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Frauenrechte im Islam

Interviewt von Mehmet Gundem, Milliyet, 25.01.2005

 

Das Thema Frauenrechte war stets heftig umstritten. Einige Wirtschaftsexperten stellen nun einen Zusammenhang zwischen ökonomischem Wachstum und dem Anteil der berufstätigen Frauen her.

 

 

Solange auf die körperlichen Voraussetzungen der Frau Rücksicht genommen und ihnen ein angemessenes Arbeitsumfeld geboten wird, verbietet der Islam Frauen nicht, in irgendwelchen Lebensbereichen ihren Beitrag zu leisten. Schon immer haben Frauen ja alle Lebensbereiche mitgestaltet. Ihnen wurde z.B. sogar gestattet, an Schlachten teilzunehmen. Man ermutigte sie nicht nur, sich um eine Ausbildung zu bemühen, sondern tat auch Einiges dafür, ihnen eine solche zu ermöglichen. Unsere Mütter Aischa, Hafsa und Umm Salama gehörten zu den Rechtsgelehrten und Mudschtahids [den höchsten Rängen der Gelehrsamkeit und des Wissens] unter den Gefährten des Propheten. Die Frauen, die dem Haushalt des Gesandten Gottes angehörten, waren darüber hinaus auch Informationsquellen, nicht nur für andere Frauen, sondern auch für Männer, die etwas über die Religion erfahren wollten. Viele Menschen unter den Tabi'in [der Generation, die auf den Propheten folgte] suchten bei den Frauen des Propheten Rat.

 

 

 

Dieser Zustand beschränkte sich aber keineswegs auf die Frauen des Propheten. In den Zeiten, die folgten, waren qualifizierte Frauen stets auch Lehrerinnen für viele Menschen. Im Islam gibt es keine Beschränkung der Tätigkeiten von Frauen auf bestimmte Gebiete. Dinge, die uns heute negativ erscheinen, sollten zunächst in Hinblick auf die Bedingungen der Zeit, in der sie sich entwickelt haben, analysiert werden, und dann in Hinblick auf die Politik der Staaten, in denen sie noch heute gang und gäbe sind.

 

 

 

Man muss bedenken, dass sich in einigen Gesellschaften und Regionen vorislamische Traditionen gehalten haben. Für Fehler, die aus dieser Tatsache resultieren, kann man nicht den Islam verantwortlich machen. Wirklich wichtige Aspekte sind aber die Berücksichtigung der körperlichen Voraussetzungen der Frau und des Arbeitsumfelds. Sollten Frauen auch bei schweren Arbeiten eingesetzt werden, z.B. in Minen unter Tage? Sollten sie, wie Männer, einen Zwangsdienst beim Militär ableisten? Sollten sie an schweren Waffen trainieren? Hält man all dies für notwendig und zumutbar, denke ich nicht, dass es jemanden gäbe, der damit nicht einverstanden wäre.

 

 

 

Welche Positionen sollten Frauen in der öffentlichen Sphäre bekleiden, und welche Rolle gebührt ihnen in der Welt von heute?

 

 

Frauen können jede Position bekleiden. Vielleicht ist es nicht ganz einfach, diesen Schluss aus den Quellen von heute abzuleiten. Aber die historische Erfahrung zeigt, dass Abu Hanifa zufolge Frauen etwa durchaus auch Richterinnen werden können. Abu Hanifa hat seine Aussagen nicht gemacht, um sich damit selbst gefällig zu sein. Von daher können wir davon ausgehen, dass die maßgeblichen Quellen den Frauen die Erlaubnis dazu erteilen. Das Amt für religiöse Angelegenheiten [in der Türkei] hat eine bemerkenswerte Initiative gestartet, im Rahmen derer neue weibliche Beamte in verschiedenen Ministerien eingestellt werden, sodass Frauen in Zukunft bequemer um Auskunft ersuchen können. Frauen können alles sein, Ärztin, aber auch Soldatin. Am wichtigsten ist, dass sie ihren Glauben leben. Während das einigen von ihnen im öffentlichen Dienst gelingt, scheitern andere daran, obwohl sie zu Hause bleiben.

