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[h=1]"Der Moderator bedauert den Verlauf des Gesprächs"[/h]Florian Rötzer 07.05.2014

[h=2]Wie im öffentlichen-rechtlichen Rundfunk mitunter mit abweichenden Meinungen umgegangen wird[/h][h=3]Es ist vielleicht ein kleiner Hinweis darauf, wie (öffentlich-rechtliche) Medien mitunter die öffentliche Meinung verwalten, was seit der Ukraine-Krise des öfteren zu beobachten ist. Gestern wollte Christopher Ricke vom Deutschlandradio ein Interview mit dem Anwalt Mehmet Daimagüler machen, der im NSU-Prozess zwei Familien der Opfer Abdurrahim Özüdogru und Ismail Yasar aus Nürnberg vertritt.[/h]Schon lange schwelt ein Streit zwischen vielen Nebenklägern und dem Gericht sowie der Bundesanwaltschaft. Die Nebenkläger wollen Aufklärung über den NSU und viele offene Fragen, Gericht und Bundesanwaltschaft konzentrieren sich auf die Angeklagten und verweigern auch mitunter den Nebenklägern Akteneinsicht. Vorgeworfen wird den Nebenklägern, dass sie etwas fordern, was ein Strafprozess nicht leisten könne, den sie politisieren und unnötig in die Länge ziehen würden, während die Nebenkläger dem Gericht mangelnden Aufklärungswillen vorwerfen.

Mehmet Daimagüler hat auch mit seiner Kritik am Verfassungsschutz und den nach dem Bekanntwerden des Versagens der Sicherheitsbehörden umgesetzten Reformen nicht hinter den Berg gehalten. Man wusste also auch beim Deutschlandradio, wenn man zu einem Interview einlud. Erst einmal ging auch alles seine geordneten Bahnen. Daimagüler wies den Vorwurf zurück, dass die Nebenkläger den Prozess verzögern würden. Dann machte er noch einmal klar, dass die Opferangehörigen und deren Anwälte wollen, dass auch die "Hintergründe" untersucht werden sollen, also etwa, ob es weitere Helfer gab und welche Rolle die V-Leute gespielt haben: "Wir können doch nicht gut schlafen, wenn wir das Gefühl haben, dass Teile der NSU auch noch auf freiem Fuß sind, oder?"

Dann beginnt das Interview aber Ricke, der sich als "Journalist, Moderator, Trainer " präsentiert, zu entgleiten. Er konstatiert, dass doch Konsequenzen aus dem Versagen der Ermittler gezogen worden seien, was das Risiko mindern würde. Daraufhin wagt es der Interviewte zurückzufragen, was denn verändert worden sei, worauf Ricke offenbar keine wirkliche Antwort wusste und auf seiner Rolle beharrte:

Ricke: Na ja, die Fragen, die muss ich ja jetzt heute stellen, weil ich ja auch nicht der Jurist bin, aber ich erinnere mich an -

Daimagüler: Sie haben ja nicht gefragt, sondern festgestellt.

Ricke: Dann gebe ich Ihnen doch gern die Antwort. Also: Wir haben personelle Wechsel bei Landesverfassungsschutzämtern. Wir haben Reformen beim Verfassungsschutz. Wir haben den Untersuchungsausschuss, wir haben Aufarbeitung -

Daimagüler: Nein, ernsthaft, welche Reform haben wir denn beim Verfassungsschutz?

Ricke: Herr Daimagüler - kurz zur Rollenverteilung: Sie sind Vertreter der Nebenklage, ich stelle hier die Fragen - einverstanden?

Daimagüler: Nein. Sie machen ja keine Fragen, sondern ...

Ricke: Okay. Dann danke ich Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch!

 

Wer das Spiel nicht brav mitspielt, dem wird die Rede abgeschnitten. Daimagüler hatte Recht, dass Ricke Behauptungen aufstellte, die er nicht näher erläuterte, aber implizit verlangte, dass Daimagüler sie teilen müsste, wenn er nicht renitent übers Ziel hinausschießt, was offenbar dann erreicht ist, Kritik an der Reform des Verfassungsschutzes zu äußern, der zwar nun die V-Leute strenger kontrollieren und die Vernichtung von Akten besser regeln, aber letztlich mehr Rechte erhalten soll, zudem soll, sagte der Bundesinnenminister de Maizière, eine "bessere Analysefähigkeit" erfolgen, es wird also wohl personell und technisch aufgestockt. Wie weit die parlamentarische Kontrolle ausgebaut wird, steht in den Sternen.

Man kann also durchaus verschiedener Meinung sein, was in einer Demokratie auch im öffentlichen-rechtlichen Rundfunk ausdiskutiert werden sollte. Das schroffe Abwürgen ist nicht nur sehr unhöflich, sondern auch höchst unprofessionell und widerspricht jeder demokratischen Kommunikationskultur. Anstatt sich deutlich für den Fehltritt persönlich zu entschuldigen, meint der Sender, er könne es so richten: "Anmerkung der Redaktion: Der Moderator bedauert den Verlauf des Gesprächs." Damit wird die Haltung des Redakteurs im Grund noch einmal verstärkt. Das Gespräch ist halt dumm verlaufen, das bedauert der Moderator, seinen Anteil daran verschweigt er lieber, was klammheimlich die Schuld dem Interviewgast zuweist, der es wagte, sich nicht an die vom Moderator verordnete, aber nicht begründete Affirmation zu halten, dass doch jetzt alles gut sei.

Wie die Hörer/Leser reagieren, kann man nicht nachprüfen: "Wir behalten uns vor, Kommentare vor Veröffentlichung zu prüfen." Man sieht also nicht, was zensiert wird. Auffällig ist, dass bei einem solchen Vorgang angeblich nur 5 Kommentare regelkonform waren. Man kann aber schon erschließen, dass das Verhalten des Moderators nicht gut aufgenommen wurde. Man müsste erwarten, dass sich auch die Redaktion öffentlich entschuldigt - gegenüber dem Gast und der Öffentlichkeit. Dass dies nur derart verdruckst erfolgt, spricht Bände.

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"Staat & Nazis Hand in Hand"

Polizei zensiert NSU Plakat wegen Verunglimpfung des Staates

Ein Plakat sollte an den NSU-Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße vor 10 Jahren erinnern. Doch die Berliner Polizei griff ein und zerstörte das Plakat. Begründung: Die Aufschrift „NSU: Staat und Nazis Hand in Hand“ verunglimpfe den Staat. Die Initiatoren sprechen von Zensur.

 

"NSU: Staat und Nazis Hand in Hand" von der Polizei entfernt © Bündnis gegen Rassismus und Almende e.V.

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Am Nachmittag des 9. Juni 2004 explodierte in der stark belebten Kölner Keupstraße eine Bombe, gefüllt mit über 5 kg Sprengstoff und 800 Zimmermannsnägeln, die auf einem Fahrrad deponiert war. Sie sollte in der hauptsächlich von türkeistämmigen Menschen bewohnten Straße ein brutales Blutbad anrichten. Nur durch Glück starb niemand. Mehr als 22 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.

Den Anwohnern und Geschäftstreibenden war sofort klar: Das war ein gezielt rassistischer Terroranschlag. Die Ermittlungsbehörden schlossen jedoch noch am selben Tag sowohl einen rechtsextremen als auch einen terroristischen Hintergrund aus. Stattdessen wurden die Anwohner und die Opfer über viele Jahre wie Verdächtige mit Ermittlungen überzogen. Sie wurden mit permanenten Verhören und verdeckten Ermittlern ausgespäht.

Blockaden und dubiose Todesfälle

Erst nach der Selbstbekanntmachung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) im November 2011 trat das Ausmaß des Versagens der Sicherheitsbehörden zutage. Die Empörung war groß. Allen voran die Politik mit Bundeskanzlerin Angela Merkel an der Spitze versprachen lückenlose Aufklärung.

Von diesem Versprechen ist nicht mehr viel übrig. Heute begnügen sich Politiker damit, auf den laufenden NSU Prozess vor dem OLG München zu verweisen, die Bundesanwaltschaft wiederum ist fixiert auf die Beschuldigten auf der Anklagebank und nicht gewillt, darüber hinauszuschauen. Und lädt das Gericht einen V-Mann als Zeugen ein, blockiert der Verfassungsschutz. Hinzu kommen plötzliche und dubiose Todesfälle von zwei wichtigen NSU-Zeugen kurz vor ihren Vernehmungen – offizielle Todesursache: Selbstmord und Diabetes.

Staat und Nazis Hand in Hand?

So vielfältig die Ungereimtheiten und offenen Fragen mittlerweile auch sind, haben sie alle eines gemeinsam: Sie verhärten den Eindruck, als gingen staatliche Stellen und Nazis Hand in Hand und die Sicherheitsbehörden versuchten nun mit allen erdenklichen Mitteln, dies zu vertuschen.

Um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen und sich anlässlich des zehnten Jahrestages des Nagelbombenanschlags auf der Keupstraße mit den Opfern zu solidarisieren, hängten das Bündnis gegen Rassismus und Allmende e.V. am gestrigen Dienstag in Berlin ein Wandbild auf eine Hauswand an der Ecke Manteuffelstraße/Oranienstraße. Darauf ist das Fahrrad der Täter zu sehen sowie der Schriftzug: „Ermittlungsterror gegen die Betroffenen. Die Mehrheit schweigt. NSU: Staat & Nazis Hand in Hand. Das Problem heißt Rassismus.“

Verunglimpfung des Staates?

Was folgte, verschlug den Initiatoren der Plakataktion den Atem. Kurz nachdem das Wandbild angebracht war, rückte die Polizei an und stellte die Personalien von Anwesenden fest. Zunächst behauptete die Polizei, das Bild sei ohne Erlaubnis der Hauseigentümer angebracht worden. Die herbeigerufene Vertreterin der Wohnungsbaugenossenschaft bestätigte die ausdrückliche Genehmigung.

Daraufhin begründete die Polizei ihre Maßnahmen mit dem Strafgesetzbuch. Die Zeile „NSU: Staat & Nazis Hand in Hand“ verunglimpfe laut § 90a den Staat. Entsprechende Ermittlungen würden eingeleitet. Zugleich wurden die Initiatoren der Plakataktion aufgefordert, die strittige Passage zu übermalen, „sonst wird es teuer“. Als keiner der polizeilichen Aufforderung nachkam, konnte auch ein herbeigeeilter Anwalt nicht verhindern, dass die Polizei eine Drehleiter der Berliner Feuerwehr anforderte.

Zensur – Plakat zerstört

Unter Missfallensäußerungen von Anwohner fuhr ein Feuerwehrmann zum Bild hinauf und riss großflächig Teile des Bildes ab. Ein anwesender Presse-Fotograf fotografierte diese Aktion und wurde daraufhin von der Polizei umstellt: Er solle seine Bilder zur Kontrolle vorzeigen. Als er sich weigerte, wurden auch seine Personalien festgestellt.

„Wir verstehen die Zensur des Wandbildes als eine weitere Kriminalisierung politischer antirassistischer Arbeit. Die Benennung der Rolle des Staates innerhalb des NSU-Komplexes soll unterbunden werden. Allein dieses Vorgehen der Polizei gegen kritische Stimmen zeigt, dass die zensierte Aussage aktueller und berechtigter ist denn je“, kritisieren die Initiatoren in einer Erklärung das polizeiliche Vorgehen.

Nicht kritikfähig

Gerade angesichts der Ungeheuerlichkeiten der Ermittlungsarbeit zum NSU müssten staatliche Strukturen auch Kritik zulassen, ohne diejenigen, die diese Kritik äußern, einzuschüchtern, zu überwachen und zu verfolgen. „Mit dieser Kriminalisierung wird versucht, den Standpunkt von Menschen, die Rassismus erfahren, aus dem öffentlichen Raum zu entfernen und unsichtbar zu machen“, so das Bündnis weiter.

Unterstützt werden das Bündnis gegen Rassismus und Allmende e.V. von der Initiative Keupstraße ist überall: „Der kriminalisierte Satz spitzt zu, was wir uns in dieser Affäre alle fragen: wo hört der NSU auf und wo fängt der Staat an?“ so ein Sprecher der Initiative „Keupstraße ist überall“.

Kein Einzelfall

Besonders brisant am Vorgehen der Polizei ist, dass dieselbe Polizeieinheit im Auftrag derselben Abteilung des Landeskriminalamtes schon einmal versucht hat, die strittige Passage zu kriminalisieren. Eine Demonstration im November 2013 stand unter dem Motto: „NSU-Terror: Nazis und Staat Hand in Hand“. Damals beschlagnahmte die Polizei eine Lautsprecheranlage und leitete ein Verfahren gegen die Organisatoren ein wegen Verunglimpfung des Staates. Allerdings wurde das Verfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt und die Rechtswidrigkeit der Beschlagnahmung gerichtlich festgestellt.

Ein Sprecher des Bündnisses sagte dem MiGAZIN: „Die Polizei wusste also, dass der strittige Satz nicht gegen das Strafgesetzbuch verstößt.“ Die Passage ist dennoch weg, heruntergerissen von der Feuerwehr im Auftrag der Polizei. Dabei ist direkt unter dem Plakat in schwarzer Farbe folgender Hinweis zu lesen: „Eine Zensur findet nicht statt (Art. 5 GG)“. (es)

http://www.migazin.de/2014/06/04/polizei-nsu-plakat-verunglimpfung-staates/

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Die Welt:

11:28

 

NSU-Anschlag in Köln

 

Das dubiose Behördenversagen nach der Nagelbombe

 

Heute vor zehn Jahren verübte der NSU einen Nagelbombenanschlag in Köln. Intern ordnete der Verfassungsschutz die Tat wohl richtig ein, öffentlich wurde Rechtsterror ausgeschlossen. Warum?

 

Von Stefan Aust und Dirk Laabs

 

[...]

 

Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wehrte offenbar nach außen hin jeden Verdacht nach rechts ab. In einer Agenturmeldung kaum 24 Stunden nach dem Anschlag, als so gut wie noch gar nichts ermittelt wurde, hieß es schon unter Berufung auf einen Sprecher des Bundesamtes für Verfassungsschutz: "Geheimdienst sieht Kriminelle am Werk." Auch das gibt eine Ermittlungsrichtung vor – obwohl man es beim Inlandsgeheimdienst besser weiß.

 

Was wollte "Dr. M." so dringend wissen?

 

Denn intern, im Bundesamt selber, ordnet man den Hintergrund des Anschlags offenbar richtig ein. Das BfV residiert in der Kölner Merianstraße, gerade 20 Minuten Autofahrt vom Anschlagsort Keupstraße entfernt. Wenige Stunden nach der Tat interessiert sich dort vor allem ein Mann brennend für den Nagelbombenanschlag. In den Akten des NSU-Untersuchungsausschusses taucht er nur als "Dr. M." auf. Es gibt kaum jemanden, der in Sachen rechter Extremismus besser in Deutschland vernetzt sein dürfte als dieser Mitarbeiter des Verfassungsschutzes.

