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Religionswissenschaftler Peter Antes klärt auf

 

Peter Antes lehrt Religionswissenschaft an der Leibniz Universität in Hannover im Institut für Theologie und Religionswissenschaft. Seine Forschungsschwerpunkte sind islamische Ethik, Religionen und religiöse Gemeinschaften in Europa sowie Methodenfragen in der Religionswissenschaft. Im Inteview spricht er über die Bedeutung der biblischen Tradition für den Islam.

 

 

http://www.haz.de/var/storage/images/haz/nachrichten/kultur/uebersicht/religionswissenschaftler-peter-antes-klaert-auf/10765139-1-ger-DE/Religionswissenschaftler-Peter-Antes-klaert-auf_ArtikelQuerKlein.jpg Peter Antes lehrt Religionswissenschaft an der Leibniz Universität in Hannover im Institut für Theologie und Religionswissenschaft. Im Inteview spricht er über die Bedeutung der biblischen Tradition für den Islam.

 

© Philipp von Ditfurth

 

Herr Antes, Sie haben sich als Religionswissenschaftler mit Bibel und Koran auseinandergesetzt: Hat Weihnachten für Muslime irgendeine Bedeutung?

Für die Muslime hat Weihnachten keine Bedeutung, obwohl sie Jesus als Propheten anerkennen und verehren. Es ist nämlich im Islam nicht üblich, Prophetengeburtstage – mit Ausnahme des Geburtstages von Mohammed – zu feiern.

Welche Rolle spielt Jesus im Koran?

Jesus gehört in die Prophetengeschichte. Er wird von den Muslimen als Prophet, nicht aber als Sohn Gottes anerkannt. Der Koran sagt, dass Jesus der „Sohn der Maria“ ist – von Joseph ist im Koran nirgends die Rede. Mit dem Koran bekennen sich die Muslime dazu, dass Maria als Jungfrau Jesus in der Wüste (nicht in Bethlehem) zur Welt gebracht hat. Damit hat Jesus eine Sonderstellung, weil er ohne Vater – Adam sogar ohne Vater und ohne Mutter – zur Welt gekommen ist. Zugleich nimmt der Koran Jesus gegen die Verleumdung in Schutz, er sei unehelich geboren, sondern betont, dass Maria sich keusch verhielt. Des Weiteren berichtet der Koran, dass Jesus Wunder gewirkt hat, wenn auch nicht alle dort aufgezählten mit den aus den Evangelien überlieferten identisch sind. Schließlich sieht der Koran die wichtigste Aussage über Jesus darin, dass er die Offenbarung Gottes, das Evangelium, den Menschen verkündet hat. Kreuzestod und Auferstehung Jesu gehören nicht zum Jesusbild des Korans.

Welche Werte oder Lehren werden mit Jesus verbunden?

Zentrale Aussage des Korans ist, dass Jesus wie alle Propheten vor ihm und Mohammed nach ihm Gottes Offenbarung vorgetragen hat. Diese lehrt, dass Gott die Welt erschaffen hat und die Menschen am Ende der Zeiten in einem allgemeinen Gericht nach ihren Taten beurteilen wird. Jedes Stäubchen an Gutem und jedes Stäubchen an Bösem wird dabei auf die Waagschale gelegt, nachzulesen im Koran 99,7-8. Die Guten kommen ins Paradies, die Bösen in die Hölle, allerdings kann Gott auch Gnade vor Recht ergehen lassen und in seiner Barmherzigkeit Sünder ins Paradies aufnehmen. Darauf hoffen die Muslime. Was gut und böse ist, sagt der Koran anhand vieler Beispiele: Die Eltern ehren, nicht morden, nicht ehebrechen, nicht lügen und nicht stehlen gehören zu den guten Taten; Mord, Ehebruch, Diebstahl und Lüge sind böse Taten (Sünden). Vor allem Gerechtigkeit üben soll die Muslime auszeichnen. Von der Nächsten- und Feindesliebe ist dagegen, von einigen mystischen Ausrichtungen einmal abgesehen, kaum die Rede.

Welche biblischen Gestalten spielen im Islam eine Rolle?

Wichtige Gestalten aus der biblisch-prophetischen Tradition sind im Koran Noah, Abraham, Moses und Jesus. Darüber hinaus spielen Lot, Aaron, David und Salomon oder für die spätere Zeit *Zacharias und Johannes der Täufer in den Texten des Korans eine Rolle.

Und welche biblischen Ereignisse?

Als Beispiele nenne ich das Überleben der Sintflut in der Arche durch Noah und damit die Abstammung der gesamten heutigen Menschheit von Noah und seinen Söhnen Sem, Ham und Japhet; die Abrahamsgeschichte mit Israel als Stammvater der Juden und mit Ismael, dem Sohn der Hagar, als Stammvater der Araber; der Wunder wirkende Moses vor dem Pharao in Ägypten sowie Jesus als Sohn der Jungfrau Maria. All diese Geschichten gehören mit Ausnahme der Jesusgeschichte zum gemeinsamen Erzählgut der Juden, der Christen und der Muslime.

Wie kann man diese Bezüge geschichtlich erklären?

Der Islam sieht sich in einer Linie mit der biblisch-prophetischen Offenbarungstradition, die im Falle des Judentums schon vor Jesus als abgeschlossen angenommen wird, im Falle des Christentums mit dem Tod des letzten Apostels als beendet angesehen wird und im Falle des Islams bis zur schriftlichen Fixierung der Offenbarung geht, die Mohammed vorgetragen hat und die im Koran vorliegt. Dabei greift die jeweils folgende die voraufgehende auf, weshalb viele Aussagen parallel – trotz mancher Abweichungen in den Details – überliefert werden.

