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Zweiundzwanzigster Blitz - Über den Umgang mit Weltleuten

 

 

»Im Namen des Hochgelobten.«

 

Dem gerechten Bürgermeister von Isparta, der Justiz und der Polizeibehörde, sowie meinen persönlichsten, innigsten und aufrichtigsten Brüdern gewidmet, biete ich diese kleine so persönliche Abhandlung an, die ich vor zweiundzwanzig Jahren geschrieben habe, als ich mich in Barla, Kreis Isparta, befand, weil sie in Beziehung zu Volk und Regierung steht. Falls es für geeignet erscheinen sollte, mögen einige Exemplare davon mit den neuen oder auch mit den alten Buchstaben getippt werden, damit auch diejenigen, die seit fünfundzwanzig, dreißig Jahren noch nach meinen Geheimnissen suchen und darin forschen, begreifen: Wir haben gar keine versteckten Geheimnisse. Und unser verborgenstes Geheimnis, das ist diese Abhandlung. Sie sollen sie kennenlernen!

Said Nursi

 

Drei Hinweise

 

Obwohl diese Abhandlung die Dritte Streitfrage der Siebzehnten Anmerkung innerhalb des Siebzehnten Blitzes wäre, wurde sie wegen ihrer Dringlichkeit und des Umfangs ihrer Fragen und wegen ihrer glänzenden und ausdrucksstarken Antworten als Zweiundzwanzigster Blitz des Einunddreißigsten Briefes in die Sammlung der Blitze eingereiht. Man muss also dieser Abhandlung in diesem Band einen Platz einräumen. Von privatem Charakter ist sie meinen innigsten, aufrichtigsten und treuesten Brüdern zugeeignet.

 

 

»Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen. Denn wer auf Allah vertraut, dem ist Er sein Genügen. Wahrlich, was Allah sich vorgenommen hat, das erreicht Er; und schon hat Er allen Dingen Seine Bestimmung auferlegt.« (Sure 65, 3)

Diese Streitfrage besteht aus drei Hinweisen.

 

Erster Hinweis: Eine wichtige Frage, die mich persönlich und auch die Risale-i Nur betrifft.

 

Es wird von vielen Seiten gesagt: Warum mischen sich die Weltleute bei jeder Gelegenheit in deine religiösen Angelegenheiten ein, obwohl doch du dich niemals in weltliche Angelegenheiten einmischt? Mischt sich denn irgendein Gesetz irgendeiner Regierung in das Leben derer, die sich aus der Welt zurückgezogen haben und als Einsiedler leben wollen?

 

Antwort: Der Neue Said beantwortet diese Frage mit Schweigen. Der Neue Said sagt: »Diese Antwort möge die Vorausschau Gottes geben.« Gleichzeitig aber spricht zwangsläufig der Verstand des Alten Said, den er sich vorübergehend geliehen hat:

Wer auf diese Frage eine Antwort geben sollte, ist die Regierung von Isparta, sind die Einwohner dieser Stadt. Denn Volk und Regierung dieser Stadt sind von dem, was diese Frage beinhaltet, weit stärker betroffen als ich. Denn warum sollte ich, da nun einmal die Regierung, die aus Tausenden von Personen besteht und ihr Volk, das aus Hunderttausenden von Personen besteht und dazu verpflichtet ist, sich um mich zu kümmern und mich zu verteidigen, unnötigerweise mit meinen Anklägern konferieren und mich selbst verteidigen? Denn seit neun Jahren lebe ich in dieser Stadt und allmählich kehre ich ihren weltlichen Angelegenheiten immer mehr den Rücken zu. Keiner meiner Lebensumstände ist zugedeckt und keiner meiner Seelenzustände noch bekleidet geblieben. Jede auch noch so private und zur Veröffentlichung am wenigsten geeignete Abhandlung ist in die Hände der Regierung und mancher Abgeordneten geraten. Als ob ich durch mein Verhalten die Weltleute in Angst und Schrecken versetzt, mich in ihre Regierungsangelegenheiten eingemischt, dergleichen vorbereitet oder auch nur beabsichtigt hätte, hat die Regierung dieser Stadt und der Kreis mich neun Jahre lang beobachten lassen und hinter mir her spioniert, und das, obwohl ich zu denen, die zu mir gekommen sind selbst noch über meine Privatangelegenheiten offen gesprochen habe. Doch die Regierung hat sich mir gegenüber schweigend verhalten und sich nicht weiter mit mir befasst. Hätte ich das Glück von Volk und Vaterland zerstört, ihm für die Zukunft irgendeinen Schaden zugefügt und mich auf diese Weise schuldig gemacht, dann sind alle, angefangen vom obersten Gouverneur bis hin zum letzten Polizeikommandanten eines Dorfes seit neun Jahren dafür verantwortlich. Nun müssten sie sich von ihrer Verantwortung wieder rein zu waschen mich verteidigen und denen, die bisher versucht hatten, Kuppeln aus Seifenschaum zu errichten, erklären, dass eine Kuppel eine Seifenblase sei. Ist dem aber so, dann überlasse ich ihnen die Antwort auf diese Frage.

