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„Dürfen sie von Ihrer Religion aus etwas nicht machen, was sie in ihrem Beruf machen müssten?", fragte mich ein Oberarzt bei der persönlichen Vorstellung für eine Unterassistentenstelle. Ich fragte ihn ob er wissen wollte ob ich Männer untersuchen dürfte oder nicht. Ja, das wäre seine eigentliche Frage. Gemäss meines Wissens, antwortete ich, dass der Islam der Frau erlaube einen Mann zu untersuchen(wie es auch dem Mann erlaubt ist, eine Frau zu untersuchen). Er nickte! Eine Unklarheit weniger, dachte ich mir.......

 

Nach einigen Monaten war es endlich so weit: ich trat meine erste Stelle als Unterassistent an....

 

Der erste Tag war immer etwas besonders. Nach der Begrüssung wurde ich in das Arbeitsteam eingeführt. Wie alle anderen Unterassistenten gehörte ich gleich mit meinen Pflichten und Rechten zum Team. Der persönliche Anschluss zu den Mitarbeitern war jedoch unterschiedlich. Einige äusserten Ihr Interesse spontan; andere eher diplomatisch und vorsichtig. Mit der Zeit ergaben sich entspannte Diskussionsrunden. Ich spürte auch wie ich mit Skepsis und Kritik beobachtet wurde. Unerwartet fiel mal eine Bemerkung in die Runde um ein Gespräch ins Rollen zu bringen.

 

Der Hauptanstoss zu den Fragen waren meine Herkunft, die Politik, meine Bekleidung und last but not least: das Kopftuch. Die Diskussionen verzweigten sich in mehrere Themen.

 

„Bist Du eine Muhammadanerin?", fragte mich ein Assistent bei der ersten Kaffeerunde.

 

„Nein, eine Muslima. Es gibt keine Muhammadaner, auch wenn dieses Wort öfters gebraucht wird.", erklärte ich. Er wollte wissen was der Unterschied ist. „Wir beten Gott an; nicht Muhammad." Es überraschte mehrere, dass auch die Muslime Gott (arabisch: Allah) anbeten und an alle Propheten glauben: Adam, Abraham, Moses, Jesus und Muhammad als der letzte in der Reihe.

 

„Was bedeutet das Tuch?", „Du bist deiner Kultur sehr treu!"„ Darfst du von der Religion aus deine Haare nicht zeigen?" waren die Bemerkungen bezüglich meiner Bekleidung. Ein Assistent fragte ganz direkt:„Wieso laufet ihr mit däm Tuech umme?" Ich erklärte ihm, dass es zu der Bekleidung der muslimischen Frau gehöre, wobei nur das Gesicht und die Hände unbedeckt bleiben, wenn sie unter fremden Männern ist. „Wer bestimmt das?", war die nächste Frage.„ Es wird den Frauen im Qur´an empfohlen." Er interessierte ihn wie es wäre, wenn die Frau es nicht machen würde. „Es ist eine Sache zwischen Ihr und Gott." „Und der Mann? Bestimmt nicht er es?" „Nein, er hat nichts damit zu tun."

 

Ein Praktikum absolvierte ich in Schwyz. Dort kannten mich einige Mitarbeiter von der Zeit als ich noch kein Kopftuch trug. Sie fragten prompt nach der Begrüssung ob ich denn jetzt verheiratet wäre und mich deshalb bedecken würde. Ich erklärte ihnen, dass ich aus Ueberzeugung die islamische Bekleidung trage. „ Es ist toll, dass Du das praktizierst, was Du glaubst und dazu stehst." war ihre Reaktion. Gelegentlich vertiefte sich die Diskussion und wir sprachen detaillierter über den Sinn hinter dieser Bekleidungsart. Der Islam bemüht sich um eine gesunde Gesellschaft, wobei den Männern und den Frauen verschiedene innerliche sowie äusserliche Empfehlungen im Qur´an erläutert werden. Die Bekleidung ist ein Schutz, wenn man unter fremden Menschen ist. Einige empfanden es diskriminierend, dass die Frauen ihre Schönheit „verhüllen" müssten, wobei der Mann sich „normal" kleiden kann. Ich wies sie auf die Qur´anstelle hin, wobei diesbezüglich zuerst der Mann dann die Frau angesprochen wird. Es wird über das Wie gesprochen, was man anzieht ist jedem frei gestellt.

 

„Sind sie eine Fundamentalistin?",fragte ein Belegarzt, als die Assistentin mich vorstellte. Ich erklärte ihm, dass ich überzeugt zum Islam stehe. Der Islam verurteilt jedoch die Intoleranz, welche heute von den sogenannten Fundamentalisten an den Tag gebracht wird, falls das seine Frage wäre. Er guckte mich skeptisch an:„Gibt es mehrere Studentinnen wie sie in Zürich?" Er hätte in Bern studiert und noch nie eine Studentin wie mich angetroffen.

 

Für die meisten war ich eine „untypische" Muslima: aufgeschlossen und selbstsicher. Immer wieder fragte man mich ob ich mein Studium und meine Einstellung mit dem Glauben verein-baren kann. Ich versuchte wiederholt zu erklären, dass im Islam die Frau ihr Leben im Sinne ihrer Pflichten und Rechten gestaltet, welche ihrer psychischen und physischen Eigenschaften gerecht werden und dass sie für ihr Tun und Lassen Gott gegenüber verantwortlich ist(wie der Mann auch). Ihre Rechte beziehen sich auf Erziehung, Bildung, das Recht ihren Beruf auszuüben, Erbrecht, Eherecht einschliesslich das Gütertrennungsrecht, das Recht sich scheiden zu lassen, das Recht zur Zeugenaussage sowie Mitbestimmung bei politischen Angelegenheiten inklusive Wahlrecht. Der Islam gibt mir das selbstbewusste Auftreten, welches manche als emanzipiert ansahen.

