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Die größten Nato-Staaten haben sich auf den Dänen Anders Fogh Rasmussen als neuen Generalsekretär des Bündnisses geeinigt. Doch die Türkei will ihn verhindern. Zu Recht!

 

Das hat es so noch nicht gegeben: Die Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens haben sich auf einen neuen Nato-Generalsekretär geeinigt. Die Amerikaner signalisieren Zustimmung. Doch dann greift der Premier eines anderen Mitgliedslandes zum Telefon, ruft den Auserkorenen an und erklärt ihm, warum er leider trotz allerhöchster Protektion nicht infrage komme. Damit nicht genug: Der Störenfried wendet sich anschließend an die Presse und macht seine Ablehnung öffentlich. So geschehen am Wochenende, als der türkische Premierminister Erdoðan den Medien in Ankara eröffnete, dass die Türkei den dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen nicht als politisches Gesicht der Nato akzeptieren werde.

 

Der 56-jährige Rechtsliberale Rasmussen regiert bereits seit 2001 in Kopenhagen, immer aus der Minderheitenposition, zusammen mit den Konservativen, geduldet von den Rechtspopulisten der Folkeparti. Rasmussen hat das sozialdemokratische Machtmonopol in Dänemark gebrochen, die Steuern gesenkt, das Land in zwei Kriege geführt und die schärfsten Ausländergesetze Europas verabschiedet. Er hinterlässt ein anderes Dänemark, wenn er nun auf den Posten des Generalsekretärs wechseln sollte, wie es sein Wunsch ist.

 

 

Ob es allerdings dazu kommt, ist unterdessen fraglich geworden. Und das vor dem Jubiläumsgipfel des Militärbündnisses am Ende dieser Woche, bei dem man den Nachfolger für den Holländer Jaap de Hoop Scheffer, der im Sommer aus dem Amt scheidet, nun wahrscheinlich nicht wird präsentieren können. Auch ohne ein förmliches Veto ist Rasmussen beschädigt. Ob wohl erstmals ein Türke am Ende darüber bestimmt, wer (nicht) Nato-Chef werden kann? Allein die Möglichkeit verblüfft. Willkommen in der neuen Weltordnung.

 

Erst durch ihn wurde ein lokaler Skandal zur globalen Krise

 

Die europäischen Regierungschefs sind begreiflicherweise sauer auf Erdoðan, der sie so hat auflaufen lassen. Doch wenn sie ihren Ärger herunterschlucken und tief durchatmen, werden sie ihm vielleicht bald dankbar sein, weil er ihnen eine späte Gelegenheit verschafft hat, eine Fehlentscheidung zu revidieren.

 

Warum brauchte es erst die peinliche türkische Intervention, um Merkel, Sarkozy, Brown und Obama vor Augen zu führen, dass Rasmussen vielleicht nicht der rechte Mann ist, die Nato in der heutigen Welt zu repräsentieren? Für ihn spricht, dass er Dänemark aus dem außenpolitischen Dornröschenschlaf geführt hat. Die Dänen kämpfen heute im afghanischen Süden – dort, wo es gefährlich ist. Und es mag auch für ihn eingenommen haben, dass er nicht als abgelegter Expolitiker, sondern als amtierender Ministerpräsident in sein neues Amt wechseln und dieses damit aufwerten würde. Doch eben als dänischer Regierungschef bringt Rasmussen auch schweres Gepäck mit.

 

 

Er ist vor drei Jahren durch die Affäre um die Mohammed-Karikaturen einer dänischen Zeitung, die in der muslimischen Welt für Empörung sorgten, auf die Weltbühne katapultiert worden. Er hat sich dabei keinen Ruhm erworben. Erst durch sein Missmanagement ist aus einem lokalen Skandal eine globale Krise geworden.

 

Im September 2005 waren die Karikaturen veröffentlicht worden. Monatelang ließ Rasmussen die Sache schleifen. Botschafter islamischer Staaten, die die Krise begrenzen helfen wollten, wurden brüsk zurückgewiesen. 22 ehemalige dänische Diplomaten forderten Rasmussen auf, das Gespräch mit den Vertretern der islamischen Staaten zu suchen. Rasmussen aber erklärte in hochfahrendem Ton, Pressefreiheit könne kein Gegenstand des diplomatischen Dialogs sein. Es hatte freilich niemand gefordert, er solle Abstriche bei den Grundfreiheiten machen. Im Gegenteil: Er hätte das Gespräch mit den islamischen Diplomaten nutzen können, um höflich, aber entschieden solche Wünsche zurückzuweisen – und zugleich sein Mitgefühl auszudrücken mit jenen Gläubigen, die sich angegriffen fühlten. Stattdessen gab Rasmussen sich erst als arroganter Oberlehrer, um dann, als der Druck vom Ausland weiter wuchs und dänische Botschaften brannten, plötzlich andere Töne anzuschlagen: In seiner Neujahrsansprache verurteilte er auf einmal alle Äußerungen, die Menschen »aufgrund ihres Glaubens verteufeln«. Der Gebrauch der Meinungsfreiheit setze wechselseitigen Respekt und einen »ordentlichen Ton« voraus.

