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Die geistigen Dinge und die Frau - ist es nicht so, dass diese beiden Begriffe für die Mehrheit der Menschen im Gegensatz zueinander zu stehen scheinen? Eine Frau ist entweder hübsch oder klug oder erfolgreich oder eine tüchtige Hausfrau und Mutter. Unter glücklichen Umständen besitzt eine Frau sogar zwei oder mehrere dieser Eigenschaften. Wo aber bleiben die geistigen Dinge? Wie auch sollte sie überhaupt Zeit aufbringen für ihre Spiritualität? Selbst wenn man Männern diesbezüglich Zugeständnisse macht, bedeutet das kaum, dass man der Frau ohne zu murren dasselbe Recht einräumt. Von ihr wird erwartet, dass sie erdgebunden sei, zu beschäftigt mit Alltagsdingen, um sich in geistige Sphären zu erheben. Ganz ehrlich: würde eine Frau ihrem Mann sagen, dass sie, anstatt abends fernzusehen, sich lieber irgendwo ganz in Ruhe zurückziehen würde, um ihre Gedanken zu sammeln, dann würde er sie höchstwahrscheinlich ganz erstaunt anschauen und, falls er eher ein Grobian ist, fragen, ob sie verrückt geworden sei oder, sollte er gutmütig sein, sie mit einem nachsichtigen Lächeln entlassen.

Doch wollen wir uns zunächst einmal damit befassen, was ganz allgemein unter Spiritualität zu verstehen ist. Wenn wir Muslime uns umsehen - und hier spreche ich ganz besonders von uns

Muslimen, die wir in einer westlichen Umwelt leben -, dann werden wir feststellen, dass wir uns ei- gentlich in einer ziemlich ähnlichen Lage befinden, wie die Leute in der wunderschönen Geschichte von den Inselbewohnern. Während ihre Vorfahren - die durch ein Missgeschick aus dem vollkommensten Land der Glückseligkeit auf die Insel verschlagen worden waren - zumindest noch eine ganz schwache Erinnerung an ihr früheres freudvolles Dasein im Herzen getragen hatten, kannten die Inselbewohner schließlich nichts anderes mehr als ihren gegenwärtigen Zufluchtsort. Da fanden sie ihre Nahrung, konnten sich kleiden, hatten ihre Unterkunft und zogen ihre Kinder groß. So schien also alles gut und recht zu sein. Eines Tages jedoch tauchte ein Mann bei ihnen auf, der ihnen erzählte, dass sie, sofern sie nur lernen würden zu schwimmen oder Schiffe zu bauen, von ihrer Insel aufbrechen und wieder einen Aufenthaltsort von schier unvorstellbarer Herrlichkeit erreichten könnten. Gar manche der Inselbewohner begannen, mit solch aufregenden Aussichten vor Augen, viel ihrer Zeit und Energie darauf zu verwenden, Schwimmen und Schiffsbau zu erler-nen.Bald erfuhr der Herrscher der Insel davon und fing an, seinen Untertanen in beschwörenden Worten vorzuhalten, dass sie doch alles hätten, was sie benötigten und dass es folglich völlig unnötig für sie sei, das Schwimmen oder den Bau von Schiffen zu erlernen und dass es für die Schiffe sowieso keine Verwendung gebe. Sie seien doch so vernünftig, dass sie sich alles, was sie brauchten, auf der Insel beschaffen könnten. Warum sollten sie sich also die Mühe machen und darüber womöglich noch ihre Pflichten auf der Insel vernachlässigen? Und davon abgesehen,wenn Schiffe oder das Schwimmen irgendwelchen tatsächlichen Nutzen hätten, wer könne ihm dann Schiffe zeigen, die eine Reise unternommen hätten oder Schwimmer, die je zurückgekehrt seien?

Es half dem Prediger wenig, als er die Leute darauf aufmerksam machte, dass der Bau von Schiffen eine gewisse Kunstfertigkeit erfordere, die etwas in sich berge, was man „baraka" nennt und dass der Gleichklang dieses Wortes mit dem Begriff Barken - Schiffe - doch nicht zufällig sei. Es wurde ihm verboten, die Inselbewohner weiter zu lehren und Schiffe wurden gebrandmarkt als „imaginäre Fahrzeuge, von denen ein Betrüger behauptete, man könne damit das Wasser überqueren, was sich mittlerweile wissenschaftlich als unhaltbar erwiesen habe". So also hatten die Inselbewohner bald wieder nichts anderes mehr im Sinn als ihren materiellen Wohlstand und lebten in Bequemlichkeit und priesen sich gegenseitig für ihr fortschrittliches Denken.

