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Die Islamwissenschaftlerin Angelika Neuwirth nennt Zweifel an der Historizität Mohammeds Provokation. Von Klaus Nelißen

 

«Ich halte nichts von Textkriegen»

 

BERLIN (KNA). In Berlin arbeitet eine Forschergruppe gegenwärtig unter dem Titel «Corpus Coranicum» an einer historisch-kritischen Edition des Koran. Leiterin des Projekts ist die Arabistin und Islamwissenschaftlerin Angelika Neuwirth. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sprach sie am Berlin über Inhalt und Ziele des Vorhabens, über aktuelle Tendenzen in der Koranforschung sowie über den christlich-islamischen Dialog unter Wissenschaftlern.

 

KNA: Frau Professor Neuwirth, seit gut einem Jahr arbeiten Sie am «Corpus Coranicum», einer textkritischen Edition des Koran. Die Feuilletons bescheinigen Ihrem Projekt an der Akademie Berlin-Brandenburg eine gewisse Sprengkraft für die islamische Welt...

 

Neuwirth: Das ist längst nicht so explosiv, sondern in erster Linie staubtrockene Textforschung. Wenn wir unser Projekt in Ländern wie Iran oder Ägypten vorstellen, sind wir nie auf Proteste gestoßen. Muslimische Gelehrte haben über Jahrhunderte verschiedene Lesarten des Koran kommentiert und erfasst. Da sind wir gar nicht so weit auseinander. Diejenigen, die dahinter gleich einen Affront für die islamische Welt vermuten, unterschätzen den Islam. Sie meinen, Muslime lebten noch in der Steinzeit und schotteten sich gegen alles, was nach Fortschritt aussieht, rigoros ab. Es ist betrüblich, dass sich ein gewisser Kultur-Antiislamismus bei uns immer mehr breit macht.

 

KNA: Was ist das Ziel ihres Projekts?

 

Neuwirth: Wir werden eine dokumentierte Edition und einen historisch-kritischen Kommentar erstellen. Damit wollen wir den Koran als einen Text wiederentdecken, der sich zuerst noch gar nicht an Muslime richtete, sondern an vorislamische Hörer aus dem Erfahrungshorizont der Spätantike. Sie kannten christliche und jüdische Traditionen. Der Koran fiel also nicht vom Himmel, sondern steht in einem bestimmbaren historischen Kontext. Er markiert auch keinen einschneidenden Bruch mit der von uns Europäern reklamierten Spätantike, sondern bietet eine arabische Kommentierung und zum Teil selbstbewusste Neuinterpretation der jüdischen und christlichen Tradition.

 

KNA: Wo machen Sie die Anknüpfung zur biblischen Tradition fest?

 

Neuwirth: Die ältesten Suren stehen beispielsweise dem Psalterium nahe. Wie der Sprecher der biblischen Psalmen spricht der Verkünder, Mohammed, aus seiner persönlichen Frömmigkeit heraus. Politisch wurde die koranische Botschaft erst nach der Auswanderung der Gemeinde von Mekka nach Medina. Da erst war sie geprägt durch die Auseinandersetzung mit Andersgläubigen. Mit dieser von uns vorgeschlagenen Wiedereinordnung des Koran in eine gemeinsame europäisch-nahöstliche Spätantike müssen wir uns von unserem stereotypen Europabild verabschieden, in dem nur das Jüdisch-Christliche Platz hat. Die Muslime leben nicht nur längst mitten in Europa, ihre Tradition ist unser Erbe.

 

KNA: Die historisch-kritische Methode, mit der Sie den Koran erforschen, ist nicht neu. In der christlichen Exegese der Bibel hatte sie einen aufklärerischen Impuls - Rudolf Bultmann sprach von Entmythologisierung.

