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Die Zeit schrieb über diese Studie folgendes:

 

 

Was denkt der Kopf unter dem Tuch?

 

 

Die erste repräsentative Untersuchung muslimischer Kopftuchträgerinnen zeigt: Sie sind ganz normale Frauen

 

Von Frank Drieschner

 

Über das Kopftuch muslimischer Frauen schien alles gesagt zu sein. Acht Jahre ist es her, dass das Land Baden-Württemberg der Lehramtskandidatin Fereshda Ludin ob ihrer verhüllten Haartracht die Einstellung in den öffentlichen Dienst verwehrte. In den folgenden Jahren tobte ein heftiger Streit um die angebliche Gefahr einer islamistischen Machtergreifung durch Deutschlands Gerichtssäle, Talkshows und Feuilletons. Politisch ist der Fall entschieden, fast alle Bundesländer haben Kopftuchverbote erlassen. Juristisch geht die Auseinandersetzung mit dem Erfolg einer Klägerin gegen die neue Landeskleiderordnung gerade in die nächste Runde.

 

Im Rückblick verwundert an dieser Debatte vor allem eines: wie wenig Aufmerksamkeit den Köpfen unter den Tüchern gewidmet wurde, um die allein es offenbar ging. Am Donnerstag dieser Woche legt die Konrad-Adenauer-Stiftung die erste umfassende Untersuchung über Denken und Einstellungen muslimischer Kopftuchträgerinnen in Deutschland vor. Wer sie liest, der muss sich fragen, aus welchen Quellen die Verfechter des Verbots ihre angeblichen Erkenntnisse eigentlich geschöpft haben. Denn, siehe da, die multikulturelle Gesellschaft ist homogener als bislang vermutet. Die befragten Frauen denken und empfinden kaum anders als durchschnittliche Deutsche.

 

Bislang stand praktisch alles, was man über hiesige Kopftuchträgerinnen wissen konnte, in einer mittlerweile sieben Jahre alten Doktorarbeit der Bremer Professorin Yasemin Karakasoglu, die auch Grundlage einer knappen Stellungnahme für das Bundesverfassungsgericht war. Sie hält das Kopftuch für harmlos. Ihre Widersacher hat diese Arbeit wenig beeindruckt; zum einen stützte sie sich lediglich auf Gespräche mit 26 kopftuchtragenden Jungakademikerinnen; zum anderen scheute sich die Autorin nicht, sich öffentlich mit konservativen Muslimen an einen Tisch zu setzen, was ihr alsbald als islamistische Voreingenommenheit ausgelegt wurde.

 

Einwänden dieser Art ist die Untersuchung der CDU-nahen Adenauer-Stiftung nicht ausgesetzt. Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf, einer der Autoren, hat sich als empirisch arbeitender Integrationsforscher einen Namen gemacht. Und die Arbeit, die er zusammen mit seinem Kollegen Frank Jessen nun vorlegt, ist fast in jeder Hinsicht so repräsentativ, wie eine Studie über eine Gruppe unbekannter Größe und Zusammensetzung es nur sein kann. 315 Frauen aus verschiedenen Teilen Deutschlands haben die Autoren durch türkischsprachige Mitarbeiter befragen lassen – gebildete und weniger gebildete, deutsche Staatsbürgerinnen und Türkinnen, Ältere und Junge, Hausfrauen und Berufstätige.

 

Es lohnt, sich vor der Lektüre der nüchternen Arbeit noch einmal die schrillen Töne des Kopftuchstreits in Erinnerung zu rufen. Eine »Flagge der islamistischen Kreuzzügler« soll dies Stück Stoff der feministischen Journalistin Alice Schwarzer zufolge sein, ein Symbol der »Fanatiker, die den Rechtsstaat abschaffen, die Scharia einführen wollen«. Ganz ähnlich argumentiert Deutschlands prominenteste Kopftuchgegnerin, die ehemalige Baden-Württembergische Kultusministerin Annette Schavan, die als Bundesforschungsministerin im Prinzip den Befunden einer empirischen Sozialwissenschaft verpflichtet sein müsste. Das Kopftuch, behauptet sie, sei ein »Symbol für politischen Islamismus, für kulturelle Abgrenzung«. Und es möge doch, bitte schön, »niemand so tun, als würden junge Mädchen bis heute nicht gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen«.