Nur ein einziger Mann wagte es, sich nach einiger Zeit zu dem vertriebenen Prediger zu begeben und von ihm zu verlangen: „Lehre mich schwimmen." „Das will ich gerne tun. Aber du musst dann alles zurücklassen." Ja, natürlich. Ich muss lediglich mein Fässchen Kohl mitnehmen." „Was für einen Kohl?" „Nun, das Essen, das ich auf der anderen Insel brauchen werde." „Es gibt dort viel bessere Dinge zu essen." „Da bin ich nicht so sicher. Ich muss meinen Kohl dabeihaben." „Aber du kannst nicht schwimmen mit einem Fässchen voll Kohl." „Dann kann ich nicht aufbrechen..."

Wie seltsam ist das doch: Gott hat uns einen herrlichen Weg eröffnet, der uns näher zu Ihm führt, wenn wir nur bereit sind, auf den ,,ruh' den Geist, den Er uns eingehaucht hat, zu lauschen, am „iman" festzuhalten, was bedeutet, an Ihn zu glauben und Ihn als unseren einzigen Schöpfer und Erhalter anzuerkennen, uns mit allen uns zu Gebote stehenden Kräften darum zu bemühen, Sein Wohlgefallen zu erlangen, indem wir das befolgen, was Er uns durch Seine auserwählte Religion, den Islam - wörtlich: die Gottergebenheit - offenbart hat, und wenn wir aufrichtig be-strebt sind, uns Ihm durch den „ihsan" zu nähern, das heißt durch intensives Nachdenken über Seine unendliche Barmherzigkeit. Alle diese Möglichkeiten sind vor uns ausgebreitet - doch wer von uns ist schon bereit, sein Fässchen voll Kohl zurückzulassen?

Tatsache ist, dass die geistigen Dinge heute bei den meisten Menschen als etwas für hoffnungslose Träumer gelten, die den Boden unter den Füßen verloren haben, oder aber für sehr selbstsüchtige Leute, die nichts anderes als ihr eigenes eingebildetes geistiges Wohlergehen im Sinn haben.

Interessant ist jedoch, was „Der Neue Knaur" über das Wort Geist (lateinisch Spiritus) zu sagen hat: „Immaterielles, substantielles, einfaches, lebendiges und schöpferisches Prinzip, das im Gegensatz zum Stoff, aber auch zur bloß animalischen Beseeltheit verstanden wird. - Als subjektiver Geist ist der Geist individuell und Wesensmoment des Menschen; er äußert sich in Verstand, Selbst-und Seinsverständnis, in freier Selbstverwirklichung und schöpferischem Handeln..."

Spiritualität muss davon in Übereinstimmung mit dem persönlichen Verständnis jedes einzelnen abgeleitet werden. Doch ist sie unbestreitbar etwas Immaterielles und doch durchaus Substantielles, etwas sehr Einfaches.

Und wenn sie nicht durch schieren Materialismus erstickt wurde, ist sie auch außerordentlich lebendig und wunderbar schöpferisch.

Um auf Knaurs „Geist, der sich im Verstand des Menschen äußert" zurückzukommen: ob ein Mensch tatsächlich Spiritualität besitzt, zeigt sich in seiner Fähigkeit, nachzudenken - ist er im Stande, sich ihrer in richtiger Weise zu bedienen, indem er erkennt, woher er kommt und wer ihm das Leben gab? Kann er sich selbst verstehen und den Sinn seines Daseins, den Zweck, für den er lebt? Und kann er den Zweck seines Daseins ungehindert verwirklichen, indem er sich seiner Fähigkeiten entsprechend der Absicht seines Schöpfers bedient, indem er die Prüfungen, die ihm auferlegt werden, auf sich nimmt und geläutert, weiser, mit einem deutlicheren Verständnis für seine Rolle hier auf Erden daraus hervorgeht? Und kann er sich von alten und unnützen Gewohnheiten und Sehnsüchten trennen, um dadurch seine Vorstellungskraft von diesem Ballast zu befreien, so dass seine schöpferischen Eigenschaften sich voll entfalten können, er in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes handelt und als Gottes Stellvertreter auf Erden nicht das wunderbare Gleichgewicht in der Natur zerstört, sondern sie sich auf vernünftige und verantwortungsvolle Weise dienstbar macht, indem er schöne und nützliche, nicht hässliche und schädliche Dinge schafft?