Nun aber ist das Volk dieser Stadt in seiner Gesamtheit mehr als ich dazu verpflichtet, mich zu verteidigen, und zwar deshalb, weil wir seit neun Jahren mit Hunderten von Abhandlungen, die einen spürbaren Eindruck hinterlassen haben, aber auch mit der Tat für das ewige Leben in jener, die Stärkung des Glaubens und ein glückliches Leben in dieser Welt für das Volk, das uns ein gesegnetes ist von Gott, Bruder und Freund gearbeitet haben. Es ist niemandem auf Grund dieser Abhandlungen Wirrwarr oder Schaden erwachsen, und dass auf staatlicher oder gemeindlicher Ebene irgendwelche Eigensüchteleien zum Vorschein gekommen wären. Allah sei Dank dafür, dass die Stadt Isparta den segensreichen Status des alten Heiligen Damaskus erworben hat und durch die Risale-i Nur den segensreichen Status, hinsichtlich seiner Kraft überzeugten Glaubens und seiner Festigkeit im Glaubensleben, und den segensreichen Status also von der Art der El-As-har-Universität in Ägypten. Ihre Räume dienen dem Gebet und dem Unterricht in religiösen wie weltlichen Fächern. Sie ist eine theologische Hochschule für die gesamte islamische Welt. Durch die Risale-i Nur wurde es erreicht, dass in dieser Stadt die Stärke des Glaubens und die Begeisterung für die religiösen Verpflichtungen die allgemeine Gleichgültigkeit überwinden halfen. Dadurch ist sie im Vergleich mit allen anderen Städten zu einer hohen religiösen Haltung erstarkt. Deshalb müssen alle Menschen in dieser Stadt, selbst dann, wenn sie glaubenslos sein sollten, mich und die Risale-i Nur verteidigen. Da meine Verteidigung für sie eine sehr bedeutsame Verpflichtung darstellt, für meine Wenigkeit die Aufgabe beendet ist und – Dank sei Allah – Tausende von Schülern an meiner Statt gearbeitet haben und noch heute arbeiten, sehe ich keine Veranlassung mehr dazu gegeben, mein so winzig kleines Recht zu verteidigen. Ein Mann, der so viele tausend Anwälte hat, braucht sich nicht mehr selbst zu verteidigen.

 

Zweiter Hinweis: Antwort auf eine kritische Frage.

 