 

Neuwirth: Der Koran selbst entmythisiert. Wenn der Koran zum Beispiel in der 19. Sure von Maria im Tempel spricht, wird damit das damals lebendige mythische Bild der Christen von «Maria als der Tempel» neu interpretiert. Abstrakte theologische Formeln setzt der Koran in einfach Verständliches um und schneidet Übermenschliches zurück auf Menschenmaß. Insgesamt findet man im Koran weniger mythische Elemente als in der Bibel. Aber was Bultmann damals in der Exegese unter dem Vorzeichen der Entmythologisierung gemacht hat, stünde uns auch gar nicht zu. Wir sind keine Theologen und haben weder eine theologische noch eine aufklärerische Absicht in unserer Projektarbeit.

 

KNA: Mit dem Pathos der Entzauberung betreiben Ihre Kollegen Karl-Heinz Ohlig oder Christoph Luxenberg ihre aufsehenerregenden Studien über die Einflussgeschichte des Koran. Sie stellen sogar die historische Existenz von Mohammed infrage.

 

Neuwirth: Ich halte nichts von der Wiederbelebung historischer Textkriege. Mit ihrer Islam-polemisch motivierten Koranforschung verbaut diese Gruppe die Möglichkeit zu einem Dialog mit der islamischen Gelehrtenwelt. Diese Forscher sind nicht an einem Wissensaustausch mit arabischen Gelehrten interessiert. Sie haben zum Teil nicht einmal arabische Sprachkenntnisse. Es ist zwar das Verdienst von Christoph Luxenberg, die Aufmerksamkeit wieder auf die syrischen Traditionen in der Umwelt des Koran gelenkt zu haben. Für den Koran selbst ist der Zugang der Gruppe aber wenig relevant: Der Koran dient ihnen als Steinbruch für ihre bereits vorgefassten Ideen über die Entstehung des Islam. Die Textkomposition, die diese Konstruktionen widerlegt, ignorieren sie vollständig. Um die These, dass Mohammed nicht existiert habe, zu untermauern, werden abenteuerliche Konstruktionen errichtet, die die wissenschaftliche Kompetenz der Gruppe weit überschreiten.

 

KNA: Die Debatte um den wissenschaftlichen Ansatz des Münsteraner Islamwissenschaftlers Muhammad Kalisch bringt dieses Thema nun aber verstärkt auf die Tagesordnung.

 

Neuwirth: Bedauerlicherweise hat Herr Kalisch seine persönlichen Zweifel an der Historizität Mohammeds öffentlich gemacht. Solche Zweifel hätten sich durch gründliche Lektüre zur Forschungslage leicht zerstreuen lassen. Zu dieser Lektüre wäre Herr Kalisch wie jeder Lehrstuhlinhaber, gleichgültig in welchem Fach er tätig ist, sich und seinen Fachkollegen gegenüber verpflichtet gewesen, um seine eigene Sicht auf die Auseinandersetzung mit der bisherigen Forschung gründen zu können. Seine Veröffentlichung der Zweifel ohne differenzierte Begründung und ohne eine überzeugende Gegenhypothese kann nur als Provokation verstanden werden. Hier ist eine möglichst ebenfalls öffentliche Diskussion gefordert, nicht einfach Berufung auf die akademische Freiheit. An diese Freiheit würde in Disziplinen mit stärkerem Kritikpotenzial kaum appelliert werden können. Islamische Studien sollten da keine Sonderstellung beanspruchen.

 

KNA: Was ist dagegen Ihr Ansatz?

 

Neuwirth: Wir wollen mit unseren muslimischen Kollegen über den Koran ins Gespräch kommen. Das ist aussichtsreich, weil wir glaubhaft machen können, dass wir ein aufrichtiges akademisches Interesse haben und keine politische oder antireligiöse Hinterabsicht. Es wäre eine Vergeudung, wenn wir die unschätzbaren Kenntnisse und Erfahrungen islamischer Korangelehrter, die wir uns als Außenstehende kaum je vollständig aneignen können, einfach ignorieren würden. Wir können nicht annähernd so viel über die sprachlichen und theologischen Aspekte des Koran wissen wie diese Gelehrten. Was wir von der islamischen Tradition mit unseren Methoden erfassen, ist nur die Spitze des Eisbergs.

 

 

 

IZ, 20.10.2008

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