigen geben, der einen Ausweg findet. So begann ich Ihn zu suchen. Zu dieser Zeit begann ich vor allem bei der Wissenschaft, die ich seit langem studiert hatte, Tröstung und Hoffnung zu suchen. Leider hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt die philosophische und die islamische Wissenschaft zusammen in mich hinein gefüllt und irrtümlicher Weise angenommen, dass die philosophischen Wissenschaften ein Mittel zur Vervollkommnung und eine Quelle der Erleuchtung seien, während doch alle diese philosophischen Fragestellungen meinen Geist über alle Maßen besudelt und mein inneres Wachstum behindert haben. Da kam mir plötzlich die heilige Weisheit Gottes des Gerechten in Seiner Barmherzigkeit und in Seiner Freigiebigkeit aus dem weisen Qur’an zu Hilfe. Wie in vielen Abhandlungen erklärt wurde, hat sie alle Befleckung durch diese philosophischen Fragestellungen von mir abgewaschen und mich gereinigt. Mit einem Satz gesagt: Die Finsternis des Geistes, die die Weisheit der Philosophen ist, erstickte meinen Geist von allen Ecken des Alls. In welche Richtung ich auch immer schaute, nach Licht suchte, in ihren Fragestellungen konnte ich kein Licht finden, keinen Atem schöpfen. Da zerstreute die Lehre von der Einheit (Tauhid), die mit dem Satz: »La ilaha illa Hu (Es gibt keine Gottheit außer Ihm)« von dem Weisen Qur’an unterrichtet wird, alle diese Finsternisse durch ein überaus strahlendes Licht. Beruhigt atmete ich auf. Aber mein Ego und der Satan stützten sich auf den Unterricht, den sie von den Leuten des Irrweges und von den Leuten der Philosophie erhalten hatten, und griffen Herz und Verstand an. Der Angriff auf meine Seele und die Debatte mit ihr endete – Allah sei Dank! – mit einem Sieg des Herzens. Diese Debatten wurden in sehr vielen Abhandlungen teilweise aufgeschrieben. Ich begnüge mich damit, hier nur einen von tausend Siegen des Herzens darzustellen, nur ein einziges Zeugnis unter Tausenden Zeugnissen vorzulegen, um den Geist eines Teiles der alten Leute, die von Jugend an mit dem, was man die Weisheit der Fremden und die Wissenschaften ihrer Zivilisation nennt, und zum einen Teil ein Irrtum, zum anderen Teil sinnlose Problemsuche ist, ihren Geist befleckt, ihr Herz krank gemacht und ihr Ego aufgebläht hat, zu reinigen. Mögen sie vom Übel des Satans und vom Egoismus befreit werden und zur Wahrheit von der Einheit (Tauhid) gelangen! Es geschah dies wie folgt:

In Vertretung der philosophischen Wissenschaften sprach meine Seele zu mir: »Alle Dinge im Universum stehen natürlicher Weise in einer Wechselbeziehung zueinander. Jedes Ding hat seine Ursache. Früchte darf man von einem Baum, Getreide vom Feld erwarten. Warum soll man auch das unbedeutendste, kleinste Ding von Allah erwarten, von Allah erflehen?« In dieser Zeit enthüllte sich mir das Geheimnis der Einheit (Tauhid) im Lichte des Qur’an auf folgende Weise. Mein Herz sprach zu dieser meiner Philosophenseele: Das unbedeutendste und kleinste Ding wie auch das größte Ding kommt unmittelbar aus der Macht des Schöpfers der Universen, geht aus Seiner Schatzkammer hervor. Auf andere Weise kann es nicht geschehen! Die Ursachen sind jedoch nur ein Schleier. Denn die Geschöpfe, die wir für die unbedeutendsten und kleinsten halten, werden manchmal – wenn man sie erst einmal so betrachtet, wie sie erschaffen und künstlerisch gestaltet wurden – noch größer als die größten unter ihnen. Wenn eine Mücke vom künstlerischen Standpunkt aus betrachtet ein Huhn zwar nicht zu übertreffen vermag, so steht sie doch auch nicht hinter ihm zurück. Und wenn dem so ist, gibt es auch keinen Unterschied zwischen groß und klein. Und entweder ist das ganze auf verschiedene materielle Ursachen zurückzuführen, oder alle Dinge gemeinsam sind einer einzigen Persönlichkeit zuzuschreiben. Wie aber der erste Fall unvorstellbar ist, so ist der zweite Fall notwendig und zwingend. Denn wenn alles einer einzigen Person, nämlich einem Allmächtig-Urewigen zuzuschreiben ist; da sich nun einmal aus der Weisheit und Ordnung alles Seienden mit absoluter Sicherheit ergibt, dass Er ein Wissen besitzt, das alle Dinge umfasst, und da nun einmal in Seinem Wissen der Maßstab aller Dinge bestimmt ist, und da nun einmal – wie wir mit eigenen Augen sehen können – ständig aus dem Nichts mit unendlicher Leichtigkeit unendlich kunstvolle Werke entstehen, und da nun einmal dieser Allmächtig-Allwissende, was auch immer Er will durch Seinen Befehl:

 

 

»Sei und es ist!« (Sure 2, 117)

so wie man ein Streichholz entzündet – ins Dasein zu rufen vermag, so besitzt Er auch, wie wir anhand von zahllosen starken Beweisen erklärt haben, und zwar besonders im »Zwanzigsten Brief« und auch am Ende des »Dreiundzwanzigsten Blitzes« bewiesen haben – eine grenzenlose Macht... Sicherlich beruht diese offensichtliche wunderbare spielerische Leichtigkeit auf diesem umfassenden Wissen und Seiner gewaltigen Macht. Zum Beispiel: Wenn man in einem Buch, das mit einer dem Auge unsichtbaren Tinte geschrieben wurde, ein Mittel aufträgt, das dafür bestimmt ist, diese Schrift sichtbar zu machen, so erweist dieses riesige Buch plötzlich für jedermanns Auge seine Existenz und macht sich selbst lesbar. Im allumfassenden Wissen des Allmächtig-Urewigen sind alle Dinge in ihrer eigenen Form und in ihrem vorgegebenen Maß entsprechend festgelegt. Diese unbeschränkte Allmacht, trägt mit Ihrem Befehl:

 

 

»Sei und es ist!« (Sure 2, 117)

mit dieser grenzenlosen Macht und einem alles durchdringenden Willen, mit spielerischer Leichtigkeit Ihre Kraft, die eine Manifestation ihrer Macht ist, auf das Wesen des Wissens auf, so wie man ein Mittel auf diese Schrift aufträgt, um jedem Ding einen nach außen hin wahrnehmbaren Körper zu verleihen, ihn für das Auge sichtbar zu machen, um die Weisheit der Ornamente lesbar werden zu lassen. Wenn man nicht alle Dinge gemeinsam diesem Allmächtig-Urewigen zuschreibt, Ihm, der aller Dinge Wissen hat, dann ist es notwendig, den Körper auch des kleinsten Dinges, wie einer Mücke, aus den meisten Elementen der Welt in einem nur ihr eigentümlichen Maßstab entsprechend zusammenzustellen. Zudem ist dies nur dann möglich, wenn die Zellen, die im Körper dieser winzigen Mücke arbeiten, das Geheimnis ihrer Erschaffung und ihre künstlerische Vollendung in allen Einzelheiten kennen. Denn auf Grund von Ursachen, die in der belebten oder unbelebten Natur liegen, kann offensichtlich und in Übereinstimmung mit allen Leuten von Verstand nichts aus dem Nichts entstehen. Also müssen sie in jedem Fall zu ihrer Hervorbringung zunächst erst einmal die Bestandteile zueinander bringen. Um welches Lebewesen es sich nun aber auch immer handeln mag, es enthält in sich von den meisten Elementen ein Exemplar und verkörpert in sich Muster der meisten Arten. Es ist so, als sei es eine Zusammenfassung des Weltalls gleich einem Samenkorn. Sicherlich ist es notwendig in diesem Fall mit den empfindlichsten Messinstrumenten die Bausteine eines Baumes festzustellen, um aus ihnen ein Samenkorn zu konstruieren, und die Bauelemente des Erdkreises zu ermitteln, um mit ihrer Hilfe ein Lebewesen zusammensetzen zu können.

Es sind aber nun einmal die Ursachen, die in der unbelebten Natur liegen, unwissend und leblos und verfügen über kein Wissen, sodass sie einen Plan, eine Liste, einen Entwurf, ein Programm aufstellen könnten, um danach eine unsichtbare Gussform zu schaffen, damit die einzelnen Zellen nicht zerfallen, sodass die Funktionsfähigkeit des Zellverbandes gestört würde. Weil aber Bildung und Gestaltung eines Baumes oder einer Fliege auf zahllose Arten möglich ist, wird sie auf eine einzige Form und Größe innerhalb einer unübersehbar großen Anzahl von Möglichkeiten festgelegt. Dabei lösen sich die Zellen nicht aus ihrem Verband, obwohl ihre Atome sich gleich einem Sturzbach ständig erneuern. Vielmehr erfolgt der Austausch der Zellen geordnet, in einem nie abreißenden Strom, ohne Verwendung einer Gussform, unter Beibehaltung des Zellgefüges innerhalb eines geschlossenen Ganzen und allem, was lebt, wird seine vorgegebene Gestalt verliehen. Es ist offensichtlich, in welchem Grade dies unmöglich, unwahrscheinlich und weit davon entfernt ist, vernünftig zu sein. Sicherlich vermag dies jeder, der nicht blind ist in seinem Herzen, zu erkennen. Ja entsprechend der Wahrheit:

 

 

»Setzten sich alle Dinge außer Allah, die ihr anruft und anbetet, zusammen, so könnten sie auch nicht einmal eine Fliege erschaffen.« (Sure 22, 74)

und nach dem Mysterium des großen Qur’anverses könnten – selbst wenn alle die Ursachen, die in der unbelebten Natur liegen, sich zusammensetzten und einen freien Willen besäßen – diese auch nicht den Körper einer einzigen Fliege mit den dazu passenden Organen zusammensetzen. Und könnten sie ihn zusammensetzen, sie könnten dennoch nicht die in diesem Körper wirkende Ordnung aufrechterhalten. Und könnten sie sie aufrechterhalten, sie könnten dennoch nicht die Atome, die ständig ausgetauscht werden und in diesem Körper ihre Funktion beginnen, zu rechter Wirksamkeit veranlassen. Wenn also dies so ist, können die Ursachen zur Erschaffung von Baum und Fliege nicht diesen selbst zur Verfügung stehen. Das heißt also, dass deren tatsächliche Verfügung in Händen eines Anderen liegt. Ja es gibt tatsächlich Einen, der über sie verfügt. Entsprechend dem Mysterium des Qur’anverses:

 

 

»Eure Erschaffung und Wiederauferstehung ist nicht anders als die einer einzigen Seele.« (Sure 3, 27)

erschafft Er alle Lebewesen auf dem Erdkreis mit der gleichen Leichtigkeit wie eine einzelne Mücke. Er erschafft den Frühling mit gleicher Leichtigkeit wie eine einzelne Blume. Denn für Ihn ist es nicht notwendig erst vorher die Bestandteile beisammen zu haben. Von Ihm geht der Befehl aus:

 

 

»Sei und es ist!« (Sure 2, 117)

und Er ruft in jedem Frühling außer den Grundbausteinen zu unzähligen, gerade für den Frühling so typischen Pflanzen und Tieren, auch deren unzählige Formen, Farben, Gestalten und Bedingungen aus dem Nichts hervor. In Seinem Wissen sind die Pläne und Entwürfe, die Tabellen und Programme aller Dinge vorgegeben. Alle Atome bewegen sich Seiner Anweisung folgend in Seinem Wissen und Seiner Macht. Mit der spielerischen Leichtigkeit, wie man ein Streichholz entzündet, erschafft Er ein jedes Ding. Kein Ding weicht auch nur um Haaresbreite von Seiner Bahn ab. So wie die Gestirne Sein gehorsames Heer bilden, so sind auch die Atome einem wohlgeordneten Heere gleich. Da sie sich nun einmal in ihrer Bewegung auf die urewige Macht stützen und nach den Grundsätzen des urewigen Wissens tätig werden, gelangen Seine Werke mit Sicherheit Seiner Macht entsprechend ins Dasein. Sieht man hingegen diese Individuen als unbedeutend und klein an, werden Seine Werke dadurch nicht geringer. Mit Seiner Kraft und Macht verbunden, lässt eine Mücke einen Nimrod elend zu Grunde gehen, zerstört eine Ameise den Palast des Pharao, trägt ein Tannensamen – klein wie ein Stäubchen – einen Tannenbaum – groß wie ein Berg – auf seinen Schultern. Wie wir diese Tatsache in vielen Abhandlungen bewiesen haben, vermag ein Soldat, versehen mit einem Soldbuch, betrachtet man seine Zugehörigkeit zum Kaiser, dergleichen Taten zu vollbringen, wie einen König gefangenzunehmen, der hunderttausend Mal mächtiger ist als er. So also vermag jedes Ding – verbunden mit der urewigen Macht – wundervolle Kunstwerke zu Stande zu bringen, die hunderttausendfach über die Naturgesetze hinausgehen.

Kurzum, die Entstehung eines jeden Dinges, das in höchstem Grade kunstvoll ist und doch mit einer derartigen Leichtigkeit erschaffen wurde, zeigt, dass es ein Werk des Allmächtig-Urewigen ist, welcher ein allumfassendes Wissen besitzt. Anderenfalls wird es auf Grund hunderttausender Unmöglichkeiten nicht ins Dasein treten, im Gegenteil, es wird aus dem Bereich des Möglichen, der vorhandenen Umstände, austreten und in den Bereich des Unmöglichen, der nicht vorhandenen Umstände, eintreten, ja sogar aus der Betrachtung der notwendigen Voraussetzungen ausscheiden und sich in die nicht in Betracht kommenden einreihen, weil von Anfang an Grundvoraussetzungen fehlen. Kein Ding wird Gestalt annehmen, vielmehr seine Gestalt verlieren und zu einem Unding werden.

