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»Die Deutschen betreiben Schreibtischjournalismus«

Der Radioreporter Marc Thörner, der in Hamburg und der marokkanischen Hauptstadt Rabat lebt, ist auf die Berichterstattung aus den Maghreb-Staaten sowie den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens spezialisiert. In seinem Buch »Der falsche Bart« kritisiert er den orientalisierenden Blick in den deutschen Medien.

 

Sie kritisieren, dass die hiesigen Medien den Fehler begehen, die islamische Welt als ab­geschottet zu betrachten. Diese abgeschottete Welt werde dann auch noch unterteilt in gemäßigte und nicht gemäßigte Länder. Haben Sie Schwierigkeiten, diese Position in Ihrer journalistischen Arbeit zu vertreten?

 

Überhaupt nicht. Die Beiträge in dem Buch basieren ja auf Hintergrundberichten fürs Radio, für den WDR und den Deutschlandfunk. Ich habe jedenfalls keine Beschränkungen gespürt und konnte meine Ideen immer einigermaßen gut unterbingen. Im Übrigen wären die Recherchen ohne die entsprechenden Akkreditierungen und Spesenhilfen gar nicht möglich gewesen. In den Irak zum Beispiel kommt man gar nicht rein, ohne dass man sein Projekt vorstellt.

 

Der Untertitel Ihres Buches lautet »Reportagen aus dem Krieg gegen den Terror«, und Sie berichten dabei auch aus Marokko, Ägypten, Tunesien und Algerien. Diese Länder spielen im Kontext des Terrorismus in der Be­richterstattung hierzulande kaum eine Rolle.

 

Richtig. Mir war bei diesem Buch auch wichtig, den so genannten Kampf gegen den Terror nicht nur militärisch aufzufassen. Ich glaube, dass in den Medien die Diskussion zu sehr eingeengt ist auf den Sicherheits- und Bedrohungs­aspekt. Eine Bedrohung ist sicherlich da, die Fra­ge ist nur, wie erklärt man sie und wie entledigt man sich dieser Bedrohung. Terror herrscht in einer Reihe von Ländern, eben auch in den so genannten gemäßigten. Ich glaube, wenn man die Einteilung in gemäßigten und nicht ge­mäßigten Islamismus ein bisschen aufbricht und fragt, wo die Bedrohung entsteht, dann kommt man zu Analysen, die weiter führen, als wenn man diese Einteilung beibehält. Ein Beispiel: Man kann immer wieder beobachten, dass Tunesier im internationalen Terrorismus eine Rolle spielen. Die Gewalt muss ja irgendwo entstehen, die Aggressionen müssen irgendwo in der Gesellschaft wachsen.

 

Wie ist zu erklären, dass in den hiesigen Medien das Modell einer abgeschotteten islamischen Welt vorherrscht?

 

Es gibt sicherlich ein Informationsdefizit. Wir haben in Deutschland bei dem Thema Mittlerer und Naher Osten Experten-Urgesteine wie Peter Scholl-Latour und den schon etwas weniger populären Gerhard Konzelmann, und wir haben diese Professoren aus dem berühmten orientalistischen oder islamwissenschaftlichen Elfenbeinturm. So bleibt außen vor, dass es große Zusammenhänge gibt zwischen den intellektuellen Entwicklungen bei uns und in der islamischen Welt. Ich habe ja im Buch einige Vordenker der Antimoderne genannt, deren Ideen auf beiden Seiten weiterentwickelt worden sind. Wir konstruieren immer noch einen Gegenpol zum Westen, zu Europa. Das hat viele Gründe, u.a. lassen sich mit so einer Gegenwelt Wirtschafts­interessen und deren Verteidigung begründen.

 

Was ist ansonsten typisch für die Bericht­erstat­tung aus der islamischen Welt?

 

Das Thema wird immer noch sehr gern festgemacht an geheimnisvollen, verschleierten Frauen. Gerade in Deutschland ist der Schleier ein unglaublicher Renner, wenn es darum geht, das Thema Islam zu verkaufen. Auch das Schwert ist ein wichtiges Motiv. Von der Optik her würde man das eher dem 19. Jahrhundert zuordnen, also dieser kolonialen Wahrnehmung: Es gibt einerseits eine Bedrohung – wir müssen etwas dagegen tun, wir müssen diese Welt zivilisieren –, andererseits ist da vielleicht etwas, das uns weiterhelfen kann, irgendein Geheimnis, das man entdecken muss.

 

Ist das eine typisch deutsche Gedankenwelt?

 

Ich habe diese Schwert-und-Schleier-Folklore jedenfalls in anderen Ländern nicht in dem Maße wahrgenommen, weder in Frankreich noch in England.

 

Wie erklären Sie sich, dass Länder wie Ägypten, Marokko, Tunesien in der hiesigen Berichterstattung eine untergeordnete Rolle spie­len?

 

Diese Länder werden von Diktatoren regiert, die wir als unsere Verbündete betrachten. Es geht um wirtschaftliche Interessen. Man möchte die­se Regime nicht so gern kritisieren, schließ­lich gibt es ja einen internationalen Konkurrenz­­kampf darum, wer die wichtigen Verträge abschließen kann. So gerät aus dem Blick, dass die­se so genannten gemäßigten Regimes die De­mo­kratie bekämpfen und die Oppostion kaum noch eine andere Möglichkeit sieht, als sich mit­hilfe der Religion, des Islamismus, auszudrücken. Und dann kommt es zu einer Radikalisierung. Ich habe versucht, das am Fall Algerien aufzuzeigen. Es gab eindeutig eine Zusammenarbeit zwischen Frankreich – und damit im wei­teren Sinne auch der EU – und einem Regime, das aktiv den Terrorismus gefördert bzw. ihn durch die Übernahme von Islamisten in die Regierung sogar ausgeübt hat.

