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Europa: Bericht zur Diskriminierung von Muslimen nach dem 11. September 2001

 

Die Menschenrechtsorganisation International Helsinki Federation For Human Rights (IHF) hat Anfang März in Wien ihren Bericht zur Lage der Muslime in der Europäischen Union nach dem 11. September 2001 vorgestellt. Darin ist eine Zunahme von Intoleranz und Diskriminierung gegenüber Muslimen nach den Anschlägen in New York und Washington dokumentiert. Der Bericht beinhaltet Informationen zu den folgenden elf EU-Mitgliedstaaten: Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Österreich, Schweden und Spanien.

 

Nach dem 11. September 2001 verschlechterte sich das soziale Klima gegenüber Muslimen in den untersuchten Ländern deutlich, so der Bericht. Da sich die Öffentlichkeit seither stärker auf den Kampf gegen den Terror und die Bedrohung durch religiöse Extremisten konzentrierte, verstärkten sich bereits bestehende Vorurteile. Viele Muslime fühlten sich seither aufgrund ihres Glaubens zunehmend diskriminiert.

 

Die Menschenrechtsorganisation zeigt sich besorgt, dass wachsendes Misstrauen und zunehmende Menschenrechtsverletzungen die Integration der Muslime in Europa erschweren könnten. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, könnten dadurch Ressentiments und Frustration bei Muslimen entstehen und deren Vertrauen in die staatlichen Autoritäten schwächen. Einige Muslime könnten dadurch empfänglicher für die Ideen extremistischer Gruppierungen werden.

 

Der 160-seitige Bericht gliedert sich in einen Einführungsteil, in dem auch Empfehlungen an die EU-Mitgliedstaaten gemacht werden (siehe Box) und elf Länderkapitel. Zur besseren Vergleichbarkeit sind alle Länderkapitel nach dem gleichen Muster aufgebaut. Sie gliedern sich in jeweils elf Sektionen, die einen allgemeinen Überblick über die muslimische Bevölkerung des jeweiligen Landes geben, deren formale Beziehung zu den staatlichen Institutionen darlegen und diverse Aspekte muslimischen Lebens sowie Formen von Diskriminierung thematisieren. Darunter fallen u.a. die Art der Medienberichterstattung, die Gesetzgebung in Bezug auf das Kopftuch, der muslimische Religionsunterricht, die besondere Durchführung des Schlachtens beim Schächten, die Situation von Moscheen und muslimischen Friedhöfen, die Diskriminierung beim Zugang zum Arbeitsmarkt, aber auch Formen islamischen Fundamentalismus.

 

Da bisher keine systematische Erfassung von Diskriminierung vorliegt, stützt sich der Bericht auf Angaben muslimischer Organisationen und Menschenrechtsgruppen sowie auf die Medienberichterstattung, offizielle Dokumente und Forschungsarbeiten.

 

Überblick: Laut dem Bericht leben in den 25 EU-Mitgliedstaaten über 20 Mio. Muslime; diese Zahl könnte sich bis 2015 verdoppeln. Die muslimischen Bevölkerungen sind sehr heterogen, was Herkunft und Glaubensauffassung betrifft. Sie sind sehr ungleich auf die EU-Staaten verteilt (siehe Tabelle). Der rechtliche Status des Islam variiert in den untersuchten Ländern deutlich.

 

In den meisten der elf Länder stieg die beobachtete Zahl der Diskriminierungen nach dem 11. September 2001 deutlich an. Nach einigen Monaten sank sie wieder, verblieb jedoch auf einem höheren Niveau als zuvor. Neue Zuwächse waren jeweils nach Terroranschlägen (v.a. in Madrid) oder nach im Namen des Islam begangenen Gewaltdelikten (Entführungen im Irak, Mord an Theo van Gogh) zu beobachten. Die häufigste Form von Diskriminierung sind abfällige verbale Äußerungen, denen vor allem Personen ausgesetzt sind, die aufgrund sichtbarer Symbole leicht als Muslime zu erkennen sind. Dies sind vor allem Frauen, die Kopftücher tragen oder Männer mit längeren Bärten oder Turbanen.