 

Dr. M. hat Treffen hochrangiger deutscher Terrorismusexperten koordiniert, bei denen oft darüber diskutiert wurde, ob es rechten Terror geben kann oder bereits gibt. Er leitete zudem das Referat Beschaffung mit – hatte also mit Neonazis zu tun, die man als V-Männer angeworben hatte. Einige dieser Informanten, das wird sich erst nach dem Auffliegen des NSU herausstellen, haben im direkten Umfeld der Terrorgruppe agiert. Seit seinem Bestehen hat das BfV immer versucht, die rechte Szene zu unterwandern, ab 1992 wurden diese Bemühungen angesichts der vielen Brandanschläge noch verstärkt. Die gewonnenen brisanten Informationen teilt man, wenn möglich, mit niemanden.

 

Um 19 Uhr 53 ruft Dr. M., der Experte für rechte Spitzel, im Lagezentrum der Polizei an. Das geht aus der Dokumentation des Lagezentrums hervor. Er bittet um eine Telefonnummer, er müsse mit einem Kollegen in der Abteilung 6 des Innenministeriums von Nordrhein–Westfalen, dem dortigen Verfassungsschutz, telefonieren, sagt er. Der Kollege, Peter Hofmann, ist ebenfalls für die Führung und Anwerbung von Informanten zuständig. Die beiden kennen sich lange. Auch Hofmann führt V-Männer in der rechten Szene, er hat dort ebenso wenig wie Dr. M. Probleme, mit militanten Neonazis zusammenzuarbeiten.

 

"Typisches Tatmittel" der rechtsextremistischen Szene

 

Dr. M. konnte in Berlin vor dem NSU-Ausschuss nicht aussagen, weil er "an einer schweren Erkrankung" leidet. In einer schriftlichen Stellungnahme erklärte er, der Vorgang läge acht Jahre zurück und er könne sich zwar an den Bombenanschlag in der Keupstraße erinnern, nicht aber an Details. Seinen Terminkalender, in dem er stichwortartig Termine, Gespräche und Telefonate notiert habe, sei von ihm beim Ausscheiden aus dem Dienst 2006 vernichtet worden.

 

[...]

 

Einige Tage nach dem Anschlag hatte sich die zuständige Staatsanwaltschaft entschlossen, die Bilder der Überwachungskameras zu veröffentlichen, sie wurden auch ins Internet gestellt. Um zu sehen, wer besonders oft die Seite besucht – vielleicht ja die nervösen Attentäter, wird die Homepage von der Polizei überwacht. Vor allem in der Kölner Verfassungsschutzzentrale wurden in der Folge die Bilder immer wieder angeklickt. Der Leiter der Abteilung Rechtsextremismus hatte seine Mitarbeiter gebeten, sich die Bilder anzuschauen: "Sie haben es so oft getan, dass sie eine paar Tage später Besuch von der Polizei bekommen haben", gibt der Mann später vor dem NSU-Ausschuss in Berlin zu.

 

[...]

 

In dem Heft wurden rund 40 potenzielle Rechtsterroristen erwähnt; man hätte die Fotos dieser Verdächtigen leicht mit dem Material der Überwachungskamera vergleichen können. Stattdessen heißt es in dem Dossier lapidar: "Auch haben sich keine Anhaltspunkte für weitere militante Aktivitäten der Flüchtigen [Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt] ergeben." Das war gelogen. Das BfV wusste durch V-Mann-Berichte, dass sich das Trio bewaffnen und Überfälle begehen wollte, man wollte diese Informationen nur nicht teilen.

 

[...]

 

Es wurden nur Tatverdächtige erfasst, die bereits in Nordrhein-Westfalen in Erscheinung getreten waren. Der ermittelnde Staatsanwalt Josef Rainer Wolf erklärte dem Untersuchungsausschuss, vonseiten der Polizei sei ihm erläutert worden, dass die Täter im Nahbereich von Köln-Mühlheim, rechtsrheinisches Köln, maximal bis Bergisch-Gladbach zu suchen seien.

 

Vermutlich kam man auch deshalb nicht auf eine Verbindung zum Bombenanschlag in der Probsteigasse. Diese liegt in Köln auf linksrheinischem Gebiet. Entsprechend regional begrenzt fiel auch die operative Fallanalyse des LKA Nordrhein-Westfalen vom 20. Juli 2004 aus: "Die Täter oder einer der Täter wohnen in einer genau zu bezeichnenden Wohnsiedlung jenseits der KVB/S-Bahn-Haltestelle ... in der Umgebung Mülheims ..."

 

[...]

 

So eng das geografische Blickfeld der Fallanalytiker war, so zutreffend war ihre Personenbeschreibung: Es handele sich um zwei Täter männlichen Geschlechts, die sich "einig im Geiste" seien, vermutlich enge Freunde oder auch Brüder. Sie seien hellhäutige Europäer, wahrscheinlich Mitteleuropäer, deutschstämmig oder Deutsche. "Die Gesamtbewertung", so die Fallanalytiker, "rechtfertigt die Annahme, dass es sich bei den Tätern mit hoher Wahrscheinlichkeit um Deutsche handelt." Damit seien aber Kölner Bürger mit anderer europäischer Nationalität wie etwa Österreicher, Niederländer oder Schweizer nicht ausgeschlossen.

 

Das Täterprofil: " ... beide sind zwischen 25 und 30 Jahre alt, sehen sich ähnlich, sind Mountainbike-Fahrer, haben gewisse handwerkliche Fähigkeiten, eine mindestens durchschnittliche Intelligenz und eine Affinität zu Waffen und Sprengstoff." Möglicherweise seien sie schon früher damit aufgefallen und polizeilich in Erscheinung getreten – "eventuell wegen fremdenfeindlicher Straftaten".

 

Ein Blick auf die Liste der in den vergangenen Jahren untergetauchten und per Haftbefehl gesuchten rechtsradikalen Sprengstofftäter hätte auch zu Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe geführt. Doch kein Fahnder kam auf das Naheliegende. Dass auch kein Verfassungsschutzbeamter des Bereiches Rechtsextremismus darauf gekommen sein soll, dürfte eher unwahrscheinlich sein.

 

[...]

 

Und obwohl die Beschreibung der beiden Täter eindeutig auf Deutsche hindeutete, begann der zuständige Staatsanwalt verstärkt in Richtung Ausländer zu ermitteln. Beim Stichwort Keupstraße denke man an Auseinandersetzungen mit politischem Hintergrund, etwa zwischen national eingestellten Türken und Kurden, meinte Staatsanwalt Wolf. Man habe auch nicht ausschließen können, dass hier ein "ausländerfeindlich begründeter Anlass für die Täter" vorgelegen habe. Auch ein Hintergrund im Bereich der organisierten Kriminalität sei in Betracht gekommen. Aber rechtsradikale Deutsche? Niemals, es gab ja kein Bekennerschreiben. Mit Logik hatte das nichts zu tun.

 

[...]

 

Am Jahrestag 2005 mordete der NSU wieder

 

[...]

Im 9. Juni 2005, diesmal an einem Donnerstag, aber auf den Tag genau ein Jahr nach dem Kölner Nagelbombenattentat, erschossen Mitglieder des NSU in Nürnberg in seinem Dönerstand den 50-jährigen Ismail Yasar. Wieder, wie schon fünf Mal zuvor, benutzen sie dieselbe Pistole: eine Ceska. Termin und Waffe waren eindeutige Signale: Wir waren es. Doch niemand im Sicherheitsapparat der Bundesrepublik Deutschland schien diese mörderische Sprache zu verstehen, niemand stoppte sie, obwohl es so viele Chancen gab und man so oft, so nahe kam.

 

[...]

 

[...] Der Nürnberger Zeugin, deren Erinnerung ja noch sehr frisch ist, wurde das Video aus Köln jedoch nicht sofort vorgespielt – damit ließ sich "Bosporus" mehrere Monate bis Mai 2006 Zeit. Bis dahin werden zwei weitere Menschen von den Serienmördern erschossen worden sein.

 

Im Oktober 2006 zeigte man der Zeugin sogar das Video noch einmal, um dann zu Protokoll zu geben: "Dass es sich hierbei um dieselben Personen wie in Nürnberg handelt, kann ich nicht mit Sicherheit sagen." Den Satz will die Zeugin so nicht gesagt haben, sondern, so stellt sie vor dem Untersuchungsausschuss in Bayern klar: "Das ist einer der Männer, die ich in Nürnberg gesehen habe." Warum der Satz falsch protokolliert wurde, konnten weder der NSU-Ausschuss des Landtages Bayern noch der des Bundestages ermitteln.

 

Auch beim NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht in München blieb dieser Punkt ungeklärt. Dabei ist diese Frage entscheidend. Denn erstmals wurde die Ceska-Mordserie, die man bislang dem organisierten Verbrechen zugerechnet hatte, mit der Bombe in Köln in Verbindung gebracht – und dort gab es Fotos und Filmaufnahmen der Täter. Die Bombe und die Daten im Fahndungscomputer hätten zudem zu Böhnhardt und Mundlos geführt. Stattdessen legte man der Zeugin aus unerfindlichen Gründen offenbar einen falschen Satz in den Mund.

 

[...]

 

Merkwürdiger Umgang mit potenziellen Zeugen

 

Ein Merkmal der Ceska-Serie war es, dass es kaum Zeugen gab. Außer beim ersten Mord im Jahr 2000. Damals hatten ein Vater und sein Sohn die mutmaßlichen Täter dabei gesehen, als sie ihr Opfer Enver Simsek erschossen. Doch auch diesen beiden Zeugen wurde das Video erst im Frühjahr 2007 gezeigt – fast zwei Jahre zu spät. Auch der Vater erkannte eine Ähnlichkeit zwischen den Bildern und den Männern am Tatort in Langwasser. Warum man den beiden das Video nicht schon 2005 gezeigt hat, konnte bislang keiner der zuständigen Ermittler schlüssig begründen.

 

Unmittelbar nachdem die Kölner Ermittler in Nürnberg waren, sickerte dieser Besuch an die Presse durch; Schlagzeilen unter einem der Überwachungsbilder der Viva-Kamera waren die Folge: "War es der Kopfschuss-Killer?" Wenig später reagierten die Ermittler mit einem Interview, das die Sicht der Polizei zusammenfasste: Es gebe zwar keine konkreten Spuren, jeder Hinweis sei wichtig, aber dann sagte Kriminaloberrat Johann Schlüter, wer schuld an den stockenden Ermittlungen ist: "Der türkischen Mentalität entspricht es auch, nicht unbedingt immer mit den Behörden zusammenzuarbeiten, was dazu führt, dass die Polizei nicht alles erfährt. Vielleicht spielt auch Angst eine Rolle …"

 

[...]

 

Auch in der Kölner Keupstraße ging man mit potenziellen Zeugen merkwürdig um. Vor allem der Umgang mit zwei Polizisten, die am Tatort waren, ist vollkommen rätselhaft. Am 14. November 2012, acht Jahre nach dem Nagelbombenanschlag, zwölf Monate nachdem Böhnhardt und Mundlos in ihrem brennenden Camper tot aufgefunden worden waren, wandte sich der Inhaber eines Ladengeschäftes in der Keupstraße, wenige Meter neben dem Friseursalon, vor dem die Bombe explodierte, an den inzwischen eingerichteten Untersuchungsausschuss des Bundestages.

 

Er schilderte, dass er in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Anschlag damals zwei zivil gekleidete Polizisten in der Keupstraße gesehen habe. Vor dem Schaufenster seines Büros flogen Splitter herum, das Oberlicht seiner Eingangstür platzte. Er warf sich auf den Boden.

 

Als er wieder aufsah, erkannte er durch die Schaufensterscheibe auf der Straße einen Mann, der deutlich sichtbar ein Schulterholster trug, darin eine Waffe. "Ich dachte sofort, dass dieser Mann ein Polizist sein muss. Ich lief raus zu ihm auf die Straße und fragte, was passiert sei. Er wollte diese Frage nicht beantworten und zeigte nur auf die Metallsplitter am Boden. Gleichzeitig roch ich starken Geruch von Sprengstoff in der Luft." Dann sah er auf der anderen Straßenseite einen zweiten Mann, der eine Pistole trug.

 

[...]

 

Von zwei Zivilpolizisten, die während des Anschlages vor Ort gewesen waren, war in den Akten bis dahin nie die Rede gewesen. Die Parlamentarier wandten sich an das Innenministerium Nordrhein-Westfalen und bekamen am 6. Februar 2013 eine Antwort. Es habe sich um die Polizeibeamten Hauptkommissar B. und Kommissar V. gehandelt. Sie seien tatsächlich zur Tatzeit in der Nähe der Keupstraße auf Streifenfahrt gewesen. In einem zivilen Wagen hätten sie in der Schanzenstraße gestanden.

 

[...]

 

Mit Erstaunen mussten die Mitglieder des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Kenntnis nehmen, dass die beiden Polizeibeamten, die während der Tat ganz in der Nähe des Tatortes waren, erst am 22. März 2013, mehr als neun Jahre nach dem Anschlag, auf Anordnung des Generalbundesanwalts zum ersten Mal dazu vernommen worden waren: "Eine zeitlich frühere Vernehmung der beiden Zeugen zu ihren Wahrnehmungen im Umfeld der Schanzenstraße fand nach Bekunden beider weder unmittelbar nach der Tat noch zu einem anderen Zeitpunkt vor ihrer Vernehmung im März 2013 statt."

 

Im Bericht heißt es lapidar: "Im Ausschuss ist die Tatsache, dass die beiden Polizisten nach der Tat nicht als Zeugen vernommen wurden, auf Kritik gestoßen." Tatsächlich ist kaum nachzuvollziehen, dass die Polizeibeamten V. und B. niemals zuvor vernommen wurden. Immerhin waren sie, wie die genauen Nachforschungen des Untersuchungsausschusses neun Jahre später ergaben, genau zu der Zeit in unmittelbarer Nähe gewesen, als die beiden Attentäter ihren Anschlag vorbereiteten und während dieser gut 40 Minuten von mehreren Zeugen gesehen und von Überwachungskameras gefilmt worden waren.

 

[...]

 

Verdeckte Ermittler tummelten sich in Tatortnähe

 

Einer der Polizisten erklärte den Abgeordneten, dass ihm die Videos der Überwachungskameras niemals gezeigt worden waren, lediglich im Rahmen der Öffentlichkeitsfahndung, so Baumeister, seien ihm die Bilder "bekannt gewesen". Der Ausschuss stellte fest, dass die "mutmaßlichen Täter ca. 30 bis 60 Sekunden nach der Explosion durch die Schanzenstraße in Richtung der beiden an den Tatort eilenden Polizisten" geflüchtet seien.

 

[...]

 

In der Keupstraße tummelten sich, so viel steht fest, bald nach dem Anschlag, verdeckte Ermittler, V-Männer, Informanten. In den Monaten nach den erkennbar schlampigen Ermittlungen wurden dann mit richterlichem Beschluss verdeckte Ermittler eingesetzt, um im Umfeld der Opfer nach Tätern zu fahnden. Ziel des Einsatzes war es, "die Strukturen der untereinander konkurrierenden türkischen Gruppierungen, deren Angehörige sowie mögliche Beziehungen zu den möglichen deutschen Tatverdächtigen zu erhellen ..." Als würden verfeindete Türken oder Kurden ausgerechnet Deutsche einsetzen, um ihre Fehden untereinander auszutragen.

 

[...]

