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06.10.2008 Dokumentation: Eine junge Berlinerin berichtet über ihre Erfahrungen als Moscheeführerin beim Tag der offenen Moschee.

Von Linnéa Keilonat

 

Das Eis brechen

 

(iz) Es ist 9 Uhr morgens, als sich die etwa zehn ehrenamtlichen MitarbeiterInnen am 3. Oktober im Innenhof der Sehitlik Moschee in Berlin zusammenfinden. Seit einigen Wochen schon treffen sie sich regelmäßig, um diesen besonderen Tag zu planen und vorzubereiten. Nun werden eifrig Plakate aufgehängt, Hinweisschilder werden an den Türen angebracht und neben einem in Anzug gekleideten jungen Mann, der am Portal des Grundstücks postiert ist, ist eine große Kiste mit bunten Bonbons bereitgestellt. Die Besucher dieses Tages sollen sich willkommen fühlen, das unterstreicht der Satz aus dem Qur´an, der jeden Passanten an der Außenmauer des Grundstücks einlädt: “Wir haben euch aus einem Mann und einer Frau geschaffen und euch zu Völkern und Stämmen gemacht, damit ihr einander kennenlernt.“

 

Ein älterer Herr fegt seelenruhig die braunen Blätter vom Hof, während die jungen Mitarbeiter anfangen, wie fleißige Bienen umherzuschwirren. Diese Seelenruhe werden die ehrenamtlichen Mitarbeiter, kurz „Moscheeteam“ wie sich die Studierenden später auf Ansteckschilchen zur besseren Erkennung nennen, auch brauchen. Inzwischen betreten vereinzelte erste Besucher kurz vor 10 Uhr, und somit vor dem offiziellen Beginn des Tagesprogramms, zögernd den Friedhof vor der Moschee. Mitten im geschäftigen Treiben der Vorbereitungen entwickelt sich plötzlich eine Diskussion zwischen einer galanten, in rot gekleideten Dame gehobeneren Alters mit Hut und einer schwangeren Moscheeführerin. Das ist eigentlich nichts ungewöhnliches, an diesem Tag gehören Diskussionen und Streitgespräche wie Ketchup zu Pommes - sie geben der Veranstaltung jedesmal eine besondere Würze. Doch um diese Morgenstunde und noch vor Beendigung aller Vorbereitungen für diesen turbulenten Tag, ist unsere Moscheeführerin etwas irritiert. Es dreht sich im Gespräch mit der behuteten Dame nicht um die typischen Fragen wie etwa: „Warum müssen die muslimischen Frauen ein Kopftuch tragen“ und „ wie ist das eigentlich mit dem Dschihad im Islam“ oder gar „warum werden Frauen oder Homosexuelle in islamischen Ländern gesteinigt“, auf die man vorbereitet wäre.

 

Die Dame in Rot interessiert etwas ganz anderes. Sie hat in einem christlichen Blatt vom Tag der offenen Moschee gelesen, in welchem das Tagesprogramm mit stündlichen Moscheeführungen schon ab 9 Uhr angekündigt wurde. Alle anderen Zeitungen kündigten nach unserem Wissensstand das offizielle Programm dagegen erst ab 14 Uhr an. Was tun? Weil sie mit drei weiteren Personen die einzigen Eingetroffenen vor Ort sind, wird zum Erstaunen aller Beteiligten angefangen, zu verhandeln. Jeder Kulturwissenschaftler hätte an diesem Gespräch zur Erforschung türkisch-deutscher Kommunikationsstrukturen seine wahre Freude gehabt. „Deutsche Überpünktlichkeit“ wurde letztendlich mit türkischer Gastfreundlichkeit beantwortet und somit erfolgte eine Einigung für die erste Führung dieses Tages auf 10.15 Uhr.

 

Mit dem inoffiziellen Beginn des Tages um 11 Uhr treffen nun auch die ersten Pressevertreter mit Kamera und Mikrofon ein, und die Suche nach dem besten Schnappschuss beginnt. In den Zeitungen wird, wie erwartet, die betende Männermenge im Sudschud [der Niederwerfung im Gebet] abgelichtet oder die Frau mit Tuch vor der Besuchermasse. Ich für meinen Teil als Moscheeführerin bevorzuge als lebendes Fotoobjekt die letztere Variante und habe damit auch Glück. Der „Startschuss“ fällt mit der ersten offiziellen Führung. Ich bin etwas nervös aufgrund des offiziellen Charakters dieser Veranstaltung und der schwarzen Objektive, die zielstrebig mit Zoomeinsatz auf mich gerichtet werden. Ruhe bewahren, das wird schon laufen inscha Allah. Das tut es dann auch. Während der Führung wundere ich mich dennoch, dass gerade erwachsene, denkende Menschen sich so schwer tun mit dem Ausräumen der eigenen Vorurteile, trotz ihrer Bereitschaft, sich in „die Höhle des Löwen“ vorzuwagen. Oder ist das ganz normal, diese unterschwellige Furcht vor dem Unbekannten?

