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Die Debatte über die Zuwanderer aus muslimischen Ländern krankt noch immer an Pauschalierung und mangelndem Faktenwissen, meint Expertin Sonja Haug. Die Forscherin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fordert, vorhandene gute Ansätze konsequenter zu verwirklichen.

 

Über die Integration der türkei- und arabischstämmigen Bevölkerung in Deutschland wird heftig diskutiert. Nicht alle Beiträge werden der Vielschichtigkeit des Lebens der Zuwanderer gerecht, wie es sich in der repräsentativen Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge über "Muslimisches Leben in Deutschland" zeigt. Und es gibt bereits gute Ansätze, um den Bildungserfolg von Zuwandererkindern zu verbessern - sie müssen nur konsequenter verwirklicht werden.

 

Muslime stellen einen Anteil von rund fünf Prozent der Gesamtbevölkerung, und nur etwa ein Viertel der Zuwanderer ist muslimischen Glaubens. Da nur sieben Prozent der muslimischen Bevölkerung Deutschlands in Berlin leben, wäre eine Übertragung der Berliner Erfahrungen auf die Lage in der gesamten Republik eine Übergeneralisierung.

 

Hinsichtlich der regionalen Herkunft handelt es sich bei den Muslimen in Deutschland um eine sehr heterogene Bevölkerung. Wie zu erwarten, dominiert die große Gruppe der Türkeistämmigen. So haben knapp 2,6 Millionen der in Deutschland lebenden Muslime türkische Wurzeln. Aus den südosteuropäischen Ländern Bosnien-Herzegowina, Bulgarien und Albanien stammen etwa 550 000 Personen. Die drittgrößte muslimische Bevölkerungsgruppe in Deutschland sind mit 330 000 Migranten aus dem Nahen Osten. Man kann diese Gruppen angesichts ihrer unterschiedlichen Herkunftskontexte, Zuwanderungsmotive und unterschiedlichen Erfolgsgeschichten nicht pauschal bewerten.

 

Die neuen Ergebnisse belegen, dass zum Teil erhebliche Anteile der Personen mit Migrationshintergrund aus den oben genannten Herkunftsländern keine Muslime sind. Beispielsweise gehören fast 40 Prozent der Migranten aus Iran gar keiner Religionsgemeinschaft an. Aus anderen überwiegend muslimisch geprägten Herkunftsländern wie etwa dem Irak sind verstärkt religiöse Minderheiten zugewandert, die nicht dem Islam zuzurechnen sind. Aus der religiösen Zusammensetzung der Bevölkerung des Herkunftslandes kann daher nicht automatisch auf die Religion der hier lebenden Migranten geschlossen werden.

 

Auch einige der besonders gängigen Vorurteile über die Integration muslimischer Frauen lassen sich mit Blick auf die aktuelle Datenlage widerlegen. Bei Themen wie dem Tragen des Kopftuchs oder der Teilnahme an schulischen Unterrichtsangeboten zeigt sich, dass die Bedeutung der Religion relativiert werden muss. Das Kopftuch ist vor allem unter den älteren muslimischen Frauen verbreitet. Bei Frauen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren liegt der Anteil nur bei 22 Prozent. Bei den türkischstämmigen Musliminnen über 16 Jahren geben 66 Prozent an, nie ein Kopftuch zu tragen.

 

Insgesamt zeigen die Analysen über die Teilnahme am gemischtgeschlechtlichen Sport- und Schwimmunterricht sowie an Klassenfahrten, dass eine große Mehrzahl der Schüler und Schülerinnen aus muslimisch geprägten Ländern diese Unterrichtsangebote wahrnimmt. Fast alle muslimischen Schülerinnen, für die ein entsprechendes Angebot besteht, nehmen am Schwimmunterricht bzw. an Klassenfahrten teil, nur sieben beziehungsweise zehn Prozent bleiben diesem Angebot fern.

 

Ein Irrtum ist auch die Annahme, Migranten aus muslimischen Herkunftsländern stützten sich vor allem auf staatliche Hilfen. 80 Prozent von ihnen können als Einkommensquelle entweder auf Lohn oder eine selbstständige Tätigkeit zurückgreifen. Gerade der ausgesprochen hohe Anteil an Selbstständigen - bei türkischstämmigen Muslimen ein Fünftel, bei denen aus Iran und Süd- oder Südostasien rund ein Drittel - zeigt die Bereitschaft, selbst für den Lebensunterhalt zu sorgen.