Es ist erstaunlich, wie die ziemlich sachliche Beschreibung im Knaur in ihrem Kern mit dem übereinstimmt, was wir in den Offenbarungen über den Geist und die Spiritualität lesen. Lassen Sie mich aus der Bibel zitieren:

„Sondern (wir verkünden) wie geschrieben steht: ,Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und was in keines Menschen Her2 gedrungen ist, alles das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben. Denn uns hat es Gott offenbart durch den Geist; denn der Geist erforscht alles, sogar die Tiefen Gottes. Welcher Mensch nämlich weiß, was im Menschen ist, als nur der Geist des Menschen, der in ihm ist? So erkennt auch keiner, was in Gott ist, als nur der Geist Gottes. Wir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott stammt, damit wir erkennen, was uns von Gott in Gnaden verliehen ward. Davon reden wir auch, aber nicht in angelernten Worten menschlicher Weisheit, sondern in Worten, die wir vom Geiste lernten, indem wir Geistesgut in Geistesworten ausdrücken. Ein naturhafter Mensch aber nimmt nicht auf, was vom Geiste Gottes stammt; denn es ist ihm eine Torheit, und er vermag es nicht zu begreifen, weil es geistig beurteilt werden will." (1. Korintherbrief 2:9-14) Und im Quran lesen wir:

„Und (gedenket der Zeit) da dein Herr zu den Engeln sprach: Ich bin im Begriffe, den Menschen aus trockenem, tönendem Lehm zu erschaffen, aus schwarzem, zu Gestalt gebildetem Schlamm; wenn Ich ihn nun vollkommen geformt und ihm Meinen Geist eingehaucht habe, dann fallet vor ihm dienend nieder.' Da fielen die Engel alle zusammen nieder. Nicht so „Iblis'; er weigerte sich, unter den Niederfallenden zu sein."(Quran Sure 15:28-31) So wurde also der Geist dem Menschen von seinem Schöpfer eingehaucht und er ist eine so köstliche Gabe, dass sich selbst die reinen Engel bereitwillig vor ihm verneigen. Nur die Mächte des Bösen, die Stolzen und Neidisehen weigern sich, sich vor diesem göttlichen Geschenk an den Menschen zu verneigen; ja, es ist sogar ihre erklärte Absicht, es zu besudeln. Nur die aufrichtigen Diener Gottes sind es, über die Mächte des Bösen keine Gewalt haben.

So wird uns also sowohl in den vorangegangenen Offenbarungen wie auch im Quran gesagt, dass es einzig und allein der uns von Gott mitgegebene Geist ist, der uns von den übrigen Geschöpfen unterscheidet. Darum ist es unsere heilige Pflicht, diesen Geist zur Entfaltung zu bringen und ihn nicht unter materiellen Sorgen, sinnlichen Freuden oder auch unter gar zu hektischer Arbeit für die Sache des Islam verkümmern oder verschüttet gehen zu lassen.

Wenn unsere Tätigkeit auf diesem Gebiet dazu führt, dass wir in unserem täglichen Gebet anstatt bewusst die Worte „allahu akbar und aschhadu an la ilaha illa-Ilah" (Gott ist der Größte und ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer dem (einen) Gott gibt) auszusprechen, sie nur noch Lippenbekenntnis sind, während unsere Gedanken unbe-wusst zur letzten oder nächsten islamischen

Zusammenkunft oder irgendeiner anderen muslimischen Angelegenheit abschweifen, dann wird es höchste Zeit für uns, uns selbst Einhalt zu gebieten. Der Islam ist für uns der schönste und geradeste Weg näher zu Gott, aber er darf nicht zum Endzweck werden. Er ist nur der Mittler zur Erlangung des göttlichen Wohlgefallens. Wenn wir erst einmal verstanden haben, was für eine kostbare Verantwortung, welche beglückende Bürde die Spiritualität für uns ist, dann müssen wir unsere Kräfte bewusst darauf ausrichten, auch dementsprechend zu leben. Allerdings sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass echte Spiritualität es absolut nicht nötig hat, für sich selbst Reklame zu machen. Sie ist vielmehr etwas so Starkes, Mächtiges, dass sie sich ganz von selbst dem kundtut, der offene Augen und einen aufnahmefähigen Verstand hat. Sie ist wie eine Art von Geheimsprache, die unter jenen benützt wird, die sie besitzen, zu fein und zart, um von anderen verstanden zu werden.

