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Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 genoss der weltweite Kampf gegen den Terror in den westlichen Demokratien eine sehr hohe Priorität. Vor allem die USA führten immer neue Datenbanken und Kontrollsysteme zur Überwachung von Finanzströmen, Flugpassagieren und Kommunikationsvorgängen ein. Die begleitende Gesetzgebung folgte dabei drei fatalen Prinzipien, die einen rechtsfreien Raum öffnen, in dem sich Fahnder und Geheimdienste unbeobachtet und ohne nachhaltige Kontrolle austoben können. Der Druck auf die Grundprinzipien der westlichen Demokratien steigt.

 

Fast unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September haben die USA den weltweiten „Krieg gegen den Terror“ ausgerufen. Als einer der größten Kollateralschäden dieses Kampfs dürften die Bürgerrechte in den westlichen Demokratien gelten. (

Seit dem Fall des World Trade Centers (WTC) bauten Sicherheitspolitiker in EU und USA ein beispielloses Kontrollsystem auf, dem alle Bürger unterworfen sind.

 

Präsident George W. Bush handelte schnell. Bereits am 26. Oktober 2001, knapp einen Monat nach den Anschlägen, unterzeichnete er den „Patriot Act“, ein umfangreiches Paket von Überwachungs- und Kontrollgesetzen, das zahlreiche Beschränkungen aufhob, denen US-Geheimdienste bei ihren Abhöraktionen vorher unterworfen waren.

 

Bereits im „Patriot Act“ finden sich die wichtigsten Merkmale der Sicherheitsgesetzgebung, mit der sich die westlichen Staaten in den folgenden Jahren gegen islamistische Terroranschläge wappnen wollten. So wurden die Befugnisse von Geheimdiensten und Polizei ausgeweitet und die Grenzen zwischen Auslandsaufklärung und Ermittlung im Inland verwischt.

 

Polizei und Geheimdienst

So weichte die US-Regierung die Bestimmungen im Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA) auf, die der Abhörtätigkeit von Auslandsgeheimdiensten ab 1976 gewisse Grenzen gesetzt hatten. Seit 2001 dürfen US-Dienste bei Terrorverdacht auch im Inland spionieren.

 

Ein anderes Instrument des „Patriot Act“, die National Security Letters, ermächtigen die US-Bundespolizei FBI dazu, von Telefonie- und Internetprovidern alle privaten Kommunikations- und Stammdaten abzuziehen. Die Provider dürfen ihre Kunden in der Regel über diese Aktionen nicht informieren. Wie Microsoft und Google im Sommer dieses Jahres zugeben mussten, gilt das auch für die Daten ausländischer User, die in Cloud-Computing-Systemen gespeichert sind.

 

Keine richterliche Kontrolle

Die US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) stellte, gestützt auf Zahlen der „Washington Post“, fest, dass sich die Zahl solcher Anfragen bis 2005 auf 30.000 pro Jahr und damit gegenüber der Ära vor dem „Patriot Act“ verhundertfacht hat.

 

Eine richterliche Genehmigung muss die Behörde dabei übrigens nicht einholen. Auch dabei handelt es sich um ein typisches Merkmal der Nach-9/11-Sicherheitsgesetzgebung: Die Gewaltenteilung, grundlegendes Element des westlichen liberalen Rechtsstaats, wird im Namen der Terrorbekämpfung systematisch zurückgedrängt, die Kontrolle der Fahnder durch Gerichte und parlamentarische Aufsichtsgremien geschwächt oder ganz aufgehoben.

 

Datensammeln gegen Unschuldsvermutung

Der dritte Grundsatz der Terrorgesetzgebung besteht in der impliziten Aufhebung der Unschuldsvermutung durch pauschales Datensammeln zum Zweck der Mustererkennung. In diese Kategorie fällt etwa das Terrorist Finance Tracking Program (TFTP) des US-Finanzministeriums. In dessen Rahmen wurden auch die Finanztransaktionsdaten europäischer Bürger verdeckt ausgewertet. Ans Licht kam das durch Recherchen der „New York Times“, die 2006 einen Artikel über den Zugriff der US-Fahnder auf die in den USA gespiegelten Daten des FIN-Systems des belgischen Finanzdienstleisters SWIFT veröffentlichte.

