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Vom Alten zum Ersten Testament

 

Die Beschäftigung mit der jüdischen Exegese macht die hebräische Bibel auch für Christen verständlicher

 

 

Von Nathan Peter Levinson

Dies ist ein beeindruckendes Buch. Es ruft in Erinnerung, daß das Alte Testament die hebräische Bibel ist. Die "Vernachlässigung und Zurückweisyng" des erwählten Volkes Gottes habe "entsetzliches Unheil bis hin zur brutalen Vernichtung über dieses Volk gebracht". Dies sei längst überfällig und auch vom Neuen Testament (vgl. Römer 9-11) gefordert. Der Verfasser reiht sich damit in die Liste jener Theologen ein, die wie Metz, Mussner, Marquardt, Zenger, Fohrer, Kraus, Klappert und einige andere eine kopernikanische Wende in der christlichen Theologie vollzogen haben.

Eine andere wichtige Einsicht, welche der Autor erwähnt, ist die Erkenntnis, daß das Ernstnehmen des Alten Testaments als gemeinsame Heilige Schrift nicht bedeuten kann, "es zu vereinnahmen in einer Weise, daß es dem Judentum abgesprochen wird". So lautet auch die neu-formulierte Bitte für die Juden im großen Karfreitag Fürbittegebet: "Er bewahre sie (die Juden) in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluß sie führen wird." Schon Papst Johannes XXIII. hatte das Wort "Perfidie"(treulos) bereits aus der Karfreitag Liturgie streichen lassen.

In den letzten Jahren wurde auch der Vorschlag diskutiert, nicht mehr den Begriff "Altes Testament" zu benutzen, sondern statt dessen den von J.A. Sanders in Amerika 1987 vorgeschlagenen "Erstes Testament". Dies sei heute notwendig, weil der Terminus Altes Testament negativ besetzt sei. Im Hebräerbrief bedeute er "veraltet", "unzeitgemäß", denn der "Neue Bund" sei an die Stelle des alten getreten (Hebräer Brief 8,13, Jeremia 31,31). Theologisch ginge das Hand in Hand mit der Substitutionstheorie, d.h. mit dem Versuch, das Alte Testament als für Christen nicht länger glaubensverpflichtend und relevant anzusehen. Am weitesten ging hier Marcion (um 150), der die hebräische Bibel und den Schöpfergott überhaupt abschaffen wollte. Dies wurde zwar von der Kirche als Ketzerei bezeichnet, aber Adolf von Harnack hat den Marcionismus 1924 wieder salonfähig gemacht und betrachtete die Beibehaltung des Alten Testaments im Protestantismus als Folge einer "religiösen und kirchlichen Lähmung". Marcion ist in der Kirche nicht ausgestorben. Die Gegenüberstellung von Evangelium und Gesetz, das Reden von dem rachesüchtigen Gott, sind noch heute Überreste der Marcionitischen Häresie.

Die Binde vor den Augen der Synagoge am Straßburger Münster und anderswo ist hierfür auch heute noch ein eindrucksvolles Symbol. Nun versteht Schreiner den Begriff Altes Testament nicht abwertend, sondern chronologisch und weist darauf hin, daß hier die Kontinuität, die Tatsache, daß Gott zunächst zu Israel sprach, betont wird, und so auch der hohe Stellenwert des Alten Testaments klargemacht wird. Vor Mißdeutungen sind die Bezeichnungen nicht sicher, aber sie bedeuten für den Autor eher "kostbar", "ehrwürdig", "bewährt". Es soll auch hierdurch bewußt gemacht werden, daß es das Neue nicht ohne das Alte geben kann.

Das hier wesentliche Thema ist die Frage, ob das Alte Testament nur vom Neuen her gelesen werden kann. Die historisch-kritische Schule klammert Theologie aus und behauptet die Texte wie jede andere Literatur zu lesen, also "aus ihren eigenen Gegebenheiten heraus". Da es aber bekanntlich keine objektive Wissenschaft gibt, agiert diese Schule oft noch feindseliger gegenüber der jüdischen Tradition als vordem die kirchlichen Kommentare. So gibt es auch hier Begriffe wie "Jerusalemer Kultgemeine", eine Bezeichnung, die natürlich theologisch geprägt ist und heute als obsolet angesehen werden sollte.

Natürlich ist es für Christen legitim, das Alte Testament von einem christlichen Standpunkt aus zu lesen. Der Verfasser betont, daß auch Juden die Bibel für ihre jeweilige Zeit zu verstehen suchen. Die Beschäftigung mit der jüdischen Exegese verhilft "auch dem Christen zu einem besseren Verstehen des A.T., da sie mit seiner Sprache und Welt von Natur aus vertraut ist". Daß Christen das Alte vom Neuen Testament aus lesen, bedeutet für den Autor, daß man die hebräische Bibel als Heilige Schrift ernst nimmt. Daß dieses allerdings nur "vorbereitenden Charakter" habe, kann von Nicht-Christen zwar zur Kenntnis genommen, aber nicht angenommen werden. Darüber hinaus ist die Ansicht des Autors wichtig, daß mit christlichen Glaubensaussagen den Juden ihre Bibel nicht weggenommen werden darf.

Hilfreich ist zudem der Hinweis, daß die Grundsätze der Bergpredigt dem Alten Testament nicht widersprechen - im Gegenteil, auch in ihm zu finden sind. Von Fremdenhaß ist im Alten Testament ebenfalls nicht die Rede, das hat Matthäus hinzugefügt: Der Fremde ist zu lieben und er hat Anspruch auf gleiches Recht (3 Mose 19,34).

Was die tiefenpsychologische Interpretation der Bibel angeht, so enttäuscht, warum Schreiner sich so ausgiebig mit Jürgen Drewermann beschäftigt. Hat er den kenntnisreicheren Erich Fromm und desse Werke vergessen? Zum Glück kritisiert er die Drewermannsche Methodik. Für diesen ist das Alte Testament brutal, gewalttätig, zerstörte die schöne heidnische Mythologie und den Kult der großen Mutter. Wer schreibt hier von wem ab, Drewermann vom den Pseudo-Feministinnen oder umgekehrt? Das Resultat ist das gleiche: Traditioneller Antijudaismus und Heidentum. Es bedarf schon eines gerüttelten Maßes an Verdrängung, den Monotheismus des Alten Testaments für "menschenfeindlich, struktuell gewalttätig" anzusehen und damit die Dinge genau auf den Kopf zu stellen.

Nur der Glaube an den einen Gott und die eine Menschheit schützt vor Brutalität und Unmenschlichkeit. Die Rückkehr heidnischer Mythologie bedeutet auch die Wiedereinführung von Intoleranz und den Kampf aller gegen alle.

http://www.welt.de/daten/1999/05/29/0529lw67156.htx

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