 

 

 

Gibt es den Gedanken, eine Frau sollte besser zu Hause bleiben, nicht?

 

 

Nein, eine solche Einschränkung existiert nicht.

 

 

 

Es wird aber behauptet, in Werken zur Praxis des Islam fänden sich Erklärungen, die die Frau als dem Mann unterlegen einstufen. Handelt es sich dabei lediglich um eine historische Perspektive?

 

 

Die Verantwortlichkeiten und Betätigungsfelder von Frauen und Männern haben sich in bestimmtem Maße voneinander unterschieden, was auf die körperliche Beschaffenheit der Frau zurückzuführen ist. So wurden schwere körperliche Arbeiten und Verantwortlichkeiten außerhalb der eigenen vier Wände meist von Männern verrichtet und geschultert. Diesbezügliche Interpretationen, wurden in Taschri - [Zeit des Propheten] und Tadwin -Zeiten [Zeit, in der die Bücher und Systeme der Rechtsprechung erstellt wurden] entwickelt - entsprechend den Gepflogenheiten jener Zeiten. Vielleicht wäre es korrekter zu sagen, dass damals körperliche und emotionale Aspekte von Frauen und Männern in Erwägung gezogen wurden, und dass diese Betrachtung dann zu einem bestimmten Ergebnis geführt hat.

 

 

 

Es gibt aber einige Leute, die Frauen grundsätzlich als minderwertig betrachten.

 

 

Eine Frau ist eine Frau, und ein Mann ist ein Mann. Wenn einer von beiden das Positive darstellt, dann ist der andere das Negative. Zusammen bilden sie ein vollständiges Ganzes. Wir sollten die Dinge nicht aus der Warte von Unterlegenheit oder Gleichheit betrachten. Bei einigen Themen haben die Frauen einen Vorsprung. Der Prophet betonte die führende Rolle der Frauen in einigen seiner Aussprüche: Das Paradies liegt unter den Füßen der Mütter. Etwas Ähnliches sagte er über Väter nicht. Zu einem Mann, der ihn fragte, „Für wen bin ich verantwortlich?“, sagte er: Für deine Mutter, dann für deine Mutter, dann für deine Mutter, und dann für deinen Vater. Said Nursi nannte Frauen Heldinnen des Mitgefühls und bedeutende Lehrerinnen. Wenn Frauen in bestimmten Situationen Einhalt geboten und gesagt wird: „Ihr solltet nicht auf dem Schlachtfeld Wache halten oder dem Feind bewaffnet entgegentreten, dann sollte dies nicht als eine Einschränkung der Rechte der Frau verstanden werden, sondern als Schutz. Der Prophet verhielt sich in dieser Hinsicht in keiner Weise diskriminierend.

 

 

 

Eine andere Frage lautet, warum sich während des Salat [des täglichen Pflichtgebets] die Reihe der Männer vor der der Frauen befindet?

 

 

Zunächst einmal dürfen wir nicht vergessen, dass das Salat ein Gebet ist, bei dem wir ausschließlich an Gott denken sollen. Es verlangt nach völliger Hingabe, ganz als befänden wir uns in der Gegenwart Gottes. Unsere Körperhaltung während des Gebets ist genauso wichtig wie die Tatsache, dass sich unsere Vorstellung mit nichts anderem als Gott beschäftigen soll. So soll Herz und Seele eine Richtung gegeben und die Konzentration gefördert werden. All dies vor Augen sollten wir uns fragen, warum wir nicht in der Lage sind, die Realität zu sehen.