 

Als SWIFT die europäischen Daten daraufhin in die EU und die Schweiz abzog, entbrannte ein scharfer Streit über die Bedingungen, unter denen die USA weiter Zugriff auf die Daten haben sollten. Im August 2010 trat das neue SWIFT-Abkommen zwischen EU und USA in Kraft. Die US-Fahnder können nun Datenpakete aus dem SWIFT-FIN-System anfordern, die Auswertung soll von einer EU-Vertrauensperson in Washington kontrolliert werden. Datenschützer kritisieren, dass auch dabei noch zahlreiche Daten unbescholtener Bürger übertragen, analysiert und gespeichert werden. Das Abkommen hat eine Laufzeit von fünf Jahren. Die EU will bis zum Ende dieser Frist ein eigenes Programm zur Analyse von Finanztransaktionen auflegen.

 

Streit über Flugpassagierdaten

Ein weiterer Streitpunkt zwischen EU und USA sind Erfassung und Analyse von Flugpassagierdaten (Passenger Name Records; PNR). Die USA wollen genau über die Flugbewegungen jedes Passagiers Bescheid wissen und die Daten mit ihren Datenbanken abgleichen. Dazu zählen die beiden vom Terrorist Screening Center des FBI gepflegten Aufstellungen „No-Fly-List“ und „Selectee“. Personen, die auf ersterer Liste stehen, dürfen in den USA kein Flugzeug mehr betreten, die „Selectees“ werden vor dem Boarding genau durchsucht.

 

Die dem US-Heimatschutzministerium unterstellte Grenzschutzbehörde Transportation Security Administration (TSA) veröffentlichte Daten zu diesen Listen zuletzt 2008. Damals befanden sich auf beiden Listen zusammen rund 400.000 Namen. Aufgrund von Namensgleichheiten und fahrlässiger Wartung der Datenbanken kam es beim automatisierten Aussieben der Passagiere wiederholt zu Pannen, zu den prominenten Opfern des Systems gehörten der Sänger Yusuf Islam alias Cat Stevens und US-Senator Ted Kennedy.

 

Lange Speicherdauer

Die EU würde mit den USA gerne ein neues Abkommen aushandeln, im Rahmen dessen den Anforderungen des europäischen Datenschutzrechts und der Grundrechte Genüge getan wird. Aus informierten Kreisen sickerte in jüngerer Zeit aber durch, dass die USA überhaupt nicht daran interessiert sind, auf die Wünsche der Europäer einzugehen. Schließlich haben sie bereits unter ihrem eigenen Recht vollen Zugriff auf die relevanten Reservierungsdatenbanken.

 

Die erfassten Daten wollen die USA 15 Jahre lang speichern. Als Kompromiss bieten sie an, Namen und Wohnadresse von Passagieren nach 30 Jahren nicht mehr automatisch anzeigen zu lassen. In den PNR-Datensätzen können auch sensible Informationen wie Kreditkartennummern stehen. Die USA bestehen weiterhin darauf, die Daten bei Bedarf auch an Drittländer weitergeben zu dürfen. Eine solche Klausel gibt es übrigens auch im SWIFT-Abkommen. Auch die EU will ein PNR-Kontrollsystem errichten.

 

EU will Verbesserungen

Einmal etablierte pauschale Überwachungsmaßnahmen sind ähnlich schwer wieder loszuwerden wie das berüchtigte Flüssigkeitenverbot im Handgepäck aus dem Jahr 2006, das eigentlich schon im Frühjahr 2011 hätte aufgehoben werden sollen. EU-Grundrechtekommissarin Viviane Reding nahm im Dezember 2010 die Verhandlungen mit den USA über ein Rahmenabkommen zum Grundrechteschutz beim Austausch von Polizeidaten auf.