 

Die Kölner Ermittler vermuteten, dass auch V-Männer von Verfassungsschutzämtern in der Gegend eingesetzt waren, man traf sich, um gemeinsame Erkenntnisse auszutauschen. Ein Polizist erinnert sich: "Ebenso ist mir deutlich in Erinnerung geblieben, weil in dieser Form noch nicht erlebt, dass seitens der anwesenden Herren sowohl des Landes- als auch des Bundesamtes für Verfassungsschutz keinerlei Beitrag geleistet wurde und alle Fragen in puncto Erkenntnisse oder möglichen Einsatzes von Vertrauensleuten nicht beantwortet wurden."

 

[...]

 

Man war nicht zu weit weg, sondern zu nah dran

 

Dafür wurde das Offensichtliche systematisch verdrängt. Und die Mordserie ging weiter. Es gab einen weiteren Grund, warum man nicht an eine "braune RAF" glauben wollte. Der Verfassungsschutz war der Auffassung, es würde bei den Rechten "an strategischen Köpfen, an einer Konzeption und an einer geeigneten Infrastruktur" fehlen. Die Experten der Geheimdienste waren davon überzeugt, dass "rechtsextreme Gruppierungen, aus denen sich terroristische Anschläge entwickeln könnten, dem Verfassungsschutz bekannt werden müssten, weil sie sich nicht so wie die RAF abschotten könnten".

 

Man vertraute also seinen Spitzeln in der Neonazi-Szene, und davon gab es viele. Hartwig Möller, Leiter der Verfassungsschutzabteilung im Innenministerium Nordrhein-Westfalen, erklärte dem Ausschuss, es habe im Rechtsradikalismus "immer die meisten Quellen gegeben, weil diese am leichtesten zu gewinnen" seien. Und so verwundert es auch nicht, dass eine Spitzenkraft von Dr. M., der so dringend direkt nach dem Anschlag einen anderen Spitzelexperten sprechen wollte, Akten von Informanten vernichten ließ, als der NSU als Terrorgruppe publik wurde.

 

Das dürfte der Kern des NSU-Komplexes gewesen sein. Man war nicht zu weit weg, sondern möglicherweise viel zu dicht dran. Und das galt es am Ende zu vertuschen. Und so konnten die Täter noch drei weitere Morde mit ihrer symbolischen Waffe verüben: am 15. Juni 2005 an dem Griechen Theodoros Boulgarides in München, am 4. April 2006, einem Dienstag, an Mehmet Kubasik in Dortmund und zwei Tage später, am 6. April 2006 an Halit Yozgat, dem Betreiber eines Internet-Cafés in Kassel.

 

Nur der letzte Mord der Serie wurde mit einer anderen Waffe begangen, am 25. April 2007, als die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn während einer Dienstpause in ihrem Streifenwagen erschossen und ihr Kollege schwer verletzt wurde. Dass diese Tat ebenfalls mutmaßlich auf das Mordkonto von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos geht, wurde erst deutlich, als die Dienstwaffen der beiden Beamten im November 2011 in dem brennenden Camper gefunden wurden, in dem sich die beiden erschossen hatten.

 

Die Chancen, auf das mörderische Duo zu stoßen, waren spätestens 2004 in Köln vertan worden. Von der Polizei, aber vor allem vom Bundesamt für Verfassungsschutz – das 2011, als der Fall aufflog, Akten zu V-Leuten aus dem Umfeld der Täter schreddern ließ. Man wusste offenbar warum. Der langjährige Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz und heutige Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt Klaus-Dieter Fritsche brachte es vor dem Untersuchungsausschuss auf den Punkt: "Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln unterminieren."

 

Er sagte nicht, ob es die Staatsgeheimnisse sind, die Regierungshandeln unterminieren, oder ob er das Bekanntwerden von Staatsgeheimnissen meinte. Beides ist untragbar, in einer Mordserie mit zehn Toten, verletzten und traumatisierten Opfern – genauso wie ein Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, der eine solche Maxime in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss verkündet.

 

© Axel Springer SE 2014. Alle Rechte vorbehalten

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Quelle/Kaynak:

 

http://www.welt.de/politik/deutschland/article128843458/Das-dubiose-Behoerdenversagen-nach-der-Nagelbombe.html

 

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  • 2 Monate später...

NSU-UNTERSUCHUNGSAUSSCHUSS

 

[h=2]Blamage in Thüringen[/h]Von Henry Bernhard

 

Scharfe Kritik an den Sicherheitsbehörden: Der 1.800-Seiten starke Bericht des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses (picture alliance / dpa / Michael Reichel)Der NSU-Untersuchungsausschuss sollte ein mögliches Fehlverhalten der Thüringer Sicherheits- und Justizbehörden analysieren. Nun hat er seinen Abschlussbericht vorgelegt. Bei seiner Arbeit habe der Ausschuss in den Abgrund geschaut, kommentiert Henry Bernhard.

"Wir müssen in den Abgrund schauen und die Antworten suchen. Wir schulden sie nicht nur den Opferangehörigen, sondern wir schulden sie uns selbst". Das sagte der Anwalt Mehmet Daimagüler, der im Münchner NSU-Prozess Angehörige von Mordopfern vertritt, am Rande der Sondersitzung des Thüringer Landtags.

Der schockierende Abschlussbericht des NSU-Ausschusses beantwortet viele Fragen, wirft aber fast noch mehr auf. Wir wissen nun detailliert, was in der fünf Jahre dauernden Fahndung der Thüringer Behörden nach den drei abgetauchten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt nicht geklappt hat. Wir wissen, dass alles schief ging, was schief gehen konnte, dass Inkompetenz, Ignoranz, Borniertheit, Eifersüchteleien und Angst dazu führten, dass die drei 13 Jahre unerkannt leben und eine mörderische Blutspur durch Deutschland ziehen konnten.

Ein Abgrund, der diejenigen, die sich im NSU-Untersuchungsausschuss über zwei Jahre hinweg mit dem Desaster beschäftigten, die Röte des Zorns und der Scham ins Gesicht trieb. "Die Verbrechen des NSU hätte es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gegeben, wenn Thüringer Behörden die Fahndung nach den Untergetauchten entschiedener betrieben hätten." Das sagte die Ausschussvorsitzende Dorothea Marx am Rednerpult des Thüringer Landtags, und ihr gegenüber, auf der Besuchertribüne, saßen Mütter, Väter, Geschwister der Ermordeten. Deren Söhne und Brüder mussten sterben, weil die deutschen Behörden auf ganzer Breite versagt haben, Polizei, Verfassungsschutz, Justiz.

[h=3]Desinteresse oder gezielte Sabotage?[/h]"Es ist uns in Deutschland nicht gelungen, sie und ihre Angehörigen zu schützen", sagte Ministerpräsidentin Lieberknecht und bat die Angehörigen um Vergebung. Der Thüringer Landtag, sein Untersuchungsausschuss, hat wirklich in den Abgrund geschaut. Tiefer als andere Untersuchungsausschüsse zum NSU in Sachsen oder Bayern, tiefer als der im Bundestag. Und die Thüringer haben weder sich noch andere geschont. Knapp 70 Sitzungen haben sie abgehalten, über 100 Zeugen gehört, Zeugen, von denen sich viele an wenig oder nichts erinnern konnten oder wollten, wie Ausschussmitglieder immer wieder bitter anmerken. Zeugen, von denen kein Wort der Reue oder Verantwortung zu hören war. Zeugen, denen der Korpsgeist ihrer Institutionen immer noch wichtiger war als die Wahrheit. Zeugen, die Fehler lieber vertuschen als aus ihnen zu lernen.

Der knapp 1.900 Seiten lange Abschlussbericht verrät uns deshalb oft, was getan oder unterlassen wurde, um die drei Untergetauchten zu finden, selten aber erfahren wir, warum so oder so entschieden wurde. Und so konnten die Ausschussmitglieder auch nicht sicher sagen, ob es nur Desinteresse vieler Akteure war, die die Fahnder scheitern ließen, oder ob "gezielte Sabotage" im Spiel war. Ganz ausdrücklich spekuliert der Bericht in diese Richtung, denn anders ließe sich manches Verhalten, mancher Fakt nicht erklären.

Zum Beispiel, dass die Untergetauchten sich mehrfach so kurzfristig dem Zugriff entzogen, dass es den Anschein hatte, dass jemand sie gewarnt hat. Das ist er, der Abgrund. Allein schon um der Frage nachzugehen, ob die Fahndung gezielt sabotiert wurde, sollen und wollen die Thüringer Abgeordneten in der nächsten Legislaturperiode einen neuen Untersuchungsausschuss zum NSU einrichten. Zu viele Fragen blieben ungeklärt. Detailfragen, Fragen nach dem Unterstützerkreis, aber auch die Frage danach, warum die zehn Menschen sterben mussten, wie sie ausgewählt wurden.

[h=3]Neue Form des Rechtsterrorismus[/h]Dennoch liefert der vorliegende Abschlussbericht eine Fülle an Stoff, der gelesen werden sollte und der Konsequenzen fordert. Zehn Menschen starben zwischen 2000 und 2007 unter den Kugeln des NSU, 23 Menschen wurden beim Bombenanschlag in Köln zum Teil lebensgefährlich verletzt. Und erst Jahre später, 2011, als der NSU durch den Selbstmord von Mundlos und Böhnhardt aufflog, wurde klar, dass dies keine "Dönermorde" waren, sondern dass sich mitten in Deutschland eine neue Form des Rechtsterrorismus breitgemacht hatte.

Vier Verfassungsschutzpräsidenten traten in der Folge zurück, einige Gesetze wurden geändert. Das war's bislang, und das ist zu wenig. Denn die Terroristen kamen nicht aus der Ferne, nicht von einem anderen Stern, sondern sie kamen aus unserer Mitte. Hier, bei uns, wurden sie erzogen und ausgebildet, hier haben sie ihr Weltbild begründet. "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch", schrieb Bertolt Brecht im Epilog seines Stücks "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui". Dies gilt noch heute. Deswegen müssen wir in den Abgrund schauen. Wir schulden es uns selbst.

 

Deutschlandfunk, 23.08.2014

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  • 2 Wochen später...

[h=1]NSU-Prozess

Sommerpause beendet – NSU-Prozess geht am Donnerstag weiter[/h]

[h=4]Am Donnerstag endet die Sommerpause im NSU-Prozess. Ein Kripo-Ermittler und ein mutmaßlicher Helfer sollen über den Weg der Terrorgruppe um Beate Zschäpe in den Untergrund aussagen. (Foto: dpa)[/h]Von DTJ-ONLINE | 03.09.2014 11:30

Nach vier Wochen Sommerpause setzt das Oberlandesgericht (OLG) München am Donnerstag den NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe und vier ihrer mutmaßlichen Helfer fort. Dabei geht es ein weiteres Mal um das Abtauchen der so genannten Terrorgruppe des „Nationalsozialistischen Untergrunds” (NSU) in die Illegalität. Offenbar will das Gericht jetzt verstärkt versuchen, Hintergründe und Strukturen offenlegen.

Als Zeuge hat der Münchner Staatsschutzsenat einen Beamten des Landeskriminalamtes Thüringen geladen. Er soll über seine Ermittlungen gegen den harten Kern der rechtsextremen Szene in den Jahren 1996 und 1998 aussagen. Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt waren 1998 abgetaucht und lebten dann 13 Jahre unentdeckt im Untergrund. Ihnen wird zur Last gelegt, während dieser Zeit zehn Menschen ermordet und zwei Sprengstoffanschläge verübt zu haben.

Der Fahnder, den das Gericht als ersten Zeugen nach der Sommerpause befragt, hatte sich bei seinen Ermittlungen auf die „Kameradschaft Jena” konzentriert, der die drei angehörten. Gegenstand der Ermittlungen waren mehrere Sprengsätze und Briefbombenattrappen, die zu dieser Zeit in Jena aufgetaucht waren. Auch Beate Zschäpe geriet damals schon unter Verdacht. Eines der Bombenpakete steckte in der Plastiktüte eines Geschäfts, in dem sie laut Ermittlungsakte Stammkundin gewesen sein soll.

Zahlreiche neue Dokumente als Beweismittel

Außerdem hat das Gericht einen mutmaßlichen Helfer der Terrorgruppe erneut geladen. Er soll nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes ein führendes Mitglied des „Thüringer Heimatschutzes” gewesen sein und räumte bei seiner letzten Befragung vergangenen Juni ein, als „Gewährsperson” Informationen an den Verfassungsschutz weitergegeben zu haben.

Für die Zeugenvernehmungen stehen dem Gericht und den Vertretern von Bundesanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung von Donnerstag an zahlreiche neue Dokumente als Beweismittel zur Verfügung. Der Senat hatte sie am letzten Sitzungstag vor der Sommerpause im so genannten „Selbstleseverfahren” eingeführt. Damit dürfen die Prozessbeteiligten aus diesen Unterlagen zitieren oder den Zeugen Passagen daraus vorhalten.

Darunter befinden sich Abrechnungsunterlagen für gemietete Wohnmobile und persönliche Unterlagen der Angeklagten. Auf denen finden sich die Namen der beiden mutmaßlichen Unterstützer Holger G. und André E.

Außerdem wurde ein rassistischer Roman eines amerikanischen Neonazi-Anführers als Beweismittel eingeführt. Er war auf den Computerfestplatten zweier Angeklagter gefunden worden. Aus einem Vermerk des Thüringer Verfassungsschutzes geht zudem hervor, dass der Autor persönliche Kontakte ins NSU-Unterstützerumfeld pflegte. (dpa/dtj)

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[h=1]IZ, 03.11.2014 Die Aufklärung ist längst nicht am Ende. Von Christiane Jacke[/h][h=2]Neue Rätsel im Fall NSU[/h]Drei Jahre nach dem Auffliegen des NSU sind viele drängende Fragen unbeantwortet - und es sind neue hinzugekommen. Die Parlamentsaufklärer von damals treibt ein Unbehagen um, dass sich alte Fehler wiederholen könnten. Wie geht es weiter?

 

Berlin (dpa). - Es war Anfang April, als der Mann mit dem Decknamen „Corelli“ tot in seiner Wohnung gefunden wurde. Der 39-Jährige starb überraschend an einem diabetischen Schock, heißt es offiziell. Doch die Todesumstände werfen Fragen auf. Der Mann hatte dem Verfassungsschutz jahrelang Informationen aus der rechten Szene geliefert. Im Fall der rechten Terrorzelle NSU spielte er eine undurchsichtige Rolle. Im Frühjahr tauchte dann eine CD auf, die vermuten lässt, dass er doch mehr von der Terrorbande gewusst haben könnte als angenommen - und zwar Jahre, bevor das Trio aufflog. Und gerade als ihn Verfassungsschützer noch mal zu dem Fall befragen wollten, lag er tot zu Hause. Es ist ein neues Rätsel neben den vielen alten.

