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Geert Mak ist niederländischer Schriftsteller. Michael Hesse sprach mit dem Intellektuellen über den Erfolg des Rechtspopulisten Geert Wilders in Holland, Immigranten und den Zusammenbruch der politischen Mitte.

 

Herr Mak, die rechten Parteien gewinnen in den Niederlanden, in Belgien, vorher Ungarn oder Slowenien. Steht Europa vor einem Rechtsruck?

 

GEERT MAK: Im Allgemeinen muss man das so sehen. Für die Niederlande stimmt es aber nicht. Man könnte zwar glauben, dass die letzte Wahl eine Radikalisierung darstellt. Aber grundsätzlich betrachtet haben die Niederlande keinen Schritt weiter nach rechts getan. Der Unterschied zwischen rechts und links liegt immer noch bei rund 70 Sitzen im Parlament. Es ist eher so, dass die Mitte in sich zusammengebrochen ist. Viele der christdemokratischen Wähler sind nach rechts gegangen.

 

Wie kann die Mitte so einfach zerbrechen in einem so reichen Land wie die Niederlande?

 

MAK: Die alte christdemokratische Partei war noch die letzte Säule des alten Systems. Es hätte viel früher einstürzen können. Balkenende hat sich überschätzt. Die CDA hatte, als sie an der Macht war, ein riesiges Führungsproblem. Das lag daran, dass sie die Fähigkeit zur Selbstkritik durch die Gewohnheit, so lange an der Macht zu sein, verloren hat. Die CDA waren immer daran gewöhnt, dass die alten christdemokratischen Wähler im Süden des Landes ihnen ihre Stimmen geben. Die aber gaben der PVV von Geert Wilders ihre Stimmen.

War das abzusehen?

 

MAK: Nein, das war deshalb erstaunlich, weil die Probleme mit der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund im Süden kaum eine Rolle spielt. Trotzdem haben die Menschen dort Wilders gewählt. Wilders' großes Thema ist immer wieder Immigration. Aber ich glaube, seine Wähler haben einen anderen Hintergrund für ihre Wahl: Sie rebellieren gegen die Elite.

 

Eine parteipolitische Evolution als Ursache von Wilders' Aufstieg?

 

MAK: Ja. Die CDA hatte einen ähnlichen Rückschlag in den 90er Jahren, fand aber zurück. Jetzt, glaube ich, hat sie keine Chance mehr zurückzukehren. Ihre Parteimitglieder sind alt. Im Gegensatz hierzu sind die Politiker der Wilders-Partei jung und ziehen viele junge Menschen an.

 

Die Menschen in den Niederlanden haben einen hohen Bildungsgrad. Wilders setzt auf einfache Parolen. Warum hat er damit Erfolg?

 

MAK: Jedes europäische Land hat 15 bis 20 Prozent unzufriedene Wähler. Das ist eine alte Tendenz in ganz Europa. Die Niederlande haben lange von sich selbst gedacht – übrigens dachten andere von außen auch so über die Niederlande –, wir sind besser als die anderen. Nun müssen sie einsehen, dass auch sie normale Europäer sind. Wilders' Ergebnis ist schade. Er hat 15 Prozent der Stimmen erhalten. Aber er hat die anderen 85 Prozent mit Hilfe der Medien, der Zeitungen oder des Fernsehens beeinflusst. Ähnlich wie McCarthy in den 50er Jahren in den USA hat auch Wilders eine enorm hohe Quote wegen seiner Vereinfachung im Fernsehen. Obwohl mein Eindruck ist, dass er die Debatten im letzten halben Jahr vor der Wahl nicht mehr so dominiert hat, wie noch zuvor.

 

Ist die Immigranten-Frage tatsächlich das zentrale Problem westlicher Gesellschaften? Man sollte annehmen, dass es zurzeit doch ganz andere Probleme gibt.

 

MAK: In der Tat. Wir haben in den vergangenen Monaten wieder über andere Sachen diskutiert, als über die Schwierigkeiten mit marokkanischen oder türkischen Jugendlichen. Die Arbeitslosigkeit oder die Ökonomie. Der Wahlkampf war in den Niederlanden sehr provinziell: Es gab kein Wort über Europa und Europas Zukunft oder die weltweiten Entwicklungen. Das hat mich geärgert. Da ist das große Problem: Unsere Schwierigkeiten wie auch die Lösungen sind europäische, aber unser demokratisches Theater ist noch immer national. Demokratie hat für die Bürger immer noch eine nationale Dimension. Sie hat noch keinen Weg in die europäische Ebene gefunden. Eine öffentliche europäische Debatte – die sehr wünschenswert wäre – ist immer noch nicht in Gang gekommen. Wir alle zahlen einen hohen Preis dafür, weil die Debatten immer provinzieller werden. Die Frustration über das heutige Europa mündet in einer Flucht in den Provinzialismus, weil man glaubt, keine Macht über die Vorgänge auf europäischer Ebene haben. Dabei liegen unsere Chancen und Hoffnungen in Europa. Das sage ich nicht, weil ich ein Träumer oder Idealist wäre. Das ist die Realität. Unsere Realität ist Europa. In Deutschland wird das in der Bevölkerung viel bewusster gelebt als in den Niederlanden. Wir haben als kleines Land das Gefühl, keine Macht zu haben. Deshalb versuchen wir, ähnlich wie in Dänemark, alle Macht ins Nationale zu projizieren.

 

Also sind die Einwanderer nicht das Problem, sondern das Ventil der Unzufriedenen?