Von Seiten der Weltleute wird gesagt: Warum spielst du den Beleidigten? Nicht ein einziges Mal bist du bei uns vorstellig geworden; geschwiegen hast du! Du beschwerst dich lautstark über uns und sagst: »Ihr schikaniert mich.« Aber bei uns gibt es ein Prinzip, eine eigene Devise als Erfordernis unserer Zeit. Deren Praktizierung aber akzeptierst du nicht für dich. Wer die Gesetze anwendet, kann ungesetzlich nicht handeln; wer sie aber nicht akzeptiert, ist ein Revolutionär. Um es kurz zu machen; in diesem Zeitalter der Befreiung, der Epoche des Republikanismus, die gerade erst begonnen hat, spielst du manchmal den Hodscha und manchmal den Einsiedelmann, um die allgemeine Aufmerksamkeit auf dich zu ziehen und bemühst dich darum, dir außerhalb der Einflusssphäre der Regierung Macht und eine soziale Stellung zu verschaffen, obwohl es doch ein Grundgesetz unserer Regierung geworden ist, zu Gunsten des Gleichheitsprinzips mit der bisherigen Vor- und Gewaltherrschaft, der Unterdrückung auf Grund von Privilegien zu brechen, was du ja schon in deinem ganzen äußeren Gehabe zum Ausdruck bringst und was auch dein bisheriger Lebenslauf beweist. Dieses dein Verhalten mag man, um einen modernen Ausdruck zu gebrauchen, in der Unterdrückung und unter der Despotie der Bourgeoisie gutheißen, aber bei uns haben sich nach der Aufklärung und dem Sieg der Klasse der Proletarier die Grundsätze des endgültigen Sozialismus Bolschewismus ganz klar gezeigt, was unserer Arbeit sehr gut zustatten kommt und weshalb wir auch diese Prinzipien des Sozialismus akzeptiert haben. Deshalb kommt uns deine Haltung schwer an, läuft unseren Prinzipien zuwider. Deswegen hast du kein Recht, dich wegen der zusätzlichen Auflagen bei uns zu beschweren und auch noch den Beleidigten zu spielen!?

 

Antwort: Wer im gesellschaftlichen Leben der Menschheit einen neuen Weg einschlagen will, kann nichts Gutes zu Stande bringen, keinen Fortschritt erzielen und keinen Erfolg haben, wenn er sich hier in dieser Welt nicht im Einklang mit den Naturgesetzen befindet. Was er tut, erweist sich als destruktiv und alle seine Handlungen werden ihm als Bosheit angerechnet. In Anbetracht dieser Tatsache erweist es sich als notwendig, den Naturgesetzen zu folgen. Doch dem Gesetz der völligen Gleichheit kann man erst dann folgen, wenn man die Natur des Menschen ändert und die der Erschaffung des Menschengeschlechtes zugrunde liegende Weisheit abschafft. Ich selbst bin wahrhaftig von Hause aus und meiner Lebensweise nach ein Proletarier und gehöre meinem Wesen und Denken entsprechend zu denen, die das Prinzip der »Gleichheit aller vor dem Gesetz« akzeptieren. Auf Grund meines Mitempfindens und meines islamischen Glaubens opponiere ich seit eh und jäh mit einem tiefen Sinn für Gerechtigkeit gegen die Unterdrückung durch die privilegierte Klasse der Oberschicht, welche man die Bourgeoisie nennt. Deshalb bin ich auch mit meiner ganzen Kraft für absolute Gerechtigkeit und gegen die Unterdrückung und Ausbeutung, gegen Ungerechtigkeit und Despotie.

Aber das Wesen des Menschen und die tiefe Wahrheit und Weisheit, die ihr zugrunde liegt, ist dem Gesetz von der absoluten Gleichheit entgegengesetzt. Denn so wie der allweise Schöpfer, um uns Seine Allmacht und Weisheit in ihrer Vollendung zu zeigen, aus wenigen Dingen eine große Ernte hervorbringt, auf eine einzige Seite viele Bücher schreiben lässt und durch ein einziges Ding viele Aufgaben erfüllen lässt, so lässt Er auch durch das Menschengeschlecht die Aufgaben von tausenderlei verschiedenen Arten (der Schöpfung) wahrnehmen.

Dies aber ist nun das gewaltige Geheimnis, dass Gott der Gerechte das Menschengeschlecht in seinem Wesen so erschaffen hat, dass es sich in Tausenden von Arten entfaltet und sich auf Tausenden Stufen gleich ebenso vielen voneinander verschiedenen Tiergattungen zeigt. Doch ist der Mensch nicht einem Tier gleich, in seinen äußeren und inneren Fähigkeiten und Empfindungen begrenzt. Gott hat ihm die Freiheit geschenkt und ihm die Fähigkeit verliehen, auf unendlichen Stufen zu schreiten. Obwohl die Menschen in ihrer Gesamtheit nur eine einzige menschliche Gattung bilden, kommen sie dennoch in ihrer Bedeutung Tausenden von Gattungen gleich, weshalb der Mensch auch die Bedeutung eines Stellvertreters Gottes auf Erden, der Frucht der Schöpfung und eines Königs über alles Lebendige erhalten hat.