 

Am 4. November 2011 hatte die Polizei in einem ausgebrannten Wohnmobil im thüringischen Eisenach Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tot gefunden. Ihre Komplizin Beate Zschäpe stellte sich wenig später der Polizei. Es folgte die Aufdeckung einer beispiellosen Serie an Verbrechen, Morden und Abscheulichkeiten - und die Erkenntnis, dass die Sicherheitsbehörden in dem Fall kolossal versagten. In den vergangenen drei Jahren bemühten sich Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern darum aufzuklären, wie es zu dem Desaster kommen konnte. Das Gremium im Bundestag hat seine Arbeit zwar beendet und einen Abschlussbericht vorgelegt. Doch für die damaligen Obleute aus dem Ausschuss ist die Sache längst nicht abgeschlossen. „Auch nach drei Jahren können wir nicht sagen, dass der Fall komplett ausgeleuchtet ist und es Antworten auf die drängendsten Fragen gibt“, sagt der frühere Unions-Obmann Clemens Binninger (CDU), der heute das Geheimdienst-Kontrollgremium im Bundestag leitet. Auch die damalige Linke-Obfrau Petra Pau meint: „Es gibt viel mehr offene Fragen als feststehende Antworten.“

 

Bis heute ist nicht wirklich klar, wie die Terrorbande ihre Opfer aussuchte oder was genau am 4. November 2011 passierte. Hinzu kommt der Hauch an Ungewissheit, ob es vielleicht doch nicht nur ein Trio war - und ob es doch einen V-Mann gab, der vom „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) und dessen Taten wusste. Gerade die letzte Frage treibt die Parlamentsaufklärer von damals um, seitdem „Corelli“ tot ist. Noch dazu, weil das Agieren der Sicherheitsbehörden wieder einmal in eigenartigem Licht erscheint.

 

„Corelli“ hatte seinem V-Mann-Führer beim Bundesamt für Verfassungsschutz schon 2005 eine ominöse CD übergeben. Darauf fand sich in einem Wust von Dateien auch das Kürzel „NSU/NSDAP“. Damals hatten die Sicherheitsbehörden - wie sie beteuern - keine Ahnung, was sich hinter den Buchstaben verbarg. Die CD landete im Archiv. Und sie kam erst in diesem Jahr wieder zum Vorschein - trotz aller Aufklärungsarbeit seit Ende 2011. „Dafür habe ich kein Verständnis“, sagt die frühere SPD-Obfrau aus dem NSU-Ausschuss im Bundestag, Eva Högl. Alte Fehler würden zum Teil wieder gemacht. Auch ihre Obleute-Kollegen sind verärgert. Sie haben im Innenausschuss bei Polizei und Geheimdiensten wegen „Corelli“ nachgehakt. Aber die zeigten wenig Initiative, den neuen Fragen auf den Grund zu gehen, kritisieren die Abgeordneten.

 

„Nach den bisherigen Auftritten der Sicherheitsbehörden ist nicht erkennbar, dass man mit großer Leidenschaft jedem Ansatz nachgeht“, sagt Binninger. Pau spricht von „erschreckendem Desinteresse“ und klagt: „Die Behörden in Bund und Ländern mauern weiter.“ Auch die Grünen-Politikerin Irene Mihalic meint, die Behörden träten bei der Aufklärung auf die Bremse. „Das erschüttert mich schon.“

 

Die vier Abgeordneten setzen sich nun regelmäßig zusammen, um über den Fall NSU zu beraten. Ein toxikologisches Gutachten zum Tod von „Corelli“ steht aus. Außerdem hat das Geheimdienst-Kontrollgremium einen Sonderermittler eingesetzt, der Nachforschungen zu dem V-Mann anstellen soll. Möglichst bis zum Frühjahr soll der Ermittler seine Arbeit abgeschlossen haben. Dann wollen die Parlamentarier überlegen, ob im Bundestag ein weiterer U-Ausschuss nötig ist. Auch in Sachsen und Thüringen ist im Gespräch, erneut solche Gremien einzusetzen.

 

Auch die Angehörigen der Opfer erhoffen sich Antworten auf nagende Fragen. Yvonne Boulgarides, deren Mann Theodoros am 15. Juni 2005 in München durch drei Kopfschüsse starb, sagt: „Ich glaube, dass wir erst die Spitze des Eisbergs kennen.“ - See more at: http://www.islamische-zeitung.de/?id=18510#sthash.fXIczsht.dpuf

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Sonntag 02. November 2014

 

IGMG Presseerklärungen

 

Drei Jahre NSU - Es gibt keine Alternative zur lückenlosen Aufklärung

[h=3]„Wir bestehen auf eine lückenlose Aufklärung“, so Mustafa Yeneroğlu, stellvertretender Vorsitzender der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) anlässlich des dritten Jahrestages seit dem Bekanntwerden des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU). Yeneroğlu weiter:[/h]

„Vor drei Jahren haben wir erfahren, dass Neonazis mordend und bombend eine breite Blutspur quer durch Deutschland ziehen konnten, weil Sicherheitsbehörden ihren Pflichten in ungeheuerlicher Weise nicht nachgekommen sind. Glaubt man den Berichten der NSU Untersuchungsausschüsse, wurde die Erfassung der Täter sogar torpediert.

 

Dieses Armutszeugnis trifft uns besonders hart und erschüttert unseren Glauben in die Sicherheitsbehörden. Umso mehr ist eine lückenlose Aufklärung sämtlicher Vorgänge und aller offenen Fragen unumgänglich. Das Versprechen von Bundeskanzlerin Angela Merkel während des Staatsaktes zum Gedenken an die NSU Opfer ist nach wie vor nicht eingelöst. Wir werden so lange daran erinnern, bis alle offenen Fragen beantwortet sind.

 

Das was bisher geboten wurde, gleicht jedenfalls mehr einer Theateraufführung als einem aufrichtigen Willen, diesen Skandal tatsächlich aufzuarbeiten und die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen. Dazu zählt das Hin und Her in einigen Ländern über das Ob einer Einrichtung eines Untersuchungsausschusses genauso wie der lasche und verantwortungslose Umgang der Sicherheitsbehörden mit Informationen zum NSU, die nach und nach zutage treten. Auch die vermeintliche Umsetzung von Handlungsempfehlungen der bereits abgeschlossenen Untersuchungsausschüsse erinnert mehr an einen falschen Film als an ein ernsthaftes Bemühen, Lehren aus diesem Desaster zu ziehen.“

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Die Entdeckung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ sorgte vor drei Jahren für Entsetzen – seitdem beschäftigten sich parlamentarische Untersuchungsausschüsse mit der Aufklärung der zehn Morde und mehrerer Anschläge, die auf das Konto des NSU-Trios gehen sollen. Anfang November wurde im NRW-Landtag ein Untersuchungsausschuss eingesetzt. Vor dem Oberlandesgericht München läuft derzeit die juristische Nacharbeitung des Falls. Doch viele Fragen stehen noch im Raum: Welche Rolle spielten die Ermittlungsbehörden? Welche Strategie verfolgte die Politik? Gab es ein Netz an rechten Helfern? Und nicht zuletzt, welche Folgen hat der Fall für die demokratische Ordnung?

 

In der Veranstaltungsreihe „Uni ohne Vorurteile“ (http://www.uni-bielefeld.de/ohne-vorurteile/) findet

 

 

 

am Montag den 17.11.2014 um 18 Uhr

 

an der Universität Bielefeld (Hörsaal H1)

 

 

 

die Podiumsdiskussion „Der NSU-Prozess und seine Konsequenzen“ statt.

 

Der Opferanwalt Dr. Mehmet Daimagüler und die WDR-Redakteure Ayca Tolun und Paul-Elmar Jöris, die für die ARD als Prozess-Reporter akkreditiert sind, vermitteln ihre Eindrücke vom Münchner Prozess gegen Beate Zschäpe und Mitangeklagte.

 

Verena Schäffer, stellvertretende Vorsitzende der NRW-Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied des NSU-Untersuchungsausschusses im NRW-Landtag thematisiert die politische Aufarbeitung des rechten Terrors in Nordrhein-Westfalen: Welche Erwartungen stellen die Mitglieder an die Arbeit des Untersuchungsausschusses? Welche Themenfelder sollen besonders aufgegriffen werden? Welche Versäumnisse der Ermittlungsbehörden zeichnen sich ab?

 

Im Gespräch mit Cemil Sahinöz vom Bündnis Islamischer Gemeinden in Bielefeld soll es um die Folgen des NSU-Terrors in den Zuwanderer-Communities gehen. Wie hat sich der Fall auf das Demokratieverständnis und Vertrauen in die Institutionen des Staates ausgewirkt? Eine besondere Aktualität gewinnt diese Frage durch die Brandanschläge auf Moscheen in Ostwestfalen.

 

Letztendlich soll die Veranstaltung die Frage aufwerfen, wie es passieren konnte, dass die Gesellschaft bereit war, an die vereinfachten Theorien zu den Tätern zu glauben und ob die demokratischen Institutionen heute gewappnet sind, um ähnliche Fälle zu verhindern.

 

 

 

Die Veranstaltung der AG Uni ohne Vorurteile und des Rektorats der Universität Bielefeld wird vom Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Zick und dem WDR Funkhaus Europa unterstützt, und findet im Rahmen der ARD-Themenwoche Toleranz statt.

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[h=1]NSU-Diskussion in Bielefeld:(09.26 Uhr)[/h]Der Prozess gegen die rechte Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) war am Montagabend Thema einer Podiumsdiskussion an der Bielefelder Universität. Dabei wurde über mögliche weitere Helfer und das fragwürdige Vorgehen der Polizei debattiert. Auch in Bielefeld mache rechte Gewalt vielen Muslimen Angst, sagte der Vorsitzende des Bündnisses der Islamischen Gemeinden in Bielefeld, Cemil Sahinöz. Im August gab es mehrere Brandanschläge auf Bielefelder Moscheen. Die Polizei hat dabei bislang ebenfalls einen fremdenfeindlichen Hintergrund ausgeschlossen.

 

WDR, 18.11.2014

http://www1.wdr.de/studio/bielefeld/nrwinfos/nachrichten/studios81652.html

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  • 1 Monat später...

[h=1]Selber selbstreinigen[/h]Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, hat die Selbstreinigung des Islam gefordert. Ein offener Brief.

 

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Sie haben sich kürzlich für eine Selbstreinigung des Islam ausgesprochen. Als bekennender Christ ist ihnen das Wort aus dem Evangelium des Matthäus (7,3) bekannt: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Mitmenschen, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?“ In diesem Sinne erlauben wir uns als besorgte Bürger, sechs Fragen und Forderungen an Sie zu richten. Vorausgeschickt sei:

Nahezu acht Jahre nach dem Mord an Michèle Kiesewetter und dem Mordversuch an Martin Arnold am 25. April 2007 in Heilbronn, über eineinhalb Jahre nach dem Beginn des Münchner Prozesses gegen Beate Zschäpe und weitere vier Angeklagte ist ungeklärt, wer die Täter waren. Es ist nicht einmal eindeutig geklärt, wer am Tatort war.

 

Das zuständige baden-württembergische Innenministerium hat weder gegenüber dem Untersuchungsausschuss des Bundestags noch den Aufklärungsversuchen des Stuttgarter Landtags zur Aufklärung beigetragen: die nachgeforderten Ermittlungsakten der Soko-„Parkplatz“ sowie anderer Akten zum Attentat sind durch Innenminister Reinhold Gall (SPD) so verzögert beim Untersuchungsausschuss des Bundestags eingegangen, dass sie nicht mehr Gegenstand seiner Arbeit sein konnten.

Die vom Landtag von Baden-Württemberg 2014 eingesetzte Enquetekommission glich einer Farce. Über Wochen wurde gestritten, ob man die Zuständigen überhaupt befragen dürfe. Dieser Streit gipfelte in Gutachten, die mit dem Ziel bearbeitet wurden, das Nachfrage- und Untersuchungsrecht der Enquetekommission zu beschneiden.

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Uli Schkerl, hat sich dabei in solche Widersprüche verstrickt, dass er in dem nun eingesetzten Untersuchungsausschuss nicht mehr tragbar ist. Die Mordermittlungen im Fall Kiesewetter gehören – so Stefan Aust und Dirk Laabs in ihrem Buch „Heimatschutz“ – zu den schlampigsten in der jüngeren bundesdeutschen Geschichte.

[h=6]Ein Schlag ins Gesicht der Opfer[/h]Sehr geehrter Ministerpräsident, es liegt in Ihrer Hand, dem Hickhack der Parteien um den richtigen Weg der „NSU“-Aufklärung ein Ende zu setzen. Ihr Schweigen und jeder Tag, den Sie zögern, ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer, befördert Verschwörungstheorien und senkt das Vertrauen der BürgerInnen in den demokratischen Rechtsstaat. Daher regen wir an:

(1) Die Akten zu Heilbronn dem Untersuchungsausschuss vollständig vorzulegen.

(2) Die Öffentlichkeit wissen zu lassen, was die Sicherheitsbehörden an terroraffinen Netzwerken des Neonazismus in Baden-Württemberg festgestellt haben: Zu den Aktivitäten der rechtsextremistischen Musikszene, der verbotenen Organisation „Blood & Honour“ sowie der Band Noie Werte, deren Stücke „NSU-Bekennervideos“ untermalten, zum Ku-Klux-Klan in der Polizei von Baden-Württemberg, zur Rolle der V-Mann-Einsätze von „Piatto,“ dem Anfang April 2014 tot aufgefunden „Corelli“, von Achim Schmid; zur „Neoschutzstaffel“ (NSS), zur „Standarte Württemberg“ – und zu einem Geheimbund in Heilbronn, der in den Akten beschrieben und bisher von Ihren Sicherheitsorganen nicht einmal benannt worden ist. Welche V-Männer waren in Baden-Württemberg im Einsatz? Wurde die Kameradschaft Karlsruhe, die Kontakte zum NSU-Umfeld unterhielt, von V-Leuten des Staats-/Verfassungsschutzes aufgebaut bzw. mitgetragen?

(3) Die Öffentlichkeit darüber zu unterrichten, mit wem und worüber die ermordete Michéle Kiesewetter auf ihren Handys und in ihrem Computer Informationen ausgetauscht hat.

(4) Lassen Sie die Öffentlichkeit wissen, was Thomas Bartelt, der Leiter der Einheit von Michèle Kiesewetter, was Kolleginnen und Kollegen aus der Einheit und benachbarter Sicherheitsorgane, also die beiden bisher nicht angemessen vernommenen Polizisten Daniel S. und Matthias S. in den Stunden des Attentats getan haben? Warum waren sie wann am Tatort?

(5) Lassen Sie ermitteln, welche Dienste eventuell noch in der Nähe des Tatorts waren: wer und wie viele vom Verfassungsschutz oder von US-amerikanischen Diensten, etwa dem FBI, den Special Forces und Navy Seals? Wie konnte es sein, dass in kürzester Zeit eine MEK-Einheit aus Karlsruhe am Tatort war und Flüchtende per Hubschrauber verfolgen konnte?

(6) Wie war es möglich, dass über Jahre unabhängig voneinander gemachte Zeugenaussagen zu möglichen Tätern (mindestens 4 bis 6 Täter) nicht zureichend weiterverfolgt wurden? Das gilt auch für das Phantombild, das das überlebende Opfer des Attentats, Martin Arnold, hat zeichnen lassen!

In respektvoller Hoffnung auf eine Selbstreinigung des baden-württembergischen Staatsapparats.

 

 

TAZ,

 

 

07. 01. 2015

[h=2]KOLUMNE VON[/h]

[h=4]MICHA BRUMLIK, HAJO FUNKE[/h]

 

 

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  • 2 Monate später...