 

Inwiefern ist für internationale Journalisten die Berichterstattung aus diesen vermeintlich gemäßigten Ländern eingeschränkt, und wie ist es dort um die innere Meinungsfreiheit bestellt?

 

Am schwierigsten ist es zweifellos in Tunesien. Das ist sicherlich eine große Überraschung für die meisten, die das Land vor allem als sehr gut organisiertes Urlaubsland sehen. Dort gibt es keinerlei unabhängigen Journalismus. Und ausländische Journalisten werden grundsätzlich beschattet und abgehört. In Algerien wird die ausländische Presse ebenfalls beobachtet, aber eher indirekt und sehr elegant. In Ägytpen gibt es erhebliche Probleme mit der Polizei, die bei Demonstrationen ausländische Journalisten ins Visier nimmt. In Marokko gibt es bestimmte Grenzen, das heißt, man darf den König nicht angreifen. Dies gilt aber hauptsächlich für marokkanische Journalisten. Sonst ist es eher so: Wenn man den Zugang zum Machtsystem haben möchte, zum Königspalast oder zur Regierung, wird man abgeblockt, oft auch dadurch, dass die Anfragen einfach verschlampt werden.

 

Sie erwähnen im Buch auch die Internet-Zensur in Tunesien. Welche Dimension hat sie im Vergleich mit den allseits bekannten Praktiken in China?

 

Den Recherchen einer tunesischen Journalistin zufolge, die jahrelang versucht hat, in ihrem Land ein Internet-Magazin herauszubringen, kommt Tunesien in der internationalen Internetzensur-Rangliste gleich nach China. Tausende von jungen Universitätsabsolventen werden als Zensoren eingesetzt. Man bekommt das auch mit, wenn man mit Tunesien kommuniziert. E-Mails kommen deutlich verzögert an, Fotos feh­len teilweise. Der Leiter der dortigen Friedrich-Ebert-Stiftung hat mir erzählt, dass er Mails grundsätzlich einen Tag später bekommt. Wenn ich in Tunesien bin, kann ich meine Mails nicht abrufen, egal, wo ich bin. Wenn ich mich in mein Postfach einlogge, passiert nichts. Das geht vielen Journalisten so, mit denen ich mich unterhalten habe.

 

Die Situation im Land ist also auch ein Problem für die internationale Presse.

 

Ja, besonders groteske Situationen gab es beim Weltinformationsgipfel 2005, der ausgerechnet in Tunesien stattfand. Es kam vor, dass Journalisten im Kongresspalast Internetseiten aufrufen wollten, die aber nicht zur Verfügung standen.

 

Kann die unzureichende Berichterstattung über die so genannten gemäßigten Staaten auch damit zu tun haben, dass die Aufmerksamkeit grundsätzlich immer eher dem offensichtlich Kriegerischen gilt?

 

Das ist ein Grund. Man braucht Bilder, man braucht Gewalt. GIs, die irgendwo Türen eintreten, verkaufen sich immer besser. Es ist ja auch nicht ganz einfach, in Deutschland ein Interesse für Hintergrundberichterstattung aus den genannten Ländern zu wecken. Wir interessieren uns eher für die Türkei, für Osteuropa und Russland, eine Zeit lang auch für Jugoslawien. Für Frankreich sind die Maghrebstaaten wesentlich wichtiger.

 

Inwiefern unterscheidet sich die Bericht­erstat­tung über den Nahen und Mittleren Osten in den deutsche Medien von der in anderen europäischen Ländern oder auch den USA?

 

Der wesentliche Unterschied ist, dass es in Frank­reich, Großbritannien und den USA viel mehr Journalisten gibt, die wirklich unterwegs sind und die ein Background-Fachwissen mitbringen. Im Vergleich dazu betreiben die Deutschen eher so einen Schreibtischjournalismus, das ist ein von zu Hause beobachtender Journalismus. Die Kollegen, die vor Ort unterwegs sind, betrachtet man als Abenteurer, und die großen Analysen überlässt man lieber den großen Leitartiklern, die in der Zeit oder in der FAZ ihre sehr akademischen Analysen erstellen. Ich glaube, das ist eine spezifisch deutsche Tradition. Weni­ger davon und mehr Hintergrundberichterstattung von vor Ort – das wäre hilfreich.

 

Den Vorwurf, ein Abenteurer zu sein, haben Sie sich wahrscheinlich auch anhören müssen.

 

Nicht so konkret, aber man trifft gelegentlich auf Erstaunen. Sind Sie verrückt? Was machen Sie da unten? Warum tun Sie sich das an? So etwas hört man gelegentlich. Es gibt in jedem Beruf Risiken, die es abzuwägen gilt, aber andere Leute, Polizisten oder Feuerwehrmänner, werden nicht ständig gefragt, ob sie Angst haben.

 

Ist der Schreibtischjournalismus auch eine Folge schrumpfender Etats?

 

Bei kleineren Zeitungen vielleicht. Grundsätzlich liegt das aber eher an dem traditionellen Vertrauen, das man in einen akademischen Journalismus mit Doktortitel setzt.

 

Interview: René Martens

 

 

Junge World 07/2008

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