Nun aber finden der Wettbewerb und alle menschlichen Qualitäten, die aus dem wahrhaftigen Glauben entstehen, ihre Ursache in der Mannigfaltigkeit der Arten, welche die so überaus notwendige Hefe zu dessen Entfaltung und das Antriebsaggregat zu dessen Fortentwicklung bilden. Diese menschlichen Qualitäten zu streichen oder auch nur zu nivellieren ist nur dann möglich, wenn man den Menschen in seinem Wesen verändert, seinen Verstand auslöscht, seine Seele zerstört und seinen Geist tötet. Nachfolgend dazu ein absolut zutreffendes Wort *, würdig, dieser Unserer Zeit, die unter dem Deckmantel, eine freiheitlich demokratische Republik begründen zu wollen, eine furchtbare Schreckensherrschaft aufgerichtet hat, in ihr unmenschliches Antlitz zu schlagen, ein Wort, das jedoch fälschlicherweise einer hervorragenden Persönlichkeit, die diesen Schlag nicht verdient hätte, ins Gesicht geschleudert wurde:

 

Wie wäre es denn möglich durch Ungerechtigkeit und Despotie dem Volk zu nehmen sein Recht auf Freiheit und Demokratie!

Versuche doch, ob du kannst in der Menschheit auslöschen den Sinn und ihre Sehnsucht nach der Freiheit!

 

Doch an Stelle dieses Ausspruchs will ich dieser unserer Zeit ins Gesicht schleudern:

 

Wie wäre es denn möglich durch die Ungerechtigkeit und Unterdrückung dem Volk die Freiheit der Wahrhaftigkeit zu rauben und sein Recht?

Versuche doch, ob du der Menschheit töten kannst das Herz und ihren Sinn für die Wahrhaftigkeit!

 

oder:

 

Wie wäre es denn möglich durch Ungerechtigkeit und Unterdrückung einer Seele alle ihre Vorzüge zu stehlen und ihre Verdienste?

Versuche doch, ob du machen kannst zu gewissenlosen Seelen die Menschheit und vernichten alle ihre Werte!

 

Tatsächlich sind diejenigen Werte, die aus dem Glauben hervorgehen keine Quelle der Bevormundung und können auch kein Grund zur Unterdrückung sein. Bevormundung und Gewaltherrschaft auszuüben ist Charakterlosigkeit. So ist denn der bedeutendste Wesenszug eines Mannes von Charakter der, in all seiner Armut, Schwäche und Bescheidenheit teilzuhaben am menschlichen Gemeinschaftsleben. Gott sei Dank hat mein Leben stets diesen Charakterzug getragen und wird auch weiter durch ihn geprägt sein. Ich will mich nicht rühmen zu behaupten, besondere Vorzüge zu besitzen, doch in der Absicht, mit den Worten der Sure: »Verkündige die Gnade deines Herrn« (Sure 93, 11) zu danken, darf ich sagen, dass Gott der Gerechte aus der Fülle Seiner Freigiebigkeit mir den Vorzug geschenkt hat, mich für mich selbst und für andere um das Verständnis von Glaube und Qur’an zu bemühen. Diese Gnade Gottes habe ich Gott sei Dank in meinem ganzen Leben unter Gottes Führung um der islamischen Nation willen und zu deren Glück verwendet; und so wie Unterdrückung und Bevormundung für mich niemals in Frage kamen, so habe ich auch, worauf die Gunst der Massen gerichtet ist und was bei den Leuten als besonders populär gilt und wonach die meisten Gottvergessenen verlangen, auf Grund einer tiefen, entscheidenden Wahrheit verabscheut. Zwanzig Jahre meines früheren Lebens haben die Gunst der Massen und der Applaus des Volkes unerfüllt gelassen, weshalb ich sie für mich als schädlich ansehe. Doch nehme ich dies als ein Zeichen dafür, dass die Risale-i Nur bei ihnen gut angekommen ist und will sie deshalb nicht vor den Kopf stoßen.

