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28.09.2008 "IZ-Begegnung" mit dem Architekturkritiker Christian Welzbacher zum Thema Moscheebau

 

"Die islamische Baukunst hat eine grandiose Tradition"

 

(iz) Christian Welzbacher ist promovierter Kunsthistoriker und als Architekturkritiker unter anderem für die „Süddeutsche Zeitung“, das Magazin „A10“ und Fachzeitschriften tätig. Soeben ist sein Buch „Euroislam-Architektur. Die neuen Moscheen des Abendlandes“ erschienen. Die IZ sprach mit ihm aus diesem Anlass über die zeitgenössische Moscheenarchitektur, de­ren Entwicklung und was diesbezüglich aus seiner Sicht wünschenswert wäre.

 

Islamische Zeitung: Wie kamen Sie auf das Thema Ihres Buches?

 

Christian Welzbacher: Das Thema lag auf der Hand. Denn egal, welche europäischen Länder ich bereiste und wen ich dort sprach - überall wurde über Moscheeneubauten gestritten. Dabei habe ich festgestellt, dass fast generell die gleichen Diskursmuster und ähnliche Gründe für eine ablehnende Haltung vorherrschen. Mich hat vor allem das Niveau der Debatte gestört. Und die Tatsache, dass vor allem aus dem Ressentiment heraus diskutiert wurde und die Abneigung im Vordergrund stand, obwohl es doch eine Chance sein könnte, dass eine traditionsreiche Bau­gattung jetzt auch in Europa heimisch wird.

 

Islamische Zeitung: Wie würden Sie das Fazit Ihres Buches zusammenfassen?

 

Christian Welzbacher: Die islamische Baukunst hat eine grandiose Tradition, die von den Umaijaden über Nordafrika, Al-Andalus, später das Osmanische Reich und den Indischen Subkontinent reicht. Es gibt hier unglaubliche Schätze, angefangen von der Mezquita in Cordoba über die Bauten des osmanischen Architekten Sinan, das Tadsch Mahal und so weiter. Wenn man sich überlegt, wie diese Bauten aussehen, wird man feststellen, dass sie sehr verschieden sind, obwohl sie eine weitgehend ähnliche Funktion erfüllen. Jedes dieser Bauwerke ist zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort und unter anderen Bedingungen entstanden, klimatisch, gesellschaftlich und auch religiös. Man kann sagen, dass der Wandel des Kontextes den Wandel in der Form bedingt hat. Es stellt sich daher für uns die Frage: Warum bauen wir heute immer noch Moscheen, die aussehen wie etwa die Süleymaniye? Am Columbiadamm in Berlin ist eine Moschee entstanden, die aussieht wie ein türkischer Bau aus dem 16. Jahrhundert. Ich muss zugeben, dass das handwerklich gar nicht schlecht gemacht ist, auch die Ausmalungen im Inneren. Man fühlt sich in den Orient versetzt. Ich verstehe aber nicht, warum man heute in Berlin ein Bauwerk in diesem Stil errichten muss. Anders gesagt: Wenn der Islam im Laufe seiner Verbreitung um die Welt immer neue, eigenständige Architektursprachen entwickelt hat, so ist er zweifelsfrei in der Lage, dies auch im Europa der Gegenwart zu tun. Das ist meine Hauptaussage. Denn die Religion ist lebendig, sie verändert sich mit den Menschen, die sie ausüben. Genauso verändern sich auch die Bauten. Daher ist mein Appell, dass wir uns auf die Suche nach einer Moscheenarchitektur begeben sollten, die zeitgenössisch und europäisch ist.

 

Islamische Zeitung: Die traditionell orientierte Moscheearchitektur kommt bei Ihnen nicht besonders gut weg. Könnte man nicht sagen, dass eine gelungene, gut gemachte traditionelle Architektur nicht auch ihre Existenzberechtigung hat?

 

Christian Welzbacher: Bei einer Moschee handelt es sich ja immer um ein herausragendes öffentliches Gebäude - eine ganz zentrale Bauaufgabe, sowohl für jeden Architekten als auch für die Gemeinde, die eine Moschee bauen möchte. Es ist ein Gebäude von gesellschaftlicher Relevanz. Und Architektur auf dieser Bedeutungsebene ist nie allein Zweckerfüllung, sondern symbolische Form. Moscheen sind weit sichtbare, kräftige und unverrückbare Statements im Stadtraum. Und deswegen frage ich mich immer, wenn ich eine Moschee sehe: Warum sieht das so aus? Welche Inhalte symbolisiert eine bestimmte Architektursprache? Was verrät diese Architektur über den Bauherrn und über die Gesellschaft, in der sie entstanden ist? Warum wählt eine Gemeinde eine Moschee mit Kuppel und Minarett? Ist diese Gemeinde in den historischen Konventionen gefangen? Oder kann sie sich nicht vorstellen, eine moderne Architektur umzusetzen? Kann sie das nicht, weil sie Probleme mit der modernen Architektur hat? Oder weil die moderne Architektur ihre religiösen Vorstellungen nicht widerspiegelt?