So schwieg denn meine Seele auf Grund dieser ins Einzelne gehenden, so starken und so tiefschürfenden und so offensichtlichen Beweisführung, nachdem sie vorübergehend ein Schüler des Satans und ein Anwalt der Leute des Irrweges und der Philosophie gewesen war.B »Li’llah-il’hamd!« Ich bin nun völlig zum Glauben gelangt. Und ich sprach:

»Ja ich brauche einen solchen Schöpfer und Herrn, der auch die unscheinbarsten Dinge kennt, die mir am Herzen liegen, auch mein leisestes Flehen, so wie Er das geheimste Bedürfnis meines Herzens erfüllt und diese riesige Welt in das Jenseits umwandelt, der diese Welt auflösen und statt ihrer das Jenseits errichten wird, um mir eine ewige Glückseligkeit zu verleihen. So wie Er in der Lage ist, sowohl eine Mücke zu erfinden, als auch den Himmel zu erschaffen, so muss Er auch die Sonne gleich einem Auge am Firmament befestigen und auch die Macht haben, jede Zelle in meinem Auge zu gestalten. Kann Er aber eine Mücke nicht erschaffen, dann kann Er auch nicht tun, was mir am Herzen liegt, dem Flehen meines Geistes nicht lauschen. Kann Er die Himmel nicht erschaffen, dann kann Er mir auch die ewige Glückseligkeit nicht verleihen. So also ist mein Herr der, welcher in der Lage ist, sowohl das, was mir am Herzen liegt, zu veredeln, als auch den Wetterhimmel in einer Stunde mit Wolken zu erfüllen oder von ihnen zu entleeren, das Diesseits ins Jenseits zu verwandeln, das Paradies aufzubauen, mir dessen Türe zu öffnen, und zu sagen: »Los, komm herein!«

Nun also ihr meine alten Brüder, die ihr so wie ich unglücklicher Weise einen Teil eures Lebens mit lichtloser Philosophie und fremdländischer Wissenschaft verbracht habt! Versteht ihr jetzt den heiligen Erlass, den der Qur’an unablässig verkündet: »La ilahe illa Hu (Es gibt keine Gottheit außer Ihm!)« Wie stark und voll Wahrheit Er doch ist! Er ist auf keine Weise zu erschüttern, zu verletzen oder zu verändern. Versteht, wie dieser Glaubenssatz alle innerliche Finsternis auflöst und alle innerlichen Wunden heilt...

Diese lange Erzählung wurde in die Hoffnungstore meines Altseins zum Teil ohne meinen freien Willen eingereiht. Ich wollte es nicht, sogar zögerte ich, als würde sie nur langweilen. Ich kann aber sagen, dass es mir so diktiert wurde. (Wie dem auch sei... Ich komme wieder zur Sache.) In Folge der weißen Haare auf meinem Kopf und in meinem Bart und der Unzuverlässigkeit eines treuen (Kollegen) überkam mich ein Ekel vor jener Freude an dem irdischen, prunkvollen, äußerlich angenehmen und aufregenden Leben in Istanbul. Meine Seele suchte nach geistigen Freuden anstelle von den Freuden, in die sie vernarrt war. Sie wünschte in diesem Zustand des Alters, der in den Augen der Gottvergessenen kalt, schwer und unangenehm ist, eine Tröstung und ein Licht. »Fe-lil’lah-il’hamd«, hunderttausend Mal Dank Gott dem Gerechten, fand ich an Stelle all dieser weltlichen Freuden, die unwahr, abgeschmackt, ohne Ziel, ohne Sinn waren, die wahren, immerwährenden und erlesenen Freuden des Glaubens in dem »La ilahe illa Hu (Es gibt keine Gottheit außer Ihm)« und in dem Licht der Einheit Gottes. Ich erkannte, dass das Altsein, dass in den Augen der Gottvergessenen kalt und schwer erscheint, in diesem Licht der Einheit Gottes sehr leicht, warm und lichtvoll ist.

Meine älteren Damen und Herren! Da ihr nun einmal den Glauben habt, und da ihr nun einmal die Pflicht- und Bittgebete verrichtet, welche den Glauben erleuchten und entwickeln, könnt ihr euer Altsein als eine ewige Jugend betrachten. Denn ihr könnt damit eine ewige Jugend erwerben. Das Alter, das in Wirklichkeit kalt, schwer, hässlich, finster und leidvoll ist, ist aber das Alter der Leute des Irrweges, ja vielmehr auch ihre Jugend. Sie müssen weinen und sagen: »Oh weh, wie schade!« Ihr, oh meine verehrten gläubigen alten Leute! Ihr sollt in Freude danken und sagen:

 

 

»Für jeden Zustand sei Dank Allah!«

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Zwölfte Hoffnung In einer Zeit, in der ich im Kreis Barla von der Provinzhauptstadt Isparta in einer Gefangenschaft voller Schikanen unter dem Namen Verbannung in der Fremde, allein, ohne Verwandte in einem Dorf, in einem Zustand, in dem mir der Briefverkehr und der Umgang mit der Außenwelt untersagt war, in der ich sowohl krank war, als auch alt und elend, hatte Gott der Gerechte mir aus Seiner vollkommenen Güte ein Licht, das sich auf die feinsinnigen Geheimnisse des weisen Qur’an bezieht, zum Anlass der Tröstung geschenkt. In ihm versuchte ich diesen bitteren, schmerzhaften Zustand, in dem ich mich befand, zu vergessen. Ich konnte meine Heimat, meine Freunde und meine Verwandten vergessen. Aber ich konnte »zu meinem Kummer« einen nicht vergessen. Es war mein verstorbener Neffe, der gleichzeitig mein Adoptivkind, mein opferwilligster Schüler, mein mutigster Freund war, Abdurrahman. (Möge Gott sich seiner erbarmen!) Vor sechs, sieben Jahren hatten die Umstände uns getrennt. Weder wusste er, wo ich war, sodass er mir zu Hilfe eilen und mich trösten konnte, noch wusste ich von seiner Lage, sodass ich ihm keinen Brief schreiben und ihm mein Herz nicht ausschütten konnte. Ich brauchte nun einmal in meinem Alter solch einen opferwilligen und getreuen (Helfer). Später brachte mir jemand einen Brief. Ich öffnete ihn und sah, dass er die wahre Lage von Abdurrahman genau zeigte. Ein Abschnitt aus seinem Brief, in dem sich drei Wunder zeigten, wurde in die Sammlung des »Siebenundzwanzigsten Briefes« eingereiht. Über diesen Brief musste ich damals sehr weinen und muss ich auch in diesem Moment immer noch weinen. Der verstorbene Abdurrahman (möge Gott sich seiner erbarmen!) schrieb in seinem Brief sehr ernsthaft und aufrichtig, dass ihm die Lust an dieser Welt zum Ekel geworden war und mich zu erreichen sein größter Wunsch war. Wie ich ihn versorgt hatte, als er noch klein war, so wollte nun auch er mir in meinem Alter dienen. Außerdem wollte er mir bei meiner wahren Aufgabe in dieser Welt, der Veröffentlichung der feinsinnigen Geheimnisse des Qur’an, mit seiner geschickten Feder, helfen. Er schrieb sogar in seinem Brief: »Schicke mir zwanzig oder dreißig Abhandlungen. Ich will zwanzig, dreißig Exemplare selbst abschreiben und andere beauftragen, sie (handschriftlich) zu vervielfältigen.«

Dieser Brief gab mir erneut eine große Hoffnung, was dieses Leben betrifft. Ich hatte einen dermaßen mutigen Schüler gefunden, der eine geradezu geniale Begabung besaß und mir eine sehr viel größere Treue und Verbundenheit bewies, als ein leibliches Kind sie mir je erweisen könnte. Ich hatte diese Gefangenschaft voller Schikanen, dieses Nichts- und Niemanden-haben, diese Fremde und dieses Altsein vergessen. Bevor er diesen Brief schrieb, bekam er ein Exemplar von dem gedruckten »Zehnten Wort« (über den Glauben an die Wiederauferstehung nach dem Tode) in die Hand. Diese Abhandlung wurde für ihn zu einem Heiltrank, der alle Wunden seiner Seele, die er in sechs, sieben Jahren empfangen hatte, heilte. Er schrieb mir diesen Brief in der Stimmung eines starken und glänzenden Glaubens, als wartete er auf seine Todesstunde. Ein, zwei Monate später, als ich mir vorstellte, ein glückliches Leben auf der Erde durch Abdurrahman zu verbringen, bekam ich zu meinem Kummer plötzlich die Nachricht von seinem Tod. Diese Nachricht war für mich eine solche Erschütterung, dass ich sie auch heute, d.h. noch nach fünf Jahren, verspüre. Sie versetzte mich in einen solchen Zustand des Schmerzes, des Mitgefühls und der Trauer, der zehnfach schmerzhafter war als meine Gefangenschaft voller Schikanen, die Einsamkeit in der Fremde, Alter und Krankheit. Mit dem Tod meiner Mutter selig war mir die Hälfte meiner eigenen Welt gestorben. Mit dem Tod Abdurrahmans sah ich, dass nun auch die andere Hälfte gestorben war. Mein Interesse an der Welt ist ganz und gar erloschen. Denn wäre er am Leben geblieben, so hätte er mir in diesem Leben ein starker Halt bei meinen Aufgaben für jenes Leben sein können, ein guter Nachfolger, genau der, welcher nach mir meinen Platz hätte ausfüllen können, eine Tröstung, ein zutiefst opferbereiter Kamerad in dieser Welt. Er wäre ein überaus kluger Schüler, ein überaus zuverlässiger Besitzer und Verwalter der Risale-i Nur Werke gewesen. Er und die Risale-i Nur: Subjekt und Objekt! In der Tat ist ein solcher Verlust angesichts der Menschheit und für Menschen wie mich ein Schmerz, der tief in mir brennt und mich verbrennt. Zwar gab ich mir nach außen hin wirklich alle Mühe ihn zu ertragen, doch tief in meinem Inneren tobte der Sturm. Hätte mir die Tröstung, die ich dann und wann aus dem Licht des Qur’an empfing, keine Linderung gebracht, so hätte ich es nicht ertragen können. Damals ging ich einsam und allein an den Bächen und auf den Bergen von Barla spazieren. An einsamen Orten saß ich traurig und allein. Immer wenn Szenen von dem glücklichen Leben, das ich in früheren Zeiten mit meinen treuen Schülern, wie Abdurrahman verbracht hatte, wie ein Film vor meinem inneren Auge vorüber liefen, eilte die Trauer herbei, heftete sich an Alter und Fremde und brach mir erneut das Herz. Plötzlich wurde mir das Geheimnis des heiligen Qur’anverses

 

 

»Alle Dinge vergehen außer Seinem Angesicht, Sein ist die Herrschaft und zu Ihm werdet ihr zurückgebracht werden.« (Sure 28, 88)

offenbar.

Es ließ mich

 

 

»Oh Beständiger, Du bist es, der bleibt und besteht! Oh Beständiger, Du bist es, der bleibt und besteht!«

rufen und flößte mir dadurch eine wahre Tröstung ein. An jenen einsamen Bächen sah ich mich in jenem traurigen Zustand in dem Geheimnis dieses heiligen Verses an der Spitze der drei großen Beerdigungen, wie bereits in der Abhandlung »Die Sprossenleiter des Vorbildes des Propheten« darauf hingewiesen wurde.

 

Erstes (Begräbnis): Ich erblickte mich selbst als ein Grabmal über den Grabsteinen von fünfundfünfzig Saids, die bis zu meinem fünfundfünfzigsten Lebensjahr im Verlaufe meines Lebens gestorben und begraben worden waren.

 

Zweites Begräbnis: Ich erblickte mich selbst in der Gestalt eines Lebewesens, klein wie eine Ameise, und krabbelte über das Gesicht dieses Jahrhunderts, das glich einem Grabstein an der Spitze einer großen Beerdigung meiner Zeitgenossen und aller Menschen, die seit der Zeit Adams, mit dem der Friede sei, gestorben und im Grabmal der Vergangenheit beigesetzt worden waren.

Was die dritte Beerdigung betrifft, so gestaltete sie sich meiner Vorstellung entsprechend im Geheimnis dieses Qur’anverses als das Große Vergehen des Kosmos‘ gleich dem aller Menschen im alljährlichen Strom des Vergehens aller Welten (individuellen Lebens) auf dem Antlitz der Erde.

So eilte mir folgender ehrwürdiger Qur’anvers mit seiner hinweisenden Bedeutung zu Hilfe, welcher dieses entsetzliche Bild, entstanden aus der Trauer um den Tod Abdurrahmans, vollständig zu erleuchten vermochte und mir eine wahrhaftige Tröstung und ein unauslöschliches Licht brachte.

 

 

»Wenn sie sich abkehren, dann sprich: Mir genügt Gott. Es gibt keinen Gott außer Ihm. Auf Ihn vertraue ich. Und Er ist der Herr des majestätischen Thrones.« (Sure 9, 129)

In der Tat verkündet dieser Qur’anvers: Es gibt Einen Gott, den Gerechten und Er ist aller Dinge Wert. Er ist der Ewige, der Seiende, der Beständige und Er allein ist genug. Ein einziger Funke Seiner Gnade ersetzt (und Ihm entspricht) die ganze Welt. Das Aufscheinen Seines Lichtes schenkt den aufgeführten drei großen Beerdigungen geistiges Leben und zeigt, dass sie keine Beerdigungen (Leichenzüge) sind, sondern der Zug derer, die ihren Auftrag beendet haben und in andere Welten hinüber gegangen sind. Da dieses Geheimnis im »Dritten Blitz« bereits erläutert wurde, begnüge ich mich hier damit und sage, dass das zweimalige Rufen

 

 

»Oh Beständiger, Du bist es, der bleibt und besteht! Oh Beständiger, Du bist es, der bleibt und besteht!«

welches die sinngemäße Bedeutung des Qur’anverses

 

 

»Alle Dinge vergehen außer Seinem Angesicht.« (Sure 28, 88)

zum Ausdruck bringt, mich von jener überaus schmerzlichen Trauer befreit hat. Es ist dies wie folgt:

Das erste mal sagte ich,

 

 

»Oh Beständiger, Du bist es, der bleibt und besteht!«

und damit begann eine Behandlung gleich einer Operation meiner grenzenlos vielen seelischen Wunden, die im Untergang meiner Welt, dem Untergang zahllos vieler geliebter Freunde in der Welt, mit denen ich wie mit Abdurrahman verbunden war, und durch das Zerreißen der Verbindungen mit ihnen entstanden.

Der Satz

 

 

»Oh Beständiger, Du bist es, der bleibt und besteht!«

den ich zum zweiten Mal sagte, wurde für all diese zahllos vielen seelischen Wunden sowohl eine Salbe als auch ein Heiltrank. Das heißt: Du bist derjenige, der ewig besteht. Mag gehen, wer da gehen will. Du allein genügst. Du allein bestehst ewig. Das Erscheinen Deiner Barmherzigkeit ist Genüge gegenüber dem Untergang aller Dinge. Du allein bist. So sind auch für den Menschen, der durch den Glauben an Deine Existenz seine Zugehörigkeit zu Dir anerkennt und sich im Geheimnis des Islam (der Ergebenheit) dieser Zugehörigkeit entsprechend verhält, alle Dinge gegeben. Untergang und Vergänglichkeit, Tod und Vernichtung sind nur ein Schleier, dienen nur der Erneuerung, gleichen einer Reise zu den verschiedenen Wohnstätten. Indem ich so dachte, verwandelte sich dieser Trennungsschmerz, jener brennende, traurige, leidvolle, finstere und entsetzliche Seelenzustand in einen fröhlichen, freudigen, erlesenen, lichtvollen, lieblichen und vertrauten Zustand. Meine Zunge, mein Herz, ja sogar alle meine Körperzellen brachten es auf ihre Art zum Ausdruck: »El-hamdu-lil’lah«, aller Dank sei Allah!