Nun also ihr Weltleute! Niemals habe ich mich in eure weltlichen Angelegenheiten eingemischt und niemals in irgendeiner Weise gegen eure Grundsätze verstoßen. Neun Jahre Leben in der Gefangenschaft sind Zeugnis dafür, dass ich gar nicht die Absicht und auch nicht den Wunsch danach habe. Als sei ich ein ehemaliger Diktator, der ständig auf eine Gelegenheit wartet und nur mit dem Gedanken an Unterdrückung und Diktatur umgeht, spioniert ihr ständig hinter mir her und schikaniert mich; doch nach welchem Gesetz? Und in welcher Angelegenheit? Kein Staat der Welt dürfte sich eine solche über jedes Maß und Gesetz hinausgehende Handlungsweise erlauben, wie sie ganz offensichtlich auch nicht ein Einziger billigen würde. In einer derart üblen Weise gegen mich vorzugehen, bedeutet nicht nur für mich eine Kränkung, nein, die ganze Menschheit würde euch grollen, wüsste sie davon, ja vielleicht grollt euch die ganze Schöpfung deshalb!

 

Dritter Hinweis: Eine spitzfindige Wahnsinnsfrage.

 

Ein Teil der Regierungsmitglieder sagt: Da du nun einmal hier in diesem Lande lebst, musst du dich auch an die staatlichen Gesetze der Regierung dieses Landes halten. Warum versteckst du dich hinter deinem Einsiedlerleben und versuchst so, dich vor unseren Gesetzen zu drücken? Kurzum: Hinsichtlich unserer heutigen Staatsgesetze verstößt es gegen die Grundlagen unserer Republik, die auf dem Prinzip der Gleichheit basieren, wenn du, den wir doch gar nicht beauftragt haben, dir eine Vorrangstellung anmaßt und den Überlegenen spielst, indem du deinen Einfluss auf einen Teil des Volkes ausübst und es unterdrückst. Warum lässt du dir die Hand küssen, obwohl du doch gar kein entsprechendes Amt inne hast? »Auf mich sollen die Leute hören!«, sagst du und maßt dir in deiner Selbstgefälligkeit ein Amt an?

 

Antwort: Wer ein Gesetz anwenden will, sollte es zuerst bei sich selbst anwenden, danach mag er es bei den anderen anwenden. Ihr wendet einen Grundsatz, den ihr bei euch selbst nicht anwendet, bei anderen an und hebt so diesen Grundsatz vor allen anderen zuerst bei euch selbst auf, brecht euer Gesetz, verstoßt gegen es. Denn auf mich wollt ihr ja dieses Gesetz von der absoluten Gleichheit anwenden. Doch ich sage euch:

Würde ein einfacher Soldat in der Gesellschaft den gleichen Rang einnehmen wie ein Marschall und würde ihn das Volk mit der gleichen Hochachtung aufnehmen, die es einem Marschall erweist und er das gleiche Entgegenkommen und die gleiche Hochachtung genießen wie jener, oder würde jener Marschall, als begäbe er sich auf die Stufe eines einfachen Soldaten hinab, in seiner äußerlichen Erscheinung das Aussehen dieses einfachen Soldaten annehmen und würde jener Marschall über seine eigentliche Aufgabe hinaus keine persönliche Bedeutung mehr zukommen, ja würde man selbst einen Chef des Stabes, welcher als der Klügste von allen eine Armee zum Sieg geführt hatte, im allgemeinen Interesse, in der Hochachtung, die man ihm entgegenbringt und in der Verehrung, die er genießt, einem einfältigen Soldaten gleich behandeln, dann könntet ihr auch zu mir – eurem Gleichheitsgesetz entsprechend – sagen: »Nenne dich nicht einen Hodscha! Billige es nicht, dass man dir Ehre erweist! Stelle deinen eigenen Wert in Abrede! Mache aus dir einen Bediensteten deines Dieners! Werde Kollege unter den Bettlern!«

 

Wollt ihr also zu mir sagen: Diese Ehre, dieser Rang, dieses Ansehen ist auf die Arbeitszeit beschränkt und gebührt nur unseren Funktionären. Du bist ein Mann ohne Funktion. Du darfst nicht unseren Funktionären gleich es billigen, dass das Volk dir Ehre erweist!?