 

Gerade als Konvertitin ist mir aufgrund der eigenen Biografie das Phänomen des Interesses bei gleichzeitiger Skepsis nicht unbekannt. Aus diesem Grund ist man geübt und gewohnt Vorbehalte anderer abzubauen und Vorurteilen entgegenzuwirken. Und es funktioniert. Im Laufe der Führung verschwinden die skeptischen Blicke in den Gesichtern der Gäste, stattdessen verbreitet sich unter ihnen interessiertes, teils verständnisvolles Nicken bis hin zu staunender Erkenntnis über die Parallelitäten zu den eigenen Glaubensüberzeugungen und ethischen Vorstellungen. Den Leitspruch an der Außenwand des Friedhofs, in dessen Mitte die nach dem osmanischen Baustil des 16./17. Jahrhunderts errichtete Moschee steht, haben die Studenten, die sich hier tagtäglich für mehr Verständnis und Dialog zwischen den Vertretern der verschiedenen Religionen und Überzeugungen einsetzen, verinnerlicht. Jeder von ihnen ist neben Studium, Beruf oder Familie in Organisationen und Vereinen ehrenamtlich darum bemüht, Aufklärungsarbeit zu leisten. Diese Motivation rührt einzig aus dem aufrichtigen Wunsch nach mehr Verständnis, Respekt und gegenseitiger Achtung sowie Anerkennung. Sie leisten seelsorgerische Arbeit in Gefängnissen, besuchen Schulunterrichte, arbeiten mit der Kirche zusammen und bieten neben Moscheeführungen vertiefenden Unterricht über den Islam für alle Interessierten an. Levent, einer dieser Ehrenamtlichen des Moscheeteams, zeigt gegen Ende der Führung, nach etwa einer Stunde, bedeutungsvoll auf seine Armbanduhr. Es ist Zeit, die letzten Fragen zu beantworten und die Gäste wieder auf den Hof zu begleiten, der sich zusehend füllt. Die dritte Prüfung dieses Tages steht bevor - das Freitagsgebet.

 

In diesem Jahr fällt der 3. Oktober auf einen Freitag, was für die Organisatoren eine besondere Herausforderung darstellt. Die Moschee wird bis zum Beginn des Gebets voll sein. Im Hof und den Gängen stehen schon die Männer und Frauen, um auch rechtzeitig anwesend zu sein, wenn der Adhan, der Gebetsruf, ertönt, um in den Genuss des Segens des Gemeinschaftsgebetes zu kommen. Während bei strahlendem Sonnenschein die Teppiche bis zum Eingangstor ausgerollt werden, versuchen die eifrigen Helfer, meist Jugendliche, die Gäste mit freundlichen Worten vor den Eingang zu komplimentieren. Die Kunst dabei ist es, dem Gast das aufkommende Gefühl des Nichtwillkommenseins beim rituellen Gebet zu nehmen. „An jedem anderen Tag und zu jeder anderen Zeit sind sie herzlichst willkommen, aber wir bitten sie für die Zeit des Mittagsgebets, den Friedhof und die Moschee aus Platzgründen zu verlassen.“ Es ertönt die Stimme des Imams zum Gebet, als die letzten Gäste vor das Grundstück treten um von dort aus diesem zu lauschen oder währenddessen die Plakate zu lesen, die an der Außenmauer als eine Art Galerie über die Grundlagen des Islam informieren. Geschafft! Das Gebet bedeutet für den Großteil der Mitarbeiter eine zweistündige Verschnaufpause, Zeit zum Kraft und Luft holen und Gedanken zu sammeln.

 

Als der Tag sich schließlich dem Abend neigt, leeren sich Hof und Moschee mit der zunehmenden Umarmung der Dämmerung. Die nasse Kälte treibt die Besucher vom nun ungemütlich gewordenen Innenhof auf den geheizten Teppichboden der von dem hellen Schein des mächtigen Kronleuchters erleuchteten Moschee. Für die Nachtschwärmer unter den Neugierigen lohnt sich dieser Besuch auf besondere Art, denn sie können dem Klang des laut rezitierten Maghrib-Gebetes folgen. Diesem Abend wohnt der Moschee ein ganz besonderer Zauber inne. Es kehrt Ruhe ein, nicht nur in das Moscheeteam, sondern auch in die Zuhörer. Am Ende des Gebetes werden Suren aus dem Qur´an von einem noch recht jungen Mitglied der Gemeinde rezitiert. Andächtig lauschen alle den angenehmen Lauten, die sich in den Ecken der Moschee brechen, um dann über die große Kuppel mit der kalligrafischen Inschrift der Sure Al-Ikhlas bis auf den Balkon der ersten Etage getragen zu werden. In den anschließenden letzten Führungen ist es leicht, die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf die Worte des Vortrages zum Sinn und Inhalt des Gebets und des Fastens, der Zakat und der Pilgerfahrt zu lenken. Es erstaunt auch die erfahrenen, wortgewandten Redner immer wieder, welch subtile Kraft in den schön vorgetragenen Worten des Qur´an liegt, jenen Punkt in den Herzen der Menschen anzusprechen, der für den Glauben empfänglich ist. Während draußen die letzten fleißigen Helfer die durchweichten Tagesprogramme und Informationsplakate von den Wänden lösen, fallen auch drinnen die letzten Vorurteile wie Schleier von den Herzen der Anwesenden.

 

Wieder ist ein Tag der offenen Moschee am Tag der deutschen Einheit vorüber. Mit vielen neuen Impressionen, Ideen, Verbesserungsvorschlägen und guten Absichten verabschieden sich die Besucher, Helfer und Gemeindemitglieder voneinander, bevor ein Bruder die letzten Teegläser von den Tischen räumt und im Hof die Lichter löscht.

 

 

IZ - 06.10.2008

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