 

Prompt kam dann die Frage, warum die Musliminnen in Praxis so wenig Rechte haben. Blinde Nachahmung von Traditionen, die mit dem Islam nichts zu tun haben und Unwissen haben dazu beigetragen, dass Muslime die Vorurteile, die gegen den Islam herrschen, bestätigen.

 

Der Unterschied zwischen Christentum und Islam stand zur Diskussion als Yusuf Islam, alias Cat Stevens im deutschen Fernsehen auftrat. Beeindruckend war für viele, dass er einen innerlichen Frieden ausstrahlte und nicht versuchte zu missionieren. Das Judentum und den Islam verglich ich öfters mit einem Mitstreiter in Zürich und später an meiner letzten Stelle an einem jüdischem Spital in New York. Der Umgang mit den „Anderen" war dort flexibel. Interreligiöse Meinungsaustausche fanden ganz spontan statt. Hier standen die jüdische und islamische Gesellschaftsordnungen, die Stellung der Juden im Qur´an und die Ernährungsvorschriften in den beiden Glaubensrichtungen hauptsächlich im Gespräch.

 

Ein Neonatologe begrüsste mich ohne mir die Hand zu reichen Er hätte mich als Muslima erkannt und aus Respekt nicht die Hand gereicht, erklärte er mir später. Es wurde überall diskutiert. Beim Kaffee, beim Essen, im Notfall, im Operationssaal und auch während den Überwachungen der Allgemeinnarkosen. Falls die Operation fertig war, setzte man die Diskussion ab, und als der nächste Patient eingeleitet war ging es weiter.

 

Natürlich gab es auch Situationen wo ich meinen Geduldspegel höher setzen müsste. Ich habe gelernt, dass gerade Unsicherheit zu solchen Situationen Anlass gibt. Es war für mich wichtiger die Gelegenheit war zunehmen und eine Kommunikation herzustellen; man kann ja später jemanden auf seine/ihre Art aufmerksam machen. Mit einigen Ausnahmen verstand ich mich nachher bestens mit diesen Leuten.

 

Organisatorisch tauchte an einer Stelle die Frage auf, wie ich es mit meiner Bekleidung im Operationssaal und der sterilen Notfalltriage machen würde. Kein Problem! Der Islam ist ein flexibles Sytem. Mit etwas Logik wird man aufgefordert den Situationen entsprechend sich zu verhalten. Wir sind ja alle im OPS gewesen und wissen, dass man dort eh von Kopf bis Fuss bekleidet wird.

 

Wie es Euch vielleicht bekannt ist, beten die Muslime fünfmal am Tag. Je nach Jahreszeit fal-len zwei oder drei Gebetszeiten in unsere Arbeitszeiten. Ich fand überall eine stille Ecke um mein Gebet zu verrichten: Im Aufenthaltsraum, Untersuchungsraum oder ein Büro. Ein Oberpfleger teilte sein Büro „brüderlich" mit mir. Er setzte auch mal eine 10 minütige Pause ein, damit ich mein Gebet verrichten konnte.

 

Ich habe bis jetzt immer von Mitarbeitern gesprochen. Die Patienten akzeptierten mich wie jeden anderen im weissen Kittel. Sie fanden es interessant, ihre geographischen Kenntnisse ins Rollen zu bringen, um zu erraten von wo ich kommen würde. Einige schlossen sogar Wetten ab. Bei einer Prämedizierung hörte ich ein Flüstern im Patientenzimmer: „Du die iesch a Fr. Doktor." „ Dänn wird sie wohl öppis wüsse!" erwiderte der Kollege. Eine ältere Dame fragte die Kollegin ob ich eine Ordensschwester wäre. Eine andere Patientin fragte mich ob ich das Kopftuch wegen dem Mann tragen würde. Als ich ihr erklärte, dass ich es nie wegen einem Mann tun würde, fragte sie mich warum ich es dann tragen würde. „ Weil es im Qur´an empfohlen wird, ich glaube in der Bibel doch auch?" „Dann finde ich es sehr gut, dass sie es machen." Wir unterhielten uns noch um einiges ausser ihrer Systemanamnese! Auch meine kleinen Patienten akzeptierten mich ohne Problem.

 

„Doch, doch das ist unsere Unterassistentin, ganz sicher!", hörte ich den Oberpfleger einmal im Notfall. Ein Sanitäter wollte es ihm nicht glauben, dass die „Bedeckte", die eben vorbei gelaufen war, eine Unterassistentin sei!

 

Zum Abschluss möchte ich den obenerwähnten Oberarzt nochmals zu Wort kommen lassen.

 

Anscheinend hatte er ganz gespannt darauf gewartet, wie ich mich verhalten würde, wenn ich meine Aussage in Praxis umsetzten müsste. Später fragte ich ihn scherzend einmal, was er gemacht hätte, wenn ich gesagt hätte, dass ich keine Männer untersuchen würde. „Ich hätte dir die Gynäkologische Karriere empfohlen!", war seine prompte Antwort.

 

Von Maajida Tufail, Universität Zürich

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