 

Antwort: Bestünde ein Mensch nur aus seinem Körper... und bliebe der Mensch für immer als ein Unsterblicher in dieser Welt... und schlössen sich des Grabes Pforten... und tötete man den Tod... und bliebe dann der Dienst nur auf die militärische und auf die zivile Beamtenschaft beschränkt... Dann enthielten eure Worte noch einen Sinn. Da aber ein Mensch nun einmal nicht nur aus seinem Körper besteht, trennt man nicht, um den Körper zu ernähren, Herz (= Gemüt), Zunge (= Sprache), Verstand und Gehirn (= Bewusstsein) von ihm ab und gibt es ihm zu essen. Man zerstört diese Organe nicht. Sie sind im leib-seelischen Stoffwechsel mit inbegriffen.

Da sich aber nun einmal die Pforten des Grabes nicht schließen werden und da nun einmal die Sorge um die Zukunft auf der anderen Seite des Grabes die wichtigste Frage jedes Einzelnen ist, sind die Aufgaben, die es mit sich bringen, dass das Volk Gehorsam leistet und Ehrerbietung erweist, sicherlich nicht auf den sozialen, politischen und militärischen Aufgabenbereich, also nur das rein irdische Leben des Volkes, beschränkt. Wie es also in der Tat eine Aufgabe ist, den Reisenden auf ihrem Weg einen Pass mitzugeben, so ist es auch eine Aufgabe, den Reisenden in die Ewigkeit sowohl einen Pass als auch ein Licht auf den dunklen Weg mitzugeben, eine Aufgabe, wie es keine wichtigere Aufgabe gibt, als diese.

Diese Aufgabe zu verkennen, hieße den Tod leugnen und das Zeugnis der dreißigtausend Zeugen, die täglich mit dem Siegel ihres Leichnams die Verkündigung

 

 

»Tod ist Wahrheit«

unterzeichnen, zu verleugnen und zu verkennen. Es gibt also einen inneren Aufgabenbereich zur Erfüllung innerer Grundbedürfnisse. In diesen Aufgabenbereich hinein gehört als wichtigstes der Glaube, der Unterricht im Glauben und die Stärkung im Glauben als ein Pass für die Reiseroute in die Ewigkeit, als die Taschenlampe des Herzens im Dunkeln der Zwischenwelt und Schlüssel der Ewigen Glückseligkeit. Bestimmt werden Wissende in der Wahrnehmung dieser Aufgabe in gar keinem Fall undankbar gegenüber den ihnen verliehenen Gnadengaben Gottes Geschenke und den Wert des Glaubens für nichts erachten und auf die Stufe des Lasters und der Sünde hinunterfallen. Sie werden sich nicht mit sittenwidrigen Neuerungen und Lastern von Menschen niedriger Gesinnung besudeln!... Deswegen also dieses Einsiedlerleben, das euch nicht gefällt und das ihr für eine Ungleichheit haltet!

Deshalb und auf Grund dieser Wahrheit rede ich nicht mit Hochmütigen wie ihr, die mich gleich euch mit Schikanen einschüchtern wollen und deren Ichsucht mit dem Bruch des Gleichheitsgesetzes ein geradezu pharaonisches Ausmaß angenommen hat. Denn Hochmütigen gegenüber darf man nicht bescheiden auftreten, weil solcher Art Bescheidenheit als Würdelosigkeit ausgelegt würde. Vielmehr sage ich den gemäßigten, bescheidenen und gerechten unter ihnen: »Gott sei Dank kenne ich meine eigenen Fehler und Schwächen.« Ich bin nicht so stolz, eine Ehrenstellung unter den Muslimen zu verlangen, sondern sehe alle Zeit meine grenzenlosen Fehler und meine Nichtigkeit, finde Trost, wenn ich um Vergebung bete und erwarte von den Leuten nicht Verehrung sondern ihr Gebet. Im übrigen glaube ich, dass alle meine Kollegen den Weg, den ich eingeschlagen habe, bereits kennen. Es ist dabei jedoch folgendes zu beachten: Wenn ich der tiefen Wahrheit des Weisen Qur’an diene und während ich die Glaubenswahrheiten unterrichte, nehme ich um der Wahrheit und der Ehre des Qur’an willen vorübergehend jenes ehrwürdige Verhalten an, wie es während der Unterrichtsstunden notwendig ist, um den Ernst und die Würde der Wissenschaft zu bewahren, meinen Nacken nicht zu beugen vor denen, die in die Irre gehen. Ich meine, dass es den Weltleuten nicht zusteht, Gesetze zu erlassen, die in diesem Punkt das Gegenteil bewirken sollen!

