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Wissenschaftliche Forschung ist Dschihad

Andrea Naica-Loebell 19.11.2004

 

Der Islam: Von der wissenschaftlichen Spitze in die Steinzeit

Der Islam ist in den Augen der meisten christlichen Abendländer eine Religion der Rückständigkeit und der geistigen Verengung. Das ist einerseits Vorurteil, andererseits gehören sechs der acht ärmsten Länder der Welt zur islamischen Staatengemeinschaft – heutige Muslime sind tatsächlich nur allzu oft Analphabeten ohne echte Bildungschancen.

 

 

Das war nicht immer so. Im Grunde ist der Islam eine Religion des Fortschritts und der Wissenschaft. Einer der überlieferten Aussprüche Muhammeds (570- 632 n.Chr.) lautet:

 

 

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www.heise.de

Erwerbt Wissen, weil der Wissenserwerb um Gottes Willen lehrt, Gott zu fürchten. Für den Wissenserwerb zu arbeiten ist Gebet, darüber zu diskutieren ist Lobpreis Gottes und wissenschaftliche Forschung ist Dschihad.

 

 

In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature appellieren Atta-ur-Rahman und Anwar Nasim vom Standing Committee on Scientific and Technological Cooperation (COMSTECH) der Organization of the Islamic Conference (OIC) an die islamischen Staaten, ihr Engagement für die Wissenschaften zu verstärken.

 

Die OIC wurde 1969 gegründet, heute gehören ihr 57 geografisch weit voneinander entfernte Staaten an, deren Bevölkerung mehrheitlich muslimischen Glaubens ist. Das Netz reicht von Uganda über Marokko bis Kasachstan und umfasst 1,3 Milliarden Menschen.

 

Die Ziele der Organisation lauten:

 

1. Strengthen:

a) Islamic solidarity among Member States

b) Cooperation in the political, economic, social, cultural and scientific fields

c) The struggle of all Muslim people to safeguard their dignity, independence and national rights

 

2. Coordinate action to:

a) Safeguard the Holy Places

b) Support the struggle of the Palestinian people and assist them in recovering their rights and liberating their occupied territories.

 

3. Work to:

a) Eliminate racial discrimination and all forms of colonialism

b) Create a favorable atmosphere for the promotion of cooperation and understanding between Member States and other countries.

 

 

 

 

Die Mitgliederstaaten gehören zu den Nationen, die international die schlechtesten Wirtschaftsdaten und die höchsten Analphabetenraten aufzuweisen haben. Seit dem 11. September 2001 vergrößert sich der Abgrund zwischen den islamischen Staaten und dem Westen stetig. Der Islam gilt als Religion der Intoleranz, des Fundamentalismus, des Extremismus und des Terrorismus.

 

In den Augen der meisten Muslime ist das ein Irrtum, Klischeedenken und eine Stereotypisierung des Westens, die sie ablehnen. Sie sehen sich erneut missverstanden und in die Ecke gedrängt, denn für die ist der Islam eine "Religion des Friedens, der Gnade und Vergebung" (vgl. Was sagt der Islam über Terrorismus?).

 

Tatsache ist, dass im internationalen Wettbewerb die islamischen Staaten nicht viel zu bieten haben außer Rohstoffen. Drei Viertel der Ölreserven der Welt befinden sich dort, einige der Staaten wie Saudi-Arabien sind sehr reich, ohne sich um Bildung oder wirtschaftlichen Wettbewerb kümmern zu müssen. Insgesamt kann alle über alle OIC-Staaten gesagt werden, dass sie sozioökonomisch dem Rest der Welt hinterher hinken.

 

Atta-ur-Rahman und Anwar Nasim stellen klar, dass es viele Vorurteile gegen die islamische Welt gibt, aber auch einige Wahrheiten, denen die Muslime ins Gesicht sehen müssen:

 

 

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Muslime können immer behaupten, dass dieses wirre Bild [von ihnen] unbegründet ist, aber wir tragen wenig zum heutigen Wettstreit der Ideen bei. Es hilft als Begründung nicht, dass einige muslimische Nationen wahrscheinlich zu den ärmsten, am wenigsten gebildeten und machtlosesten auf dem Planeten gehören. Wie müssen uns aus diesen eingefahrenen Gleisen heraus bewegen, wenn wir nicht marginalisiert werden wollen und künftige Generationen eine Chance haben sollen.

 

 

Goldene Vergangenheit

 

Eine traurige Bilanz, denn einst war der Islam Vorreiter in Sachen Wissenschaft. In Europa wurde das dunkle Mittelalter geistig von einer christlichen Kirche beherrscht, die wenig von Naturwissenschaften hielt. Die Denkerschulen des alten Griechenland zählten nicht mehr, die Menschen sollten den Kopf senken, in der Bibel lesen und beten, statt die Welt zu ergründen.

 

Muhammed setzte dagegen auf die Vernunft. Er verkündete den Muslimen Sätze wie: "Die Wissenschaft ist die Seele des Islam und Stütze des Glaubens. Derjenige, der Wissen erwirbt, wird von Gott reich belohnt. Derjenige, der Wissen erwirbt und dieses auch anwendet, den lehrt Gott, was er nicht weiß." Oder "Ein für den Wissenserwerb verbrachter Tag ist Gott lieber als 100 Kriege für Gott."

 

Wissenserwerb galt als gottgefällig – wohin auch immer Muslime kamen, interessierten sie sich für die Erkenntnisse und Schriften anderer Völker und machten sie sich zu Eigen. Das alte Wissen der Perser, Inder und Griechen trugen sie zusammen und übersetzten es.

