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DIE ZEIT

43/2003

 

studieren

 

Wohin mit dem Geld?

 

1300 Stiftungen bieten Stipendien an - doch jede fünfte findet keine Studenten

 

Von Manuel J. Hartung

 

Gerhard Wink verschenkt gern Geld. Viel Geld sogar, manchmal bis zu 18000 Euro. Wink würde gern noch viel mehr verschenken. Doch der 56 Jahre alte Ingenieur findet niemanden, der sein Geld haben möchte.

 

Wink leitet den Studienfonds des Vereins deutscher Eisenhüttenleute - und klagt über zu wenig Bewerber. Während die große Studienstiftung des deutschen Volkes jährlich drei von vier vorgeschlagenen Abiturienten ablehnt, hat Wink in den zwölf Monaten seiner Amtszeit eine einzige Absage verschickt. Wink ist frustriert: ,,In den besten Zeiten haben wir 150 junge Menschen gefördert, zurzeit sind es nur 30."

 

Der Fonds der Eisenhüttenleute ist kein Einzelfall. 1300 Studienstiftungen gibt es in Deutschland - und jede Fünfte wird ihr Geld nicht los, berichtet Ulrich Brömmling, Sprecher des Bundesverbandes deutscher Stiftungen. ,,Sie finden keine Bewerber, oft finden die Suchenden aber auch keine Stiftung."

 

Denn die meisten Stiftungen fristen ihr Dasein im Verborgenen. Nur zwei Hand voll sind richtig bekannt, an ihrer Spitze die renommierte Studienstiftung des deutschen Volkes, dann die Förderwerke, die Parteien, Gewerkschaften, Wirtschaft oder Kirchen nahe stehen. Viele kleine Werke - etwa die Fritz-und-Eugenie-Übelhör-Stiftung, den Hildegardis-Verein oder die Veith-Berghoff-Jubiläumsstiftung - kennt dagegen kaum jemand.

 

Gesucht: Nürnberger, männlich, Freidenker

 

Bei vielen winzigen Förderwerken hat der Bewerbernotstand faszinierende Folgen: ,,Die vergeben ihr Geld einfach an die Leute, von denen sie die Adresse haben", berichtet der Pädagogikprofessor und Stipendien-Experte Gundolf Seidenspinner. So sprudelt das Geld nicht nur für Einser-Aspiranten, sondern auch fürs Mittelmaß.

 

Schuld an der Misere tragen nicht allein diese Stiftungen. Zwar sind sie zu klein für große Werbekampagnen, und ihre Auswahlkriterien wirken oft skurril. Aber häufig sind die Studenten zu bequem, sich um Stiftungsgeld zu kümmern. ,,Die lehnen sich zurück und denken an die zehn Großen", sagt der Stiftungs-Experte Brömmling, ,,und wenn sie von denen kein Stipendium bekommen, dann war's das."

 

Dabei ist es sinnvoll, Stiftungs-Konvolute durchzuackern sowie bei den Verwaltungen der Hochschulen und Heimatstädte nachzufragen. Der gewonnene Informationsvorsprung kann viel Geld wert sein. Wer weiß, in welches Förderraster er passt, kann monatlich Hunderte von Euro einstecken.

 

Ein Teil der Stiftungen wählt die Stipendiaten nach ihrer - mutmaßlichen - beruflichen Zukunft aus: Nur wer ein bestimmtes Fach studiert oder einen bestimmten Beruf anstrebt, bekommt Geld. Dahinter stehen oftmals Verbände, die junge Menschen für einen speziellen Job begeistern wollen. Für den anderen Teil der Stiftungen zählt die Herkunft der Stipendiaten: Nur wer aus einer bestimmten Stadt oder einem Ortsteil stammt, nur wer den jeweils rechten Glauben hat, wird gefördert - bisweilen müssen künftige Geldempfänger gar ,,untadelig" oder ,,gutbürgerlich" sein. Gegründet wurden solche Stiftungen meist von Mäzenen, die sich einer Region besonders verbunden fühlten.

 

Die fünf Stipendiaten des Heilbronner Studienfonds etwa sind bedürftige Protestanten aus dem ehemaligen Fürstentum Ansbach. Die Fritz-und-Eugenie-Übelhör-Stiftung zahlt ihre 1900 Euro im Jahr dagegen nur an männliche Nürnberger, die auch noch Freidenker, Juden oder Protestanten sein sollen. ,,Weiblich, katholisch, arm" sind dagegen die Kriterien des Hildegardis-Vereins: Die Stipendiatinnen bekommen hier ein zinsloses Darlehen von bis zu 500 Euro im Monat und werden dazu noch persönlich betreut durch die drei rührigen Pensionärinnen im Vorstand. Doch die Nachfrage unter frommen Frauen ist gering.

