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Der Koran ist doch keine Zeitung

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Andy Abbas Schulz, islamische Jugendarbeit, über das Video »Fitna«, Kritik am ZDF und nötige Aufklärung

 

Ängste und Vorurteile gegenüber dem Islam sind in der westlichen Welt allgegenwärtig. Vor Kurzem veröffentlichte der niederländische Rechtspopulist Geert Wilder das Video »Fitna«, in dem öffentlich Gräueltaten, im Namen des Islam begangen, dargestellt werden. Und die ZDF-Sendung Frontal-21 griff unter anderem das Interreligiöse Zentrum für Dialog und Bildung (IZDB) an, das seit Jahren, bei der Aufklärung über den Islam, erfolgreich mit Polizei und Politik zusammenarbeitet. Es wurden Vorwürfe erhoben, das IZDB akzeptiere nicht die Grundlagen der deutschen Gesellschaft. Zu diesem Thema ein Interview mit Andy Abbas Schulz – der 32-jährige deutsche Muslim (deutsch-arabischer Abstammung, verheiratet) ist seit Jahren aktiv in islamischer Jugendarbeit, er hält Vorträge in Schulen und bei interkulturellen Veranstaltungen, etwa im Verein Lichtjugend.

ND: Was sagen Sie zu den aktuellen Darstellungen des Islam, etwa in Wilders Film?

Abbas Schulz: Ich kenne das Video »Fitna« und musste mich regelrecht zwingen, hinzusehen – weil die Bilder so verstörend und grausam sind. Die Darstellung des Islam durch Geert Wilder bezieht sich ausschließlich auf Hassprediger und Gräueltaten. Das ist eine Aneinanderreihung von Tatsachen, die den Islam als Religion diffamiert. Es gibt Hassprediger, ja, aber es zeigt sich, dass Ansichten dieser Art fast immer dort auftauchen und eine Chance haben, wo Menschen wirklich das Wissen über den Islam, über den Koran fehlt. Eine Studie des Verfassungsschutzes bestätigt: 97 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime sind verfassungstreu und sehr demokratiefreundlich, drei Prozent sind in ihren Ideologien und ihrem Gedankengut verfassungsfeindlich und problematisch, nicht aber gewalttätig, und von diesen drei Prozent gibt es einen winzigen Prozentsatz, der gewaltbereit ist. Das ist auch meine Wahrnehmung.

 

Und wie erklärt sich der negative Blick auf die religiösen Praktiken des Islam im erwähnten Bericht der ZDF-Sendung Frontal-21 über das Interreligiöse Zentrum?

 

Ich schätze Frontal-21, die Sendungen sind eigentlich sonst sehr differenziert. In diesem Falle zeigt die Kamera muslimische Frauen im Gebet, der Kommentar spricht aber in der Folge allgemein über Geschlechtertrennung und »strenge« Regeln im Islam. Danach erfolgt ein Schnitt auf den Imam, Ferid Haider, der über die nötige Vermeidung von Sünde spricht. An späterer Stelle wird im Beitrag ein einziger Satz aus einem Buch im Sortiments des Buchladens entnommen, der mit der Rechtfertigung von Selbstmordattentaten in Verbindung gebracht wird. Dieser ganze Bericht fördert letztlich Vorurteile. Es muss klargestellt werden, dass es außerhalb des Gebets keine Geschlechtertrennung im Islam gibt.

Warum stehen Muslime im Gebet nicht körperlich beieinander?

Die Fundamentalisten wie die Liberalen trennen die Geschlechter aus einem einfachen Grund: Die körperliche Nähe, die im Islam Vorschrift des Gebetes ist, kann störend wirken. Wir müssen bedenken, dass Menschen in früherer Zeit nicht so freizügig waren, wie wir es heute sind. Dass zum Gebet fünf Mal am Tag eine fremde Frau neben einem fremden Mann stand, auf ganz engem Raum – Schulter an Schulter, denn die Regel im Gebet heißt, Schulter muss Schulter berühren und eigentlich Fuß den Fuß –, das hat man als störend empfunden. Uns stört doch auch, wenn uns jemand in einem engen Fahrstuhl berührt oder zu nahe kommt. Aber wie gesagt: Außerhalb der Gebetszeiten gibt es keine Geschlechtertrennung.