[h=2]NSU-PROZESS[/h][h=2]NSU-Zeugin erlag Lungenembolie[/h]Der Prozess um den islam- und ausländerfeindlichen “Nationalsozialistischen Untergrund” (NSU) hat einen wichtigen Zeugen verloren. Laut Obduktionsberichten erlag die 20-Jährige einer Lungenembolie.

 

 

Nach dem überraschenden Tod einer Zeugin im Stuttgarter NSU-Untersuchungsausschuss hat die Obduktion nach Angaben der Polizei keine Hinweise auf ein Fremdverschulden ergeben. Die 20 Jahre alte Frau aus Kraichtal (Kreis Karlsruhe) sei an den Folgen einer Lungenembolie gestorben, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft am Montag in Karlsruhe mit. Das sei das vorläufige Ergebnis der Leichenschau in der Universität Heidelberg.

Bei der Toten handelt es sich um eine Ex-Freundin von Florian H., einem ehemaligen Neonazi, der im Herbst 2013 in einem Wagen in Stuttgart verbrannt war. Florian H. soll gewusst haben, wer die Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn getötet hatte. Der Mord wird den Rechtsterroristen des “Nationalsozialistischen Untergrunds” (NSU) zugerechnet. Am Tag seines Todes hatte H. noch einmal von der Polizei befragt werden sollen.

Die Behörden teilten weiter mit, die junge Frau habe am vergangenen Dienstag einen leichten Motorradunfall gehabt und sich eine Prellung im Knie zugezogen. Zwar sei die Frau mehrfach ärztlich behandelt worden, trotzdem habe diese Verletzung letztlich eine Verstopfung eines Blutgefäßes der Lunge ausgelöst. “Anzeichen für eine wie auch immer geartete Fremdeinwirkung haben sich bei der Obduktion nicht ergeben”, hieß es in der Mitteilung.

Aus Sicht des Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses im Landtag, Wolfgang Drexler (SPD), gibt es keinen Zweifel an den Schilderungen der Behörden. Er sehe keinen Ansatz für weitere Ermittlungen. “Es ist ein sehr tragischer und bedauerlicher Fall.” Die Polizei habe umfassend und rasch ermittelt und ihre Ergebnisse ausführlich dargelegt.

Die 20-Jährige hatte Anfang März als Zeugin im NSU-Ausschuss in Stuttgart in nicht-öffentlicher Sitzung ausgesagt, weil sie erklärt hatte, sie fühle sich bedroht. Der Ausschuss soll die Verbindungen der rechten Terrorzelle in den Südwesten Deutschlands und mögliches Behördenversagen genauer betrachten.

Den Rechtsterroristen des NSU wird der Mord an neun Kleinunternehmern ausländischer Herkunft und an der Polizistin Kiesewetter zugeschrieben. In den vergangenen Ausschusssitzungen hatten sich die Abgeordneten mit Florian H. beschäftigt, dessen Tod die Polizei für einen Suizid hält. Die Familie glaubt aber nicht daran, dass Florian sich selbst getötet hat. Die Polizei steht in dem Fall unter Druck, weil sie hier schlampig ermittelt und auch Gegenstände in dem ausgebrannten Wagen übersehen haben soll. (dpa, iQ) 30.03.2015

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[h=1]31.03.2015 Zum erneuten Zeugentod im NSU-Komplex: Pressemitteilung der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş[/h][h=2]„Die Sorge wächst, das Vertrauen schwindet“[/h]

„Unsere Sorge wächst, unser Vertrauen schwindet, das Versprechen nach lückenloser Aufklärung rückt immer mehr in die Ferne“, meint Bekir Altaş, kommissarischer Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş, anlässlich eines weiteren mysteriösen Todes eines NSU-Zeugen.

 

Bekir Altaş erklärte weiterhin: „Der NSU-Komplex wirft immer mehr Fragen auf. Jetzt soll eine 20-jährige NSU-Zeugin tot in ihrer Wohnung aufgefunden worden sein. Fremdeinwirken wird von offizieller Seite ausgeschlossen. Sie hatte vor dem Untersuchungsausschuss zum Polizistenmord an Michèle Kiesewetter ausgesagt. Auf mysteriöse Art und Weise kam schon ihr Freund Florian H. ums Leben. Selbstmord hieß bisher die offizielle Version, bis kürzlich sich die Zweifel an dieser These so stark verdichteten, dass neue Ermittlungen eingeleitet wurden. Auch er hatte Informationen zum Fall Kiesewetter und hätte aussagen sollen. Weitere Todesfälle von wichtigen Zeugen im NSU-Desaster werfen inzwischen ein unerträglichen Dunkel auf dieses Komplex.

 

So sehr man sich bemüht, sich nicht von Spekulationen leiten zu lassen, so sehr drängen vermeintliche Pannen und Zufälle die Menschen inzwischen dahin. An das Versprechen nach lückenloser Aufklärung glauben ohnehin nur noch die Wenigsten. Das Vertrauen in unsere Sicherheitsorgane hat bereits einen irreparablen Schaden genommen. Der NSU Skandal wird auf Dauer im kollektiven Gedächtnis bleiben als Genickbruch für das Vertrauen in die Sicherheitsorgane.“

 

IZ, 31.03.2015

 

 

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Rassistische Deutungsmuster

 

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09.04.2015

 

FRANKFURT AM MAIN

 

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(Eigener Bericht) - Eine kommunikationswissenschaftliche Studie stellt der Berichterstattung deutscher Massenmedien über die rassistischen Morde des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) ein vernichtendes Zeugnis aus. Demnach folgte die bundesrepublikanische Presse der Strategie der Repressionsbehörden, die bis zum Auffliegen der Terrororganisation im November 2011 auf die Kriminalisierung der Opfer und die Entpolitisierung der Anschläge zielte. Laut den Autoren ist es ein "strukturelles Merkmal" der deutschen Medienberichterstattung, Migranten zuvörderst als "Bedrohung" wahrzunehmen. Dies habe sich bereits bei der Verwendung des Begriffs "Döner-Morde" für die Gewalttaten des NSU gezeigt. Journalisten hätten den Betroffenen auf diese Weise zunächst ihre "Individualität genommen", um sie dann als Angehörige einer migrantischen "Parallelwelt" zu porträtieren, die letztlich für die Verbrechen verantwortlich sei. Im Unterschied zu anderen Kriminalitätsopfern habe man den Opfern des NSU "nur vereinzelt Empathie" entgegengebracht; die zahlreichen Hinweise ihrer Angehörigen auf neonazistische Täter seien "medial weitgehend unbeachtet geblieben".

 

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"Ausländerkriminalität"

 

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Laut einer Studie, die von der Otto-Brenner-Stiftung der Industriegewerkschaft Metall in Auftrag gegeben worden ist, hatten deutsche Massenmedien "maßgeblichen Anteil" daran, dass die Opfer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) und ihre Angehörigen fast ein Jahrzehnt lang "öffentlich verdächtigt wurden, in kriminelle Aktivitäten verstrickt zu sein, die angeblich den Hintergrund der Morde bildeten". Zurückgeführt wird dies auf die Orientierung führender Journalisten an den "Deutungsmuster(n)" der Repressionsbehörden: "So folgte die Berichterstattung den Mutmaßungen über Schutzgelderpressung, Drogenkriminalität, Auftragskiller oder Geldwäsche und trug zu einem Bild bei, in dem die Verantwortung für die Morde der 'organisierten Kriminalität' zugewiesen wurde, die wiederum als 'ausländisch' markiert wurde." Wie die Autoren erklären, korrespondiere dieser Befund mit den Ergebnissen zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen, wonach "Ausländer" und "Asylbewerber" von den Medien "überproportional häufig" mit "Regelverletzungen" sowie "konflikt- und krisenhaften Entwicklungen" in Verbindung gebracht und als "Bedrohung" wahrgenommen würden: "Dieses Motiv reicht von 'sozialen Spannungen' und 'Minderheitenkonflikten' über die Bildung von 'Slums' und 'Ghettos' sowie die Gefahr des 'Missbrauchs des Asylrechts' und den Verweis auf die wachsende Konkurrenz am Arbeitsmarkt bis zu den nach dem 11. September 2001 deutlich vermehrt auftretenden Redeweisen über die 'terroristische Gefahr' aufgrund zu lascher Einwanderungsregeln."[1]

 

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"Döner-Morde"

 

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Den Autoren der Studie zufolge war die von deutschen Medien zur Bezeichnung der NSU-Verbrechen hervorgebrachte Wortschöpfung "Döner-Morde" für die Stigmatisierung und rassistische Ausgrenzung der Opfer "zentral". Den Ermordeten sei damit "die Individualität genommen" worden, was es wiederum ermöglicht habe, sie als Teil einer vermeintlichen türkischen "Parallelwelt" zu porträtieren, die neben der deutschen Mehrheitsgesellschaft existiere und mit dieser nichts zu tun habe. Aufbauend auf dieser Konstruktion sei dann von der deutschen Presse eine "Mafia-Verstrickung" der Getöteten behauptet und diesen damit ein "Teil der Verantwortung für das Geschehene" zugeschrieben worden, heißt es. Als "markantes Beispiel" für diese Form der Berichterstattung zitieren die Wissenschaftler einen 2005 in der Tageszeitung "Welt" erschienen Artikel, dem zufolge die Opfer ermordet wurden, "weil sie als Drogentransporteure ... Geschäfte auf eigene Faust machten". Damit einhergehend hätten die deutschen Medien offen Parallelen zwischen Tätern und Opfern gezogen, erklären die Autoren: "Die Darstellung der Tatverdächtigen in Wort und Bild wurde über einen langen Zeitraum von Begriffen und visuellen Markern bestimmt, die diese als 'Ausländer' bzw. 'Fremde' markierten; es war von 'Osteuropäern', einem 'Dunkelhäutigen' bzw. einem Mann mit 'Mongolen-Gesicht' die Rede, die im Verdacht stünden, mit den Verbrechen zu tun zu haben." Gleichzeitig sei den Opfern des NSU - im Unterschied zu anderen Kriminalitätsopfern - "nur vereinzelt Empathie" entgegengebracht worden.

 

*

 

"Mauer des Schweigens"

 

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Auch der Umgang deutscher Medien mit potenziellen Zeugen der NSU-Morde und den Angehörigen der Opfer war der Studie zufolge von rassistischen Klischees geprägt. Exemplarisch zitieren die Autoren einen Text des Internetportals "Spiegel Online", in dem der Familie eines Getöteten vorgeworfen wird, nicht mit den Strafverfolgungsbehörden zu kooperieren und bewusst für die Aufklärung des Verbrechens relevante Fakten zu unterschlagen. Wörtlich hieß es hier: "Die ... Befragten schwiegen eisern. Die Kripo erntete bei den Familienmitgliedern meist nur Kopfschütteln. Ehefrauen wollten von den Geschäften des Mannes nichts gewusst haben, enge Freunde verwandelten sich über Nacht in oberflächliche Bekannte, man habe sich nur gelegentlich gegrüßt, das war's." Wie die Wissenschaftler schreiben, kulminierte die hier zum Ausdruck kommende "Unterstellung einer Mitwisserschaft" in der "Metapher der 'Mauer des Schweigens', die in den Medien zitiert wurde"; auch hätten deutsche Journalisten vielfach "das Bild gezeichnet, die 'schwer durchdringbare Parallelwelt der Türken schütz(e) die Killer'".

 

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Zensur

 

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Passend dazu seien von deutschen Medien Hinweise auf neonazistische Täter bewusst unterschlagen worden, schreiben die Autoren der Studie. So habe etwa der öffentlich-rechtliche Westdeutsche Rundfunk (WDR) die Aussage der Tochter des 2006 in Dortmund getöteten Mehmet Kubaşık, es handele sich bei dem Mord an ihrem Vater um eine "ausländerfeindliche Tat", aus einem Interview "'rausgeschnitten und nicht gesendet". Selbst die von Angehörigen der Opfer im Mai und Juni 2006 in Kassel und Dortmund organisierten Demonstrationen, in deren Verlauf die deutschen Behörden eindringlich zur Suche nach neonazistischen Tätern aufgefordert wurden, seien "medial weitgehend unbeachtet geblieben", heißt es.

 

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Medienstrategie

 

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Wie die Urheber der Studie feststellen, entsprach die Berichterstattung über die rassistische Mordserie des NSU weitestgehend "der von den Ermittlungsbehörden verfolgten Medienstrategie", die vor allem auf die "Kriminalisierung der Opfer" gezielt habe. Zwar sei von der Polizei im August 2006 auch "Hass auf Migranten" als mögliches Motiv für die Morde genannt worden, jedoch hätten die Ermittler und in ihrer Folge zahlreiche Journalisten dies stets mit dem Zusatz versehen, besagter Hass resultiere mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus einem persönlichen "negative(n) Erlebnis mit einem Türken". Damit habe man gemeinsam das Mordmotiv "auf doppelte Weise entpolitisiert", erklären die Autoren: "Es wurde zur Folge individueller Erfahrung heruntergespielt ... und eine verfestigte rassistische Weltanschauung oder gar Einbindung in extrem rechte Strukturen über die diskursive Figur des 'Einzeltäters' kategorisch ausgeschlossen." Die hierin zum Ausdruck kommende Haltung hat in der Bundesrepublik Deutschland seit dem Terroranschlag auf das Münchner Oktoberfest 1980 nicht zuletzt dank willfähriger Medien Tradition; sie lässt sich allerdings in Anbetracht der mittlerweile vorliegenden Erkenntnisse über den NSU nicht mehr aufrechterhalten.

 

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[1] Siehe hierzu und im Folgenden: Fabian Virchow/Tanja Thomas/Elke Grittmann: "Das Unwort erklärt die Untat". Die Berichterstattung über die NSU-Morde - eine Medienkritik. Eine Studie der Otto Brenner Stiftung. Frankfurt am Main 2015.