 

Islamische Zeitung: Nun kann man sich auch vorstellen, dass nichtmuslimische Besucher etwa der Berliner ­Sehitlik-Moschee diese Architektur auch schön finden können und sie nicht unbedingt ablehnen müssen. ­Andererseits könnte man natürlich auch sagen, je fremdartiger oder exotischer eine Moschee aussieht, desto höher ist die Ablehnung gegen sie. Entspricht das Ihrer Erfahrung? Oder ist die Architektur bei der Ablehnung von Moscheebauten nur ein Faktor unter mehreren?

 

Christian Welzbacher: Die äußere architektonische Gestaltung ist durchaus ein entscheidender Faktor. Es gibt Klischees und Konventionen beim Bau von Moscheen - aber eben auch bei ihrer Wahrnehmung. Ich denke, hier ist einige Aufklärungsarbeit zu leisten. Sie betrifft natürlich nicht nur den muslimischen Teil der Gesellschaft. Sondern auch den Rest der Bevölkerung, der zumeist nicht weiß, was eine Moschee dem Wesen nach ist, welche Vorschriften es im Islam für diese Bauten gibt. Muslime und Nichtmuslime müssen lernen, dass es für eine gegenwärtige Religion auch eine gegenwärtige Architektur geben kann. Aber gerade gegenüber der christlichen Bevölkerung ist es sicher nicht leicht, dies zu kommunizieren. Denn hier sind alte abendländische Vorstellungen vom Islam verankert, Stereotype, die bis auf die Türkenkriege des späten Mittelalters zurückgehen. Jeder orientalisch wirkende Moscheebau ruft diese Klischees wieder auf. Ein Christ wird die Aussage „Muslime sind in erster Linie Orientalen“ nicht für ungewöhnlich halten - und das, obwohl er jeden Tag mit einem europäischen Islam konfrontiert wird. Das heißt: Eine „orientalische“ Moschee rückt den gelebten Islam wie ein Bild in die Ferne, weg aus Europa, weg aus der Gegenwart. Sie „romantisiert“ ihn, entschärft ihn. Da sie also die Klischees bedienen, sind wahrscheinlich diese historisierenden Bauwerke unter Nichtmuslimen sehr viel eher akzeptiert. Es ist eben etwas anderes, wenn eine Gemeinde sagt: Wir stehen mit beiden Beinen in der Gegenwart, wir empfinden uns als genauso wichtig, wie die anderen Religionen des Abendlandes, wir repräsentieren uns zeitgemäß. So eine Einstellung könnte durchaus eher Unbehagen auslösen.

 

Islamische Zeitung: Die Erkenntnis, dass eine Moschee nicht orientalisch aussehen muss, sondern auch eine ganz andere, ortsangepasste Architektur haben kann, hat sich offenbar bisher weder in der öffentlichen Wahrnehmung, noch auf Seiten der Bauherren durchgesetzt. Sehen Sie Ansätze, dass eine solche neue Moscheearchitektur dennoch im Kommen ist?

 

Christian Welzbacher: Der Blick auf die Entwicklung des Moscheebaus im 20. Jahrhundert zeigt, dass wir schon einmal weiter waren. In den 50er und 60er Jahren sind zum Beispiel in der Türkei und in Bosnien herausragende moderne Moscheen entstanden. Diese Bauten entsprechen vollkommen ihrer Zeit. Sie sind sehr niveauvoll, sehr durchdacht, ambitioniert, anspruchsvoll - damit also der Bauaufgabe Moschee vollkommen würdig. Und sie entsprechen dem orientalisch-romantischen Bild überhaupt nicht mehr. Es sind wirkliche Meisterwerke der Moderne. Aber diese Entwicklung scheint seit den 90er Jahren immer stärker wieder verdrängt zu werden. Man muss beim aktuellen Diskurs über eine zeitgemäße Moscheenarchitektur zunächst die Ebenen trennen. Da gibt es einmal die Bauherrenebene: Eine Gemeinde, die eine Moschee errichten will, aber von Architektur nur wenig versteht, wird von Beginn an gewisse Vorstellungen haben, wie ihr Bau aussehen soll. Das ist der Moment, in dem zum Beispiel Bilder aus der Vergangenheit aufgerufen werden. Die andere Diskurs­ebene, die hier vielleicht korrigierend wirken könnte, spielt sich zwischen Architekten und Gelehrten ab. Sie entwickelt aber bisweilen Konzepte, die an der Basis gar nicht ankommen. Es ist daher wichtig, in Zukunft diese beiden Ebenen miteinander zu verbinden. Jede Gemeinde sollte die Kraft aufbringen, einen Dialog über Sinn und Form des von ihr geplanten Baus zu führen, gemeinsam mit Architekten - unter Umständen sogar in der Öffentlichkeit, auch wenn genau das in diesen Zeiten immer schwieriger zu werden scheint. Auf diese Weise jedenfalls könnte der zugegebenermaßen intellektuelle Modernediskurs zu jenen Menschen kommen, die tagtäglich ihre Religion ausüben. Ich denke, ein geeigneter Architekt kann der mangelnden Vorstellungskraft der Gemeinden, wie zeitgenössische Moscheen aussehen, leicht auf die Sprünge helfen.