Ein Tausendstel dieser Erscheinung der Barmherzigkeit ist das Folgende: Von diesem Bach, dem Ort meiner Traurigkeit, und in jenem Zustand meiner Trauer, kehrte ich nach Barla zurück. Ich sah, dass ein Junger namens Mustafa von Kuleönü kam, um mich einiges über die rituelle Waschung vor dem Gebet (Abdest) und über das Pflichtgebet (Namaz) zu fragen. Mein Geist las wie in einem Vorgefühl im Geist dieses jungen Mannes die Aufrichtigkeit seines Geistes und den wertvollen Dienst *, den er in Zukunft der Risale-i Nur leisten werde. Obwohl ich damals keine Besucher annahm, konnte ich ihn nicht zurückweisen. Ich empfing ihn *. Später ist es mir klar geworden, dass mir Gott der Gerechte anstelle von Abdurrahman, der im Dienst an der Risale-i Nur ein hervorragender Nachfolger hätte sein und die Aufgabe eines wahrhaften Erben vollkommen hätte durchführen können, diesen Mustafa als Musterbeispiel geschickt hat, als habe Er zu mir sagen wollen: »Ich habe von dir einen Abdurrahman genommen und werde dir dafür dreißig Abdurrahman gleich diesem Mustafa, den du siehst geben, als einen Schüler in deinem Glaubensdienst, Neffen, Adoptivkind, Bruder und opferbereiten Kameraden.« Und in der Tat, Dank sei Allah, hat Er mir dreißig Abdurrahman gegeben. Darauf sagte ich:

»Mein weinendes Herz! Nun hast du ja ein Musterbeispiel gesehen. Damit hat Er die größten Wunden deiner Seele geheilt. So musst du auch davon überzeugt sein, dass Er alle deine Wunden und deine Traurigkeit, heilen wird.«

Also, oh ihr alten Brüder und Schwestern, die ihr in der Zeit eures Alters ein Kind oder einen Verwandten, den ihr lieb hattet, verloren habt! Ihr tragt die schwere Last des Alters auf eurem Rücken und auf euerem Kopf und seid nun auch noch mit dem schweren Gram der Trennung beladen! Ihr habt bestimmt erkannt, dass mein Zustand viel ernster als euer war. Da mich ein solcher ehrwürdiger Qur’anvers nun einmal behandelt und geheilt hat, so befinden sich bestimmt heilende Medikamente für alle eure Schmerzen in der heiligen Apotheke des weisen Qur’an. Wendet ihr euch im Glauben an ihn und benutzt die Medikamente im Dienst und in der Anbetung Gottes, so werden sich die schweren Lasten des Alters und des Grams, die ihr auf eurem Rücken und auf eurem Kopf tragt, sehr erleichtern.

Der Sinn der ausführlichen Darstellung dieses Kapitels ist der, zu veranlassen, dass für den verstorbenen Abdurrahman reichlich viele Segensgebete gesprochen werden. Ihr sollt dessen nicht überdrüssig werden! Außerdem wollte ich mit der so unangenehmen und leidvollen Darstellung meiner so schrecklichen Wunde, die euch vielleicht sehr rührte, Mitleid hervorrief und erschreckte, zeigen, was für eine wunderbare Heilung in dem Heiltrank des weisen Qur’an liegt und was für ein glänzendes Licht er ist.

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Dreizehnte Hoffnung Anm.* In dieser »Hoffnung« möchte ich von einer wichtigen Szene in meinem Lebens sprechen, und das möchte ich jedenfalls auch ziemlich ausführlich tun. Nur bitte ich Euch darum, euch dabei nicht zu langweilen und nicht zu ärgern.

Nach der Flucht aus der russischen Gefangenschaft während des Ersten Weltkrieges hielt mich meine Lehrtätigkeit im »Haus der Weisheit« (Dar-ul’Hikmet) in Istanbul zwei, drei Jahre lang fest. Danach flößte mir, ausgelöst durch die Unterweisung des weisen Qur’an, den Segen von Gauth-u ‘Azam (Sheich Geylani) und wachgerüttelt durch (die erneute Entdeckung) meines Alters, das städtische Leben in Istanbul Ekel ein und wurde ich des gesellschaftlichen Lebens überdrüssig. Das Gefühl der Sehnsucht nach der Heimat, welches Heimweh genannt wird, führte mich dazu, in meine Heimat zurückzukehren. Da ich nun einmal sterben werde, will ich in meiner Heimat sterben, sagte ich und ging nach Van. Vor allem besuchte ich in Van meine Medresse, die Horhor genannt wird. Ich sah, dass auch sie, wie die anderen Wohngebiete in Van, während der russischen Besetzung von den Armeniern in Brand gesteckt worden war. Da war die berühmte Festung von Van, welche ganz aus dem Felsen heraus gehauen ist. Meine Medresse stand wie angeklebt genau an ihrem Fuß. Meine Schüler in dieser Medresse, die ich vor sieben, acht Jahren verlassen hatte, wahrhafte Freunde, Brüder und Vertraute, traten mir vor Augen. Ein Teil von diesen meinen opferbereiten Freunden sind als wahre Märtyrer (direkt), ein anderer Teil infolge der Katastrophe als geistige Märtyrer (erst später) gestorben. Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich stieg zur höchsten Stelle der Festung hinauf, etwa so hoch wie zwei Minarette über der Medresse, und setzte mich. Meine Phantasie versetzte mich in die Zeit vor sieben, acht Jahren zurück. Und da meine Phantasie ziemlich stark ist, hat sie mich in der damaligen Zeit eine ganze Weile umher geführt. Es gab dort oben niemand, der mich aus meiner Phantasie hätte zurückrufen, aus jener Zeit hätte zurückführen können. Denn ich war allein. Jedes Mal wenn ich meine Augen öffnete, sah ich innerhalb von sieben, acht Jahren so viele Verwandlungen, als wäre ein Jahrhundert vergangen. Ich sah, dass die Innenstadt zu Füßen der Festung, wo meine Medresse lag, ganz und gar verbrannt und zerstört war. Was ich früher gesehen hatte und heute sah, betrachtete ich mit solch traurigen Augen, als wäre ich erst nach zweihundert Jahren wieder zur Welt gekommen. Die meisten Männer in diesen Häusern waren meine Freunde und Kameraden. Der größte Teil von ihnen starb entweder auf der Flucht (Möge Allah ihnen barmherzig sein!) oder geriet in der Fremde ins Elend. Und weiter sah ich, dass alle Häuser der Muslime in Van – außer dem Wohnviertel der Armenier – zerstört waren. Es tat mir in meinem tiefsten Herzen weh. Ein solches Mitleid ergriff mich, dass ich, hätte ich tausend Augen gehabt, mit ihnen allen zusammen geweint hätte. Ich glaubte, ich wäre aus der Fremde in meine Heimat zurückgekehrt, aus der Fremde geflüchtet. »Jammer und Elend!«, es traf mich das Gefühl der Fremde am furchtbarsten in meiner Heimat. Ich sah hunderte meiner Schüler und Freunde, die mit mir, wie der in der Zwölften Hoffnung erwähnte Abdurrahman, innerlich tief verbunden waren, im Grab und ihre Wohnstätten als Ruinen.

Es gab da seit langem von jemandem einen Ausspruch in meinem Gedächtnis. Seinen Sinn konnte ich nicht erkennen... Vor dieser traurigen Szene erkannte ich aber seinen Sinn vollständig. Dieser Ausspruch lautete:

 

Das heißt: »Gäbe es keine Trennung von den Freunden, so könnte der Tod keinen Weg zu unserer Seele finden, sie nicht erreichen, um sie zu holen.« Das heißt also, was in tiefster Seele den Menschen sterben lässt, ist die Trennung von den Freunden. So hat denn in der Tat noch niemals ein Schmerz so sehr in mir gebrannt, mich weinen lassen. Wenn mir keine Hilfe aus dem Qur’an und aus dem Glauben gekommen wäre, würde dieser Gram, dieses Leid und diese Trauer in mir so übermächtig geworden sein, dass sie in mir die Seele hätte vertrieben. Schon in alter Zeit weinten die Dichter über die Wohnstätten, in denen sie sich mit ihren Freunden getroffen hatten und die mit der Zeit zu Ruinen wurden. Ich hatte eine Szene voll unendlichem Schmerz, Trennung und Leid vor Augen. Trauer eines Mannes, der nach zweihundert Jahren in die Wohngebiete seiner Freunde zurückkehrt, die er so sehr geliebt hatte... da weint mein Auge, weinen mit ihm mir Seele und Herz. Vor meinen Augen zeigte sich mir damals die Zeit, in der sich, so wohl bebaute fröhliche, bevölkerte und belebte Plätze in Trümmerfelder verwandelt hatten, eine Zeit, wo ich in meinem schönsten Leben mit knapp zwanzig Jahren mit einem Lehrauftrag tätig gewesen war und sie mit meinen ehrenwerten Schülern verbracht hatte, gleich den schönsten Szenen auf einer Leinwand und wurde eine nach der anderen wieder lebendig. Dann starben sie dahin und verschwanden wieder und das ganze setzte sich noch eine Weile vor meinem inneren Auge fort. Damals staunte ich sehr über die Haltung der Weltleute. Auf welche Weise betrügen sie sich? Denn so wie diese Lage nun einmal ist, zeigt sich doch offensichtlich, wie vergänglich die Welt ist und dass die Menschen in ihr nur Gäste sind. Ich sah nun mit eigenen Augen, wie richtig es ist, wenn die Kenner der Wahrheit immer sagen: »Die Welt ist verräterisch, betrügerisch, und schlecht. Von ihr sollt ihr euch nicht täuschen lassen.«

Ich erkannte auch selbst, dass der Mensch, wie er mit seinem Körper und seinem Haus verbunden ist, genauso auch mit seiner Stadt, mit seinem Land, sogar mit seiner Erde verbunden ist. Denn, als ich angesichts meines Körpers voll Mitleids mit mir selbst und über mein Alter mit nur zwei Augen weinte, so wollte ich über meine Medresse, nein, nicht wegen ihres Alters, sondern über ihren Tod mit zehn Augen weinen. Und wegen des Todes der Hälfte meines schönen Heimatlandes muss man und muss ich mit hundert Augen weinen. Es ist eine Hadith überliefert, die sagt: An jedem Morgen ruft ein Engel:

 

das heißt: »Ihr werdet geboren und kommt zur Welt, um zu sterben; und ihr errichtet Gebäude, damit sie zerstört werden.«

Diese Tatsache habe ich also nicht mit meinen Ohren sondern mit meinen Augen wahrgenommen. Und so wie mich meine damalige Lage in Tränen versetzte, so versetzt auch meine Vorstellung seit zehn Jahren mich in Tränen, wenn sie sich an diese Lage erinnert. Die Zerstörung der Wohnstätte am Fuß jener alten Festung, die Tausende Jahre überlebte, und die Stadt unter ihr, die innerhalb von acht Jahren um achthundert Jahre alterte, und das Sterben meiner Medresse, die am Fuß jener Festung, so lebendig und ein Versammlungsort von Freunden war, veranschaulichen das Sterben aller Medressen im ganzen Osmanischen Reich. Und als Zeichen der geistigen Größe ihrer Leichen wurde die Festung in Van, heraus gehauen aus einem einzigen Felsmassiv, ihr Grabstein. Es war mir, als ob meine verstorbenen Schüler, die vor acht Jahren in dieser Medresse mit mir zusammen gewesen waren, in ihren Gräbern mit mir weinten. Ja sogar die Mauern der Ruinen dieser Stadt und die umher liegenden Steine weinten mit mir. Damals wurde mir klar, dass ich diese Einsamkeit in meiner eigenen Heimat nicht ertragen konnte. So dachte ich denn: »Entweder muss auch ich zu ihnen ins Grab steigen, oder mich auf dem Berg in eine Höhle zurückziehen und dort auf meinen Tod warten.« Und so sagte ich: »Da nun einmal in dieser Welt der Schmerz über die Trennung so unerträglich ist, dass er alle Geduld zerreißt, alle Widerstände bricht und brennt, ist der Tod doch dem Leben vorzuziehen. Diese schwierige Lebenslage ist ein Schmerz, den man nicht ertragen kann.« Damals ließ ich meine Blicke nach den bekannten sechs Seiten ausschwärmen und war alles finster. Die Gottvergessenheit, die aus jenem heftigen Schmerz erwächst, ließ mir die Welt schrecklich, leer, und einsam erscheinen, als würde sie über meinem Kopf zusammenstürzen. Als mein Geist gegen diese grenzenlos vielen Übel, die mir gegenüber eine feindselige Haltung eingenommen hatten, nach einem Stützpunkt suchte und nach einer Stelle, von der ich für die grenzenlos vielen, sich bis in die Ewigkeit ausstreckenden Wünsche meines Geistes Hilfe herbeirufen konnte, ausschaute und als ich gegen die Trauer und das Leid, das von diesem Trennungsschmerz, dem Abschied, der Zerstörung und dem Tod herrührte, eine Tröstung erwartete, offenbarte sich mir plötzlich die Wahrheit des folgenden Verses aus dem Qur’an, dessen Verkündigung ein Wunder ist,

 

 

»Gott preist, was in den Himmeln und auf der Erde ist. Und Er ist der Mächtige, der Weise. Ihm gehört die Königsherrschaft der Himmel und der Erde. Er macht lebendig und lässt sterben. Und Er hat Macht zu allen Dingen.« (Sure 57, 1)

Sie befreite mich von dieser meiner Vorstellung, die mein Mitleid erregt, diesen Schmerz über die Trennung hervorgerufen, mir Trauer und Furcht eingeflößt hatte, und öffnete mir die Augen. Es war mir, als schauten mich die Früchte in den Kronen der Obstbäume an und lächelten. So als wollten sie zu mir sagen: »Schenke auch uns deine Aufmerksamkeit und bleibe nicht bei den Ruinen stehen!«