Dies führt uns zu einem sehr wichtigen Aspekt der Spiritualität, den ich ausgezeichnet erklärt fand bei Frithjof Schuon: „Die (menschlichen) Tugenden bezeugen die Schönheit Gottes. Es ist unvernünftig und verderblich -für einen selbst wie für andere -, die Wahrheit zu denken und die Großherzigkeit außer Acht zu lassen.... Den Geboten des Qurans entsprechend erfordert das Gedenken an Gott die Grundtugenden und - im Zusammenhang mit ihnen -die Werke der Tugend, die je nach den Umständen erforderlich werden.. Die grundlegenden und allgemeinen Tugenden, die von der menschlichen Natur nicht zu trennen sind, sind die Demut oder die Selbstverleugnung; die Nächstenliebe oder die Großherzigkeit; die Wahrhaftigkeit oder Aufrichtigkeit und die Unparteilichkeit; sodann die Wachsamkeit oder Beharrlichkeit; die Genügsamkeit oder die Geduld und schließlich die Seinseigenschaft der einenden Frömmigkeit, der geistigen Formbarkeit und der Anlage zur Heiligkeit." (F. Schuon: Den Islam verstehen, O.W. Barth Verlag, München, 1988, S. 184/185).

Ich meine, es versteht sich von selbst, dass die Spiritualität denjenigen meidet, der stolz oder eigensüchtig, neidisch oder geizig, verlogen oder unaufrichtig, nachlässig, ungeduldig und voreingenommen gegen Frömmigkeit ist. Um unseren Teil dazu beizutragen, dass Gottes herrliches Gleichgewicht in allern, was Er erschaffen hat, erhalten bleibt, müssen wir ernsthaft bestrebt sein, uns aller Neigungen zu entledigen, die eine Gefahr für das gottgewollte Gleichgewicht darstellen könnten, wir müssen tapfer gegen alle zersetzenden Übel angehen.

Mann und Frau sind vor Gottes Angesicht gleich, darum tragen sie auch die gleiche Verantwortung. Doch wenn wir von der Aufrechterhaltung des göttlichen Gleichgewichts, sei es in der Natur oder innerhalb der menschlichen Gesellschaft, sprechen, hat es keinen Sinn, von einer Hausfrau und Mutter zu verlangen, dass sie die Umwelt nicht durch hässliche Gebäude, Fabriken oder Atomreak-toren zerstören solle. Ihre Spiritualität muss in praktische Bahnen gelenkt werden, die es ihr ermöglichen, zu einem wertvollen Mitglied der Gemeinschaft jener zu werden, die mit Spiritualität begabt sind. Schließlich ist es doch so, dass eine Frau durch die ihr angeborene Sanftmut und Zärt-lichkeit, ihre Gabe, andere zu lieben und Liebe um sich herum zu verbreiten, von Gott dazu ausersehen ist, geistige Werte unter jenen zur Entfaltung zu bringen, mit denen sie lebt. Und ihre Liebe ist ihre stärkste Waffe gegen den Ansturm nackter, materieller Weltlichkeit. Darum muss ihr von ihrer Familie ein wenig Ruhe zugestanden werden, selbst wenn es nur ein paar Minuten am Abend sind, in denen sie sich in ihre „him" zurückziehen kann, damit durch ungestörtes Nachsinnen ihre Liebe erneuert und gestärkt werde. Dass Frauen zu geistiger Hingabe fähig sind, erweist sich auf das Vorzüglichste an Rabaa al-Adawiyya aus Basra, unter deren Perlen der Weisheit mich die folgenden Zeilen besonders tief berührt haben:

„O mein Herr, wenn ich Dich aus Furcht vor der Hölle anbete, dann lass mich in der Hölle verbrennen; und wenn ich Dich in der Hoffnung auf das Paradies anbete, dann verwehre es mir; doch wenn ich Dich um Deiner Selbst willen anbete, dann enthalte mir Deine ewigwährende Herrlichkeit nicht vor."