 

Dieses Einknicken ließ die dänische Regierung innen- wie außenpolitisch blamiert dastehen. Sie hatte die muslimische Minderheit im Land spüren lassen, dass ihre Befindlichkeiten erst dann interessieren, wenn ihre mächtigen (und meist undemokratischen) Herkunftsländer Dänemark mit Sanktionen drohen. Ausgerechnet Staaten wie Saudi-Arabien, Ägypten und Syrien – die selbst die Meinungsfreiheit unterdrücken – konnten sich als Anwälte europäischer Muslime gerieren.

 

Diese Geschichte holt Rasmussen nun ein. Denn für einen Nato-Generalsekretär ist es heute unabdingbar, mit der muslimischen Welt umgehen zu können. Das Schicksal des Militärbündnisses wird sich nicht zuletzt daran entscheiden, ob die Mission in Afghanistan doch noch zu einem Erfolg wird. Und zum neuen Ansatz des Westens gehört es, dabei auf die Nachbarn in der Region zu setzen – vor allem Pakistan und Iran –, ohne deren Unterstützung der Kampf nicht zu gewinnen ist. Rasmussen ist dort verhasst.

 

Rasmussens Unterstützer vertreten die Lesart, den Dänen werde heimgezahlt, dass man sich so kompromisslos zur Meinungsfreiheit bekannt habe. Doch so einfach ist es nicht. Der Karikaturenstreit war eine Lektion darin, dass es die fein säuberliche Trennung von Innen- und Außenpolitik nicht mehr gibt. Dass die scheiternde Integration der islamischen Minderheit in einem kleinen Land im Norden Europas die geopolitische Lage des gesamten Westens verändern kann. Dass der große Krieg gegen den islamistischen Terrorismus nicht zu gewinnen ist, wenn die vielen kleinen Kulturkämpfe um den Islam und die Moderne nicht eingehegt werden.

 

Die Ära Rasmussen hat die Stimmung in seiner Heimat vergiftet

 

Anders Fogh Rasmussen steht für den engherzigen Widerstand gegen solche Lernprozesse – unter dem Druck der ausländerfeindlichen Rechtspopulisten der Dansk Folkeparti um die charismatische Pia Kjaersgaard, die seine Regierung tolerieren. Seine Einbindungsstrategie hat diese ressentimentgeladene Truppe weder geschwächt noch zivilisiert. Unwidersprochen haben Folkeparti-Politiker Muslime als »Krebsgeschwür« und »Pest« Europas tituliert. Aus den letzten Wahlen im Jahr 2007 gingen die Populisten gestärkt hervor. Die Ära Rasmussen hat die Stimmung im Land vergiftet.

 

 

Rasmussen, der Muslim-Schreck

 

In der islamischen Welt ist auch nicht vergessen worden, dass Rasmussen Dänemark in den Irakkrieg geführt hat, und zwar als ein besonders eifriger Gefolgsmann von George W. Bush. »Wir glauben nicht nur, wir wissen, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen besitzt«, hat er 2003 überall verkündet, obwohl sein eigener Nachrichtendienst große Zweifel daran hatte. Wie dieser Politiker zu dem neuen Ansatz passen soll, den Obama mit seiner Politik der »ausgestreckten Hand« gegenüber der muslimischen Welt versuchen will, ist das eigentliche Rätsel der Causa Rasmussen. Rasmussens Ernennung wäre ein unverhofftes Propagandageschenk an die Taliban und an ihre Verbündeten von al-Qaida in Pakistan, die seit eh und je behaupten, die Nato sei in Afghanistan als Feind der Muslime.

 

Es ist bitter für die Führer der sogenannten westlichen Allianz, die lautstarke Einmischung von Nichtmitgliedern ernst zu nehmen, als deren Sprachrohr sich die Türkei Erdoðans anbietet. Und zweifellos verfolgt Erdoðan auch seine eigene Agenda: Den Türken ist an der Schließung des Senders Roj TV gelegen, der von Dänemark ungehindert Propaganda der kurdischen Terrororganisation PKK verbreiten darf. Vor allem aber will Erdoðan sich als unerschrockener Sprecher der islamischen Welt präsentieren, wie schon zuletzt in Davos, als er wegen des Gaza-Krieges wütend vom Podium stapfte. Es wäre aber falsch, seinen Aufstand als Theaterdonner abzutun.

 

Er ist vielmehr ein Anzeichen für die neue Welt mit vielen Machtpolen, deren Gesetze alle Seiten noch verstehen lernen müssen. Wir leben nicht mehr in einer Welt, in der ein paar Telefonate zwischen Berlin, Paris, London und Washington genügen, um den Chefdiplomaten eines Militärbündnisses zu finden, das ja auch längst nicht mehr nur für den alten Westen des Kalten Krieges steht. Und eine Allianz wie die Nato, die sich zu Recht tief in die Belange der islamischen Welt eingemischt hat und das auch weiter tun muss, hat guten Grund, die Bedenken der islamischen Staaten – und erst recht ihres einzigen muslimisch geprägten Mitglieds, der Türkei – zur Kenntnis zu nehmen.

 

 

Von Jörg Lau | © DIE ZEIT, 02.04.2009 Nr. 15

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