So gemahnte mich die Wahrheit dieses ehrwürdigen Qur’anverses: »Warum betrübt dich die Gestalt eines Briefes so sehr, der – geschrieben von Hand der Menschen, die Gäste sind, auf das Blatt, das der Grund ›der Stadt Van‹ ist, und deren Form angenommen hat – in die fürchterliche Flut der russischen Invasion hineingeraten ist und ausgelöscht wurde? Betrachte doch einmal den Urewigen Designer, den wahren Herrn und Eigentümer aller Dinge: Seine Briefe werden, so wie du sie auf dem Blatt, das ›Van‹ hieß, in gleicher vollkommener Pracht, wie du sie in früheren Zeiten gesehen hattest, neu und weiter geschrieben werden. Deine Klage darüber, dass diese Orte hier leer, zerstört und verwaist da liegen, erwächst aus der irrigen Vorstellung und dem Vergessen Seines wahren Eigentümers, und dass du die Menschen nicht als ihre Gäste, sondern als ihre Eigentümer siehst...« Aber aus diesem Fehler heraus und weil meine Lage von geradezu beißender Schärfe war, öffnete sich mir am Ende ein Tor zur Wahrheit und meine Seele bereitete sich darauf vor, diese Wahrheit vollständig anzunehmen. So wie man das Eisen in Feuersgluten schmiedet, bis es weich wird und man es leicht biegen und formen kann, so wurden auch mir jene traurige Lage, in der ich mich befand und schreckliche Zustand meiner Seele zu einem Feuer, das mich weich werden ließ. Der Qur’an, dessen Verkündigung ein Wunder ist, zeigte ihr mit der Wahrheit des oben erwähnten Qur’anverses den Segen, den die Glaubenswahrheiten enthalten, vollständig und brachte sie dazu, ihn anzunehmen. »Li-l’lahi-l’hamd«, aller Dank gebührt Allah, für den Segen des Glaubens, der so wie wir bereits in verschiedenen Abhandlungen, wie der des »Zwanzigsten Briefes«, eindeutig bewiesen haben, in der Wahrheit dieses Qur’anverses dem Geist und dem Herz jedes Menschen, entsprechend der Stärke seines Glaubens, eine Stütze verleiht. Die Kraft, mit der ich hundertfach fürchterlicherem und entsetzlichem Unglück als jenem schrecklichen Zustand widerstehen konnte, gab mir der »Glaube an Allah« und ermahnte mich wie folgt:

»Alles ist dem Befehl deines Schöpfers, der der wahre Eigentümer dieses Landes ist, unterworfen. Die Zügel aller Dinge sind in Seiner Hand. Es genügt, dass du Sein bist und Ihm gehörst.« Nachdem ich meinen Schöpfer erkannt und mich auf Ihn allein gestützt hatte, gaben alle feindseligen Dinge ihre Feindschaft mir gegenüber auf. Und ich begann nun, in meiner Lage Freude zu empfinden, über die ich zuvor nur zu weinen vermocht hatte. Wie wir bereits in vielen Abhandlungen mit sicheren Zeugnissen bewiesen haben, wurde mir das Licht, das aus dem »Glauben an das Jenseits« erwächst, zu einer Stütze, die nicht nur meinen winzig kleinen, vergänglichen, kurzlebigen, weltlichen Wünschen nach meinen Freunden und meiner Verbundenheit mit ihnen zu genügen vermochte, sondern selbst meinen unendlich vielen und nie enden wollenden Wünschen nach einer unendlichen, unvergänglichen ewig glückseligen Welt Stütze und Halt. Denn derjenige, der sich im Glauben auf das Erbarmen des Allbarmherzigen Allerbarmers stützt, der im Aufscheinen Seiner Barmherzigkeit über dem Antlitz Erde, die eine Wohnstätte in diesem Kosmos und ein vergängliches Gästehaus ist, und der Seinen Gästen in jedem Frühling Seine zahl- und grenzenlos vielen, kunstvollen und schönen Gaben auf diesem Tisch des Frühlings schenkt, um sie für ein zwei Stunden zu erfreuen, und der darüber hinaus acht immerwährende Paradiesgärten für eine endlose Zeit mit unendlich vielen Sorten Seiner Gaben füllt und für Seine Diener und Anbeter als ewige Wohnstätten vorbereitet, findet so Stütze und Halt in seiner Zugehörigkeit zu Ihm, die ihm noch in ihrem schwächsten Ausdruck und für seine grenzenlos ewigen Hoffnungen eine bleibende Hilfe ist.

Des Weiteren erschien das Licht, das durch die Wahrheit dieses Qur’anverses aus dem Licht des Glaubens kam, so glänzend, dass die Finsternis der oben erwähnten sechs Richtungen taghell erleuchtet wurden. Denn es erhellte den Zustand, in dem ich mich nach dem Verlust meiner Medresse und der Schüler und Freunde aus dieser Stadt befand und über sie weinte, und sagte zu mir:

Die Welt, wohin deine Freunde gegangen sind, liegt keineswegs im Dunkel. Sie haben nur ihren Aufenthalt gewechselt. Ihr werdet euch wieder treffen. So ermahnte es mich und endete gänzlich mein Weinen. Es ließ mich verstehen, dass ich in dieser Welt Leute finden werde, die ihre Stelle einnehmen und ihnen gleichen. »Li-l’lahi-l’hamd«, aller Dank gebührt Allah, Er hat in der Tat die in Van zu Grunde gegangene Medresse mit der Medresse in Isparta wieder ins Leben gerufen und auch die Freunde von dort mit noch mehr und wertvolleren Schülern und Freunden gleichsam wieder ins Leben gerufen.

Des Weiteren teilte es mir mit, dass die Welt nicht leer noch einsam ist. Meine Vorstellung, das Bild eines zerstörten Landes, war falsch. Der wahre Eigentümer verändert nach der Erfordernis Seiner Weisheit die Szenerie der ganzen Aufstellung der Menschheit und erneuert so den Brief (den Er geschrieben hat). Wie man an einem Baum ein Teil der Früchte pflückt und diese dann jedes Mal wieder durch neue Früchte ersetzt werden, so sind auch Untergang und Trennung innerhalb der Menschheit gleichsam Entsatz und Erneuerung. Sie haben vom Standpunkt des Glaubens aus betrachtet nicht Trauer und Leid zur folge, das aus dem Verlust der Freunden herrührt, sondern bewirken vielmehr eine Erneuerung, eine Trauer, die nach aller Trennung ihre Versöhnung findet durch das Wiedersehen an einem anderen, schöneren Ort. Außerdem hob es auch das Antlitz all der Wesen im ganzen Kosmos, das mir so finster erschienen war, aus jenem fürchterlichen Zustand empor ins Licht. Als ich damals für diese meine neue Lage danken wollte, fiel mir der folgende arabische Text ein, der genau diese Wahrheit beschreibt. Ich sagte folgendes:

 

Das heißt: »Infolge der Gottvergessenheit, die unter dem Einfluss jener fürchterlichen Vorstellung entsteht, erschien mir alles in der Welt, entweder als fremd und feindselig *, oder als Furcht einflößende Leichen, oder als Waisen, die über ihr Niemandes-Sein weinen.

Dieses Furcht erregende Bild, das meiner gottvergessenen Seele in ihrer Vorstellung vorgeführt wurde, betrachtete ich im Lichte des Glaubens und erkannte mit augenscheinlicher Gewissheit: Diejenigen, die mir fremd und feindselig erschienen, sind mir Freunde und Geschwister geworden. Was aber jene anscheinend so Furcht einflößenden Leichen betrifft, so ist ein Teil von ihnen (z.B. Berge und Meere, nicht einfach tote Materie, sondern in Wahrheit) lebendig und einladend, ein anderer Teil (d.h. die Lebewesen) sind diejenigen, die aus dem Dienst entlassen worden sind. Und was wie Wehgeschrei klingt und weinende Waisenkinder, gleicht dem Murmeln derer, die Gottes gedenken und Ihn lobpreisen.

Nachdem ich dies alles im Lichte des Glaubens betrachtet hatte, war ich dem majestätischen Schöpfer so unendlich dankbar, der mir diesen Glauben verlieh, welcher die Quelle so unendlicher Geschenke ist. So ist es denn in dieser Welt mein Recht und meine Pflicht, in meinen Dank, meinen Lobpreis Gottes alle lebenden Wesen in dieser meiner eigenen kleinen Welt, welche die große ganze Welt reflektiert, in meiner Vorstellung, in meiner Absicht mit einzuschließen. Von diesem Standpunkt aus betrachtet sagte ich, entsprechend dem Ausdruck und der Sprache alles dessen was da lebt, im ganzen wie im einzelnen:

 

 

»Aller Dank sei Allah für das Licht des Glaubens.«

Des Weiteren dehnten sich die Lebensfreude, die durch jene schreckliche Haltung der Gottvergessenheit ins Nichts gesunken war, und die Hoffnung, die ganz und gar geschrumpft und eingeschlafen war, und die mir zugedachten Gaben und Genüsse, die doch so sehr auf engsten Kreis beschränkt gewesen, dass sie fast zu Grunde gegangen wären – wie wir bereits in anderen Abhandlungen mit Sicherheit bewiesen haben – im Lichte des Glaubens auf einmal über jenen eng umschriebenen Kreis des (menschlichen) Herzens so weit aus, dass er schließlich den ganzen Kosmos umschloss. Anstelle der Gaben, die in jenem Garten Horhor vertrocknet waren und ihren Geschmack eingebüßt hatten, machte das Licht des Glaubens das Haus dieser Welt und das Haus jener Welt gleichsam zu je einem Gabentisch, zu einer Tafel der Barmherzigkeit. Es verlieh dem Menschen nicht nur zehn sondern hundert Organe, wie Auge, Ohr und Herz, damit ein jeder Gläubige sich seinem Grad entsprechend wie mit einer überaus langen Hand zu diesen beiden Tischen des Erbarmers ausstrecken und die Gaben von jeder Seite nehmen könne. Um dieser erhabenen Wahrheit Ausdruck zu verleihen und für diese unendlichen Geschenke zu danken sagte ich damals:

 

Das heißt: »Dem Schöpfer, der diese Welt und das Jenseits mit Gaben und Segen erfüllt und den wahren Gläubigen anhand der Fähigkeiten, die sich im Licht des Glaubens und des Islam entwickelten und gediehen, ermöglicht, sich von beiden gewaltigen Tischen zu bedienen, und der mir diesen Glauben gab, sage ich mit allen Zellen meines Körpers Lob und Dank, dass es, wenn es mir möglich wäre, diese und jene Welt füllte, für das Geschenk des Lichtes des Glaubens.«

Da der Glaube nun einmal in dieser Welt eine so große Wirkung hat, wird er auf jeden Fall an bleibender Stätte solcher Art Früchte und Segen bringen, dass es der Verstand in dieser Welt nicht fassen und beschreiben kann.

Nun, oh Ihr alten Frauen und Männer, die Ihr wie ich durch das Alter unter dem Schmerz der Trennung von so vielen Freunden leidet! Auch wenn der älteste von Euch (chronologisch zwar) älter sein sollte als ich es bin, schätze ich, dass ich doch innerlich älter bin. Denn: Da meine Empathie und mein Mitgefühl mit den anderen meiner Natur entsprechend besonders ausgeprägt sind, leide ich nicht nur unter meinen eigenen Schmerzen, sondern im Geheimnis dieser Zärtlichkeit auch unter dem Schmerz von Tausenden meiner Mitbrüder. Daher bin ich so alt, als hätte ich viele hundert Jahre gelebt. Wie sehr ihr auch immer unter dem Unglück der Trennung gelitten habt, so seid ihr doch von diesem Unglück nicht so sehr betroffen wie ich. Denn ich habe kein Kind, sodass ich immer an mein Kind denken müsste. In diesem so tiefen Mitempfinden und der Zärtlichkeit, die in meinem Wesen liegt, empfinde ich immer den Schmerz der vielen tausend islamischen Kinder, ja selbst den armen Tieren gegenüber Mitleid und Schmerz. Ich besitze keine Familie, sodass ich meine Gedanken nur ihnen widmete. Vielmehr fühle ich mich diesem Land, ja sogar der ganzen islamischen Welt wegen meiner islamischen Begeisterung so eng verbunden wie meinem eigenen Hause. Ich habe Mitgefühl mit den Leiden meiner Glaubensgenossen in diesen beiden Häusern und bin traurig, wenn ich von ihnen getrennt bin.

So genügte mir das Licht des Glaubens bei allen meinen Schmerzen, die von dem Übel meines Alters und meiner Isolation herrühren. Es gab mir eine unzerstörbare Hoffnung, ein unauslöschliches Licht und eine nie versiegende Tröstung. Auf alle Fälle reicht euch der Glaube vollständig gegen die Finsternis, die Gottvergessenheit, die Trauer und das Leid, die aus dem Altsein kommen. Und überhaupt ist das Alter so völlig finster, so vollkommen lichtlos und trostlos, und die Trennung, am schmerzvollsten und schrecklichsten, wenn es das Alter und die Trennung der Leute des Irrweges und der Ausschweifung ist. Den Glauben, der diese Hoffnung, dieses Licht und diese Tröstung gibt, wahrzunehmen und seine Wirkung zu verspüren, ist nur dadurch möglich, dass man sich gegenüber Gott bewusst so verhält, wie es in Seinem Dienst und Seiner Anbetung dem Alter würdig ist und dem Islam entspricht. Andernfalls ist dies nicht möglich, wenn man sich bemüht, den Jugendlichen gleich zu sein, den Kopf betrunken in Gottvergessenheit vergräbt und dabei sein Alter vergisst. Ihr sollt an den folgenden Hadith denken:

 

Das heißt: »Die besten unter euren Jugendlichen sind diejenigen, die in ihrer Sorgfalt und Enthaltung von Ausschweifungen den Alten gleichen. Und die Schlechtesten unter euren Alten sind diejenigen, die in ihren Ausschweifungen und wie sie ihren Kopf in Gottvergessenheit vergraben den Jugendlichen gleichen.«

Oh ihr Geschwister, ihr alten Männer und Frauen! Eine heilige Hadith besagt: »Wenn ein Gläubiger, der sechzig, siebzig Jahre alt ist, vor der Schwelle Gottes seine Hände erhebt und betet, schämt sich die Barmherzigkeit Gottes, seine Hände leer zurückzuweisen.« Da sich die Barmherzigkeit dermaßen respektvoll euch gegenüber erweist, sollt auch ihr dieser Barmherzigkeit in Seinem Dienst und Seiner Anbetung mit Respekt entgegentreten.

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Vierzehnte Hoffnung In der Einführung des »Vierten Strahls«, in dem der lichtvolle Vers Hasbiye »Es genügt...« (Sure 3, 173) erklärt wurde, wird ganz kurz folgendes gesagt: In einer Zeit, in der die Weltleute mich von allen Dingen isoliert hatten, geriet ich auf fünf verschiedene Arten in die Fremde. In der Gottvergessenheit, die aus einer inneren Unruhe erwuchs, betrachtete ich geradewegs mein Herz und durchsuchte meinen Geist, ohne die tröstenden und helfenden Lichter der Risale-i Nur zu beachten. Ich sah, dass mich eine überaus starke Sorge um meine Existenz, eine mächtiges Interesse an ihren Grundlagen, ein heftiges Verlangen nach ihrem Fortbestand, eine grenzenlose Schwäche und eine unendliche Armseligkeit beherrschten. Dagegen löscht aber eine fürchterliche Vergänglichkeit dieses Fortbestehen aus. Aus dieser Haltung heraus sagte ich mit folgenden zu Herzen gehenden Worten eines Dichters:

 

»Das Herz nach Bestand, Gott der Gerechte, dass verschwand der Körper verlangt,

Von einem unheilbaren Schmerz bin ich betroffen,

ach! Wofür selbst Lokman (der Arzt) den Rat nicht weiß.«

 

Ich senkte meinen Kopf. Plötzlich kam mir der Vers

 

 

»Gott genügt uns. Welch vorzüglicher Sachverwalter!« (Sure 3, 173)

zu Hilfe. »Lies mich mit Aufmerksamkeit!« sagte er mir. Und so rezitierte ich ihn auch eines Tages fünfhundert Mal. Und während ich ihn rezitierte, öffneten sich mir »neun Stufen« seiner kostbaren Lichter, nicht nur mit wissenschaftlicher (rationaler) Gewissheit, sondern auch mit augenscheinlicher (realer) Gewissheit.