 

 

 

Ich glaube, immer wenn ein Mann eine schöne Frau sieht, regen sich in ihm, und sei es sogar bei der Umschreitung der Kaaba [in Mekka], zwangsläufig irgendwelche Gefühle. Wer dies abstreitet, dem sage ich: „Gott sieht und hört alles, also bitte lass uns hier ehrlich sein.“

 

 

 

Das Thema Kopftuch steht in der Türkei permanent auf der Tagesordnung. Es gibt Forderungen, das Tragen eines Kopftuchs ab 18 Jahren zu erlauben. Haben Sie Vorschläge zur Lösung des Problems?

 

 

Vor einiger Zeit, als man versuchte, Kindern den Schulbesuch zu verbieten, habe ich meine Meinung zum Kopftuch klar zum Ausdruck gebracht, indem ich mich dem Thema aus der Perspektive der Usul [Grundprinzipien] und Furu‘ [mit den Grundprinzipien verwandte Themen, die aber von relativ zweitrangiger Bedeutung sind] der Religion näherte. Damals habe ich gesagt, dass das Tragen eines Kopftuchs nicht so entscheidend ist wie die Grundlagen des Glaubens und die fünf Grundprinzipien des Islam. Ich habe den Menschen gesagt, sie sollten selbst entscheiden: Kopftuch oder Schule. Meiner Meinung nach sollte man sich für die Schule entscheiden. Ich denke, mein Ansatz war wichtig, um Menschen aus unterschiedlichen Lebensbereichen zu beruhigen und der Türkei die Chance auf eine friedliche Zukunft zu garantieren.

 

 

 

Das hört sich nach einer nur vorübergehend gültigen Meinung an. Wie denken Sie in Wirklichkeit darüber?

 

 

Ich wünschte, die Frauenrechte würden, wie in den Ländern des Westens, in einem Atemzug mit Gedanken- und Meinungsfreiheit genannt. Ich glaube, wenn die grundlegenden Quellen des Christentums nicht modifiziert worden wären, wenn die Kleidungsordnung auch dort erwähnt worden wäre (wie z.B. bei den Nonnen), dann würde man sich dem Kopftuch nicht widersetzen. Ich vergesse nie, als wir den Vatikan besuchten, hat uns Frau Ozcan von der Zeitung Milliyet begleitet. Sie wurde aber nicht vorgelassen, da sich der Papst nicht mit Frauen trifft. Man stelle sich eine ähnliche Situation in der Türkei vor: Der Chef des Amts für religiöse Angelegenheiten lehnt es ab, sich weiter mit Frauen zu treffen. Was gäbe das für Schlagzeilen!

 

 

 

Es wäre schön, wenn die Menschen all ihren religiösen Pflichten einschließlich der sekundären ohne Einmischung seitens der Verwaltung nachkommen könnten. Es wäre schön, wenn Gewissens- und Religionsfreiheit herrschten. Anstatt die öffentliche Sphäre, die das Betätigungsfeld der Menschen einschränkt, weiter auszudehnen, sollten wir vielleicht lieber die Rechte des Individuums und die Gewissensfreiheit in den Vordergrund stärken und so den Menschen die Chance geben, sowohl die essenziellen als auch die sekundären Bereiche ihrer Religion zu leben. Wenn Form und Stil des Kopftuchs als Symbole einer bestimmten Philosophie oder einer Bewegung wahrgenommen werden, dann ist es nicht notwendig, auf dieser Form und diesem Stil zu bestehen. Menschen, die mich bei diesem Thema um Rat fragen, verweise ich an das Direktorat oder an das oberste Komitee im Amt für religiöse Angelegenheiten. Wir müssen den Ruf dieser Institutionen stärken, da es den Ruf der Religion repräsentiert. Fragen zu Kleidungsvorschriften sollten also dort vorgetragen werden. Wenn die entsprechenden Antworten unvollständig sein sollten, sind angesehene und sorgfältige Gelehrte dazu aufgerufen, dem Amt ihre Gedanken mitzuteilen, damit Probleme gelöst und Fehler beseitigt werden können.

 

Interwiev mit F.Gülen von der Tageszeitung Milliyet.

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