Natürlich können wir, selbst wenn wir uns zu den geistigen Dingen hingezogen fühlen, nicht alle lauter Rabaas werden. Aber ich glaube, Frau Dr. Riffat Hassan Saud hat uns in ihrer Abhandlung über „Die Rolle und Verantwortung der muslimischen Frau im Universum" (Al-Ittihad ) den geraden Weg aufgezeigt, so wie er vom Quran vorgeschrieben wird: „Das Ziel ... wird erreicht, wenn der ... Suchende, der Gott in seinem Innersten erfahren hat, sich seiner Sendung im Leben bewusst wird -nämlich, die allerhöchste Wahrheit, die sich im offenbart hat, zu bezeugen. Jeder Muslim -

Mann oder Frau - ist dazu aufgerufen, Zeugnis für die Einheit (und Einzigkeit) Gottes abzulegen (aschhadu an la ila illa-llah).

Dieses Zeugnis lässt sich nicht ablegen ohne die innere Erfahrung. Jeder Muslim - Mann oder Frau - muss nach seiner tiefinnersten Erfahrung Gottes streben und, nachdem er sie gefunden hat, diese innere Erfahrung in die äußere Wirklichkeit umsetzen. Die echte islamische Mystik muss (den Menschen) dazu führen, dass er seine mystische Vision durch Taten verwirklicht, denn wir glauben daran, dass „iman" (der Glaube) nicht vollkommen ist ohne „amal (die Tat) und dass der „dschihad' (das Streben für die Sache Gottes) ein unentbehrlicher Wesenszug des Glaubens ist."

Meiner Ansicht nach ist die Spiritualität allerdings so mannigfaltig wie jene, die sich darum bemühen, ihr geistiges Leben zur Entfaltung zu bringen. Wenn ich über meine eigenen Erfahrungen spreche, würde ich sagen, das s ich mich erstmals davon berührt fühlte, als ich ein Mädchen von etwa zwölf Jahren war und unter einem Baum in einem lichtgrünen Wald saß, vermutlich irgendwann im Juni. Durch die Blätter, die sich unter einer liebkosenden Brise sanft bewegten, waren Fleckchen eines märchenhaft blauen Himmels sichtbar, vielleicht mit einem weichen weißen Wölkchen hier und dort hingetupft. Die Vögel zwitscherten und ich überlegte mir, ob ich wohl die erste sei, die sich an diesen starken Baum schmiegte, der schon Generationen vorüberziehen gesehen haben mochte, oder ob schon andere vor mir dieselbe Dankbarkeit Gott gegenüber gespürt haben dürften dafür, dass es ihnen vergönnt war, die Schönheit eines solchen Tages bei guter Gesundheit und ohne besondere Sorgen zu erleben. Diese Dankbarkeit wurde zu etwas so Überwältigendem für mich, dass es von da ab mein innigster Wunsch war, in Erfahrung zu bringen, wie ich Gott auf meine bescheidene Weise für Seine unendliche Güte danken, ich Ihm näher kommen könnte.

Als ich viel, viel später auf meiner Suche nach der Erfüllung dieses Wunsches mit dem Islam in Berührung kam, war es wie ein Wunder für mich: indem er sich vor meinen staunenden Sinnen von Woche zu Woche und von Monat zu Monat und von Jahr zu Jahr im Verlauf der vergangenen zwanzig Jahre in all seiner Schönheit und Reinheit entfaltete, fand ich auf jeder Seite des Qurans, in den Bü-chern über Hadith, in den Lebensbeschreibungen des Propheten (Friede sei mit ihm) und in den Schriften der aufrichtig gläubigen Muslime die köstlichsten Perlen, die sich zu einer endlosen Gebetskette reihen und sich durch meine Gedanken ziehen, seitdem ich mein Glaubensbekenntnis abgelegt habe. Zu welchem Thema ich auch gerade etwas lesen mochte, mein Herz wollte schier überlaufen und rief mir immer wieder zu: ja, ja, das ist die Wahrheit, das ist, was ich schon immer gefühlt habe, das kann nur von Gott, dem Allmächtigen kommen und von jenen, die durch ihre Liebe zu Ihm inspiriert sind."