 

Die Europäer wollen die Speicherdauer minimieren, ein wirksames Recht für EU-Bürger auf Dateneinsicht und -Korrektur gegenüber den US-Behörden, sowie die Zweckgebundenheit der Datenabfrage durchsetzen. Diese Verhandlungen können sich aber aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen der transatlantischen Partner bezüglich Datenschutzfragen noch lange hinziehen.

 

Datenschutz als Problem

Diese unterschiedlichen Perspektiven und Prioritäten werden trefflich durch eine als „vertraulich“ gekennzeichnete Depesche der Wiener US-Botschaft vom 3. Februar 2010 zum Thema Datenaustausch illustriert, die WikiLeaks im September veröffentlicht hat.

 

Darin sehen es die Diplomaten unter anderem als „Problem“ an, dass die Österreicher aufgrund der Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus und den benachbarten kommunistischen Regimes „weit verbreitete Vorurteile gegen staatliches Datensammeln“ hätten und sich in der Regel „für strikte Datenschutzregelungen“ aussprächen. Die Diplomaten empfehlen Washington, die heimischen Entscheidungsträger aus Politik und Medien besser über US-Datenschutzrecht und die Verwendung der Daten im Kampf gegen Terrornetzwerke zu informieren.

 

Fingerabdrücke und Vorratsdaten

Zwei prominente Datensammelaktionen, die im Rahmen des „Weltweiten Kriegs gegen den Terror“ durchgesetzt wurden, lagen schon vor dem 11. September 2001 in den Schubladen. So geht die erkennungsdienstliche Behandlung mit Abgabe von zwei Fingerabdrücken, die jeder Bürger über sich ergehen lassen muss, wenn er einen neuen Reisepass mit Chip beantragt, auf eine Untersuchungen der UNO-Luftfahrtorganisation ICAO über die Integration biometrischer Merkmale in Reisedokumente zurück, die schon 1998 gestartet wurde. Die Fingerabdruckdaten werden hierbei aber nicht zentral gespeichert. Das geschieht bei der Einreiseprozedur in Ländern wie den USA und Japan.

 

Die 2006 zur Terrorbekämpfung verabschiedete EU-Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung, die mit der pauschalen Erfassung sämtlicher Telefonie- und Internetverbindungsdaten sowie der Handypositionsdaten wohl mit am tiefsten in die Grundrechte aller Bürger eingreift, wurde schon bei den Verhandlungen über die Cybercrime-Konvention des Europarats auf den Tisch gebracht. Ein frühes Dokument dazu, in der die schwedische Delegation in der Arbeitsgruppe zur polizeilichen Zusammenarbeit die Data-Retention fordert, stammt von 30. März 2001.

 

Rechtsfreier Raum

Dass Geheimdienste und Polizei methodisch und strukturell verschmelzen, ihre Kontrolle durch Justiz und Parlament eingeschränkt und die Unschuldsvermutung durch pauschales Sammeln und massenhaftes Speichern der Kommunikations- und Reisedaten aller Bürger unterspült wird, öffnet einen rechtsfreien Raum. Dass dieser von den Diensten im Zweifelsfall auch ausgenutzt wird, lässt sich in der Geschichte der Stay-Behind-Armeen der NATO nachlesen, die der Schweizer Historiker Daniele Ganser 2004 publiziert hat.

 

Internationaler Datenaustausch zwischen Polizeibehörden ist für die Terrorbekämpfung wichtig. Sie muss jedoch wirksamer Kontrolle durch Justiz und Parlament unterworfen sein, die Datenerfassung darf nicht pauschal alle Bürger betreffen. Ansonsten droht ein Abgleiten in den Überwachungsstaat, vor dem Karl Korinek, ehemaliger Präsident des Verfassungsgerichtshofs, bereits 2007 nachdrücklich gewarnt hat.

 

Günter Hack, ORF.at

Links:

 

 

Links zum Thema Datenschutz im MISAWA-Forum:

 

Bearbeitet von yilmaz
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