 

MAK: Ja, die Einwanderer sind nur ein Ventil. Es hilft Wilders sicher, dass die Arbeitslosigkeit und die Wirtschaftskrise im Süden der Niederlande besonders massiv sind. Das soll alles die Schuld der Marokkaner sein, sagt Wilders. Aber selbst er weiß, dass das nicht richtig ist. An den Wahlen kann man gut ablesen, dass die Einwanderer ein Ventil sind, denn in sehr vielen Orten, in denen Wilders Erfolg hatte, gibt es keine Integrationsprobleme. Zum Beispiel in Volendam, einer kleinen Gemeinde, wo Wilders sehr populär ist. Viele Menschen leben von den Touristen im Ort, 40 Prozent wählen auch Wilders. Die marokkanischen Familien lassen sich an einer Hand abzählen, die dort leben. Im Süden – wie der Provinz Limburg oder der Provinz Brabant – gibt es ein paar Orte, an denen es Schwierigkeiten mit Einwanderern gegeben hat, aber im allgemeinen gibt es keine Probleme. Man kann sie nicht mit Problemen in Rotterdam oder Utrecht oder Den Haag vergleichen. Trotzdem stellt Wilder dort die größte Partei. Seine Wahl symbolisiert die Angstgefühle der Menschen vor der Zukunft und vor dem Anderen. Niederländische Städte wie Amsterdam, Den Haag, Rotterdam waren immer Immigrationsstädte gewesen, das ist immer Dynamit gewesen. Sie sind ein Schmelztiegel. Ohne Immigranten wäre Amsterdam nichts, das ist international eine ganz normal Entwicklung. Gewisse Stadtviertel haben in der Tat die Probleme, über die Wilders redet. Ansonsten dienen die Immigranten nur als Ventil.

 

Was ist von Wilders zu erwarten? Er hat ja eine gewisse Entwicklung hinter sich hin zum Rechtspopulisten.

 

MAK: Es wird interessant sein, das zu beobachten. Er hat ja innerhalb von nur zwölf Stunden sein neben dem Immigranten wichtigstes Wahlversprechen, das Renteneintrittsalter nicht von 65 auf 67 Jahren raufzusetzen, zurückgezogen. Er ist so zynisch wie ein amerikanischer Neocon. Von ihnen hat er auch viel gelernt, was er in den Wahlen versprechen muss, um Stimmen zu erhalten. Und dass er auf seiner Machtbasis einem ganz anderen Plan folgt und eine ganz andere Gruppe bedient. Ich glaube, dass er nicht viel bewirken wird. Er muss mit den Liberalen und den Christdemokraten gemeinsam regieren. Sie kennen ihn sehr gut, er war ja selbst Mitglied in der CVD, und wissen, dass es unmöglich ist, mit ihm zu diskutieren und zu arbeiten. Seine Partei zeigt im Übrigen Züge einer Rebellion. Es ist fraglich, ob er seine Partei zusammenhalten kann. Er hat kein Personal, das zumindest ein minimales Profil besitzt, um in einer Regierung arbeiten zu können.

 

Welche Regierungskoalition fänden Sie am interessantesten für die Niederlande?

 

MAK: Eine große liberale Koalition mit Liberalen, Sozialdemokraten, der „D66“ – einer progressiv-liberalen Partei – und den Grünen. Das wäre sehr interessant und etwas Neues für die Niederlande. Der Unterschied zwischen diesen Gruppen ist zwar relativ groß, aber sie können gut auf einer persönlichen Ebene zusammenarbeiten. Es erscheint mir nicht unmöglich. Die Möglichkeit einer rechts-liberalen Koalition mit Wilders ist sehr klein, weil sie nur eine kleine Mehrheit hätte. Die latente Gefahr ist, dass nach kurzer Zeit einige Sitze im Parlament wegen der Kabale in Wilders Partei verloren gehen.

 

Was trauen Sie Wilders zu?

 

MAK: Wilders hat nicht die Breite von Pim Fortuyn, der sich ernsthaft mit dem Integrationsproblem auseinandergesetzt hat. Wilders setzt auf Slogans und hat die Organisation seiner Partei nicht aufgebaut. Er ist quasi das einzige Mitglied seiner Partei. Wilders ist ein eitler Mensch, man kann mit ihm nicht diskutieren. In den 90er Jahren war er nie an Integration interessiert, damals war es in den Niederlanden eigentlich am schlimmsten. Erst später hat er gemerkt, dass er mit dem Thema bei den Wählern ankommt. In Wirklichkeit weiß er nichts über den Islam und die Integration und ist auch nicht daran interessiert. Er gibt nur Slogans von sich. Man darf aber auch im Ausland nicht den gleichen Fehler machen, wie in den Niederlanden. Dass die Frage der Integration von solchen Parteien wie der von Wilders diskutiert wird.

 

Leben wir in einer Zeit, in der die Menschen nur noch auf einfache Slogans hören?

 

MAK: Das ist immer in schwierigen Zeiten so. Viele Menschen, die Mehrheit, verstehen ganz gut, dass die Dinge kompliziert sind und es keine einfache Lösungen für die heutigen Probleme gibt. Leute, die Wilders gewählt haben, sagen: Natürlich, er ist ein Idiot, er geht viel zu weit, aber sie sagen sich: Wir wollen der politischen Elite einmal eine Lektion erteilen. Sie sehen aber nicht, dass man als Wähler auch eine Verantwortung hat.

 

Das Gespräch führte Michael Hesse

 

 

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