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Zweite Generation als Verlierer?

 

Das Bildungsniveau der Eltern bestimmt nicht immer automatisch jenes ihrer Kinder mit: Eine aktuelle Studie zeigt ein überraschend hohes Bildungsniveau der ersten Generation türkischer Migranten in Österreich. Von diesem Niveau konnte die zweite Generation aber nicht profitieren. Die Dequalifierung und gleichzeitig fehlende Förderung der Eltern in Österreich spiegle sich im Bildungsprofil der Kinder wider. Verantwortlich dafür macht die Wissenschaftlerin Herzog-Punzenberger die Politik. Sie habe den Zuwanderern der ersten Generation keine Weiterbildungsperspektiven geboten, um sie als „konjunkturabhängige Verschubmasse“ je nach Bedarf einsetzen zu können. Zehn Jahre lang hat die Migrationsforscherin Barbara Herzog-Punzenberger gemeinsam mit Wissenschaftlern aus insgesamt acht verschiedenen Ländern die Lebenssituation von türkischen Migranten in der zweiten Generation untersucht. Die Ergebnisse werfen kein gutes Licht auf die heimische Migrationspolitik.

 

Eine der großen Überraschungen der Studie ist laut Herzog-Punzenberger das Bildungsniveau der ersten Generation der Zuwanderer. Das Vorurteil, wonach die Eltern der heute erwachsenen zweiten Generation in Österreich als Hilfsarbeiter arbeiten, „weil sie keine Bildung mitgebracht haben“, treffe in geringerem Ausmaß als bisher angenommen zu, erklärt die Wissenschaftlerin am Mittwoch im ORF.at-Interview. Vielmehr fand in Österreich eine Dequalifierzung statt, die hierzulande „massiver“ war als in anderen Ländern.

 

 

700 Befragte zwischen 18 und 35 Jahren

In Österreich wurden für die Studie persönliche Interviews mit rund 700 Personen zwischen 18 und 35 Jahren geführt, deren Eltern aus der Türkei stammen, die aber selbst bereits in Österreich geboren wurden. Die gesamte Studie erscheint Ende des Jahres im Band „The European Second Generation Compared. Does the Integration Context Matter?“ bei Amsterdam University Press.

Für Österreich ist eine darüber hinaus gehende Finanzierung, um „das große Potenzial“, das in dem vorhandenen Datensatz steckt noch weiter zu nutzen, jedoch nicht gegeben, so Herzog-Punzenberger.

 

 

Hälfte der Väter besuchte mittlere Schule

In Österreich ist bei den Vätern der untersuchten Gruppe der Anteil derer, die eine mittlere Schule abgeschlossen haben, am höchsten (50 Prozent), der Anteil derer mit maximal Volksschulabschluss hingegen am geringsten (28 Prozent). Zum Vergleich: In Schweden sind es 29 bzw. 48 Prozent. Auch die Mütter der türkischen zweiten Generation haben in Österreich ein vergleichsweise besseres Bildungsprofil.

Für ihre berufliche Position konnten besonders die Väter ihre Bildungsabschlüsse allerdings nur schlecht nutzen, wie Herzog-Punzenberger bei den „Wiener Bildungsgesprächen“ erklärte. Stattdessen wurden Personen mit Lehrabschluss oft als Hilfsarbeiter eingesetzt und blieben es für den Rest ihres Berufslebens.

 

22 Prozent der 2. Generation machen Matura

Bei den befragten Migranten der jungen Generation erreichen in Österreich ein Drittel maximal einen Abschluss der Sekundarstufe I, bis zur Matura schaffen es 22 Prozent, eine postsekundäre (Kolleg etc.) oder Hochschulausbildung machen nur 14 Prozent. In Schweden haben hingegen lediglich zehn Prozent nur einen Pflichtschulabschluss, 57 Prozent maturieren und 33 Prozent machen danach eine weitere Ausbildung. Ähnlich schlecht wie Österreich schneiden hingegen Deutschland und die Schweiz ab, in denen es ein ähnliches Bildungssystem gibt.