 

Erste Stufe: Die Sorge um mich und meine eigene Existenz, ist mir nicht um meinetwillen und um meiner eigenen Existenz willen gegeben, vielmehr findet sich in meiner Natur eine wenn auch nur schattenhafte Erscheinung des einen Namens des Herrn, dem die Vollkommenheit und die Größe ist, und der absolut vollkommen ist, den man unmittelbar liebt, ohne einen Grund. Die Liebe in meinem Wesen, die auf die Existenz, die Vollkommenheit und das Fortbestehen des absolut Vollkommenen hin orientiert ist, verlor und verirrte sich in ihrer Gottvergessenheit, heftete sich an Schatten und Schemen und verfiel der Sorge um den Fortbestand ihres Spiegelbildes. Da tauchte in mir der Vers

 

 

»Gott genügt uns. Welch vorzüglicher Sachverwalter!« (Sure 3, 173)

auf und lüftete den Schleier. Ich sah, verspürte und nahm mit wahrheitsgemäßer Gewissheit wahr, dass das Glück und die Freude über mein Fortbestehen genauso und sogar in einer noch vollkommeneren Form in meinem Bekenntnis, in meinem Glauben und in meiner festen Überzeugung liegt, dass der Vollkommen-Beständige ewig fortbesteht, und dass Er mein Herr und mein Gott ist. Die Beweisquellen dessen wurden bereits in der Abhandlung, in der der Vers Hasbiye (»Es genügt...«) behandelt wurde, dermaßen feinsinnig und tiefschürfend in zwölf Absätzen, die mit »überdies« beginnen, erklärt, dass diejenigen, die ihre fünf Sinne beisammen haben, in Erstaunen versetzt und sich ihres Glaubens bewusst wurden.

 

Zweite Stufe: Als mich die Weltleute mit Intrigen und Spitzeln, trotz der grenzenlosen Schwäche in meinem Wesen und trotz meines Alters und meiner Verlassenheit, in der Fremde und in meiner Isolation angriffen, sagte ich meinem Herzen: »Ein einzelner, schwacher und kranker Mann mit gebundenen Händen wird von ganzen Armeen angegriffen. Gibt es denn für mich keinen Zufluchtsort?« So sagte ich und wandte mich an den Vers

 

 

»Gott genügt uns. Welch vorzüglicher Sachverwalter!« (Sure 3, 173)

Dieser Vers teilte mir mit: Durch deine Glaubenszugehörigkeit als deinem Ausweis gehörst du einem dermaßen absoluten, allmächtigen König, der auf der Erde in jedem Frühling den Heeren von Pflanzen und Tieren, die aus vierhunderttausend Völkern bestehen, vor allem aber den Menschen ihre Werkzeuge in vollkommener Wohlordnung und alle Arten von Nahrung und jegliche Versorgung gibt. Nicht wie die Fleisch- und Zuckerkonzentrate der Speisen, welche die zivilisierten Menschen in den letzten Jahren entdeckten, vielmehr hundertfach vollkommener als diese neuzeitlichen Konzentrate, werden von jeder Sorte aller Speisen in die Konzentrate, die Samen und Kerne heißen, hinein gepackt. Auch in diesen Konzentraten werden die zuvor geschriebenen Rezepte, welche ihr Reifen und Gedeihen betreffen, eingewickelt und um sie zu schützen in kleine Kästchen hineingelegt und verteilt. Was die Erschaffung dieser Kästchen betrifft, so werden sie in der Fabrik , die in dem Befehl (Sei!) enthalten ist, dermaßen schnell, leicht und in Hülle und Fülle produziert, dass der Qur’an sagt: »Der Schöpfer befiehlt und es geschieht.« Da du durch den Ausweis deiner Glaubenszugehörigkeit nun einmal einen solchen Zufluchtsort findest, kannst du dich auf eine grenzenlose Kraft und Macht stützen. Nachdem ich von diesem Vers meinen Unterricht bekommen hatte, fand ich eine dermaßen große Geisteskraft und verspürte eine solche Macht aus dem Glauben, mit der ich nicht nur gegen meine gegenwärtigen Feinde, sondern auch gegen die aller Welt antreten konnte. Ich sagte aus meiner ganzen Seele

 

 

»Gott genügt uns. Welch vorzüglicher Sachverwalter!« (Sure 3, 173)

Dritte Stufe: Als ich unter dem Druck aller Fremde, Krankheiten und Ungerechtigkeiten meine (bisherigen) Interessen an der Welt abgebrochen fand, gab mir der Glaube ein, dass ich ein Kandidat für eine immerwährende Glückseligkeit in einer ewigen Welt und in einem ewig bestehenden Land bin. Darauf hin verzichtete ich auf ein »Oh weh«, welches aus der Klage fließt und sagte ein »Oh, oh«, das die Freude zum Ausdruck bringt. Dieses Ideal, geistliche Ziel und Ergebnis der Schöpfung kann einzig und alleine durch die grenzenlose Macht des Absolut-Allmächtigen wirklich werden, der alle Bewegungen, das Verhalten, die Haltungen und Tätigkeiten aller Geschöpfe in Wort und Tat kennt und sie aufzeichnet und der diese winzig kleine und absolut schwache Menschengattung zu Seinem Freund und Ansprechpartner macht und ihr eine Stellung über allen Geschöpfen verleiht, und dadurch dass Er dem Menschen Seine grenzenlose Güte gibt und ihm einen Wert beimisst. Als ich so dachte, wollte ich eine Erklärung über diese beiden Punkte, d.h. über die Tätigkeit einer solchen Macht und über die wirkliche Bedeutung dieses äußerlich unbedeutenden Menschen, um meinen Glauben entfalten und meinem Herzen Sicherheit geben zu können. Wiederum wandte ich mich an diesen Vers. Er sagte und befahl: Achte auf die (uns) in dem Wort (es genügt uns...) und höre wie viele noch zusammen mit dir in Wort und Tat das (es genügt uns...) rufen! Plötzlich bemerkte ich, dass auch grenzenlos viele Vögel und die kleinen Vögelchen, die Fliegen, und unzählbar viele Tiere, Pflanzen und Bäume wie ich in der Tat die Bedeutung von

 

 

»Gott genügt uns. Welch vorzüglicher Sachverwalter!« (Sure 3, 173)

rezitieren und jeden dazu bringen, sich daran zu erinnern, dass sie einen Verwalter haben, der sich für alle ihre Lebensbedingungen verbürgt. Er erschafft hunderttausend verschiedene Sorten Vögel aus Eiern, die einander ähneln und aus dem gleichen Stoff bestehen; hunderttausend Gestalten von Tieren aus den sich einander gleichenden Tropfen; hunderttausende Arten von Bäumen aus den sich einander ähnelnden Kernen und bringt sie ohne Fehler, ohne Makel, ohne sie zu verwechseln, geschmückt, wohl ausgewogen, wohlgeordnet, in einer voneinander unterschiedenen Form vor unseren Augen, besonders in jedem Frühling außerordentlich viel, außerordentlich leicht, außerordentlich umfangreich und in Hülle und Fülle zu Stande.

Diejenigen, welche die Merkmale meines Charakters und meines Menschseins, wie auch die jedes Gläubigen verstehen wollen, und diejenigen, die wünschen, mir zu folgen, sollen in der Abhandlung über »Ich«, d.h. meine Seele, die in dem (uns) von (es genügt uns...) mit enthalten ist, nachschauen, verstehen und ihren Unterricht darüber erhalten, was meine Existenz ist, die sich als ebenso bedeutungslos, gering und armselig erweist, wie die Existenz jedes Gläubigen, was das Leben ist, was das Menschsein ist, was der Islam (Ergebenheit) ist, was wohlverstandener Glaube ist, was die Erkenntnis Gottes ist und wie die Liebe zu Ihm sein soll!

Vierte Stufe: In einer Zeit, als mich das Alter, die Fremde, Krankheit, Niederlagen und dergleichen Zustände, die meine Existenz erschütterten, unerwartet trafen und in Besorgnis versetzten und ich merkte, dass meine Existenz, mit der ich sehr stark verbunden und in die ich geradezu verliebt war, und die Erscheinungsformen aller Geschöpfe in das Nichts verschwinden, wendete ich mich wieder an diesen Vers »Hasbiye« (es genügt...). Er sagte mir: »Achte auf meine Bedeutung und betrachte sie mit dem Fernglas des Glaubens!« Ich betrachtete und sah mit dem Auge des Glaubens, dass dieser mein Körper, so unbedeutend wie ein Stäubchen, und das Dasein eines jeden Gläubigen der Spiegel eines grenzenlosen Seins ist, und ein Anlass, durch eine grenzenlose Ausdehnung, zu unendlichen Existenzbereichen zu gelangen und das ein Wort der Weisheit ist, das außer sich selbst noch viele wertvollere Formen des Seins, die ewig bestehen, als Früchte hervorbringt. Mit einer wissenschaftlichen (rationalen) Gewissheit erkannte ich, dass entsprechend seiner Zugehörigkeit auch nur einen Augenblick zu leben, so wertvoll wie ein für ewig bestehendes Dasein ist. Denn aus dem Bewusstsein des Glaubens heraus verstand ich, dass dieser mein Körper ein Kunstwerk und eine Erscheinung dessen ist, der notwendigerweise da sein muss, und rettete mich dadurch vor den Ängsten in der Einsamkeit und vor den Schmerzen grenzenlos vieler Trennungen. Ich erkannte, dass in der vorübergehenden Trennung von allen Geschöpfen, die ich liebe und mit denen ich in der Anzahl der Taten und der Namen Gottes, die besonders die Lebendigen betreffen, geschwisterliche Beziehungen angenommen hatte, eine beständige Zusammenkunft mit ihnen liegt. So gewinnt auch mein Körper, so wie der jedes Gläubigen, durch den Glauben und durch die Zugehörigkeit, die aus dem Glauben erwächst, ohne jede Trennung Lichter von grenzenlos vielen Wesen, die da für immer verbleiben, auch wenn er selbst geht und ist damit zufrieden, als wäre er da geblieben.

 

Zusammenfassung: Der Tod ist keine Trennung, er ist eine Zusammenkunft, ein Ortswechsel und bringt eine ewige Frucht.

 

Fünfte Stufe: In letzter Zeit war mein Leben wieder von sehr schweren Umständen erschüttert und mein Blick wurde mir auf mein Leben und seine Zeit gerichtet. Ich sah, dass mein Leben wie im Flug verging. Seine Bahn neigte sich dem jenseitigen Ende zu. Unter dem Druck (der Verhältnisse) wandte sich mein Leben verglimmen dem verlöschen zu. Und ich dachte mit Bedauern, dass die wichtigen Aufgaben des Lebens, seine großen Vorzüge, sein Nutzen und seine Kostbarkeiten, wie sie in meiner Abhandlung über den Namen »Hayy« (Gott der Lebendige) erklärt wurden, nicht so schnell verlöschen sollten, sondern ein langes Leben verdienten. Wieder wandte ich mich dem Vers

 

 

»Gott genügt uns. Welch vorzüglicher Sachverwalter!« (Sure 3, 173)

zu, der mein Lehrmeister ist. Er sagte mir: »Betrachte das Leben nach dem Lebendigen, der aus sich selbst besteht (Hayy-i Kayyum), der dir das Leben gab. Da betrachtete ich es also und sah: Wenn sich mein Leben nur in einer Hinsicht auf mich bezieht, so bezieht es sich doch in hundertfacher Hinsicht auf den, der lebendig ist und aus sich selbst besteht. Wenn von dessen Ergebnis ein Teil mir gehört, so gehören Tausende meinem Schöpfer. In diesem Fall genügt es einen Augenblick lang im Bereich des Wohlwollens Gottes zu leben und braucht es daher keine lange Zeit. Diese Wahrheit wird in vier Problemstellungen erklärt. Diejenigen die nicht tot sind oder die, die lebendig sein wollen, sollen das Wesen des Lebens, seine Wahrheit und sein wahres Recht in diesen vier Problemstellungen finden und wieder zum Leben kommen.

 

Die Zusammenfassung dessen ist wie folgt: Solange das Leben auf den Herrn ausgerichtet ist, der lebendig ist und aus sich selbst besteht, und der Glaube das Leben mit Leben und Geist erfüllt, erlangt es Beständigkeit, bringt beständige Früchte hervor und qualifiziert sich dermaßen, dass es die Ausstrahlung der Ewigkeit empfängt, und die Länge oder Kürze der Lebensspanne wird von geringer Bedeutung.

Sechste Stufe: In einer Zeit, in der mich mein Alter, das mich inmitten der Ereignisse der Endzeit, welche mit einer allgemeinen Trennung die Zerstörung der Welt verkünden, an meine persönliche Trennung gemahnte, und meine Seele in meinen letzten Lebensjahren mit außerordentlicher Sensibilität und mit allen Sinnen meines Wesens die Schönheiten zu verehren und alles Gute zu lieben und sich für die Vollkommenheit zu begeistern begann, sah ich, mit einer ungewöhnlichen Klarheit und Eindringlichkeit, dass Untergang und Vergehen, mit ihrer ständigen Zerstörung und Tod und Vernichtung mit ihrer beständigen Trennung, in fürchterlicher Weise dieser schönen Welt und aller schönen Schöpfung übel mitspielen, sie in Stücke reißen und ihre Schönheit vernichten. Damals, als weltliche Natur und Leidenschaft in mir aufwallte und -brauste, wandte ich mich wieder zu diesem Vers »Hasbiye« (Es genügt...), um etwas zu finden, was mich trösten konnte. Er sagte mir: »Lies mich und betrachte mit Aufmerksamkeit meine Bedeutung!« Ich trat auch in das Observatorium des Verses in der Sure »Nur« (Licht)

 

 

»Gott ist das Licht der Himmel und der Erde. Usw...« (Sure 24, 35)

und schaute durch das Fernglas des Glaubens nach den weitesten Schichten dieses Verses »Hasbiye« (Es genügt...) und betrachtete durch das Mikroskop des Glaubensbewusstseins seine fernsten Geheimnisse und sah: Wie Spiegel, Gläser und glänzende Dinge, ja sogar Wasserbläschen die unsichtbaren und unterschiedlichen Schönheiten der Sonnenstrahlen und die verschiedenen Schönheiten der sieben Farben dieser Strahlen, durch die Erneuerungen, Bewegungen, unterschiedlichen Fähigkeiten und Lichtbrechungen diese Schönheiten und ihre anmutigen Erscheinungen erneuern und sehr schön darstellen, genauso kommen und gehen diese schönen Kunstwerke, diese süßen Geschöpfe und vollkommenen Wesen, ohne sich aufzuhalten, um für die heilige Schönheit des majestätischen Schönen, der die Sonne aller Ewigkeiten ist, und für die immerwährenden Schönheiten Seiner grenzenlos schönen Namen und für die Erneuerungen ihrer Erscheinungen als Spiegel zu dienen. Die Schönheiten, die bei ihnen sichtbar werden, sind nicht ihr Eigentum, vielmehr Zeichen einer immerwährenden, heiligen, absoluten und reinen Schönheit, die sich ständig offenbart und ihre Merkmale, ihre Blitze und ihre Erscheinungen zeigen will. Sehr starke Beweise dazu wurden in einer Abhandlung der Risale-i Nur eingehend erklärt. Dort beginnen die Erklärungen mit dem folgenden Satz: »Hier werden drei von diesen Zeugnissen kurz und in einer sehr verständlichen Weise erklärt.« Jeder mit Sinn für das Schöne und Gute, der diese Abhandlung liest, gerät in Begeisterung und hält sie nicht nur für sich sondern auch für die Anderen für nützlich. Besonders in dem »Zweiten Zeugnis« werden fünf Punkte erklärt. Jeder Mensch mit klarem Verstand und redlichem Herzen, wird in jedem Fall in Hochschätzung , Begeisterung und mit Einverständnis dazu sagen »Ma-scha-al’lah (So wie es Gott wollte!) Fe-tebareka-l’lah (Gott möge es segnen!)« Er wird sich bemühen, sein Gefühl für den Wert seiner Existenz, die ihm so armselig und wertlos vorkommt, zu erhöhen. Er wird begreifen und bestätigen, dass er in seinem Dasein ein einzigartiges Wunder ist.