Wie unterscheiden sich die Wertewelten von Bibel und Koran?

Im Kern sind die Übereinstimmungen – vornehmlich zwischen der hebräischen Bibel, die Christen das Alte Testament nennen, und dem Koran – frappierend. Dabei betont die biblische wie die islamische Tradition, dass es einen Gott und zwar nur einen einzigen gibt, dass alles, was existiert, ihm seine Existenz verdankt, dass die Welt einen Anfang und ein Ende hat und dass Gott am Ende der Zeiten die Menschen zur Rechenschaft für ihre Taten heranziehen wird. Aufgabe des Menschen ist es, Gott zu dienen und Gerechtigkeit zu üben. Dafür gibt es in der Bibel wie im Koran Orientierungsmaßstäbe. Interessant ist und nur im Koran steht, dass die Engel Gott davon abraten, den Menschen zu erschaffen, indem sie sagen, er werde auf Erden nur Unheil stiften und Blut vergießen, nachzulesen im Koran 2,30. Doch wies Gott diesen Einspruch der Engel zurück und hat den Menschen dennoch erschaffen.

Heute wird Islam mit Intoleranz, das Christentum mit Toleranz verbunden. War das immer so?

Dies ist die Sicht der Christen, Muslime sehen dies meist umgekehrt. Sicher ist, dass – geschichtlich gesehen – es in beiden Religionen tolerante wie intolerante Phasen gegeben hat. Oft war dabei die Toleranz eher aufseiten der Muslime, weil sie für die Leute des Buches, also *Juden und Christen, ein Existenzrecht vorsahen, das so im christlichen Herrschaftsgebiet nicht festgelegt war. So etwa zogen es zum Beispiel viele Juden nach der Reconquista 1492 vor, ins islamische Herrschaftsgebiet überzusiedeln.

Es kommt immer wieder zu Verfolgungen von Christen in muslimischen Ländern. Lässt sich das theologisch beziehungsweise aus dem Koran ableiten?

Da die Christen vom Koran ausdrücklich unter die zu schützenden und somit zu tolerierenden Vorläuferreligionen des Islams eingereiht und als „Leute des Buches“ betrachtet, also als im Besitz der Offenbarung Gottes befindlich angesehen werden, gibt es keinerlei theologischen oder aus dem Koran ableitbaren Gründe für eine Verfolgung von Christen in Ländern mit islamischer Bevölkerungsmehrheit. Dennoch hat es schon in der Vergangenheit nicht nur das friedliche Nebeneinander, sondern auch zeitweise ein feindliches Gegeneinander gegeben. Zugenommen haben die Verfolgungen als Reaktion auf Herrschafts*ansprüche von Kolonialmächten und neuerdings als Gegenabwehr gegen ausländische Truppen und christlich-fundamentalistische Missionare.

Welche Rolle spielt der Islam für die christliche Theologie?

Wenn ich es richtig sehe, steht die theologische Auseinandersetzung mit dem Islam für das Christentum noch aus. Hierzu ist noch viel Überlegungsarbeit notwendig. In welche Richtung die Antwort gehen wird, müssen Theologen sagen, nicht Religionswissenschaftler wie ich.

Und nun die Lieblingsfrage aller Islam*kritiker: Warum gab es im Islam keine Aufklärung?

Die Aufklärung ist eine Folge der intellektuell-philosophischen Auseinandersetzung mit den Dogmen des christlichen Glaubens, die vielfach Anlass zum kritischen Hinterfragen gaben. Gemessen daran, sind die Glaubensaussagen des Islams weit einfacher und bieten weniger Anlass zur Kritik. Eine radikale Infragestellung des monotheistischen Schöpfungsglaubens hat sich bis heute zum Beispiel nicht ergeben. Andererseits sind kritische Frageansätze, wie es sie in bestimmten philosophischen Richtungen des Islams lange vor unserer Aufklärung gegeben hat, im Bündnis zwischen den Theologen und der politischen Macht immer wieder erfolgreich gestoppt worden. Dabei darf nicht übersehen werden, dass es die arabisch-islamischen Philosophen gewesen sind, die „das unbewegte Bewegende“ des Aristoteles als „den unbewegten Beweger“ gedeutet haben und auf diese Weise das neutrale Prinzip mit dem Bekenntnis zum einen Gott, also zum Monotheismus, versöhnt haben, sodass die mittelalterlichen christlichen Theologen daraus die scholastische Philosophie entwickeln konnten.

Gibt es im Islam eine der christlichen Weihnachtsbotschaft vom Frieden auf Erden vergleichbare Forderung?

Es lassen sich im Islam Aufrufe zum Frieden finden, eine der christlichen Weihnachtsbotschaft vergleichbare Forderung gibt es allerdings nicht. Mit Blick darauf ist jedoch zu sagen, dass viele Muslime das Christentum – etwa das der Amerikaner im Irak – oft nicht als Friedensbotschaft oder Ausdruck der Nächstenliebe, sondern als höchst aggressiv und gegen Andersgläubige gerichtet erleben und dadurch der Vergleich zwischen den Religionen anders ausfällt, als wir meist denken. Umgekehrt halten die meisten Muslime den Islam für eine Frieden stiftende Religion, die wesentlich zum Wohle der Menschen und ihrem friedlichen Zusammenleben beiträgt.

 

[Karl-Ludwig Baader]

 

HAZ, 24.12.2000

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