 

Wäre das Kopftuch ein islamistisches Symbol, dann sollte man unter seinen Trägerinnen eine nennenswerte Zahl von Islamistinnen erwarten, von Frauen, die hierzulande die Demokratie abschaffen und einen Gottesstaat nach iranischem oder talibanischem Vorbild einführen wollen. Die Wirklichkeit sieht anders aus. 90 Prozent der Befragten wünschen sich eine durchs Volk gewählte Regierung. Und dabei sind jene unter ihnen noch nicht einmal mitgezählt, die wie mancher christliche Wähler auf eine Regierung von Gottes Gnaden hoffen, die aber aus einer demokratischen Wahl hervorgehen soll. Zieht man zum Vergleich repräsentative Umfragen unter Deutschen heran, erweisen sich die Kopftuchträgerinnen keinesfalls als schlechtere Demokratinnen.

 

Dieser Befund wiegt umso schwerer, als die Adenauer-Forscher gezielt nach Vertreterinnen eines radikalen Islams Ausschau gehalten haben. Ihre Gesprächspartnerinnen haben sie sich nicht nur in drei unauffälligen Gemeinden in Berlin, Hamburg und Stuttgart gesucht, sondern auch in einer Aachener Moschee, die seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Da dies nur für 39 von rund 2800 Moscheen in Deutschland zutrifft, sollten Anhängerinnen einer problematischen Islam-Interpretation unter den befragten Frauen eigentlich deutlich überrepräsentiert sein.

 

Stattdessen: Normalität, wohin man schaut. Ob es um die Bedeutung von Ehe und Partnerschaft geht, um persönliche Freiheit, um finanzielle Sicherheit oder um Kinder – stets lassen sich die Daten, die Meinungsforscher von Infratest dimap im vergangenen Jahr für deutsche Frauen ermittelten, nahezu uneingeschränkt auf türkischstämmige Kopftuchträgerinnen übertragen. Und der wichtigste Unterschied ist wenig überraschend: Die Musliminnen sind bei weitem religiöser.

 

Nun könnten sich hinter ähnlichen Ansichten über die Bedeutung einer guten Partnerschaft große Unterschiede in der Frage verbergen, worin eine solche bestehe. Aber die Untersuchung der Adenauer-Stiftung lässt kaum Raum für eine derartige Interpretation. Die befragten Frauen zeigten wenig Neigung, sich Männern unterzuordnen. Sie legen Wert auf berufliche Selbstverwirklichung, sie halten nichts von der Hausfrauenehe. Und genau wie andere Frauen wünschen sie sich (vermutlich ebenso vergeblich) Männer, die einen gleichen Teil der Hausarbeit übernehmen.

 

Bleibt noch zu klären, warum Musliminnen Kopftücher tragen? »Es gibt muslimische Frauen, die das Kopftuch als Zeichen des Selbstbewusstseins tragen«, urteilte mit gönnerhafter Ausgewogenheit die Süddeutsche Zeitung. »Es gibt aber mit Sicherheit mehr muslimische Frauen, die mit dem Kopftuch aus dem Haus gehen, weil es ihnen irgendein Mann so gesagt hat.« Woher nur stammt diese Sicherheit? In Wirklichkeit, sagen die befragten Frauen, hätten ihre Väter wenig und ihre Brüder und Ehemänner nichts mit ihrer Entscheidung für das Tuch zu tun. Vielmehr haben sie sich offenkundig in der weit überwiegenden Zahl aller Fälle selbstständig und freiwillig entschieden, ihr Haar zu verhüllen. Fast ausnahmslos glauben sie, dass es sich so und nicht anders für gute Musliminnen gezieme. Eine Kleiderordnung an staatlichen Schulen stellt Lehrerinnen mit Kopftuch demnach vor die Alternative zwischen Beruf und Religion.

 

Lediglich eine Besonderheit fanden die Forscher, die zu bewerten ihnen schwer fiel. Während die Mehrheit der Befragten glaubt, vor Gott seien alle Menschen gleich, meint immerhin jede dritte Kopftuchträgerin, von Allah besonders geschätzt zu werden. Ob diese theologische Ansicht für das Zusammenleben mit Andersglaubenden von Bedeutung ist, lässt sich nach Lektüre der Studie nicht sagen. Jedenfalls erklärt sie, warum fast alle Teilnehmerinnen der Erhebung sagen, ihr Kopftuch gebe ihnen Selbstvertrauen.

 

Ein anderer Unterschied zwischen durchschnittlichen Deutschen und Musliminnen mit Kopftuch ist dagegen hoch bedenklich. Vier von fünf Befragten betrachten sich als Bürgerinnen zweiter Klasse. Mit Blick auf die Debatte, die Deutschland seit Jahren über ihre verhüllten Köpfe hinweg führt, erscheint dieser Gedanke nicht abwegig.

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