 

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Quelle:

 

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http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59087

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Im Zentrum der Aktion „Konfetti“: Michael Dolsperg alias V-Mann „Tarif“

 

Das Bundesamt für Verfassungschutz schredderte die Akte eines V-Mannes, der führender Neonazi in Nordthüringen war und Hinweise auf die untergetauchten, späterenNSU-Mitglieder gab.Von Andreas Förster, zuerst veröffentlicht imAntifaschistischen Infoblatt Nr. 104/Herbst 2014Wer in die Wälder der schwedischen Provinz Värmland aufbricht, um dort eine der schillerndsten Figuren der früheren Thüringer Neonaziszene zu seinen Kontakten zum*NSU-Trio zu befragen, kommt zu spät. Michael Doleisch von Dolsperg hat seinen Ökohof „Snaret“, was auf Deutsch „Gestrüpp“ heißt, verkauft. An einem anderen Ort in Schweden hat er jetzt einen Tischlereibetrieb aufgemacht. Ein neues Leben will er dort beginnen, wieder einmal. Aber die Vergangenheit lässt ihn nicht los — wohl schon bald wird ihn das Oberlandesgericht in München als Zeugen zumNSU-Prozess laden. Und auch ein neuer*NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages, der immer wahrscheinlicher wird, dürfte sich für den langhaarigen, bärtigen Mann interessieren. Denn Dolsperg, der in den 1990er Jahren Michael See hieß und der führende Neonazi in Nordthüringen war, gehörte als V-Mann „Tarif“ zu den Topquellen des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) im Umfeld des*NSU-Trios.Erst Anfang Oktober vergangenen Jahres, nach dem Ende des*NSU-Untersuchungsausschusses, war Dolsperg als ehemaliger V-Mann enttarnt worden. Der Neonazi hatte demnach unter dem Decknamen „Tarif“ von 1995 bis mindestens 2001 mit demBfV*kooperiert und soll dafür mindestens 66.000 DM kassiert haben. Faktisch unter den Augen des Verfassungsschutzes publizierte er zudem jahrelang die rassistische Neonazi-Postille „Sonnenbanner“. Ein Exemplar dieses Blattes wurde auch in der 1998 ausgehobenen Bombenwerkstatt des Trios in Jena gefunden. In Artikeln des „Sonnenbanner“ wird unter anderem das — vom*NSU*später umgesetzte — Konzept autonomer Kämpferzellen propagiert, die im Untergrund das demokratische System bekämpfen.In einem von Dolsperg verfassten Text mit dem Titel „Das Ende oder Neuanfang“ heißt es: „Daher haben wir den Weg gewählt, der am schwierigsten, am unbequemsten und am steinigsten ist: Den Untergrund, die autonomen Zellen-Strukturen (…) Wir wollen die BRD nicht reformieren — wir wollen sie abschaffen.“ Für ein Leben in Freiheit „lohne es sich, alles zu opfern, um Sicherheit, Glück und Zukunft unserer Kinder und unserer Rasse zu gewährleisten. Was können wir verlieren außer unserem Leben?“In einem Schreiben an das Bundeskriminalamt (BKA) vom 13. Februar 2013 zitiert das*BfV*diese Passage und Ausschnitte weiterer Artikel aus dem vom V-Mann „Tarif“ verantworteten „Sonnenbanner“. Die Bewertung der Verfassungsschützer: „Bemer*kens*wert sind die ideologischen nationalsozialistisch motivierten Artikel im ‚Sonnen*banner’ zu den Themen Zellenprinzip, Agie*ren im Untergrund, konspirativem Verhalten und elitärem Selbstverständnis — insbesondere vor dem Hintergrund, dass (vor allen Dingen) MUNDLOS diese Artikel gelesen haben dürfte. Die späteren Taten des*NSU*weisen zumindest keinen Widerspruch zu diesen o. g. Verhaltensmustern auf.“Die Chuzpe, mit dem das Bundesamt in seinem Bericht an das*BKA*diese Bewertung trifft, ist verblüffend – nicht nur, weil See alias Dolsperg die rassistischen und mit offen nationalsozialistischen Inhalten gespickten Artikel des „Sonnenbanner“ als V-Mann quasi unter den Augen des Bundesamtes publizierte. Folgt man der Darstellung des seit zwölf Jahren in Schweden lebenden Neonazis, dann haben seine Verbindungsführer vom*BfV*sogar regelmäßig diese Artikel vor Drucklegung redigiert. „Das*BfV*bekam alle Ausgaben (des ‚Sonnenbanner’) von mir vorab“, sagte Dolsperg im vergangenen Februar dem Spiegel-Reporter Hubert Gude. Änderungswünsche vom Bundesamt habe es demnach bis auf eine Ausgabe, wo es um die Gestaltung des Titelblattes ging, nie gegeben. Bezahlt habe er die Produktion der Hefte zum Teil von seinen V-Mann-Honoraren, die monatlich zwischen 500 und 600 DM gelegen hätten, fügte Dolsperg hinzu.In seiner achtstündigen Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft (BAW) am 10. März 2014 ging der ehemalige V-Mann in seinen Aussagen über die Zusammenarbeit mit dem Bundesamt sogar noch weiter. Demnach habe er 1998, kurz nach dem Abtauchen des Trios, einen wichtigen Hinweis dazu an das*BfV*weitergegeben, ohne dass dieser weiterverfolgt wurde. Laut Dolsperg habe ihn damals der mit ihm befreundete Jenaer Neonazi André Kapke angerufen. Kapke zählte 1998 wie Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe und dem ebenfalls im MünchnerNSU-Prozess angeklagten Ralf Wohlleben zur „Kameradschaft Jena“. Gemeinsam mit Wohlleben gehörte er außerdem in den ersten Monaten nach dem Untertauchen des Trios zu deren Fluchthelfern. Dolsperg gab nun in seiner Vernehmung Kapke mit den Worten wieder, dass die drei Gesuchten schnell weg müssten. „Er fragte, ob ich einen Platz wüsste, wo die hin könnten.“Dolsperg will unmittelbar nach dem Anruf seinen Verbindungsführer „Alex“ vom*BfVangerufen und über die Kapke-Anfrage informiert haben. „Dem habe ich den Inhalt des Telefonats wiedergegeben und ihn gefragt, wie ich mich verhalten soll“, sagte Dolsperg laut Vernehmungsprotokoll. Die Namen der Flüchtigen habe er dabei nicht erwähnt, weil sie ihm angeblich auch unbekannt waren. „Alex“ habe aber gleich gewusst, um wen es sich handelte, und ihm gesagt, er wolle sich zunächst mit jemand anderem besprechen und dann zurückrufen. „Als mich Alex später zurückrief, teilte er mir mit, dass ich für den Fall eines Rückrufes sagen soll, dass ich für die drei nichts habe.“ Begründet habe sein Verbindungsführer dies laut Dolsperg mit der Bemerkung: „Da würden sich schon andere drum kümmern.“Ein bis anderthalb Jahre später habe ihn „Alex“ dann noch einmal auf das Trio angesprochen und ihn diesmal damit beauftragt Informationen über die Flüchtigen zusammenzutragen. „Ich wies ihn darauf hin, dass er ein Jahr vorher weitere Maßnahmen zu den Dreien durch mich abgelehnt hatte und dass sich andere darum kümmern würden“, sagte Dolsperg bei der*BAW*dazu. „Daraufhin meinte Alex nur, dass er auf die Entscheidung zu diesem Zeitpunkt keinen Einfluss hatte.“Die Aussagen von Dolsperg bringen das*BfV*in Erklärungsnot. Warum hatte der Verfassungsschutz auf die Möglichkeit verzichtet, über seinen V-Mann „Tarif“ dem Trio eine Falle zu stellen? Und bei wem lag damals die Entscheidungshoheit zu dem Fall? Hinweise könnte vielleicht die V-Mann-Akte von Dolsperg geben — aber die wurde am 11. November 2011, nur eine Woche nach dem Auffliegen desNSU-Trios, im*BfV*vernichtet.Vor dem Hintergrund von Dolspergs Aussage erscheint nun aber auch diese Aktenvernichtung in einem neuen Licht. Denn schon drei Tage vor der sogenannten „Aktion Konfetti“, am 8. November, hatte der für Beschaffung zuständige Referatsleiter im*BfV-Bereich Rechtsextremismus, Lothar Lingen, die „Tarif“-Akte zusammen mit sechs anderen, eher unwichtigen V-Mann-Vorgängen zur Vernichtung ausgewählt. Es war der Tag, an dem sich Beate Zschäpe der Polizei gestellt hatte und der damalige*BfV-Chef Heinz Fromm eine „detaillierte Aufarbeitung“ der Aktivitäten im Zusammenhang mit dem untergetauchten Trio in Auftrag gab. „Was hat das*BfV*in den 1990er Jahren in diesem Fall für eine Rolle gespielt, welche Informationen lagen vor und welche Ermittlungen wurden von Seiten des*BfVdurchgeführt, insbesondere nachdem die drei Personen flüchtig waren“, wies Fromm schriftlich an.Lingen ordnete jedoch lediglich an, die zur Vernichtung ausgewählten Akten daraufhin zu überprüfen, ob darin die Namen von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe auftauchen. Dies war angeblich bei keinem der sieben überprüften V-Leute, die alle aus der Thüringer Neonaziszene stammten, der Fall. Dabei müssten diese Namen doch zumindest bei „Tarif“ auftauchen, wenn er 1999 ausdrücklich mit einer Informationsbeschaffung zum Trio beauftragt wurde. Sollte das in seiner eigentlichen V-Mann-Akte nicht vermerkt worden sein? Vielleicht, weil die unter V-Leuten zusammengetragenen Infor*ma*tionen über die drei Flüchtigen in einen gesonderten Aktenvorgang des*BfV*einflossen?Auffällig ist jedenfalls, dass*BfV-Referatsleiter Lingen während der Schredderaktion am 11. November ausdrücklich die Vernichtung der „Tarif“-Akte anmahnte. Möglicherweise kannte er deren Inhalte sehr genau, war er doch nachweislich zeitweise selbst direkt mit dem Vorgang befasst. Nach dem Bekanntwerden der Schredderaktion im Juni 2012 durch einen Bericht der „Berliner Zeitung“ versuchte das Bundesamt, die vernichteten Akten zu rekonstruieren. Nach offizieller Darstellung sei dies weitestgehend geglückt. Ein vom Untersuchungsausschuss beauftragter Son*derermittler musste allerdings einräumen, dass sowohl Treffberichte als auch Quittungen der V-Leute nicht mehr vorhanden und auch nicht wiederherstellbar seien. Was die Bezahlung der Quellen anbelangt, gebe es allerdings ein Zentralregister. Daraus ließe sich entnehmen, welche Zahlungen an welchem Tag geleistet worden seien — ob dies aber immer stimme, ließe sich wegen der vernichteten Quittungen nicht mehr nachprüfen.Auch dieses Detail birgt eine gewisse Brisanz. Denn laut Zentralregister soll der V-Mann „Tarif“ zwischen 1995 und 2001 insgesamt 66.000 DM kassiert haben, also durchschnittlich rund 9.500 DM pro Jahr. Dolsperg hatte dem Spiegel gesagt, er habe zwischen 500 und 600 DM monatlich vom*BfV*bekommen — das wären im Jahr aber nur zwischen 6.000 und 7.200 DM Spitzellohn.Und noch etwas ist seltsam: Dolsperg gab bei der Bundesanwaltschaft an, von sich aus die Zusammenarbeit mit dem*BfV*2001 beendet zu haben und mit seiner Frau nach Schweden ausgewandert zu sein. Es hätten keine Treffen mehr stattgefunden, allerdings sei er vom Bundesamt auch nicht formal entpflichtet worden. Der Spiegel-Reporter Gude, der im September 2012 Kontakt mit ihm aufnahm, habe ihm jedoch vorgehalten, bis 2003 als VM gearbeitet zu haben — „was definitiv nicht stimmen konnte“, wie Dolsperg in der Vernehmung vom März 2014 sagte. Er, Dolsperg, sei sowieso überrascht gewesen, dass der Spiegel-Reporter ihn mit „unglaublich vielen Details aus meiner Quellentätigkeit überwältigt“ habe. „Er hat auch was von einem Auto im Wert von 15.000 DM, das ich vom*BfVbekommen haben soll, erzählt, was auch nicht stimmte“, sagte der ehemalige V-Mann. „Ich fragte mich, woher er das hat.“Wenn die Aussagen von Dolsperg zutreffen sollten, ergibt sich ein ganz neuer Verdacht: Sind unter dem V-Mann-Konto von „Tarif“ getarnte Zuwendungen auch an andere Personen — weitere Quellen oder*BfV-Mitarbeiter — abgerechnet worden? Und ist das womöglich der Grund für das Schreddern der „Tarif“-Akte? Eine Aufklärung wird schwierig: Die Treffberichte, die Auskunft geben könnten über die tatsächliche Dauer von Dolspergs V-Mann-Tätigkeit, sind ebenso vernichtet wie die Quittungen, mit denen der Empfang der Spitzel-Honorare bestätigt wurde.Bemerkenswert ist jedenfalls die Aufregung, die die Kontaktaufnahme des Spiegel-Reporters Gude mit Dolsperg im September 2012 offenbar im*BfV*auslöste. Kurz nach dem Telefonat mit dem Journalisten hatte „Tarif“ in der Vermittlung des Bundesamtes in Köln angerufen und um Rückruf gebeten, wie er später der Bundesanwaltschaft schilderte. Noch am selben Tag habe sich dann „Alex“ bei ihm gemeldet und zu einem Treffen wenige Tage später nach Volkach in Bayern eingeladen. Bei diesem Treffen, an dem neben „Alex“ zwei weitere*BfV-Mitarbeiter teilgenommen hätten, habe der Ex-V-Mann um Schutz für seine Person und eine neue Identität gebeten. „Die*BfV-Leute sagten, jetzt warten wir erst einmal ab, ob der Spiegel eine Geschichte über dich macht“, erzählte Dolsperg bei seiner Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft. „Mir ist ferner erklärt worden, dass das*BfV*Herrn Gude gebeten habe, nicht über mich zu berichten. Und dann war tatsächlich Ruhe.“Hatte das Kölner Bundesamt wirklich Einfluss auf die Berichterstattung des Spiegel genommen? Das Nachrichtenmagazin brachte seinerzeit jedenfalls keinen Artikel über „Tarif“. Spiegel-Reporter Gude, der im September 2012 mit dem ehemaligen V-Mann gesprochen hatte, erklärte auf Anfrage, man habe auf Bitten von Dolsperg, der um seine Sicherheit fürchtete, von einer Veröffentlichung abgesehen. Ob sich auch das*BfV*damals in der Spiegel-Redaktion gemeldet habe, wollte Gude jedoch nicht sagen. „Über vermeintliche oder tatsächliche Rechercheinhalte äußert sich der SPIEGEL aus grundsätzlichen Erwägungen nicht“, teilte er mit. Der erste Spiegel-Artikel zu Dolsperg erschien im Februar 2014.Vier Monate zuvor, am 3. Oktober 2013, hatten die Berliner Zeitung und das mdr-Magazin Fakt die Identität des V-Mann „Tarif“ enthüllt. DerNSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hatte zu diesem Zeitpunkt längst seine Arbeit beendet. Wäre Dolsperg bereits früher enttarnt worden, hätte sich der Ausschuss ganz gewiss sehr intensiv mit diesem Vorgang befasst und das*BfV*in neuerliche Erklärungsnöte gebracht.

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Die Story im Ersten: V-Mann-Land

 

20.04.2015 | 44:10 Min. | Verfügbar bis 20.04.2016 | Quelle: Das ErsteNiemand ahnte, dass der bekannte Neonazi zugleich ein V-Mann, ein Informant des Verfassungsschutzes, war. Heute lebt er anonym. Er verbirgt sein Gesicht hinter einer schwarzen Motorradmaske, wenn er - erstmals vor einer Kamera - über seine Vergangenheit spricht, die ihn auch in das Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) führte.

 

http://www.ardmediathek.de/tv/Reportage-Dokumentation/Die-Story-im-Ersten-V-Mann-Land/Das-Erste/Video?documentId=27805412&bcastId=799280

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  • 3 Wochen später...

[h=1]Der Spion mit dem Bauchgefühl[/h] Von HANNING VOIGTS

http://www.fr-online.de/image/view/2015/4/11/30676100,33079952,dmFlashTeaserRes,Aufmnacher_20150511pj116.jpgIm Mittelpunkt des Interesses: Zeuge Andreas Temme. Foto: peter-juelich.com

 

Hat der Verfassungsschutz mehr über den Mord an Halit Yozgat gewusst? Nein, versichert der ehemalige Geheimschutzbeauftragte. Den Abgeordneten im Ausschuss ist deutlich anzumerken, dass sie mit den banalen Erklärungen des Verfassungsschützers nicht zufrieden sind.