 

Islamische Zeitung: Welche architektonischen Beispiele würden Sie denn besonders hervorheben, und ­warum?

 

Christian Welzbacher: Man kann den Beitrag von Zaha Hadid zum Straßburger Moscheenwettbewerb aus dem Jahr 2000 als eine Art Initialzündung bezeichnen. Bis dahin hat die Bauaufgabe Moschee in Europa kaum das Interesse professioneller Architekten gefunden. Hadid hat einen avantgardistischen Entwurf in ihrer typisch skulpturalen Formensprache geliefert und mit diesem scheinbar ungewöhnlichen Schritt große Aufmerksamkeit erregt. Wenig später entwarf Ali Mangera, der zuvor bei Hadid gearbeitet hatte, eine vergleichbar radikale Moschee für London, die möglicherweise sogar gebaut wird. Seither ist der Bann gebrochen. In Europa entstehen eine ganze Reihe von Bauwerken, die in ihrer Erscheinung sehr zeitgemäß sind und das Formenrepertoire der klassischen Moderne weiterentwickeln. So etwa im dänischen Aarhus oder im südfranzösischen Cannes, auch in den Niederlanden. In Deutschland gibt es natürlich das Islamische Zentrum Penzberg, das eine wichtige Vorreiterrolle einnimmt. Der junge Architekt Alen Jasarevic hat mit diesem Bau ein Niveau gesetzt, an dem man sich in Zukunft orientieren sollte. Ich bin aus der Sicht des Architekturkritikers nicht mit allen Details und Lösungen des Hauses zufrieden. Aber das macht gar nichts. Denn hier geht es meiner Meinung nach in erster Linie darum, zu zeigen, dass Islam und Moderne keinen Widerspruch bilden müssen. Dafür sind die genannten Projekte und der Penzberger Bau herausragende Beispiele.

 

Islamische Zeitung: Mittlerweile ist es keine Seltenheit mehr, dass Architekten, die selber keine Muslime sind, Moscheen konstruieren...

 

Christian Welzbacher: Ich glaube, eine Moschee ist gerade deswegen eine interessante Bauaufgabe, weil es im Gegensatz zum christlichen Versammlungsbau keine liturgischen Beschränkungen gibt, keine Festlegungen, wo Altar, Kanzel, Orgel, Taufe zu positionieren sind oder wie Prozessionswege verlaufen sollen. Dass man der Bauaufgabe Moschee Genüge tut, indem man einen Raum nach Mekka ausrichtet und gleichzeitig wenige andere Auflagen erfüllt, etwa eine Stätte für die Waschungen schafft, Mihrab und Minbar einplant. Das ist nicht nur faszinierend und scheinbar einfach - es eröffnet auch unendlich viele gestalterische Möglichkeiten. Wenn die nichtmuslimischen Architekten dies einmal begriffen haben, dann ist es auch für sie geradezu eine Aufforderung, ihre Kreativität auszuleben.

 

Islamische Zeitung: Wenn Sie selbst eine Moschee entwerfen würden, welche Architektur würden Sie wählen?

 

Christian Welzbacher: Das kommt ganz darauf an, wo das zu geschehen hätte. Denn entscheidend ist dabei nicht meine persönliche Meinung, sondern der Ort, an dem diese Moschee stehen soll. Zudem muss man sich vor dem Entwurf fragen: Wer ist die Gemeinde, die baut? Was möchte sie mit diesem Bauwerk ausdrücken? Das sind zentrale Faktoren für den Bau einer Moschee; und die aus meiner Sicht gelungenen europäischen Beispiele habe ich ja bereits genannt. Ich bin eigentlich ganz überzeugt, dass der europäische Islam zu einer Erneuerung des Bautypus Moschee führen wird. Dann werden wir von den gebauten Erinnerungsbildern an eine verlorene Heimat wegkommen - die ja oft weniger mit Religion als mit Politik zu tun haben. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass die Menschen, die einst nur für kurze Zeit gekommen, aber dann geblieben sind, aus ihrer Religion heraus die Kraft und die Sicherheit entwickeln, den endgültigen Schritt in die neue Heimat, nach Europa, zu wagen und sich dann auch in einer angemessenen europäisch-muslimischen Architektur beheimatet fühlen. Islam und Abendland - das bildet für mich im Hier und Jetzt durchaus keinen Widerspruch.

 

Islamische Zeitung: Herr Welzbacher, vielen Dank für das Interview.

 

 

IZ, 28.09.2008

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