Eine Staunen erregende Handlungsweise: Es ist bekannt, dass überall auf der Erde der Wissenschaftler sein Urteil vom Standpunkt der Erkenntnis und der Wissenschaft aus abgibt. Wo und bei wem auch immer er Erkenntnis und Wissenschaft bemerkt, nährt er ihm gegenüber auf Grund der gemeinsamen Berufung ein Gefühl der Freundschaft und kommt ihm mit Ehrerbietung entgegen. Ja selbst dann, wenn sich zwei Staaten im Spannungskriegszustand miteinander befinden, wird ein Professor des einen Landes bei einem Besuch in dem anderen Lande von den dortigen Wissenschaftlern um des Ansehens der Wissenschaft und der Erkenntnis willen mit allen Ehren willkommen geheißen werden.

Dennoch war es gerade ein Teil der Angehörigen des Erziehungsministeriums und auch ein kleiner Teil der offiziellen Hodschas, der einen Wissenschaftler schikaniert, Feindseligkeiten gegen ihn genährt und ihn geradezu gekränkt hat; einen Angehörigen des selben Vaterlandes und des gleichen Glaubens, sowohl Freund als auch Bruder; einen Wissenschaftler, der, als England durch sein oberstes Konsistorium der Wissenschaften an das Amt des Scheichu-l’Islam sechs Fragen richtete, auf die es vom Scheichu-l’Islam eine Antwort in sechshundert Worten erwartete, in sechs Worten eine Antwort verfasste, die ihre volle Anerkennung fand, obwohl das Erziehungsministerium ihm diese Anerkennung schuldig blieb; einem Wissenschaftler, der den wichtigsten und grundlegendsten Prinzipien der fremden Philosophen wahre Wissenschaft und Erkenntnis entgegenzusetzen und sie dadurch zu überwinden vermochte; einem Wissenschaftler, der, gestützt auf die Kraft der Erkenntnis und der Wissenschaft, die er aus dem Qur’an empfangen hatte *, die Philosophen Europas herauszufordern vermochte; einen Wissenschaftler, der sechs Monate vor der Zeit der Konstitutionellen Monarchie (1908-18) in Istanbul sowohl die Gelehrten als auch die Studenten zu einem Disput eingeladen und dabei alle Fragen fehlerfrei richtig beantwortet hatte, ohne selbst eine Frage zu stellen; einem Wissenschaftler, der sein ganzes Leben dem Glück des Volkes gewidmet hatte; einem Wissenschaftler, der in Hunderten von Abhandlungen, die er in türkischer Sprache, der Sprache des Volkes, veröffentlicht hatte, das Volk unterrichtet und ihm Klarheit geschenkt hatte. Was soll man nun in Anbetracht eines solchen Zustandes noch dazu sagen! Soll man so etwas »Zivilisation« nennen? Ist das Begeisterung für die Wissenschaft? Ist das Begeisterung für das Vaterland? Ist das Begeisterung für das Volk? Ist das Begeisterung für die Republik? Nein, keineswegs! Ganz und gar nicht! Das ist überhaupt nichts. Vielmehr ist es göttliche Fügung. Die göttliche Fügung hat sich diesem Wissenschaftler gegenüber feindselig gezeigt, wo er auf Freundschaft gehofft hatte, damit sich sein Wissen nicht angesichts der Verehrung in Heuchelei verkehre und damit er die Wahrhaftigkeit erlange...