Geht denn die öffentliche Berichterstattung zu undifferenziert an die Darstellung des Islam heran?

Was mich zeitweise stört, ist, dass hinsichtlich der Gelehrten und Autoritäten des Islam andere Maßstäbe gerade in der Auslegung des Koran angelegt werden, als das beispielsweise mit der Auslegung der Bibel geschieht.

Zahlreiche Bibelstellen enthalten streitbare Themen, die in jeden Fall diskussionswürdig sind. Auch im Koran gibt es diskussionswürdige Stellen. Doch solche aus dem Koran wird gern ein Satz herausgepickt, um damit zu beweisen, wie schrecklich diese Religion ist. Dies schadet dem Dialog der Kulturen.

 

Fördert das Halb- oder Nichtwissen im und über den Islam die Vorurteile gegenüber dieser Religion?

 

Natürlich. Wissensvermittlung sehe ich als eine Verpflichtung. Wenn Menschen wenig über den Islam wissen, dann ist es die Verpflichtung der Muslime, darüber zu erzählen. Diese Verantwortung nehmen wir als Verein wahr, wenn wir beispielsweise Moscheeführungen machen, an denen jeder Interessierte teilnehmen kann. Auch in Gefängnissen arbeiten wir, mit Jugendlichen. Wissen hilft dabei nicht dem Islam an sich, sondern dem Guten. Das Gute kann sein, dass Muslime und Nicht-Muslime friedlich zusammen leben.

 

Wie funktioniert das praktisch?

 

Während der Moscheeführung werde ich oft gefragt, wie es sich mit der Rolle der Frau im Islam verhält. Frauen würden doch unterdrückt. Diese Frager haben nicht Unrecht. In der islamischen Welt werden Frauen tatasächlich oft unterdrückt – und das ist etwas, was Muslime selber auch stört. Es gibt aber viele Aussagen im Koran, die gerade eine Unterdrückung der Frau verhindern wollen. Diese Informationen gebe ich weiter. Es ist konkret aufzuzeigen: Hier hat der Prophet folgendes gesagt, hier sagt der Koran folgendes, und hier hat der Prophet sich so und so verhalten.

 

Der Koran sagt widersprüchliche Dinge. In einem Vers kann es heißen: Wenn ihr auf die Ungläubigen trefft, dann zieht die Schwerter. Ein anderer Vers spricht: Wer auch nur einen einzigen Menschen tötet, tötet die Menschheit. Wie kann man mit diesen Widersprüchen umgehen?

 

 

Wenn mein Schöpfer von sich behauptet, barmherzig zu sein, kann er mich nicht gleichzeitig auffordern, den Knüppel aus dem Sack zu nehmen und auszuteilen. Das kann kein allgemeingültiger Satz sein. Jedem mit Verstand und Herz wird hier sofort unbehaglich. Es gibt Verse im Koran mit einer deutlichen und mit einer vielschichtigen Bedeutung. Ihr Sinn ist auf den ersten Blick verborgen, dort muss man nachforschen. Der Koran warnt uns, ihn nicht als Zeitung zu lesen. Dieser Umgang mit heiligen Schriften ist den Christen beispielsweise selbstverständlich. Wenn Jesus sagt, ich bin mit dem Schwert gekommen, dann weiß bei uns jeder, dass hier gleichnishaft gedacht ist, es ist nicht wörtlich zu verstehen. Solche Differenzierung ist einem in Bezug auf die eigene Religion und Kultur eine logische Sache. Gegenüber dem Islam fehlt eine solche Haltung häufig. Hier spielen Vorurteile eine Rolle.

Sie versuchen also über eine starke Bewusstseinsarbeit, die Sicht auf den Islam zu ändern bzw. den Dialog zu fördern.

Es ist ermutigend zu beobachten, wenn sich bei dem einen oder anderen Jugendlichen das Bewusstsein von der eigenen oder fremden Religion verändert.

 

Interview: Sabine Sölbeck

 

Neues Deutschland

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