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"Der Islam ist eine europäische Religion"

 

Der umstrittene Islamwissenschaftler Tariq Ramadan im STANDARD-Interview über Muslime in Europa, die Auslegung des Koran im Kontext und eine Reform des Islam

Tariq Ramadan ist Medienstar der intellektuellen jungen Muslime in Europa. Er wird als „trojanisches Pferd“ der Islamisierung verdächtigt, sieht sich selbst aber als Identitätsstifter für europäische Muslime.

 

Besteht nicht das Problem zwischen den Muslimen in Europa und den anderen Europäern hauptsächlich darin, dass für die Muslime Religion sehr wichtig ist, für die formal christlichen Europäer aber nicht (mehr)? Diese Frömmigkeit macht dem säkularen Europäer Angst.

 

Ramadan: Es stimmt, dass die Europäer viel säkularer sind und diese Frömmigkeit als Zeichen dafür nehmen, dass sich die Muslime nicht integrieren wollen. Aber das ist es nicht allein. Es ist auch die Frage, dass der Islam nun als stille Kolonisation betrachtet wird, wenn sich die Zahlen in einer Generation verdreifachen. Es gibt keinen Zusammenprall der Kulturen, sondern einen der Wahrnehmungen des jeweils anderen.

 

Standard: Sie sagen zu den christlichen Europäern: Die muslimischen Zuwanderer – etwa 15 Millionen in der EU – werden hier bleiben, der Islam ist eine europäische Religion, gewöhnt euch daran.

 

Ramadan: Man hat behauptet, der Bursche will Europa islamisieren. Ich sage, die europäischen Gesellschaften haben sich verändert. Ich spreche auch zu Christen, Buddhisten, Juden usw. in Europa und sage: Schaut euch die Realität an, der Islam ist eine europäische Religion, ob euch das gefällt oder nicht. Wir müssen diese Realität gemeinsam akzeptieren. Die Muslime müssen verstehen, wo sie leben und sie haben daher die Sprache, die Kultur, die Traditionen ihrer neuen Gesellschaft zu verstehen. Gleichzeitig müssen sie der Gesellschaft sagen, ihr habt jetzt neue Bürger, ihr müsst das zur Kenntnis nehmen.

 

Standard: Aber sie müssen nicht zur Kenntnis nehmen, dass unter diesen neuen Bürger zum Beispiel Zwangsheiraten weit verbreitet sind.

 

Ramadan: Zwangsheiraten und häusliche Gewalt habe ich in allen meinen Vorlesungen auch gegenüber muslimischen Gelehrten verurteilt.

 

Standard: Vor einigen Jahren haben Sie sich in einer TV-Diskussion mit dem französischen Präsidentschaftskandidaten Sarkozy für ein Moratorium beim Steinigen (besonders für Frauen wegen Ehebruchs) ausgesprochen und wurden kritisiert, weil sie nicht ganz die Abschaffung forderten.

 

Ramadan: Wir müssen das von innen ändern und zwar entsprechend der muslimischen Mentalität. Wenn ich sage, ich bin dagegen, ändert das gar nichts. Wir brauchen einen Prozess: Ich sage, es gibt Texte in den Schriften, im Koran über körperliche Strafen und die Todesstrafe. Ich richte daher drei Fragen an die Gelehrten: Was sagen die Texte? Was sind die Bedingungen, unter denen sie entstanden sind? Was ist der Kontext? Eröffnet eine Debatte, und während sie läuft, stoppen wir die Praxis.

 

Standard: Sie sagen, für Sie ist der Koran das Wort Gottes, aber Sie gehen mit einer rationalen Einstellung an die Texte heran. Was bedeutet das konkret?

 

Ramadan: Es bedeutet, dass der Koran während 23 Jahren in Teilen offenbart wurde. Einige dieser Teile sind unveränderlich und ewig – wenn es um Gebete geht, um das Fasten, den Glauben an den einen Gott usw. Andere kann man nur aus dem Kontext verstehen, in dem sie offenbart wurden. Ich brauche daher eine rationale Mediation zwischen Text und Kontext. Es ist zum Beispiel geschrieben: "Tötet sie, wo immer ihr sie findet." Wenn man das so liest, hält man das für eine Erlaubnis, jeden zu töten. Das ist falsch. Der Kontext ist, dass das in einer spezifischen Situation der Aggression gegen die Muslime war, daher ist es erlaubt, Widerstand zu leisten. Für mich ist es das Wort Gottes, aber ich werde es niemals außerhalb des Kontextes nehmen.

 

Standard: Das ist kritische Theologie.

 

Ramadan: Ja, aber es ist nicht neu im Islam. Die Muslime haben vergessen, dass wir diese kritische Betrachtungsweise der Texte von Anfang an hatten.

 

Standard: Wie werden die europäischen Muslime in Europa in zehn, zwanzig Jahren leben?

 

Ramadan: Die Hoffnung ist, dass es ein weniger selbst segregiertes Leben ist. Ich bin aber nicht naiv, wir gehen durch schwierige Zeiten.

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