So erwuchs aus meiner Dankbarkeit eine immer tiefere Liebe: Liebe zu Gott und Liebe zu all dem, was Er erschaffen hat: zur Erde, die manchmal und mancherorts so unglaublich und zauberhaft schön ist und auf der selbst dort, wo sie, durch menschliche Ausbeutung verdorben und hässlich ist, das Schöne dennoch immer wieder durchbricht, sei es in einem winzigen Gänseblümchen, das sich neben einem abscheulichen Stacheldraht zur Sonne streckt oder seine Blättchen durch harte Pflastersteine schiebt, sei es in einem bunten Vogel, der sich trotz schwarzer Fabrikschornstein und giftiger Rauchwolken durch die Luft schwingt oder sei es in einem Kind, das ein Liedchen vor sich hinsummt, obwohl der ringsum tobende Verkehrslärm alles zu verschlucken droht. Liebe zu Pflanzen und Tieren, groß und klein, die uns dienstbar gemacht worden sind, obwohl wir sie heutzutage so schlecht behandeln. Und natürlich liebe zu unseren Mitmenschen - den armen und reichen, den alten und jungen, den guten und den manchmal unartigen, weil sie ja doch alle auf ihre Weise genauso verzweifelt zu kämpfen haben wie wir selbst, ob man das nun merkt oder nicht. Das ist meine Art von Spiritualität, die sich mit jedem Vers im Quran, den ich immer wieder von neuem lese und mit jedem Gebet, das mir so unentbehrlich erscheint wie das Atmen, immer mehr vertieft.

Doch sollte man nicht übersehen, dass die Spiritualität etwas sehr Zartes, Schutzbedürftiges ist - man hat fast Angst, ihr Schaden zuzufügen, indem sie in Alltagsworten zu erklären versucht. Darum möchte ich eine Parabel verwenden. Da ist eine Frau, die ein Gärtchen vor ihrem Haus bestellt. Dieses Stückchen Land, ein winziges Fleckchen in Gottes unendlich großem Universum, ist ihr anvertraut. Sie kann daraus ein Abbild von Gottes Kunstfertigkeit in der Natur, ja im ganzen Kosmos mit seinen Sternen und herrlich ausgewogenen Gesetzen machen. Der Boden ist fruchtbar, er will geradezu Pflanzen hervorbringen. Wenn die Frau gute, nützliche und schöne Samenkörner aussäht,

wird sie im Lauf der Zeit einen hübschen Garten haben, zu ihrer eigenen Freude und der ihrer Familie und aller, die vorbeikommen. Wenn sie sich jedoch nicht darum kümmert, nicht sorgfältig plant, was alles wachsen sollte und sich nicht die Mühe macht, Samen zu verteilen, wird es bald nur noch Unkraut geben oder der Boden wird völlig unfruchtbar.

Dieser Garten kann also zu einer kleinen Insel im Ozean der Aufruhr und des Unfriedens werden. Zwar können wir unsere Kinder und alle, die wir lieben, nicht daran hindern, den Garten zeitweilig zu verlassen. Doch können wir den Garten so schön pflegen und hübsch gestalten, dass sie freudig zu uns zurückkehren. Denn dort werden sie sich sicher fühlen. Wie Martin Luther einst sagte: „Wie man nicht wehren kann, dass einem die Vögel nicht über den Kopf herfliegen, aber wohl, dass sie nicht auf dem Kopf nisten: so kann man auch bösen Gedanken nicht wehren, aber wohl, dass sie nicht in uns einwurzeln und böse Taten hervorbringen."

Spiritualität, die im Quran Männern und Frauen gleichermaßen ans Herz gelegt wird, bewahrt uns vor den Übeln unserer Zeit, sie erfüllt unser Inneres mit guten Gedanken und verhindert das Eindringen dessen, was schädlich ist. Und sie führt uns zusammen, uns die Muslime, die Gott den Allmächtigen lieben. So möge uns der folgende Vers aus dem Quran auf unserem schweren Weg begleiten:

„Du wirst kein Volk finden, das an Gott und den Jüngsten Tag glaubt, und dabei die liebt, die sich Gott und Seinem Gesandten widersetzen, selbst wenn es ihre Väter wären oder ihre Söhne oder ihre Brüder oder ihre Verwandten. Das sind die, in deren Herzen Gott den Glauben eingeprägt hat und die Er gestärkt hat mit Seinem Wort. Er wird sie in Gärten führen, durch die Ströme fließen. Darin werden sie weilen ewiglich. Gott ist wohl zufrieden mit ihnen und sie sind wohl zufrieden mit Ihm. Sie sind Gottes Anhänger. Wahrlich! Es sind Gottes Anhänger, die Erfolgreichen sind." (Sure 58 Vers 22)

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