 

Im Hinblick auf die Berichterstattung in den Medien ist in allen untersuchten Ländern ein Trend zu einer negativen und stereotypen Darstellungsweise von Muslimen zu beobachten. Auch beim Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Dienstleistungen und zu Wohnungen geht die Menschenrechtsorganisation IHF von einer Zunahme der Diskriminierungen aus. Gebetsorte und Begräbnisstätten, so der Bericht, sind in den meisten Ländern nur unzureichend vorhanden. Mit dem Tragen von Kopftüchern, dem Religionsunterricht und dem Schächten wird in den untersuchten Ländern sehr unterschiedlich umgegangen. Ferner setzt sich der Bericht mit der Rolle rechtspopulistischer Parteien und ihrer diskriminierenden Rhetorik insbesondere in Italien (Lega Nord), Belgien (Vlaams Blok), Österreich (FPÖ) und Frankreich (Front National) auseinander.

 

Situation in Deutschland: Für Deutschland kommt der Bericht zu dem Ergebnis, dass sich die Lage der Muslime seit dem 11. September 2001 verschlechtert habe. Vorurteile gegenüber Muslimen seien weit verbreitet. Nach dem Mord an dem islamkritischen Regisseur Theo van Gogh in den Niederlanden im November 2004 kam es in Deutschland zu mehreren Anschlägen auf Moscheen, unter anderem in Sinsheim (Baden-Württemberg) und Usingen (Hessen).

 

Die Medienberichterstattung, insbesondere über den Nahen Osten, stelle regelmäßig Zusammenhänge zwischen Islam und Terrorismus her und beeinflusse so die Einstellung gegenüber dem Islam und den Muslimen negativ. Muslimische Organisationen kritisierten zudem die Anti-Terrorpolitik der Bundesregierung, da diese ebenfalls negative Einstellungen gegenüber Muslimen verstärke. Seit dem 11. September 2001 wurden in Deutschland von mehreren Tausend Muslimen persönliche Daten erfasst, Hausdurchsuchungen und Befragungen durchgeführt. Etwa 70 Moscheen wurden durchsucht.

 

Bei den derzeit mehr als 2.500 muslimischen Gebetsorten in der Bundesrepublik handelt es sich in den meisten Fällen um Garagen, verlassene Fabriken oder Lagerhäuser. Die Zahl der eigens zu diesem Zweck erbauten Moscheen liegt bei etwa 140, sie ist in den letzten Jahren jedoch gewachsen. Eine Reihe öffentlicher Friedhöfe verfügt über eine separate muslimische Abteilung, die wenigsten erlauben jedoch die vollständige Ausübung muslimischer Bestattungszeremonien. Unter anderem deswegen werden etwa 80% aller in Deutschland verstorbenen Muslime in ihrem Herkunftsland beerdigt.

 

Der Bericht thematisiert auch den Kopftuchstreit (vgl. MuB 9/03, MuB 6/02), die Debatte um den muslimischen Religionsunterricht sowie das Verfassungsurteil zum Schächten (vgl. MuB 2/02). Im Hinblick auf das Kopftuchverbot in verschiedenen Bundesländern dokumentiert der Bericht die Bedenken muslimischer Organisationen, dass dies im Widerspruch zu dem im Grundgesetz dokumentierten Recht auf freie Religionsausübung stünde. Zudem würde das Kopftuch zu Unrecht als Symbol der Unterdrückung von Frauen und des islamischen Fundamentalismus angesehen. Was den muslimischen Religionsunterricht angeht, so sieht der Bericht einen Trend zu einer langsamen Gleichstellung mit den anderen Religionen, auch wenn der Unterricht noch nicht flächendeckend eingeführt ist. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Schächten, das dieses besondere Schlachten unter bestimmten Bedingungen erlaubt, wurde von Seiten muslimischer Organisationen als ein Zeichen der Gleichstellung des Islam aufgenommen. me

 

Der Bericht „Intolerance and Discrimination against Muslims in the EU, Developments since September 11“ kann im Internet heruntergeladen werden unter:

www.ihf-hr.org/documents/doc_summary.php?sec_id=3&d_id=4029

 

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