 

 

 

Nachwort

 

Eine Kritik, die nach meiner Meinung sowohl erstaunlich als auch eine Quelle der Dankbarkeit ist:

 

Die außergewöhnliche Selbstgefälligkeit der Weltleute bewirkt, dass diese, sobald es um Selbstgefälligkeit geht, eine derartige Empfindsamkeit entwickeln, dass man ihr den Grad eines Wunders beimessen müsste, wenn sie ihnen bewusst wäre, oder aber, man müsste dieser Verhaltensweise den Grad der Genialität verleihen. Es handelt sich bei dieser Verhaltensweise um folgendes:

Sie empfinden jede, ein bisschen scheinheilige Selbstgefälligkeit in meiner Haltung, auch wenn meine Seele und mein Verstand sie nicht wahrnehmen, mit der Empfindlichkeit der Waage ihrer eigenen Selbstgefälligkeit und widersetzen sich dieser meiner, von mir selbst nicht empfundenen Selbstgefälligkeit auf das heftigste. In acht, neun Jahren habe ich acht-, neunmal die Erfahrung gemacht, dass ich über die Vorausschau Gottes nachgedacht habe, wenn wieder einmal eine Schikane gegen mich vorgekommen, sie sich mir gegenüber ungerecht verhalten hatten und ich mich fragte: »Warum hat mich diese Heimsuchung Gottes in der Gestalt dieser Menschen betroffen?« So begann ich wieder die Listen und Ränke meiner Seele zu untersuchen.

Da verstand ich, dass entweder meine Seele sich ihrem Wesen entsprechend mir selbst unbewusst der Selbstgefälligkeit zugeneigt, oder aber mich bewusst in die Irre geführt hatte.

So sagte ich mir, dass die Vorausschau Gottes bei aller Ungerechtigkeit der Rechtlosen mir gegenüber gerecht gehandelt hatte. Zum Beispiel: In diesem Sommer hatten mich meine Freunde auf ein schönes Pferd gesetzt. Ich habe einen Spazierritt unternommen. Ohne mir dessen bewusst zu werden erwachte in meiner Seele ein so stolzes Wohlgefühl, dass die Weltleute dermaßen heftig auf meine Laune reagierten, dass sie mir nicht nur meinen heimlichen Wunsch verleideten, sondern auch auf viele andere Dinge den Appetit verdarben. Es gibt sogar noch ein Beispiel: Es war diesmal nach dem Monat Ramadan, dass meine Seele – ohne dass ich es bemerkte – nachdem ein Imam, der zu seiner Zeit ein sehr großer und heiliger Mann gewesen war, weil er die Gabe der Vorausschau besaß, uns seine Aufmerksamkeit zugewandt hatte, meine Brüder rechtschaffen und aufrichtig waren, meine Gäste eine hohe Meinung von mir hatten und mir ihre Ehrerbietung bezeigten, heuchlerisch so tat, als ob sie dankbar sein wolle und so gerne eine Haltung der Selbstgefälligkeit angenommen hätte. Da spürten diese Weltleute plötzlich in ihrer grenzenlosen Empfindlichkeit selbst noch das letzte Stäubchen meiner Heuchelei auf und fingen plötzlich an, mich zu belästigen. Ich sage Gott dem Gerechten Dank dafür, dass ihre Ungerechtigkeit mir zu einem Fahrzeug zur Wahrhaftigkeit geworden ist.

 

 

»Oh Herr! Ich nehme meine Zuflucht zu Dir vor den Nachstellungen und Bosheiten der Teufel. Ja zu Dir, oh mein Herr nehme ich meine Zuflucht, wenn sie sich mir nahen. Oh Allah! Oh Du mein Beschützer, bester unter allen, die mich behüten! Behüte mich und bewahre die Herausgeber dieser Abhandlungen und ihre Gefährtinnen vor der Bosheit der Dschinnen und Menschen und vor der Bosheit der Leute des Irrweges, der Vertreter sittenloser Neuerungen, der Leute, die sich auflehnen (gegen Deine Weisungen)! Lob und Preis sei Dir! Nichts wissen wir, außer dem, was Du uns gelehrt hast. Denn wahrlich, Du bist der Allwissende und Allweise.«

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