 

Ein exotisches Studienfach müssen dagegen die Stipendiaten der Veith-Berghoff-Jubiläumsstiftung haben. Nur angehende Meeres- oder Schiffstechniker bekommen das Geld - ,,Einen Riesenzulauf gibt es nicht", heißt es dort. Auch Gerhard Winks Studienfonds des Vereins deutscher Eisenhüttenleute richtet sich an eine Universitäts-Minderheit. Nur Studenten der Metallurgie und Werkstoffwissenschaften können die 230 Euro Stiftungsgeld im Monat abrufen.

 

Doch nicht alle Stiftungen wollen die laue Lage länger hinnehmen. Einige starten Reklame-Offensiven, andere lockern ihre Regeln - und erhoffen sich so einen besseren Zuspruch.

 

Der Eisenhüttenmann Wink etwa geht auf Klappertour durch die Universitäten. Er will Plakate aufhängen, mit Professoren sprechen - und für seinen Fonds werben. Auch der katholische Hildegardis-Verein geht nach außen und stellt gerade einen Internet-Auftritt ins Netz. Die Eva-Schleip-Stiftung hat dagegen ihre Regularien aufgeweicht - und den Bewerbernotstand damit beendet. ,,Gutbürgerlich" sollen ihre Stipendiaten sein - ein Gummikriterium. ,,Ich kann den Lebenswandel doch gar nicht nachprüfen", sagt Irmgard Förster, die an der Universität Erlangen für die Stiftungen zuständig ist. Einmal, erzählt sie, fragte ein verunsicherter Student nach, ob er die Einmalzahlung von 500 Euro bekommen könne - seine Eltern waren geschieden. ,,Aber das ist doch kein Ausschlussgrund."

 

Ihre Regeln gelockert hat auch die Urban-, Brigitte- und Johannes-Goll-Stiftung aus dem 730-Seelen-Weiler Öfingen unweit von Villingen-Schwenningen. Sie förderte bislang junge Öfinger, die aber ,,untadelige" Theologiestudenten sein mussten. Doch irgendwann konnte der gestrenge Auswahlausschuss, in dem neben der Ortsvorsteherin auch ein Pfarrer und ein Lehrer sitzen, keine Nachwuchspastoren mehr finden. Nun zahlt die Stiftung auch an künftige Lehrer. Momentan hat sie drei Stipendiaten. 1000 Euro im Semester bekommt etwa der Lehramtsstudent Matthias Wölfle, dessen Kommilitonen darob ,,immer ein bissle neidische Blicke" haben. Die Goll-Stiftung lockerte nicht nur ihre Regeln, sondern startete auch eine Dauer-Werbeaktion: Gegenüber der Ortsverwaltung stellten die Öfinger eine Messingtafel auf, die an den Lehrer Goll erinnert.

 

Doch es gibt auch Stiftungen, denen würde selbst eine Plakat-Aktion an deutschen Unis oder eine Messingplatte in der Ortsmitte keinen größeren Zulauf bescheren. Mitglied in diesem exklusiven Zirkel: die in Northeim ansässige Molini-Rumannsche Familienstiftung. Sie hat derzeit einen einzigen Stipendiaten. Er bekommt einmal im Jahr 4000 Euro.

 

Das Stipendium geht zurück auf das Jahr 1642. Mitten in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges verfügte Margarethe Molinus, dass dreißig Morgen ihres besten Landes verpachtet werden sollen - und der Zins in ein ,,ewig währendes Stipendium" fließt. Geld gibt es seitdem nur für die Sprösslinge dreier Familien. Nur wenn von denen niemand studiert, darf es auch einen Stipendiaten geben, ,,welcher Theologiam auf Universitäten studiert und auf Gutachten der zuvor verordneten Exekutoren qualificiert und tüchtig dazu erfunden werden wird", wie es heißt.

 

,,Das ist ein extrem beschränkter Kreis", sagt Molinus-Nachfahre Tilo Rumann. Er selbst bekam das Stipendium in den sechziger Jahren. Vor ihm sein Vater, jetzt hat es sein Sohn. ,,Da benötigen wir keine große Werbung", sagt Rumann, ,,das läuft alles über Mundpropaganda."

 

Die Bücher zum Thema:

 

Gerlinde und Gundolf Seidenspinner: Durch Stipendien studieren

 

mvg-Verlag; 264 S., 15,24 Euro

 

Maecenata-Stipendienführer

 

Maecenata-Verlag; 266 S., 15,20 Euro

 

Dieter Hermann und Angela Verse-Hermann: Geld fürs Studium und die Doktorarbeit

 

Eichborn-Verlag; 169 S., 13,90 Euro

 

Deutsches Studentenwerk: Förderungsmöglichkeiten für Studierende

 

K. H. Bock-Verlag; 230 S., 11,50 Euro

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