 

 

Astronomie in Istanbul am Observatorium Taqf ad-Din 1577. Illustration aus dem BuchShahinshah-nama von Ala ad-Din Mansur-Shirazi

 

Vom 8. bis zum 13. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung erlebte die muslimische Welt ein goldenes Zeitalter der Wissenschaft. Über die Araber erfuhren die Europäer vom geistigen Erbe ihrer Vorfahren – und von den mathematischen Grundlagen moderner Naturwissenschaft.

 

Von den Indern übernahmen die arabischen Gelehrten das Ziffernsystem und die Null, sie entwickelten das Rechnen mit Dezimalbrüchen, die Trigonometrie und die Algebra entscheidend weiter (vgl. Quadratische Gleichungen bei al-Khwarizmi). Aber auch andere Wissenschaften wie die Medizin, die Physik, die Botanik oder die Astronomie erlebten eine Blüte.

 

Universalgelehrte wie Ibn Sina Avicenna, Al-Biruni, Ibn Khaldun oder Ibn Ruschd Averroes beeinflussten das europäische Denken nachhaltig. Über das maurische Königreich in Südspanien entstand ein kultureller Austausch, von dem das christliche Abendland entscheidend profitierte.

 

Kleine Fortschritte

 

Das ist lange her. Heute tragen die islamische Gesellschaften kaum zu den Fortschritten der Wissenschaft bei. Die Staaten der OIC geben weniger für Bildung aus als der internationale Durchschnitt – dafür investieren sie mehr in ihre Streitkräfte (vgl. Human Development Report 2004). Nur zwei Nobelpreisträger können vorgezeigt werden: Der Pakistani Abdus Salam gewann den Nobelpreis für Physik 1979, der Ägypter Ahmed Zewail den für Chemie 1999. Beide arbeiteten allerdings nicht ihren Heimatländern. Für die 1,3 Milliarden Menschen in den muslimischen Staaten gibt es insgesamt nur 600 Universitäten, die meisten davon mit niedrigem Standard.

 

In den vergangen Jahren gab es einige Forschritte, Pakistan investierte verstärkt in die Wissenschaft und konnte dadurch wesentlich mehr Fachkräfte ausbilden und die Anzahl der veröffentlichten wissenschaftlichen Aufsätze in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends um 40 Prozent steigern. Auch die Türkei und der Iran legten kräftig zu. Aber das alles reicht bei weitem noch nicht aus.

 

Atta-ur-Rahman und Anwar Nasim fordern, dass jeder islamische Staat mindestens ein Prozent seines Bruttosozialprodukts in Wissenschaft und Technologie investieren sollte. Außerdem wäre es sinnvoll, Netzwerke von Forschern und Exzellenzzentren zu schaffen. Leidenschaftlich appellieren die beiden an die politischen Führungen der muslimischen Welt:

 

 

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Wir müssen den Weg der Aufklärung einschlagen, uns der Entwicklung unser personellen Ressourcen widmen und die Probleme Armut, Ausbildung, Gesundheit und soziale Gerechtigkeit anpacken. (...) Es ist Zeit für eine Renaissance der Ummah, der globalen Gemeinde der Muslims. Das ist der Weg, wie wir es beenden können, dass der Islam als im Konflikt mit Modernität und Demokratie wahrgenommen wird.

 

 

Diktatur und Religion

 

Konfrontation und politischen Aktivismus halten die beiden Autoren explizit nicht für einen brauchbaren Weg. Nicht mit einem Wort thematisieren sie, dass kein einziger muslimischer Staat demokratisch ist und dass keiner die Meinungsfreiheit respektiert.

 

Wissenschaftler müssen sich den Strukturen dieser Diktaturen und Gottesstaaten unterordnen und dürfen nicht offen ihre Meinung äußern. Ideologie setzt der Freiheit der Forschung harte Grenzen, wer sie überschreitet riskiert seinen Kopf. Keine gute Voraussetzung für den öffentlichen Gedankenaustausch.

 

Das Schweigen ist durchaus verständlich, denn Atta-ur-Rahman ist der Minister für Wissenschaft und Technologie in Pakistan – eines Staates, dessen Staatspräsident General Musharaf sich 1999 an die Macht putschte (vgl. Der politische Kurswechsel in Pakistan). Und die Autoren thematisieren auch nicht, dass in den meisten islamischen Staaten keine Trennung von Staat und Kirche herrscht, was letztlich religiöse Beschränkungen und Kontrolle der Wissenschaft bedeutet.

 

Wenn religiöser Fundamentalismus politisch das Ruder übernimmt, bleibt das nie ohne Folgen sowohl für die Gesellschaft als auch für die Wissenschaft (Der Gottesstaat im Westen) – das beginnt dann zum Beispiel damit, dass Schulkinder nichts mehr von der Evolution erfahren dürfen, sondern ausschließlich die Schöpfungsgeschichte erzählt bekommen (Der Kreationismus und die USA).

 

Wissenschaft braucht die Möglichkeit, einen unzensierten Blick auf alles werfen zu dürfen, Wissenschaft braucht Gedankenfreiheit – und Gott oder seine Vertreter auf Erden sind absolut nicht notwendig, um die Welt zu verstehen. Jede religiöse Kontrolle von Schulen, Universitäten oder Wissenschaftlern bedeutet automatisch eine Behinderung von Forschung. Wer das nicht deutlich sagt, hat sich bereits den Mund verbieten lassen.

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