 

Eine Abhängigkeit von Transferleistungen tritt insbesondere bei sehr niedriger und sehr hoher Schulbildung auf. Es zeigt sich jedoch gleichzeitig, dass entgegen gängigen Vorurteilen durchaus auch Migranten ohne Schulabschluss in den Arbeitsmarkt integriert sind. Migranten mit mittlerem Schulbildungsniveau sind am seltensten auf Transfereinkommen angewiesen.

 

Bei den befragten Muslimen ist überwiegend keine ethnische und interreligiöse Abgrenzung feststellbar. Bei allen muslimischen Herkunftsgruppen ist der Anteil derjenigen, die keine Alltagskontakte zu Deutschen haben und auch keinen Kontaktwunsch äußern, nicht größer als ein Prozent. Eine explizite Abgrenzungstendenz konnte nicht festgestellt werden. Soziale Kontakte stellen eine Basis für den gesellschaftlichen Zusammenhalt dar. So ist die Mitgliedschaft in Vereinen eine Ressource für die Integration in die Aufnahmegesellschaft. Mehr als die Hälfte der Muslime sind Mitglied in einem deutschen Verein oder Verband, häufig in Sportvereinen oder Gewerkschaften. Die Häufigkeit der sozialen Alltagskontakte der Befragten zu Personen deutscher Abstammung ist relativ hoch, und Muslime aus allen Herkunftsregionen zeigen eine hohe Bereitschaft zu häufigeren Kontakten mit Deutschen.

 

Zuwanderer aus muslimisch geprägten Herkunftsländern wie Iran, aber auch aus dem Nahen Osten, Nordafrika, Zentralasien oder Süd-/Südostasien weisen häufig ein hohes Bildungsniveau auf. Insofern stimmt die manchmal behauptete Bildungsferne nur bedingt und trifft nur auf einzelne Gruppen zu, vor allem auf türkischstämmige Zuwanderer und Migranten aus Südosteuropa.

 

Differenziert man nach erster und zweiter Zuwanderergeneration, zeigt sich bei allen Herkunftsgruppen, dass die in Deutschland geborenen Angehörigen der zweiten Generation deutlich häufiger als ihre Elterngeneration das deutsche Schulsystem mit einem Schulabschluss verlassen. Hier lässt sich ein relativer Bildungsaufstieg erkennen. Noch immer jedoch erreichen 13 Prozent der zweiten Zuwanderergeneration keinen Schulabschluss, bei den aus der Türkei stammenden Männern der zweiten Generation sind es 15 Prozent, bei aus Nordafrika stammenden Migranten 12 Prozent.

Insbesondere unter den türkischstämmigen Frauen der zweiten Generation zeigt sich ein bemerkenswerter Bildungsaufstieg. Waren noch 42 Prozent der Frauen der ersten Generation ohne jeglichen Schulabschluss, so liegt dieser Anteil in der zweiten Generation nur noch bei knapp 14 Prozent. Dagegen erreicht ein Fünftel von ihnen die Hochschulreife.

 

Jedoch darf auch nicht unerwähnt bleiben, dass sich muslimische Frauen vor allem mit türkischer Herkunft nach der Schule häufig auf die Familiengründung konzentrieren und auf eine Berufsausbildung verzichten. Von Geschlechteregalität im Hinblick auf das Erwerbsleben kann bei dieser Gruppe nicht gesprochen werden.

 

Im Generationenverlauf lässt sich also insgesamt ein deutlicher Bildungsaufstieg erkennen, der bei den Herkunftslandgruppen aber unterschiedlich ausfällt. So wird für die Gruppe der türkischen Migranten in verschiedenen Studien festgestellt, dass sie im Hinblick auf den Erwerb von Schulabschlüssen und die Platzierung auf dem Arbeitsmarkt hinter anderen Nationalitätengruppen aus den südeuropäischen Anwerbeländern zurückfallen. Die Ergebnisse der Studie zeigen ergänzend, dass die türkischstämmigen Migranten nicht nur im Vergleich zu Migranten aus südeuropäischen Anwerbeländern und zu Aussiedlern, sondern auch im Vergleich zu Migranten aus anderen muslimischen geprägten Herkunftsländern beim Indikator Schulbildung relativ schlecht abschneiden. Dies erklärt sich vor allem durch die extrem niedrigen Werte bei türkischen Frauen der ersten Zuwanderergeneration.