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Fünfzehnte Hoffnung Ich war damals in Emirdagh wegen der Schikanen, die sie mir mit der Verbannung, dem Hausarrest, der einer Einzelhaft gleich kam und mir durch die Überwachung fast unerträglich wurde, und infolge all der diktatorischen Verordnungen des Lebens überdrüssig und bedauerte es, das Gefängnis verlassen zu haben. Mit Herz und Seele sehnte ich mich nach dem Gefängnis von Denizli zurück und wünschte mich schon ins Grab.

 

Als ich »Gefängnis und Grab sind besser als diese Lebensweise« sagte und beschloss, ins Grab hinabzusteigen, oder wieder ins Gefängnis zu gehen, eilte mir die Gnade Gottes zu Hilfe; sie gab in die Hände der Medreset-üz-Zehra-Schüler, deren Stifte auch so produktiv wie eine Vervielfältigungsmaschine waren, eine neu herausgekommene Vervielfältigungsmaschine. Mit einem Stift, der die Vervielfältigungsmatrize beschrieben hat, entstanden auf einmal fünfhundert Exemplare eines jeden wertvollen Werkes der Risale-i Nur. Der Beginn ihrer Verbreitung und die positive Wirkung, die von ihr ausging, ließ mich dieses Leben trotz aller Strapazen und Schikanen dennoch lieben und »unendliche Male Dank!« sagen.

 

Eine Weile später konnten die geheimen Feinde der Risale-i Nur die Verbreitung der Risale-i Nur nicht ertragen. Sie haben die Behörden gegen uns aufgehetzt. Wieder einmal begann das Leben, mir schwer zu werden. Plötzlich erschien die Gnade des Herrn. Die verantwortlichen Beamten, die »die Lichter« am nötigsten hatten, studierten die beschlagnahmten Abhandlungen im Rahmen ihres Dienstes eingehend und mit großem Interesse. Die Lichter aber eroberten ihre Herzen. Als sie anfingen, die Lichter zu würdigen, statt sie zu kritisieren, weitete sich die »Nur«-Medresse aus. Es hat uns hundert Grade mehr Nutzen gebracht als der uns entstandene Schaden; das ganze lähmende Entsetzen tendierte plötzlich gen Null.

 

Sodann lenkten die verborgenen, feindlich gesinnten Heuchler die Aufmerksamkeit der Behörden auf meine Person. Sie erinnerten sie an meine politische Vergangenheit. Sie haben beim Justizministerium, dem Bildungsministerium, den Ordnungsbehörden und dem Innenministerium Argwohn gegen mich erweckt. Durch die Provokationen der Anarchisten, versteckt unter dem Deckmantel ihrer Parteipolitik oder getarnt als Kommunisten, verbreitete sich dieser Argwohn. Sie begannen uns zu peinigen und einzusperren und die Abhandlungen, die in ihre Hände gerieten, zu beschlagnahmen. Die Tätigkeit der »Nur«-Schüler geriet ins Stocken. Um meine Person in Misskredit zu bringen, sprach eine Gruppe unter den offiziellen Beamten falsche, völlig unglaubwürdige Beschuldigungen gegen mich aus. Sie haben versucht, sehr merkwürdige Verleumdungen in Umlauf zu bringen. Jedoch haben sie niemanden überzeugen können. Danach haben sie mich unter äußerst primitiven Vorwänden in den kältesten Tagen des strengen Winters inhaftiert und in eine große, sehr kalte Zelle, in der zwei Tage lang kein Ofen stand, in absoluter Einzelhaft eingesperrt. Obwohl ich doch in meinem kleinen Zimmer an einem Tag mehrmals den (geschlossenen) Ofen angeheizt hatte und sich auch in meinem (offenen) Mangal immer glühende Kohle befand, konnte ich es auf Grund meiner schlechten körperlichen Verfassung und meiner Krankheit dort nur schwer aushalten.

 

Als ich so in dieser meiner Lage fror und auch innerlich voller Wut und voller Unruhe war, offenbarte sich mir durch Gottes Gnade die folgende Wahrheit in meinem Herzen: »Du hast das Gefängnis als die Schule Josefs bezeichnet. Außerdem hast du (mit deinen Schülern) damals in Denizli tausendfach mehr innere Freude als Bedrängnis verspürt. Das geistige Verdienst und der Nutzen der Lichterabhandlungen für die Mitgefangenen, deren Erfolge auf hoher und höchster (politischer) Ebene und ähnliche Resultate veranlassten euch statt zu jammern tausendmal Dank zu sagen. Jede Stunde eures Gefängnisaufenthaltes und eures Leides ließ es zu zehn Stunden Gebet werden. Diese vergänglichen Stunden wurden unvergängliche. Insha-al’lah, so Gott will, wird der Nutzen der Lichterabhandlungen und ihr Trost für die Mitgefangenen in dieser dritten Schule Josefs euch in dieser Kälte erwärmen und eure schwere Mühsal in Frohsinn verwandeln. Wenn die Männer, auf die du wütend bist, getäuscht wurden, tun sie dir unbewusst Unrecht an. Nicht Wut wäre hier angemessen. Wenn sie dich wissentlich und in böser Absicht und im Sinne ihres Irrglaubens belästigen und schikanieren, werden sie in ziemlich kurzer Zeit für ewig mit dem Tode bestraft, zur Einzelhaft im Grabe verurteilt werden und einer immerwährenden, peinlichen Strafe ausgeliefert sein. In Anbetracht ihrer Schikanen wirst du sowohl viel Sevab (Verdienste) sammeln, als auch deine vergänglichen Stunden in unvergängliche verwandeln, als auch geistige Freuden erleben und deinen Dienst als Mann der Wissenschaft und des Glaubens in Wahrhaftigkeit versehen.« So wurde ich in meiner Seele ermahnt und sagte aus all meiner Kraft Elhamdulillah, aller Dank sei Allah! Vom Standpunkt meiner Menschlichkeit und ihrer Ungerechtigkeit taten sie mir leid und so betete ich und sagte: »Oh Herr, bringe sie auf den rechten Weg!« In meiner Aussage an das Innenministerium habe ich geschrieben, dass dieses jüngste Ereignis in zehnfacher Hinsicht gesetzwidrig ist. Dabei sind die eigentlich Schuldigen diese Ungerechten selbst, die im Namen des Gesetzes gesetzwidrig handeln. Sie haben nach Ausreden und Vorwänden gesucht und versucht mit Verleumdungen und mit Erdichtungen, über die jeder nur lachen kann, welche aber alle die, welche die Wahrheit lieben zum Weinen bringen, uns und die Risale-i Nur anzugreifen. Das zeigt allen einsichtigen und gemäßigten, dass jene innerhalb eines rechtlichen und gesetzlichen Rahmens keine Gelegenheit finden werden, die Risale-i Nur und ihre Schüler anzugreifen, weshalb jene sich dann in Haltlosigkeiten verirren.

 

Zum Beispiel: Beamte, die uns einen Monat lang observiert hatten, konnten keinen Vorwand ausfindig machen, weshalb sie schließlich auf einen Zettel schrieben: »Saids Diener hat in einem Laden eine Flasche Raki gekauft und ihm überbracht.« Weil sie aber niemanden finden konnten, der diesen Zettel unterschreiben wollte, schnappten sie sich schließlich irgendeinen betrunkenen Strolch, drohten ihm und befahlen ihm: »Komm her und unterschreibe das!« Er erwiderte: »Nie und nimmer, Gott bewahre mich davor! Wer könnte denn eine solch sonderbare Lüge unterschreiben?« Daraufhin mussten sie diesen Zettel zerreißen.

 

Ein zweites Beispiel: Ein Mann, von dem ich nichts wusste und den ich auch bis heute nicht kenne, hat mir sein Pferd zur Verfügung gestellt, damit ich einen Ausflug mache. Aus gesundheitlichen Gründen ging ich an den meisten Tagen im Sommer ein, zwei Stunden lang spazieren, um frische Luft zu schöpfen. Ich habe es mir versprochen, dem Besitzer des Pferdes und des Wagens Bücher im Wert von fünfzig Lira zu schenken, um nicht gegen mein Prinzip zu verstoßen, d.h. um niemandem einen Dank schuldig zu bleiben. Gibt es etwa bei dieser Sache irgendeine Möglichkeit, einen Schaden zu verursachen? Es ist aber so, dass selbst der Gouverneur, die Justizbeamten, die Ordnungshüter und die Polizei uns fünfzigmal die Frage gestellt haben: »Wem gehört dieses Pferd?« Als wäre es angeblich ein großes politisches Ereignis und ein Vorfall, der die allgemeine Ruhe und Ordnung betrifft. Sie haben sogar zwei Leute mit mir zusammen verhaftet, weil sie ausgesagt hatten, der eine, dass ihm der Wagen, der andere, dass ihm das Pferd gehöre, damit diese sinnlose Fragerei aufhören solle. Es gab da noch eine ganze Reihe anderer vergleichbarer Kinderspiele, an denen wir als Zuschauer beteiligt waren, mit einem weinenden und einem lachendem Auge, und dabei verstanden, dass diejenigen, die die Risale-i Nur und ihre Schüler angreifen, nur sich selber zum Gespött machen.

 

Hierzu nur ein weiteres Beispiel für ein feinsinniges Gespräch: Da als Grund für meine Verhaftung die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angegeben wurde, habe ich, noch bevor ich das Schreiben überhaupt gesehen hatte, dem Staatsanwalt gesagt: »In der vergangenen Nacht habe ich über dich gesprochen. Ich habe dem Polizisten, der mich im Auftrag des Polizeipräsidenten vernommen hat, gesagt: Wenn ich der öffentlichen Sicherheit in diesem Lande nicht so viel wie tausend Staatsanwälte und tausend Polizeipräsidenten gedient gehabt habe, so soll mich Allah verfluchen.« Diesen Fluch habe ich dreimal wiederholt.

 

Danach überwältigte mich der Zorn und übermannte mich die Wut über diejenigen, die mich in dieser Kälte und zu einer Zeit, in der ich am meisten der Erholung bedurfte, mich nicht erkälten sollte und mich nicht über weltliche Dinge aufregen durfte, einer derart unerträglichen Zwangsumsiedlung, die – verbunden mit Isolation, Haft und Unterdrückung – ihren Hass und ihre Bosheit ahnen ließ, ausgesetzt haben. Doch da eilte mir Seine Gnade zu Hilfe. In meinem Herzen vernahm ich folgende Ermahnung:

 

»Selbst noch in dieser Ungerechtigkeit, die dir die Menschen antun, hat die Bestimmung Gottes, die zugleich auch Gerechtigkeit ist, einen großen Anteil. Zudem ist hier in diesem Gefängnis für dich gesorgt. Und diese deine Versorgung hat dich hierher gerufen. Dem muss man mit Einverständnis und Ergebenheit begegnen. Daran haben auch die Weisheit und Barmherzigkeit des Herrn einen großen Anteil, die denjenigen, die in diesem Gefängnis leben, Licht und Trost spendet, wodurch ihr auch noch Sevab (einen Verdienst) erwerben könnt. Für diesen Anteil muss man in Geduld tausendmal Dank sagen.

 

Außerdem hat deine Begierde auf Grund ihrer Fehler, derer du dir nicht bewusst bist, daran einen Anteil. Auf Grund dieses Anteils musst du bei Gott um Verzeihung bitten, Ihn anflehen und deiner Begierde sagen:

 

›Du hast dir diese Ohrfeige verdient! Außerdem haben die verborgenen Feinde auch einen Anteil, die mit Intrigen einige leichtgläubige und misstrauische Beamte getäuscht und zu dieser Ungerechtigkeit verleitet haben. Demgegenüber hat dich die Risale-i Nur, die diesen Heuchlern fürchterliche geistige Schläge versetzt, an ihnen vollständig gerächt. Das ist schon genug für sie. Der letzte Anteil gehört den zuständigen Beamten, die an dieser Sache aktiv teilnehmen. Von den Lichterabhandlungen, die sie mit der Absicht, sie zu kritisieren, studieren, werden sie so oder so, zweifelsohne für ihren Glauben Nutzen ziehen. Bezüglich dieses Anteils ist es eine vornehme Gesinnung, ihnen um ihres Nutzens willen nach dem Grundsatz

 

 

»Sie bezwingen ihren Groll und vergeben den Menschen.« (Sure 3, 134)

 

zu verzeihen.‹«

 

Auf Grund dieser wahrhaftigen Ermahnung habe ich mich entschlossen, in vollkommener Freude und Dank in dieser neuen Schule Josefs auch weiterhin zu bleiben, sogar einen harmlosen Fehler zu begehen, der eine Strafe nach sich ziehen würde, was denjenigen, die gegen mich waren, behilflich sein könnte.