 

Nein, sagt der Zeuge vom hessischen Verfassungsschutz, er habe im April 2006 nichts von einem bevorstehenden Mordanschlag in Kassel gewusst. Und auch bei seinem Mitarbeiter Andreas Temme habe es nie Hinweise darauf gegeben, dass der etwas gewusst habe. Der Zeuge sagt das beiläufig, fast gelangweilt, als sei die Frage lächerlich. So als sei nicht jedem im gut gefüllten Saal die Fallhöhe bewusst, die hier gerade verhandelt wird.

Es ist das erste Mal an diesem Montag, dass der hessische Untersuchungsausschuss zur Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) Zeugen vernimmt, nicht mehr Sachverständige. Und allein die vielen Hauptstadtjournalisten, die an diesem Tag nach Wiesbaden gekommen sind, deuten auf die Relevanz dieser Befragung hin. Geladen sind Gerald H., inzwischen pensionierter ehemaliger Geheimschutzbeauftragter des hessischen Verfassungsschutzes, und Andreas Temme, der frühere V-Mann-Führer, der während des NSU-Mordes am Internetcafé-Betreiber Halit Yozgat im April 2006 in Kassel am Tatort war, von der Tat aber nichts mitbekommen haben will. Temme stand nach dem Mord unter Tatverdacht – auch, weil er sich nicht als Zeuge gemeldet hatte.

http://www.fr-online.de/image/view/2015/4/11/30676614,33080056,highRes,WEBdpa_148D560027D7CAEA.jpgDie Erklärungen des Verfassungsschützers stoßen auf Widerspruch. Foto: dpa

Temme und sein damaliger Vorgesetzter H. sind außerhalb des eigentlichen Ablaufplans des Ausschusses geladen worden, weil im Februar Zitate aus einem abgehörten Telefonat bekanntgeworden waren, das die beiden Männer Anfang Mai 2006, kurz nach dem Mord an Yozgat, geführt hatten. Zwei der Sätze, die durch einen Beweisantrag der Anwälte der Familie Yozgat an die Öffentlichkeit geraten waren, hatten bundesweite Aufregung verursacht: Erstens hatte H. Temme geraten, bei seinen Vernehmungen durch die Polizei „so nah wie möglich an der Wahrheit“ zu bleiben. Zweitens hatte er zu Temme gesagt: „Ich sag’ ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, bitte nicht vorbeifahren.“ Nach der Veröffentlichung dieser Zitate waren, wie so oft im NSU-Komplex, die Spekulationen ins Kraut geschossen. Sollte Temme bei der Polizei nach H.s Meinung etwa nicht die ganze Wahrheit sagen? Und vor allem: Wusste man im Landesamt für Verfassungsschutz, dass in Kassel „so etwas passiert“?

[h=3]H. beruft sich auf Gedächtnislücken[/h]Für all diese Dinge hat H., ein älterer Herr mit leicht mürrischem Auftreten, dem Ausschuss eher banale Erklärungen anzubieten, nachdem die Aufzeichnung des Telefonats in Gänze vorgespielt worden ist. Der Satz mit dem Hinweis „... bitte nicht vorbeifahren“ sei vielleicht etwas unglücklich gewesen, letztlich aber „ironisch zu verstehen“. Er habe Temme zu Beginn des Telefonats scherzhaft bedeuten wollen, dass dieser es lieber hätte vermeiden sollen, „zur falschen Zeit am falschen Ort“ zu sein. Den Rat, „so nah wie möglich an der Wahrheit“ zu bleiben, habe er Temme gegeben, damit dieser als Beschuldigter der Polizei alle Fragen beantworte, dabei aber auch seine Geheimhaltungspflichten als Verfassungsschützer im Blick behalte – etwa in Bezug auf die Identität seiner V-Männer.

Dass er auffallend freundlich und verständnisvoll mit Temme geredet habe, obwohl dieser unter Mordverdacht stand, viele Indizien gegen ihn sprachen und er sein Amt in eine äußerst brisante Lage gebracht hatte, weist H. zurück. „Seh' ich anders“, entgegnet er knapp auf den Vorwurf des SPD-Abgeordneten Günter Rudolph, er habe einem Mordverdächtigen geholfen, sich auf unangenehme Fragen vorzubereiten. Es sei ihm lediglich darum gegangen, dass Temme jetzt alles dazu beitrage, „um die Sache aufzuklären“, sagt H.

 

An vielen Stellen beruft H. sich bei seinen Ausführungen auf Gedächtnislücken, vor allem, wenn es um zeitliche Abläufe geht. „Kann ich Ihnen nicht sagen“, antwortet er dann den nachhakenden Ausschussmitgliedern, oder: „Das weiß ich nicht mehr.“ Auf Nachfrage räumt H. zum Beispiel ein, Temme nach dem Mord an Halit Yozgat auch persönlich getroffen zu haben – er wisse allerdings nicht mehr, ob das vor oder nach dem fraglichen Telefonat gewesen sei. Zu den Drogen, der illegalen Munition und den Schriften mit Bezug zum Nationalsozialismus, die damals bei einer Hausdurchsuchung bei Temme gefunden worden waren, sagt H., man habe ganz genau geprüft, ob diese Funde gegen eine weitere Verwendung des Mannes als Geheimdienstler sprächen. „Das ist alles geprüft worden“, sagt H. „Das hat mich alles interessiert.“

Den Abgeordneten im Ausschuss ist immer wieder deutlich anzumerken, dass sie mit den Ausführungen des Verfassungsschützers nicht zufrieden sind. Besonders deutlich wird das, als die Linke Janine Wissler H. fragt, warum er damals, kurz nach dem Mord, so sicher gewesen sei, dass Temme nicht der Mörder sein könne. H. antwortet Wissler, seine Intuition habe ihm gesagt, dass ein Mitarbeiter des Geheimdienstes unmöglich in diesen Mordfall verwickelt sein könne. „Man hat ein gewisses Bauchgefühl“, sagt H. und fährt fort: „Das, was die Polizei vorgelegt hat, war nicht überzeugend. Punkt.“

[h=3]Ungläubiges Kopfschütteln[/h]Von den Plätzen der Linkspartei erntet H. an dieser Stelle nur noch Kopfschütteln. Janine Wissler sagt in scharfem Tonfall, dass sie H. nicht abnehme, dass er nur wegen eines Bauchgefühls von Temmes Unschuld überzeugt gewesen sei. Die Stimmung im Ausschuss wird unruhig, der Vorsitzende Hartmut Honka (CDU) mahnt, die Zeugenvernehmung solle nicht zu einem Tribunal werden. Und da sagt H. noch einen Satz, der für Ungläubigkeit sorgt: Man habe bei dessen Einstellung gewusst, dass Temme in seiner Jugend rechter Ideologie angehangen habe, sagt H. Das sei aber nicht weiter problematisch gewesen – sonst hätte man ja bei vielen heutigen Beamten ein Problem.

 

Andreas Temme, der direkt im Anschluss an H. befragt wird, bleibt bei seiner Aussage früheren Ausführungen treu. Er sei „aus privaten Gründen“ in Yozgats Internetcafé gewesen, er habe keine Schüsse gehört und keine Leiche gesehen. Niemals habe er das Internetcafé, dass er seit Jahren kenne, in einem dienstlichen Kontext besucht. Der Polizei habe er stets die Wahrheit gesagt: „Für mich war klar, von vorneherein, ich komme nur mit der vollständigen Wahrheit weiter.“ Er habe auch nie den Eindruck gehabt, H. oder der Verfassungsschutz wollten, dass er etwas verschweige.

Zur Frage, warum er sich nicht als Zeuge gemeldet habe, sagt Temme: „Diese zentrale Frage stelle ich mir seit jetzt ungefähr neun Jahren immer wieder. Es war ein Fehler.“ Auch er beruft sich an vielen Stellen auf Erinnerungslücken. Es sei für ihn heute oft unmöglich, Wahrnehmungen von damals von dem zu trennen, was er später erfahren habe, sagte Temme. „Das geht nicht mehr.“

 

FR Online

11.05.2015

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  • 3 Wochen später...

NSU-Ausschuss

 

Ku-Klux-Klan im Visier

 

Von SIR/dpa 03. Juni 2015 - 07:50 Uhr

Mindestens zwei Polizisten waren Mitglieder beim Ku Klux Klan in Schwäbisch Hall. Einer davon war später der Vorgesetzte der 2007 ermordeten Beamtin Kiesewetter. Zufall? Der NSU-Ausschuss nimmt das nun unter die Lupe.

 

Stuttgart - Der Ku Klux Klan und seine Verbindungen zur baden-württembergischen Polizei stehen von Montag an im Mittelpunkt des NSU-Untersuchungsausschusses im Landtag. Das Gremium will unter anderem zwei Beamte befragen, die im Jahr 2002 Mitglieder in dem rassistischen Geheimbund in Schwäbisch Hall waren. Einer der beiden war später der Gruppenführer der 2007 in Heilbronn erschossenen Polizistin Michèle Kiesewetter.

Die Bundesanwaltschaft schreibt den Mord dem rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zu. Der Ausschuss will klären, wie viele Polizisten Interesse an einer Mitgliedschaft beim KKK hatten, wie die Strukturen waren und wie die baden-württembergischen Behörden mit dem Thema umgingen.

Wie viele Polizisten waren wirklich im KKK?

 

Zuletzt hatten die „Stuttgarter Nachrichten“ berichtet, dass sich sogar zehn bis zwanzig Polizisten um die Aufnahme im Ku Klux Klan (KKK) bemüht haben sollen. Das Innenministerium hat aber für diese Behauptung bislang keine Belege gesehen. Die Zeitung bezog sich auf Achim S., den damaligen Chef des Geheimbundes. Seine Ehefrau soll am Montag im Ausschuss befragt werden. Achim S. selbst hält sich derzeit in den USA auf. Er sei zwar bereit, vor dem Gremium auszusagen, sagte Ausschusschef Wolfgang Drexler. Allerdings wolle S. derzeit die USA nicht verlassen - mit der Begründung, dass er sich gerade um eine Einbürgerung bemühe, sagte ein Landtagssprecher.

Die beiden Beamten kamen relativ glimpflich davon, als ihre KKK-Mitgliedschaft bekannt wurde - damals stellte noch die CDU den Innenminister. Der Jüngere der beiden - Kiesewetters Gruppenführer - bekam nach Angaben des Innenministeriums eine Zurechtweisung, was keine echte Disziplinarmaßnahme darstellt.

Keine Folgen für den aktiven Dienst

 

Bei dem älteren Beamten sei die Untersuchung so lange hinausgezögert worden, dass er für seine KKK-Mitgliedschaft nur noch gerügt werden konnte, sagte ein Sprecher von Innenminister Reinhold Gall (SPD). Damit hatten die dubiosen Aktivitäten für beide keine Folgen für ihren aktiven Dienst.

Aber: Wie kommen baden-württembergische Beamte überhaupt auf die Idee, dem KKK beizutreten? Das will der Ausschuss nach den Worten des Vorsitzenden Drexler untersuchen. Ein Schwerpunkt wird dabei auch die Rolle des früheren V-Mannes („Vertrauensmannes“) für den Bundesverfassungsschutz namens „Corelli“ sein, der ebenfalls damals beim KKK war.

„Corelli“ hat im Fall der rechten Terrorzelle NSU insgesamt eine undurchsichtige Rolle gespielt. 2014 war „Corelli“, der zu diesem Zeitpunkt in einem Zeugenschutzprogramm war, tot gefunden worden. Gutachter hatten als Todesursache einen Zuckerschock infolge einer unerkannten Diabetes-Krankheit festgestellt.

Insgesamt vier Sitzungen

 

Der KKK-Komplex wird den Untersuchungsausschuss nach Drexlers Worten in insgesamt vier Sitzungen beschäftigen. Danach will das Gremium den Schwerpunkt auf den Kiesewetter-Mord verlagern. Nebenbei beschäftigt sich der Ausschuss auch weiterhin mit dem Fall des toten ehemaligen Neonazis Florian H., der behauptet hatte, er kenne Kieswetters Mörder.

Das Gremium wartet darauf, dass die Familie des Toten einen Camcorder und einen Laptop übergibt. Ihr Anwalt Yavuz Narin sagte der Deutschen Presse-Agentur, er werde der Familie vorschlagen, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit dem Ausschuss zur Übergabe der Geräte zu schließen. Darin solle ausdrücklich festgehalten werden, dass die Familie über den weiteren Umgang mit den Geräten informiert wird. Ein Handy von Florian H. ist hingegen noch verschwunden.

Der Ausschuss untersucht die Bezüge des NSU nach Baden-Württemberg und mögliches Behördenversagen im Südwesten. Den Rechtsterroristen werden zehn Morde zugerechnet - an neun Migranten und an Kiesewetter.

 

 

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Neue Westfälische, 09.06.2015

http://www.nw.de/lokal/bielefeld/mitte/mitte/20481585_Vertuschungen-im-NSU-Prozess-vermutet.html

 

 

Lippische Landes-Zeitung, 09.06.2015

http://www.lz.de/owl/20482533_Vertuschungen-im-NSU-Prozess-vermutet.html

 

 

 

 

BIELEFELD

Vertuschungen im NSU-Prozess vermutet

Andreas Förster und Thomas Moser referieren auf Einladung des Bündnisses Islamischer Gemeinden in Bielefeld

 

 

Bielefeld. "Es ist eine Thematik, die noch zu wenig diskutiert wird", sagt Cemil Sahinöz, Vorsitzender des Bündnisses Islamischer Gemeinden Bielefeld (BIG). Der Dachverband muslimischer Einrichtungen hat die Journalisten im NSU-Prozess Andreas Förster und Thomas Moser ins Rathaus eingeladen.

 

 

"NSU Geheimsache" lautet der Titel der Veranstaltung. Seit Mai 2013 läuft der NSU-Prozess in München, den Sahinöz als "undurchsichtig" bezeichnet. In einem Einleitungsfilm von "nsu-watch.info" wurde an die Ermordung von neun Menschen aus rassistischen Gründen erinnert.

 

 

"Die kritische Öffentlichkeit muss den Druck aufrecht halten", sagt Journalist Förster. Die Beweislast sei gleichzeitig so klar, aber auch so widersprüchlich wie noch nie. Bis zur Explosion des Wohnmobils mit zwei der mutmaßlichen Haupttäter in Eisenach und der Explosion des früheren Wohnhauses in Zwickau am gleichen Tag hätten die Behörden, was die Untergrundorganisation NSU betrifft, noch im Dunkeln getappt.

 

 

 

 

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"Der Staat versucht, die eigene Mitverantwortung zu vertuschen", behauptet Förster. Seit Bundeskanzlerin Angela Merkel 2012 versprach, die Sache vollständig aufzuklären, seien drei Jahre vergangen und noch immer sei kein Ende absehbar. Mit mehr als 40 Informanten hätte der Verfassungsschutz versucht, die Kontrolle zu behalten, sei aber gescheitert. "Die Arbeit der V-Leute hat nichts gebracht und muss überdacht werden", mahnt Förster.