 

Profil geprägt von Dequalifizierung

Das Bildungsprofil der türkischen Migranten der zweiten Generation spiegelt demnach nicht so sehr das eigentliche Bildungsprofil jenes der Eltern wieder, so Herzog-Punzenberger, sondern vielmehr jenes, das durch die Dequalifizierung und Nichtförderung der Elterngeneration entstanden ist.

Herzog-Punzenberger plädiert in diesem Zusammenhang an die Verantwortlichen in der Politik, diese Ergebnisse als Grundlage für Integrationsdiskussionen zu berücksichtigen. Man könne nicht den Migranten vorwerfen, sich nicht integriert zu haben, wenn die Rahmenbedingungen dafür nicht geschaffen wurden, erklärte sie gegenüber ORF.at. „Man braucht sich nicht zu wundern, dass die Situation jetzt so ist.“

In den anderen teilnehmenden Ländern seien die Aufstiegschancen größer, indem Migranten schon vor Jahren durch Sprachkurse und Weiterbildungen vonseiten der Politik gefördert wurden, erklärt Herzog-Punzenberger, die den Österreich-Teil der Studie an der Akademie für Wissenschaften leitete.

 

„Konjunkturabhängige Verschubmasse“

Österreich habe bewusst niedrig qualifizierte Arbeitskräfte gesucht, „sie wurden als konjunkturabhängige Verschubmasse gesehen“, so Herzog-Punzenberger. Dementsprechend sei auch nicht deren Integration, sondern „Rückkehrorientierung“ forciert worden, damit diese bei schlechterer Konjunktur wieder in ihre Heimat zurückgeschickt hätten werden können.

Während Schweden schon in den 70ern klar wurde, dass diese Menschen im Land bleiben würden, sei in Österreich noch in den 90ern eine Rückkehrorientierung erwünscht, in Deutschland über Prämien sogar aktiv gefördert worden. „Das sind schlechte Rahmenbedingungen für Spracherwerb“, so die Forscherin. Dazu komme, dass lang ansässige Drittstaatsangehörige in Österreich nach wie vor nicht rechtlich gleichgestellt seien.

 

Kindergartenquote hängt von Ländernorm ab

In Österreich besuchten - entsprechend der damaligen gesellschaftlichen Normalität - 40 Prozent keinen Kindergarten. Dementsprechend habe ihnen der Sprachkontakt und die Förderung in einer sehr sensiblen Phase gefehlt. In Frankreich etwa hätten 89 Prozent der Befragten mit spätestens drei Jahren einen Kindergarten besucht. Dazu komme die frühe Selektion: Während etwa in Schweden alle Kinder zwölf bis 13 Jahre gemeinsam in eine außerfamiliäre Institution wie Schule oder Kindergarten gehen, sind es wegen des differenzierten Schulsystems in Österreich nur fünf bis sechs Jahre und damit die kürzeste Dauer in allen untersuchten Ländern.

Die Studie zeigt, dass türkische Migranten der zweiten Generation selbst bei gleicher Qualifikation schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben als Nichtmigranten. Bei den Jobeinstiegschancen liegen türkische Migranten in Wien im Vergleich zu den anderen untersuchten Städten im unteren Mittelfeld, wie auch eine Vorabversion der Studie zeigt: 30,4 Prozent fanden sofort nach ihrer Ausbildung einen Job, in Linz waren es nur 16,2 Prozent. Deutlich schlechter standen die Chancen etwa in Berlin (19,7 Prozent) und Frankfurt (20 Prozent). Vorreiter sind Antwerpen, Zürich und Stockholm, wo jeweils etwa zwei Drittel der Migranten sofort eine Arbeitsstelle bekommen.

 

Hälfte der Frauen bleibt nach Ausbildung zu Hause

Besonders interessant ist dabei, dass die Zahl der aktiv Arbeitssuchenden und die Gesamtzahl der Arbeitslosen zum Teil weit auseinanderklafft. Rund die Hälfte der türkischstämmigen Frauen der 2. Generation etwa blieb direkt nach der Ausbildung zu Hause. Diese Zahl sank jedoch bis zum Zeitpunkt der Befragung deutlich ab, so Herzog-Punzenberger.

http://orf.at/stories/2061528/

 

Links zum Thema:

Akademie der Wissenschaften

The Integration of the European Second Generation (Studienauszug)

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