 

Einem Mann wie mir, der keine Bindungen hat, sind in seinem fünfundsiebzigsten Lebensjahr, in dieser Welt nur fünf von siebzig geliebten Freunden am Leben geblieben. Siebzigtausend Exemplare der Lichterabhandlungen, die ihren lichtvollen Auftrag erfüllen werden, sind erhalten geblieben und befinden sich frei im Umlauf. Für einen Mann wie mich, der so viele Mitbrüder und Erben hat, die nicht nur mit einer, nein, mit vielen tausend Zungen den Dienst am Glauben versehen, ist das Grab hundertfach besser als der Aufenthalt in diesem Gefängnis. Selbst dieses Gefängnis ist es noch hundertfach angenehmer und besser als eine Freiheit unter ständiger Bevormundung draußen, die jeglicher Freiheit entbehrt. Denn statt draußen die Bevormundung von hunderten zuständigen Beamten allein zu ertragen, muss man dagegen im Gefängnis mit hunderten Gefangenen gemeinsam nur eine leicht erträgliche nachvollziehbare Bevormundung durch ein, zwei Personen wie den Direktor und den Oberwachtmeister ertragen. Außerdem erfährt man im Gefängnis unter Freunden brüderliche Zuneigung und Trost. Da sich die selbstlose Liebe, die aus der islamischen Gesinnung erwächst, und die menschliche Natur in dieser Situation der Alten erbarmt, verwandeln sich die Belastungen im Gefängnis in Barmherzigkeit. Daher war ich mit dem Gefangenendasein zufrieden.

 

Als ich diesmal zum dritten Prozess kam, strengte mich das Stehen in meinem Alter, meiner körperlichen Schwäche und Krankheit an. Ich setzte mich vor dem Eingang des Gerichtssaals auf einen Stuhl. Plötzlich kam ein Richter, wurde zornig und sagte in herabwürdigendem Ton: »Warum wartet er nicht im Stehen?«

 

Alt und schwach wie ich war, wurde ich über eine solche Unbarmherzigkeit wütend. Plötzlich sah ich, dass sich sehr viele Muslime in vollkommener Liebe und Brüderlichkeit mit barmherzigen Blicken um uns versammelten. Sie konnten nicht fort gejagt werden. Sofort tauchten zwei Wahrheiten in mir auf.

 

Erste Wahrheit: Die Leute, die mir und den Lichtern versteckte Feinde waren, wollten – um den Respekt, den die Öffentlichkeit mir gegen meinem Willen entgegenbringt, untergraben zu können – die Verbreitung der Lichterabhandlungen aufhalten. Darum suchten sie manche leichtgläubige Beamte der Regierung zu täuschen und sie zu einem derart entehrenden Verhalten zu provozieren, um meine Person beim Volk in Misskredit zu bringen.

 

Als Geschenk für den Dienst der Lichterabhandlungen am Glauben hingegen verwies mich die göttliche Gnade auf hundert Leute, anstelle dieses einen einzigen Mannes mit seinem entehrenden Verhalten: Diese sind es, die euch begrüßen und die euch mit aller Liebe und mit jeglichem Interesse willkommen heißen, indem sie sich für euren Dienst begeistern und mit euch fühlen. Am zweiten Tag, während ich im Untersuchungsgericht auf die Fragen des Staatsanwaltes Antworten gab, versammelten sich sogar fast tausend Leute auf dem Hof der Behörde vor den Fenstern des Gerichtssaales und brachten auf diese Weise in völliger Verbundenheit unausgesprochen ihre Forderung zum Ausdruck: »Belästigt sie nicht!« Die Polizisten konnten ihre Versammlung nicht auflösen. Und in meinem Herzen wurde mir eingegeben: Diese Leute wollen in diesem gefahrvollen Zeitalter einen vollständigen Trost und ein unauslöschliches Licht, einen starken Glauben und eine überzeugende Botschaft von der ewigen Glückseligkeit, wonach sie von Natur aus suchen. Bestimmt haben sie davon gehört, dass sich das, wonach sie suchen, in den Abhandlungen des Lichts finden lässt, sodass sie um dieses bisschen Dienstes am Glauben willen für meine Wenigkeit weit mehr Zuneigung empfinden, als ich verdient habe.

 

Zweite Wahrheit: So wurde ich denn darauf hingewiesen, dass es dem entwürdigenden Verhalten gegenüber, entstanden aus einem Gerücht heraus, wir würden die öffentliche Sicherheit gefährden, und der schlechten, beleidigenden Behandlung durch ein paar irregeführte Leute, welche auf diese Weise den Respekt, den die Öffentlichkeit uns entgegenbringt, untergraben wollen, andererseits grenzenlos viele Kenner der Wahrheit und künftige Generationen voll Jubel und Begeisterung gibt.

 

Die anarchistische Gesinnung untergräbt unter dem Deckmantel des Kommunismus die öffentliche Sicherheit auf schreckliche Weise. Dagegen versuchen die Risale-i Nur und ihre Schüler mit der Kraft des wahrhaftigen Glaubens diese entsetzliche geistige Zerstörung überall in diesem Land aufzuhalten und zu zerschlagen. Sie arbeiten sicherlich im Sinne der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, sodass drei, vier Gerichte und die Sicherheitsorgane von zehn Provinzen in diesen zwanzig Jahren keinen Vorfall festgestellt und aufgenommen haben, den die Risale-i Nur Schüler, welche überall in diesem Land in großer Zahl vorhanden sind, verursacht haben könnten. Ein Teil der rechtschaffenen Sicherheitskräfte aus drei Provinzen soll gesagt haben:

 

»Die Nur-Schüler sind geistige Ordnungshüter. Bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung leisten sie uns Hilfe. Durch ihren überzeugten Glauben lassen sie bei jedem Mann, der die Lichter studiert, in seinem Sinn einen Wächter zurück, und versuchen so die öffentliche Sicherheit aufrechtzuerhalten.« Ein Beispiel dafür ist das Gefängnis von Denizli. Mit den Lichterabhandlungen, die dort Eingang gefunden haben, und mit der »Frucht«-Abhandlung, die dort für die Gefangenen verfasst wurde, haben sich diese mehr als zweihundert Gefangenen innerhalb von drei, vier Monaten dermaßen gebessert und wurden gehorsam und fromm, dass selbst ein Mann, der drei, vier Leute umgebracht hatte, sich nun gar zurückhielt, die Läuse zu töten. Er begann seinem Lande ein ganz barmherziges Glied (der menschlichen Gesellschaft) zu werden, von dem nie wieder eine Gefahr ausging. Diese Lagewendung versetzte selbst die verantwortlichen Beamten in Staunen und Bewunderung.

 

Außerdem sagten einige junge Gefangene, die noch nicht verurteilt waren: »Wenn die Nur-Schüler im Gefängnis bleiben, wollen wir uns für solange verurteilen und inhaftieren lassen, bis wir, die wir uns an ihnen ein Beispiel genommen haben, so wie sie geworden sind.« Durch ihren Unterricht werden auch wir selbst gebessert werden. Diejenigen, welche die Nur-Schüler dieser Art der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit beschuldigen, haben sich in jedem Fall furchtbar geirrt oder sie sind getäuscht worden oder sie täuschen bewusst oder unbewusst die Behörden im Interesse des Anarchismus und versuchen uns mit ihren Schikanen einzuschüchtern. Leuten von diesem Schlag sagen wir:

 

Da der Tod nun einmal nicht getötet und das Grabestor nicht geschlossen werden kann, wandern die Reisenden in Scharen aus diesem Gasthaus der Welt schnell und in Aufregung einer nach dem anderen unter die Erde und verschwinden. Ganz sicher werden wir in einer sehr kurzen Zeit voneinander Abschied nehmen. Ihr werdet die Strafe für eure Ungerechtigkeit auf eine fürchterliche Weise bekommen, zumindest aber gleichsam wie am Galgen die Todesstrafe für die Ewigkeit erleiden, der für die (z. Zt. noch) entrechteten Leute des Glaubens ein Entlassungsschein ist. Die vergänglichen Freuden, die ihr in dieser Welt in der Vorstellung, unsterblich zu sein, erlebt, werden sich in bleibendes und qualvolles Leid verwandeln.

 

Die Wahrheit des Islam, welche mit dem Blut und dem Schwert von hunderten Millionen Märtyrern, die den Rang eines Heiligen erlangt hatten, und heldenhaften Kriegsveteranen dieses religiösen Volkes erworben wurde und aufrechterhalten wird, bezeichneten leider unsere heimlichen Feinde in ihrer Verlogenheit (munafiq) manchmal als (die Lehre des) »Orden« (tariqat) und die Art der Mystiker, die auch nur einen Lichtstrahl aus der Sonne des Islam bilden, als diese Sonne selbst, um einige oberflächliche Regierungsbeamte Irre zu führen. Diese wollen jene gegen uns aufhetzen, indem sie die Nur-Schüler, die für die Wahrheit des Qur’an und des Glaubens wirkungsvolle Arbeit leisten, als Ordensgemeinschaft und politische Organisation bezeichnen. Wir sagen es ihnen sowie denjenigen, die ihnen zu unserem Nachteil Gehör verleihen, was wir schon bei unserer Verhandlung vor dem Gerichtshof von Denizli gesagt haben:

 

»Für eine heilige Wahrheit, für die schon vor uns hunderte Millionen ihren Kopf hingehalten haben, wollen auch wir jetzt unseren Kopf hinhalten. Auch wenn ihr die ganze Welt für uns zu einem Feuerball machen würdet, werden wir auch dennoch bereit sein, unseren Kopf für die Wahrheit des Qur’an hinzuhalten, werden vor der Glaubenslosigkeit nicht kapitulieren und von unserem heiligen Dienst nicht zurücktreten. Wolle es Gott!«

 

So eilten mir denn die heiligen Tröstungen, die mir aus dem Glauben und dem Qur’an erwuchsen, in meinen Schmerzen und in meiner Verzweiflung – einer Folge der Überraschungen meines Alters – zu Hilfe. Ich würde heute kein noch so qualvolles Jahr in meinem Alter gegen zehn der heitersten Jahre meiner Jugend tauschen. Da insbesondere dem, der im Gefängnis seine Pflichtgebete einhält und um Vergebung bittet, eine jede Stunde für zehn Stunden Gebet angerechnet wird und in Zeiten einer Krankheit oder ungerechten Behandlung, ein jeder vergängliche Tag so viel Sevab (Verdienste) bringt, wie zehn ausschließlich einem ewigen Leben gewidmete Tage, wurde mir durch diese innere Ermahnung klar, wie sehr, ein Mann, der gleich mir vor dem Tor des Grabes auf seine Abberufung wartet, zu Dank verpflichtet ist. »Unendlich Dank meinem Herrn!« sagte ich, war mit meinem Alter zufrieden und einverstanden mit meiner Haft. Denn die Zeit bleibt nicht stehen, das Leben vergeht sehr schnell. Mag es ein sorgloses und heiteres Leben sein, das man in Gottvergessenheit verbringt, es vergeht, verlischt, hinterlässt Bedauern, Undankbarkeit und manch eine Sünde, denn am Ende der Freude steht der Schmerz. Wenn es aber im Gefängnis und unter Strapazen vergeht, wird es in gewisser Hinsicht zu einem beständigen und bringt mit seinen kostbaren Früchten ein ewiges Leben zum Gewinn, weil es als eine Art Gottesdienst gilt und am Ende des Schmerzes eine geistige Freude steht. Zudem gilt es als Buße für die früheren Sünden und für die Vergehen, die zu dieser Freiheitsstrafe geführt haben, und reinigt sie. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, müssen die Gefangenen also ihre Pflichtgebete verrichten und geduldig und dankbar sein.

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Sechzehnte Hoffnung Einmal – und ich war schon alt – verbüßte ich in Eskischehir eine einjährige Gefängnisstrafe und wurde dann entlassen. Ich wurde nach Kastamonu verbannt. Die Polizisten und ein, zwei Kommissare nahmen mich zwei, drei Monate als Gast auf. Man kann sich nun vorstellen, wie sehr sich ein Mann wie ich an derartigen Plätzen belästigt fühlen muss, der ein Einsiedlerleben geführt hat und sich selbst durch eine Unterhaltung mit seinen engsten Freunden bedrängt fühlt, und der die Änderung (= Europäisierung) seiner (orientalischen) Bekleidung nicht ertragen kann.

 

Doch da kam mir in meinem Alter und in dieser verzweifelten Lage plötzlich die Güte Gottes zu Hilfe. Der Kommissar und die Polizisten in dieser Polizeidienststelle wurden mir zu treuen Freunden. So haben sie mich z.B. niemals dazu aufgefordert, (wie die Europäer) einen Hut zu tragen. Sie waren sogar wie meine Diener und fuhren mich sogar in der Stadt umher, wann immer ich dies wünschte. Danach zog ich dieser Polizeidienststelle gegenüber in die »Schule des Lichtes« (Medrese-i Nuriye) in Kastamonu (d.h. in meine Privatwohnung) ein und begann mit der Abfassung der »Lichterabhandlungen« (Nurlar). Die heldenhaften Schüler, wie Feyzi, Emin, Hilmi, Sadik, Nazif, Selahaddin kamen immer zu dieser Medresse um der Veröffentlichung und Vervielfältigung der Lichterabhandlungen willen. Ihretwegen kamen wertvolle wissenschaftliche Gespräche zu Stande, noch glänzender als in meiner Jugend mit meinen alten Schülern.

 

Danach ließen meine heimlichen Feinde bei einem Teil der Beamten und einigen eingebildeten Hocas und Scheichs gegen uns Verdächtigungen aufkommen. Das hatte zur Folge, dass wir und die Schüler der Lichter (Nur), die aus fünf, sechs Städten ins Gefängnis von Denizli gebracht worden waren, in dieser Schule Josefs zusammenkamen. Die Einzelheiten dieser Sechzehnten Hoffnung, welche den wahren Inhalt dieser Hoffnung glänzend zeigen, bilden meine Verteidigungsschrift vor dem Gericht, zusammen mit den kurzen Briefen, die ich in Kastamonu geschrieben hatte und die in die Briefsammlung eingereiht worden sind und die ich im Gefängnis in Denizli an die mitgefangenen Brüder heimlich geschickt habe. Für die ausführliche Erklärung verweise ich auf diese Briefsammlung und meine Verteidigungsschrift. Hier will ich nur einen kurzen Hinweis geben.

 

Ich hatte die meine persönlichen und auch die besonders heiklen Abhandlungen, welche Ssufyan und Wundertaten (Keramet) der Lichtabhandlungen betreffen, unter Kohlen- und Holzhaufen versteckt. Sie sollten nach meinem Tod oder nachdem die Häupter an der Spitze der Regierung fähig geworden wären, die Wahrheit zu hören und zur Besinnung zu kommen, veröffentlicht werden. Während ich selbst aber noch völlig unbesorgt war, führten Durchsuchungsbeamte und der Vertreter der Staatsanwaltschaft plötzlich in meiner Wohnung eine Hausdurchsuchung durch. Sie förderten diese geheimen, heiklen Abhandlungen unter den Holzhaufen zu Tage. Daraufhin verhafteten sie mich und lieferten mich trotz meines schlechten Gesundheitszustandes in das Gefängnis in Isparta ein. Als ich noch über den Schaden, der die Lichtabhandlung betraf, sehr traurig und bekümmert war, eilte uns die Güte Gottes zu Hilfe. So begannen denn nun die Leute der Regierung diese heiklen Abhandlungen, die versteckt und doch zu lesen für sie so dringend notwendig war, mit großem Interesse und sehr viel Aufmerksamkeit zu lesen. So wurden die hohen amtlichen Dienststellen zu einer Art Schule der Lichter (Medrese-i Nuriye). Nachdem sie sie kritisch gelesen hatten, fingen sie an, sie zu schätzen. Sogar, als wir noch in Denizli im Gefängnis waren, lasen sehr viele offizielle und inoffizielle Leute ohne unser Wissen das »Große Zeichen«, welches in aller Heimlichkeit gedruckt worden war. Sie stärkten dadurch ihren Glauben und ließen uns das Unglück unserer Inhaftierung vergessen.