 

 

Erst einen Tag zuvor hat er den Thüringer Untersuchungsausschuss besucht. Zum vermeintlichen Suizid von zwei der mutmaßlichen Haupttäter in dem Wohnmobil kämen zunehmend Manipulierungsvorwürfe dazu. Neben den Waffen der ermordeten Polizisten aus Heilbronn sei Geld aus einem früheren Banküberfall gefunden worden. Es hätte eine "ungewöhnliche und verzögerte Spurensicherung" gegeben, erklärt Förster. Die Protokolle der Polizei seien mehrfach korrigiert worden. Erstmals seien die Feuerwehrleute über die Situation befragt worden. Die Aussagen würden sich nicht mit denen der Polizei decken.

 

 

Den Feuerwehrleuten sei untersagt worden, aufgrund der wichtigen Spurensicherung, einen umfassenden Löschangriff und eine Menschenrettung vorzunehmen - die Polizei sei bereits vom Tod der Insassen ausgegangen. Die Aussagen über den Zustand des Tatortes von Polizei und Feuerwehr würden sich hinsichtlich der Lage der Toten und der vorhandenen Waffen widersprechen. Einsatzfotos der Feuerwehr seien beschlagnahmt worden und verschwunden. Vorliegende Tatortfotos würden aufgrund neuester Aussagen eine Manipulierung vermuten lassen.

 

 

"Es ist ein Komplex, der sich dynamisch entwickelt", sagt Moser. Die Informationsflut müsse Stück für Stück an die Öffentlichkeit getragen werden - eben mit Veranstaltungen wie diesen. Die Fragen nach weiteren Haupttätern, den Motiven, der Auswahl der Opfer und inwieweit der Verfassungsschutz verstrickt ist, seien von höchster Bedeutung.

 

 

Es gebe einen "bundesweiten Machtkampf um die Aufklärung der Geschehnisse", weil von den Untersuchungsausschüssen eine große Macht ausgehe. Der Tod des Prozesszeugen Florian Heilig, der zur ermordeten Polizistin Michele Kiesewetter aussagen wollte, ist ein Schwerpunkt von Journalist Thomas Moser. Er sagt, die Untersuchungen zu seinem Tod 2013 seien mutwillig beendet worden. Begründung: eindeutiger Suizid. Außerdem würden die Untersuchungsausschüsse sich vor neuen Erkenntnissen fürchten und hätten daher bislang zurückhaltend gearbeitet.

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[h=1]Eisenacher Feuerwehr gibt Fehler beim Einsatz zu[/h]Erstmals in dieser Legislaturperiode werden vor dem neuen Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss Zeugen vernommen. Dabei kommen erneut Pannen ans Licht. Auch die Eisenacher Feuerwehr gesteht Fehler ein.

 

Im Zusammenhang mit dem Auffliegen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) hat die Eisenacher Feuerwehr Fehler eingeräumt. So habe es der damalige Einsatzleiter versäumt, die Führungsebene rechtzeitig darüber zu informieren, dass der Brand eines Wohnmobils am 4. November 2011 in Eisenach ungewöhnlich war, sagte der Chef der Berufsfeuerwehr am Donnerstag in Erfurt. Er äußerte sich vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages.

 

In dem Wohnmobil waren die Leichen der mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gefunden worden. Die beiden sollen gemeinsam mit ihrer Komplizin Beate Zschäpe unter anderem zehn Morde in ganz Deutschland verübt haben. Zschäpe steht in München vor Gericht. Die drei waren in den 1990er Jahren in Jena aufgewachsen und 1998 in den Untergrund gegangen. Der NSU flog erst auf, als ein Banküberfall von Mundlos und Böhnhardt in Eisenach am 4. November 2011 für die Täter erfolglos verlief.

[h=2]Pannenserie setzt sich fort[/h]Details des Geschehens des Feuerwehreinsatzes an dem brennenden Wohnmobil blieben auch während der Sitzung des Untersuchungsausschusses unklar. Es war die erste Sitzung des Ausschusses in dieser Legislaturperiode, bei dem Zeugen vernommen wurden. In der vergangenen Legislaturperiode hatte bereits ein erster Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss die Pannen der Sicherheitsbehörden des Freistaats bei der Fahndung nach Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe aufgearbeitet.

Mehrere Mitglieder einer freiwilligen Feuerwehr Eisenachs berichteten, sie seien unmittelbar nach ihrem Löscheinsatz an dem brennenden Wohnmobil von der Polizei in ihrer Arbeit "gebremst" worden. Zwei schilderten, nachdem die Tür des Wohnmobils geöffnet worden sei, hätten sie "ein Paar Turnschuhe mit Beinen dran" im Fahrzeuginnern gesehen. Daraufhin habe sie ein Polizist angewiesen, nicht weiter zu löschen, um etwaige Spuren an dem mutmaßlichen Tatort nicht zu zerstören.

[h=2]"Wir wussten es nicht"[/h]Woher der Polizist wusste, dass nicht noch Verletzte im Innenraum des Fahrzeuges lagen, die es zu retten galt, konnten die Feuerwehrleute nicht sagen. Einer von ihnen äußerte die Vermutung, Polizisten könnten bereits vor der Feuerwehr gewusst haben, dass im Inneren des Wohnmobils nur noch Leichen zu finden sein würden. "Wir wussten es nicht", sagte er. Trotzdem seien die Löscharbeiten dann zumindest vorübergehend eingestellt worden. Die letzten Flammen an dem Wohnmobil hätten Einsatzkräfte der Berufsfeuerwehr Eisenach gelöscht.

Welt, 05.06.15

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NSU-TERROR

 

Geheimdienst-Informant soll in Mordserie verwickelt sein

 

VON STEFAN AUST UND DIRK LAABSvor*13 Stunden*41Der Tatort nach dem Bombenanschlag auf ein Lebensmittelgeschäft in der Probsteigasse in Köln. Ein Geheimdienst-Informant soll sich hier aufgehalten habenFoto: picture alliance / dpaGeheime Dokumente werfen ein neues Licht auf die NSU-Gewaltserie. Ein weiterer Geheimdienst-Informant soll in die Morde verstrickt sein. Die Hinweise kamen vom Verfassungsschutz selbst.Im Skandal um die Mord- und Anschlagsserie des*Nationalsozialistischen Untergrunds*(NSU) gibt es neue Hinweise auf mögliche Verstrickungen eines Verfassungsschutz-Informanten. Eine frühere Präsidentin des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes enttarnte 2012 in einer dienstlichen Erklärung, die als "geheime Verschlusssache" eingestuft war, einen Neonazi aus Köln als geheimen Mitarbeiter ihres Amtes.Dieser habe "Ähnlichkeit" mit dem Phantombild eines Mannes, der an einem Bombenanschlag beteiligt war. Die Tat wird dem NSU zugerechnet. Die streng vertraulichen Dokumente liegen der "Welt am Sonntag" vor und werfen ein neues Licht auf die NSU-Gewaltserie. Bereits bei einem NSU-Mord an einem Internetbetreiber in Kassel hatte sich ein*Verfassungsschutz-Mitarbeiter am Tatort*aufgehalten.Die NSU-Terrorgruppe, zu der die 2011 verstorbenen mutmaßlichen Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sowie die vor Gericht stehende mutmaßliche Komplizin Beate Zschäpe zählen sollen, hatte sich in einer DVD zu zehn Morden und zwei Bombenanschlägen bekannt. Einer der Anschläge war 2001 auf einen Lebensmittelladen in der Kölner Probsteigasse verübt worden. Bei der Explosion des in einer Christstollendose versteckten Sprengkörpers war eine 19-Jährige schwer verletzt worden.Die Tochter des Ladenbesitzers hatte die Dose mit dem darin versteckten Sprengsatz geöffnet, die von einem Mann in einem Geschenkkorb dort zurückgelassen worden war. Der Vater und die Schwester des Opfers hatten den Mann gesehen. Nach ihren Angaben fertigte die Polizei ein Phantombild. Die Suche nach dem Täter verlief damals jedoch ohne Erfolg.

 

Brisantes Geheimnis gelüftet

 

Als das Bundeskriminalamt 2011 die Ermittlungen zu allen Taten, die auf der Bekenner-DVD aufgeführt waren, wieder aufnahm, schickte es das Bild an das Bundesamt für Verfassungsschutz mit der Bitte um Mithilfe – das Amt wiederum leitete es unter anderem an den Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen weiter. Daraufhin schrieb die damalige Präsidentin der Behörde, Mathilde Koller, "vertraulich – nur für den Dienstgebrauch" an die Bundesanwaltschaft: Das Phantombild weise Ähnlichkeiten mit einem Neonazi aus Köln auf, Johann Helfer. Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung des Mannes bestünden aber nicht, erklärte sie zunächst.Doch Koller schrieb eine Woche später noch einen weiteren Vermerk, den sie in die höchste Sicherheitskategorie einstufte. Darin lüftete die damalige Verfassungsschutzchefin ein brisantes Geheimnis: "Johann Detlef Helfer ist seit 1989 als Geheimer Mitarbeiter für den Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen tätig."Sie verschwieg dabei, dass Helfer im Jahr 1985 wegen eines Sprengstoffdelikts verurteilt worden war. Das ermittelte erst das Bundeskriminalamt. Helfer war vom Verfassungsschutz gezielt auf den Neonazi Axel Reitz angesetzt worden, den sogenannten "Hitler von Köln". Wie aus den geheimen Dokumenten ebenfalls hervorgeht, hatte Reitz Kontakte zum Umfeld des NSU. Vier Monate nachdem die Verfassungsschutz-Präsidentin ihre Vermerke an die Bundesanwaltschaft verschickt hatte, trat sie aus "persönlichen Gründen" von ihrem Posten zurück.

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[h=1]NSU-Prozess: Drei Verteidiger wollen Mandate niederlegen[/h]

Aktualisiert am 20. Juli 2015, 11:28 Uhr

Im Münchner NSU-Prozess haben die drei bisherigen Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe - Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm - am Montag beantragt, ihre Mandate niederzulegen.

Er habe sich diesen Schritt "weidlich überlegt", sagte Rechtsanwalt Heer. Er sei sich darüber im Klaren, dass der NSU-Prozess damit neu begonnen werden müsste.

Das Gericht unterbrach die Verhandlung für eine halbe Stunde. Verteidiger Heer erhob zugleich Vorwürfe gegen das Gericht. Eine "optimale Verteidigung" sei nicht mehr möglich. "Ich habe Sie davor mehrfach gewarnt", sagte der Anwalt Wolfgang Heer am Montag im Gerichtssaal. An den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl gewandt rief er: "Die haben Sie in den Wind geschlagen."

Erst vor kurzem hatte das Gericht mit Mathias Grasel einen vierten Verteidiger bestellt. Der NSU-Prozess hatte am 6. Mai 2013 begonnen und läuft damit seit mehr als zwei Jahren. Der Montag war der 219. Verhandlungstag.

Der einzige Zeuge dieses Tages, der Beate Zschäpe schon bei seiner ersten Vernehmung belastete, wurde zunächst nicht aufgerufen.

Zschäpe muss sich in dem Verfahren für die zehn Morde verantworten, die die Bundesanwaltschaft dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) vorwirft. © dpa

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[h=1]NSU-ProzessZschäpe-Anwälte müssen weitermachen[/h]Stand: 20.07.2015 16:02 Uhr

 

Am Vormittag baten die drei ursprünglichen Pflichtverteidiger im NSU-Prozess überraschend darum, von ihrem Mandat entbunden zu werden. Stunden später lehnte das Gericht dies ab. Die Gründe für den Antrag sind noch unklar - die Zukunft des Verfahrens auch.

Im NSU-Prozess hat das Oberlandesgericht München den Antrag der bisherigen drei Pflichtverteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe auf Entbindung von ihrem Mandat abgelehnt. Damit kann der bereits seit über zwei Jahren laufende Prozess fortgesetzt werden - mit den drei Juristen als Pflichtverteidiger. Die drei Anwälte hatten den Antrag am Vormittag eingereicht.

 

Weil es sich um Pflichtverteidiger handelt, konnte allein das Gericht über den Antrag entscheiden. Es entschied nach einer mehrstündigen, immer wieder unterbrochenen Sitzung.

Der Antrag enthalte keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine nachhaltig gestörte Zusammenarbeit der Verteidiger mit Zschäpe, befand das Gericht. Deswegen sei er abzulehnen. Anwalt Wolfgang Heer hatte ihn für alle drei Zschäpe-Verteidiger eingereicht. Details zum Inhalt sind noch nicht bekannt. Heer, Stahl und Sturm gaben keine Gründe an und begründeten dies mit ihrer Verschwiegenheitspflicht.

Nach Einschätzung von ARD-Reporter Eckhardt Querner dürfte diese Verschwiegenheitspflicht es den drei Anwälten schwer gemacht haben, ihren Antrag gegenüber dem Gericht ausführlich genug zu begründen. Sie hätten wohl die ihrer Meinung nach entscheidenden Probleme nicht ausreichend erklären können.

 

[h=2]Verhältnis seit längerem belastet[/h]Heer sowie seine Kollegen Wolfgang Stahl und Anja Sturm vertreten Zschäpe seit dem ersten Prozesstag vor mehr als zwei Jahren. Seit wenigen Tagen hat sie einen vierten Pflichtverteidiger, den Münchner Rechtsanwalt Mathias Grasel.

Zschäpes Verhältnis zu Herr, Stahl und Sturm gilt seit längerem als belastet, zuletzt sprach sie nicht mehr mit den drei Juristen. ARD-Reporter Querner berichtete unter Berufung auf einen der Anwälte von einem Wortwechsel, den es am Morgen zwischen den drei Anwälten und Zschäpe gegeben habe. Möglicherweise habe dieser zu dem Antrag der Anwälte geführt.

Laut Querner geht das Gericht davon aus, dass der Prozess trotz des schwer belasteten Verhältnisses forgesetzt werden kann. Seiner Meinung nach dürfte eine "geordnete Verteidigung" Zschäpes hingegen nun sehr schwierig werden, wenn diese nur über ihren neuen Anwalt Grasel mit dem Gericht spreche - gleichzeitig aber weder sie noch Grasel mit Herr, Stahl und Sturm kommunizierten.

 

[h=4]Stichwort: Pflichtverteidiger[/h]Wenn ein Beschuldigter in einem Strafverfahren keinen Anwalt hat, kann ihm ein gerichtlich bestellter Pflichtverteidiger zur Seite gestellt werden. Ein Verteidiger ist laut § 140 der Strafprozessordnung unter bestimmten Voraussetzungen notwendig - etwa wenn der Prozess vor dem Oberlandes- oder Landgericht läuft und dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird. Der Angeklagte kann sich seinen Pflichtverteidiger auch selbst aussuchen (§ 142).

 

In der Regel bezahlt den Pflichtverteidiger die Staatskasse. Sie holt sich das Geld wieder, wenn der Angeklagte verurteilt wird. Der Wechsel eines Verteidigers ist unter Umständen möglich. Bei Pflichtverteidigern entscheidet das Gericht über eine Abberufung. Hier müssen triftige Belege dafür vorgelegt werden, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant nachhaltig zerstört ist.

 

Dass Beate Zschäpe, die Hauptangeklagte im Münchner NSU-Prozess, mehrere Pflichtverteidiger hat, lässt sich mit der Größenordnung des Verfahrens erklären. Mit rund 380.000 Seiten sind die Akten extrem umfangreich. Auch ist der Prozess sehr lang, er dauert jetzt schon mehr als zwei Jahre.

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