 

Ein erheblicher Teil der Zuwandererkinder kann die erworbenen Qualifikationen auch auf dem Arbeitsmarkt nutzen. Je höher das Bildungsniveau, umso höher ist die Positionierung auf dem Arbeitsmarkt: Dieser Zusammenhang gilt auch für muslimische Zuwanderer. Studien geben aber auch Hinweise darauf, dass sie bei gleicher Qualifikation eher Gefahr laufen, arbeitslos zu sein, als Deutsche.

 

Die Arbeitslosigkeit der Zuwanderer tritt häufig im Zusammenhang mit dem Strukturwandel der Industriearbeit auf und ist somit Folge der Anwerbung vor bald 50 Jahren. Die gezielte Anwerbung von Arbeitnehmern aus bildungsfernen Schichten wirkt sich noch heute auf die Chancen ihrer Nachkommen bei Bildung und Arbeit aus. Defizite der zweiten Migrantengeneration in diesen beiden Bereichen sind jedoch kein spezifisches Zuwandererproblem. Studien wie Pisa konnten feststellen, dass ein Bildungsaufstieg in Deutschland im internationalen Vergleich besonders schwierig ist, auch für Personen ohne Migrationshintergrund.

 

Was also ist zu tun? Die strukturellen Integrationsdefizite müssen Anlass für weitere staatliche Integrationsbemühungen sein. Die Integration von Muslimen und anderen Migranten aus muslimischen Herkunftsländern darf sich dabei nicht nur auf die religiösen Zielgruppen beschränken, sondern muss weiterhin breit angelegt sein. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist hierbei neben der Sprachförderung durch die bundesweiten Integrationskurse die Integration durch Bildung. Trotz eines generell im Generationenverlauf feststellbaren Bildungsaufstiegs weisen die relativ hohe Quote an Schulabgängern ohne Abschluss und der vergleichsweise niedrige Anteil an Abiturienten auf weiter bestehende Bildungsdefizite von Zuwanderern hin. Betrachtet man die nachfolgenden Generationen, so bleibt Bildung das zentrale Aktionsfeld der Integrationspolitik. Zudem liegt einer der größten Problembereiche darin, dass junge männliche Migranten aus einigen muslimisch geprägten Herkunftsländern überdurchschnittlich häufig die Schule ohne Abschluss verlassen.

 

Über die Förderung der vorschulischen, schulischen und außerschulischen Bildung von Migranten ist bereits viel diskutiert worden, sie muss nun konsequent umgesetzt werden. Alle Kinder sollten möglichst früh Deutsch lernen. Sinnvoll ist auch, mehr Lehrkräfte mit Migrationshintergrund einzustellen und die Schulsozialarbeit zu stärken, um die Fachlehrkräfte zu entlasten, das Lernumfeld zu verbessern und die schicht- und migrationsspezifischen Probleme im Schulalltag zu beheben.

 

Neben staatlichen Bemühungen sollte auch die Elterngeneration in der Verantwortung für die Bildung ihrer Kinder bestärkt werden. Die intensivere Einbeziehung des familiären Umfeldes in schulisches und außerschulisches Lernen könnte hier ein geeignetes Mittel sein, um Bildungs- und Berufskarrieren von Zuwandererkindern verstärkt zu fördern. Eltern sollten umfangreich über die Deutschkenntnisse ihrer Kindern und deren Förderung informiert werden und dazu motiviert werden, ihren Kindern den optimalen Erwerb der deutschen Sprache zu ermöglichen. Ein Beispiel dabei sind die bundesweiten Elternintegrationskurse, bei denen neben dem Hauptlernziel Sprachkenntnisse vor allem Wert auf die Behandlung der Themen Erziehung, Bildung und Ausbildung der Kinder gelegt wird.

 

Ein weiterer Ansatzpunkt liegt in der Unterstützung der elterlichen Erziehungskompetenz sowie einer Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Migranteneltern und den Bildungsinstitutionen. Für die Zusammenarbeit mit Eltern haben sich Programme bewährt, bei denen Kooperationen zwischen Bildungseinrichtungen und Akteuren mit Multiplikatorenfunktion gefördert werden. Im vorschulischen Bereich gibt es zudem unterschiedliche Programme zur Förderung des Bildungserfolgs von Migrantenkindern, die Hausbesuche und Gruppentreffen vorsehen oder Sprachförderprogramme, in denen Mütter mit Migrationshintergrund darin angeleitet werden, ihr Kind sprachlich zu fördern. Schulbegleitende Programme dienen der Information von Migranteneltern über die Struktur des deutschen Bildungssystems.

 

 

Sonja Haug, 21.10.2009

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