 

Danach haben sie uns in das Gefängnis von Denizli eingeliefert. Sie hatten mich absolut isoliert in eine stinkende, feuchte und kalte Zelle eingesperrt. Als ich nun in meinem Alter, meiner Krankheit und durch viel Leid, das mir daraus erwuchs, dass meine unschuldigen Kameraden meinetwegen diese Qualen erleiden mussten, auch in großem Schmerz und innerer Bedrängnis wegen der Unterbrechung der Arbeit mit den Lichtabhandlungen, sowie sehr erregt und besorgt wegen ihrer Beschlagnahmung, eilte mir plötzlich die Güte des Herrn zu Hilfe. Auf einmal ließ Er dieses große Gefängnis in eine Schule des Lichts (Dersane-i Nuriye) umwandeln und bewies, dass es eine Schule Josefs war. Mit den diamantenen Schreibfedern der Schüler der »Medreset-üz-Zehra« begannen sie die Lichtabhandlungen zu verbreiten. Sogar vervielfältigte ein heldenhafter Schüler unter diesen Umständen in drei, vier Monaten mehr als zwanzig Exemplare von der »Frucht«-Abhandlung und der Verteidigungsschrift mit der Hand. Beide begannen sich sowohl im Gefängnis als auch draußen zu verbreiten. Das ließ uns den Schaden in diesem Unglück zu großem Gewinn werden, unsere Sorgen in Frohsinn umwandeln und bestätigte das Geheimnis von

 

 

»Aber vielleicht ist euch etwas zuwider, während es gut für euch ist.« (Sure 2, 216)

 

Danach, als die ersten Sachverständigen auf Grund ihrer falschen und oberflächlichen Urteile gegen uns heftige Kritik übten und der Erziehungsminister neben seinen fürchterlichen Angriffen gegen uns auch eine Erklärung veröffentlichte und sogar in einigen Nachrichten die Hinrichtung einiger von uns gefordert wurde, eilte uns die Güte des Herrn zu Hilfe.

 

Als wir vor allem von den Sachverständigen in Ankara heftige Kritik erwarteten, kamen ihre lobenden Berichte. (Sie beschlagnahmten unsere Abhandlungen gleich kistenweise und durchsuchten sie), konnten aber in fünf Kisten voll Lichtabhandlungen nur fünf bis zehn Fehler finden. Vor dem Gericht bewiesen wir, dass die Punkte, die sie als falsch und fehlerhaft angekreidet hatten, die reine Wahrheit waren und dass die Stellen, die sie für falsch und fehlerhaft hielten, sie selbst verurteilten (indem sie sie falsch beurteilten!). Außerdem fanden wir in ihrem fünfseitigen Bericht diese fünf, zehn Fehler und zeigten sie ihnen auf. Als wir wegen der »Frucht«-Abhandlung und der Verteidigungsschrift, die wir an sieben amtliche Stellen geschickt hatten, und wegen all der Abhandlungen des Lichts, die zum Justizministerium gesandt wurden, besonders wegen der Abhandlungen, die wir für uns als vertraulich bestimmt und behandelt hatten und die uns als Beleidigungen und moralische Ohrfeigen ausgedeutet werden konnten, Bedrohungen und scharfe Befehle (der Militärdiktatur) gegen uns erwarteten, schickte uns der Ministerpräsident einen äußerst milden, sogar tröstlichen Brief. Als suchten sie Frieden mit uns, bedrängten sie uns nicht, was mit Sicherheit beweist, dass die (Erkenntnisse der) Wahrheit in der Risale-i Nur sie durch das Wunder der Güte Gottes besiegt hatte und sich ihnen als Wegweiser erwies. Sie machte diese großen Ämter zu einer Art Schule und rettete den Glauben vieler Unschlüssiger und Ratloser. Das brachte uns eine innerliche Freude und einen Gewinn, der hundertfach größer war als unsere Bedrängnis.

 

Danach versuchten mich die heimlichen Feinde zu vergiften. Der verstorbene Hafiz Ali, ein heldenhafter Märtyrer der Nur-Bewegung ging an meiner Stelle ins Krankenhaus (gab für mich sein Leben und starb deshalb zu gleicher Zeit, wenn auch an einem anderen Ort, weshalb das Gift, das man mir gegeben hatte, nicht wirken konnte) und reiste statt meiner in das Zwischenreich (berzah). Das stürzte uns in dunkle Traurigkeit. Wir haben viel um ihn geweint.

 

Vor diesem Unglück schrie ich mehrmals laut vom Berg bei Kastamonu herab: »Oh meine Brüder! Werft dem Pferd kein Fleisch und dem Löwen kein Heu vor!« Das heißt: »Gebt nicht einem jedem jede Abhandlung, damit man uns nicht angreift.« Das heißt: Es war als hätte Hafiz Ali (Möge Gott sich seiner erbarmen!) mich über eine Entfernung von sieben Tagen Fußmarsch wie durch ein geistiges Telefon gehört, und mir noch zu gleicher Zeit geschrieben: »Meister, es ist in der Tat ein Wunder der Risale-i Nur, dass sie dem Pferd kein Fleisch und dem Löwen kein Heu vorwirft. Vielmehr wirft sie Heu vor das Pferd und Fleisch vor den Löwen, sodass dem Aslan (Löwen) Hoca die Abhandlung über die »Wahrhaftigkeit im Islam« überreicht wurde. Nach sieben Tagen bekamen wir seinen Brief und rechneten nach: Zur selben Zeit, da ich so laut vom Berg herab gerufen hatte, hatte auch er diese denkwürdigen Sätze in seinem Brief geschrieben.

 

Während uns noch das Ableben eines solchen geistigen Helden des Lichtes und die Sorge, dass diese Heuchler uns mit ihren Intrigen heimlich zu bestrafen suchen sollten, und dass sie auch mich auf Grund meiner Krankheit infolge einer Vergiftung durch einen offiziellen Befehl zwingen könnten, ins Krankenhaus zu gehen, in Bedrängnis brachten, kam uns auf einmal die Güte Gottes zu Hilfe.

 

Durch die aufrichtigen Gebete meiner gesegneten Brüder (und die Bereitschaft von Hafiz Ali nach meiner Vergiftung selbst den Tod auf sich zu nehmen) wurde die Gefahr einer Vergiftung überwunden. Jener gesegnete Märtyrer beschäftigt sich anhand überzeugender Hinweise in seinem Grab weiter mit Lichtabhandlungen und gibt den Engeln, die ihn befragen, aus den Lichtabhandlungen Antwort.

 

Der heldenhafte Schüler Hasan Feyzi in Denizli, der an seiner Stelle und in gleicher Gesinnung tätig wurde, sowie seine Kameraden leisteten heimlich wirksame Dienste. Auch unsere Feinde waren für unsere Entlassung aus dem Gefängnis, da sich die Mitgefangenen durch die Lichtabhandlungen unerwartet bekehrt hatten. Wie in der Geschichte von den Heiligen Sieben Schläfern (Ashab-i Kehf), wurde das Gefängnis, anstelle eines Hauses des Leidens für die Nur-Schüler zu einer Höhle der Heiligen Sieben Schläfer und zu den Höhlen der Asketen früherer Zeiten. Sie arbeiteten mit Herzensruhe für die handschriftliche Vervielfältigungen und deren Verbreitung. Das bewies, dass uns die Gnade des Herrn zu Hilfe eilte.

 

Außerdem ist meinem Herzen eingefallen, dass die großen Qur’anexegeten, wie Imam ‘Adham, in den Gefängnissen litten. Dem großen Mudjahid (Kämpfer) wie Imam Ahmed ibn Hanbel wurden wegen einer einzigen Frage bezüglich des Qur’an im Gefängnis (von den Mutesiliten) sehr viele Qualen zugefügt. Er beklagte sich nicht und hielt sich in vollkommener Geduld und Standhaftigkeit bezüglich dieser Fragen (nach dem Qur´an) nicht schweigend zurück. Sehr viele Imame und Gelehrte, die sehr viel mehr als ihr unter Qualen leiden mussten, dankten in vollkommener Geduld und ließen sich nicht erschüttern. Auf alle Fälle ist es eure Pflicht, für sehr wenig Anstrengung um der vielen Erkenntnisse der Wahrheit im Qur’an willen, wofür ihr sehr großen Segen und Gewinn bekommt, tausendfach zu danken. Hier möchte ich ein Beispiel für die Offenbarung der Gnade des Herrn trotz der Ungerechtigkeiten des Menschen kurz erklären.

 

Als ich zwanzig Jahre alt war, sagte ich immer: »Wie die Leute, die sich in früheren Zeiten in die Höhlen zurückzogen und der Welt entsagten, will auch ich mich am Ende meines Lebens in eine Höhle auf einem Berg zurückziehen und das gesellschaftliche Leben der Menschen aufgeben.«

 

Außerdem hatte ich in meiner Gefangenschaft im Nordosten im Ersten Weltkrieg beschlossen: »Ich will von jetzt an mein Leben in Höhlen verbringen. Aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben werde ich mich heraus halten. Ich habe mich bis jetzt genug damit beschäftigt.« Als ich dies sagte, erschienen mir die Gnade des Herrn und die Gerechtigkeit der Bestimmung (qader). Als eine Barmherzigkeit in meinem Alter verwandelten sich diese Höhlen aus meiner Vorstellung in Gefängnisse, in Häuser unter polizeilicher Aufsicht, in völlige Isolation, in Einsamkeit und Zurückgezogenheit, was eine viel bessere Ausgestaltung meines Entschlusses und Wunsches war. Sie gaben uns die Schule Josefs, die die Höhlen der Asketen und Eremiten auf den Bergen übertraf, und Einzelzellen, damit wir unsere Zeit nicht verschwenden. Sie gaben uns sowohl den jenseitigen Gewinn eines Einsiedlerlebens in Höhlen, als auch den kämpferischen Geist für den Dienst an der Erkenntnis der Wahrheit von Glaube und Qur’an. Ich hatte mich sogar fest entschlossen, nach dem Freispruch meiner Kameraden ein Geständnis zu erfinden, um weiter im Gefängnis bleiben zu können. Die Unverheirateten, wie Husrew und Feyzi, sollten bei mir bleiben. Ich wollte durch einen Scheingrund in Einzelhaft bleiben, um nicht mit den Menschen zu sprechen und meine Zeit nicht mit nutzlosen Unterhaltungen, dem Austausch von Höflichkeiten und mit Selbstdarstellungen zu verbringen. Aber die Bestimmung Gottes und unser Schicksal brachten uns in eine andere Haftanstalt. Nach dem Geheimnis von

 

»Was Gott tut, das ist wohlgetan.« »Aber vielleicht ist euch etwas zuwider, während es gut für euch ist.« (Sure 2, 216)

 

wurde uns als Barmherzigkeit in meinem Alter ein Auftrag in dieser dritten Schule Josephs gegeben, um im Dienst am Glauben noch aktiver arbeiten zu können, was nicht in unserer Entscheidung und außerhalb unserer Macht lag.

 

Darin, dass mir die Gnade Gottes, als Barmherzigkeit in meinem Alter, die Höhlen, die für meine Jugend geeignet gewesen wären, in der ich noch stark war und keine Feinde hatte, in Einzelhaft im Gefängnis umgewandelt hat, liegen drei Weisheiten und drei bedeutende Vorteile für den Dienst an den Lichterabhandlungen (Nurlar):

 

Erste Weisheit und der erste Vorteil: In heutiger Zeit können Versammlungen gefahrlos für die Nur-Schüler nur in den Schulen Josefs stattfinden. Außerhalb Treffen zu organisieren, ist teuer und verdächtig. Manche hatten sogar vierzig Lira ausgegeben, um kommen und mit mir sprechen zu können. Sie trafen sich entweder mit mir nur für zwanzig Minuten, oder sie gingen wieder zurück, ohne mich gesehen zu haben. Um einigen meiner Brüder persönlich begegnen zu können, nehme ich die Mühsal des Gefängnisses gerne an. Das heißt, unsere Inhaftierung ist für uns ein Geschenk, ist ein Segen.

 

Zweite Weisheit und der zweite Vorteil: In heutiger Zeit kann der Glaubensdienst durch die Lichtabhandlungen nur dadurch geschehen, dass sie überall bekannt gemacht und die Aufmerksamkeit derer, die ihrer bedürfen, auf sie gelenkt wird. Unsere Inhaftierung lenkt also die Aufmerksamkeit auf die Lichtabhandlungen und wirkt wie eine Bekanntmachung. So finden sie selbst noch die verbohrtesten und die bedürftigsten und retten ihren Glauben. Deren Hartnäckigkeit wird gebrochen und sie retten sich so vor der Gefahr (verloren zu gehen). So breitet sich die Schule der Lichterabhandlungen weiter aus.

 

Dritte Weisheit und der dritte Vorteil: Die Nur-Schüler, die ins Gefängnis gebracht wurden, bekommen bezüglich ihrer Haltung, ihrer Moral, Wahrhaftigkeit, Opferwilligkeit voneinander Unterricht und suchen keine weltlichen Vorteile mehr im Dienst an den Lichtabhandlungen.

 

Da sie anhand vieler Zeichen erkannt und sogar mit ihren eigenen Augen in jeder Mühsal und Anstrengung in der Schule Josefs zehn-, sogar hundertfach mehr weltliche und jenseitige Vorteile und gute Ergebnisse erfahren und dabei erfolgreiche, reine Dienste am Glauben verrichtet haben, werden sie vollständig wahrhaftig und lassen sich nicht mehr wegen kleinlicher, persönlicher Vorteile erniedrigen.

 

Diese Häuser des Leidens (Gefängnisse) haben, besonders für mich, eine hintergründige Bedeutung, und die Umstände dort sind für mich zwar traurig aber keineswegs unerwünscht. Dies ist wie folgt zu verstehen:

 

Ich sehe wieder dieselben Umstände wie ich sie schon in meiner Jugend in meiner Heimat in den früheren Medressen gesehen hatte. Denn: In den Ostprovinzen kam die Versorgung der Schüler mancher Medressen von außerhalb, während in anderen selbst gekocht wurde. In noch vieler Hinsicht glichen sie diesem Haus des Leidens (Gefängnis). Wenn ich (die Umstände) hier mit einem beinahe angenehmen Bedauern betrachte, gehe ich in meiner Vorstellung in jene frühere, angenehmere Zeit meiner Jugend zurück und vergesse die Umstände meines Alters.

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