Amira Geschrieben 23. Januar 2008 Teilen Geschrieben 23. Januar 2008 und hallo. Vorgestern gab es bei uns im Rahmen der Vorlesung "Interreligiöser Dialog" einen Vortrag von Müfit Daknili mit dem Thema "Hermeneutische Ansätze im Islam - am Beispiel Nasr Hamid Abu Zaid". Der "Fall Abu Zaid" beschäftigt mich seitdem irgendwie. Ich meine, dieser Mann ist ein hochintelligenter Mensch, und was ihm in Ägypten widerfahren ist, ist meiner Ansicht nach eine Schande für die islamische Welt. Ich weiß nicht, in wie weit ihr von Abu Zaid schon gehört habt. Er vertrat einige neue Ansätze zur Auslegung des Koran, indem er ihn nicht nur rein wörtlich nahm, wie es in weiten Kreisen der muslimischen Orthodoxie üblich ist, sondern davon ausging, dass man den Inhalt des Koran auch als metaphorisch betrachten kann. Dies ist in meinen Augen allenfalls eine neue und vielleicht sogar aufgeklärte Sichtweise auf den Heiligen Koran. Doch aufgrund von "Interessenpolitik" wurde gegenüber Abu Zaid der Vorwurf der Apostasie vorangetrieben, was zwar in Ägypten staatsrechtlich irrelevant war, zumal Abu Zaid Angestellter der Kairiner Universität war, aber vor dem Familiengericht, welches nach religiösen Regeln entscheidet, zur Zwangsscheidung Abu Zaids von seiner Frau führte. Fundamentalistische Organisationen forderten sogar den Tod Abu Zaids und er selbst erhielt zahlreiche Morddrohungen. Es beschämt mich, dass jemand, der möglicherweise Ideen hat, die das Verständnis des Koran und somit auch des Islam erleichtern könnten, derart behandelt wird. Mit welchem Recht? Ich bin keine Gelehrte, aber ich behaupte einfach mal, dass Abu Zaid kein Apostat ist. Er hat in keiner Weise Blasphemnie oder Ähnliches begangen. Alles was er tat, war schlicht und ergreifend, das Prinzip der Vernunft, das im Islam immer wieder so betont wird, wörtlich zu nehmen und eben von seiner Vernunft Gebrauch zu machen. Ich würde gern wissen, wie ihr Denkern wie Abu Zaid gegenüber steht... Wassalam Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Amira Geschrieben 23. Januar 2008 Autor Teilen Geschrieben 23. Januar 2008 Ich hab hier noch ein kurzes Textchen über Abu Zaid gefunden, das einen ersten Überblick verschafft: Der 1943 geborene agyptische Literaturwissenschaftler lehrt heute in Leiden (NL) Islamwissenschaft. 1995 verfügte ein ägyptisches Gericht gegen ihn und seine Ehefrau die Zwangsscheidung, da eine Muslima nicht mit einem "Apostaten" verheiratet sein könne. Diese Farce und andere Anfeindungen, bis hin zu Morddrohungen, von Seiten prominenter Islamisten haben dazu geführt, das Abu Zaid jetzt im Ausland unterrichtet. Die Anschuldigungen gegen ihn werden deshalb erhoben, weil er den Topos, dass im Gegensatz zum Christentum im Islam Vernunft und Offenbarung zur Deckung gebracht werden könnten, beim Wort nimmt. Während viele Muslime dies immer nur wie eine beschwörende Leerformel wiederholen, ohne sie wirklich einzulösen, wendet der hermeneutisch geschulte Literaturwissenschaftler ihn an und hinterfragt den religiösen Text Koran nach den Bedingungen und Möglichkeiten seiner Rezeption. Das Sakrileg Abu Zaids besteht darin, den heiligen Text als lebendigen religiösen und spirituellen, aber als - Text -, ernstzunehmen, und sich zu weigern, der Reduktion auf ein nicht zu hinterfragendes Handbuch für Politik und Gesellschaft beizustimmen. "Der Koran ist eine religöse Autorität, aber nicht der Bezugsrahmen etwa für die Erkenntnisse der Geschichte oder der Physik. Doch verstärkt sich heute die Tendenz zu meinen, der Koran enthalte bereits alle Wahrheiten, die die Vernunft je erkannt hat oder erkennen wird. Das ist gefährlich - gefährlich für die Vernunft und das Bewußtsein der Muslime -, denn es führt zu zweierlei: zum einem wird die Bedeutung der menschlichen Vernunft herabgesetzt und damit die Rückständigkeit zementiert, und zum anderen verwandelt sich der Koran aus einem Offenbarungstext in einen politischen, wirtschaftlichen oder juristischen Traktat. Dadurch aber verliert der Koran etwas Wesentliches, nämlich seine spezifisch religiöse, spirituelle und in einem allgemeinen Sinne ethische Dimension." (Ein Leben mit dem Islam S. 49f) Was Abu Zaid den Betreibern des religiösen Diskurses, den Fundamentalisten, Islamisten, Salafis und wie man sie auch immer nennen mag, vorwirft, ist Reduktion in vielfacher Hinsicht: Reduktion des Denkens auf den Glauben: Die Behauptung, alle existenziellen und epistemologischen Hürden überschreiten zu können im direkten Zugriff auf die Absicht Gottes, der im heiligen Text greifbar werde. Reduktion der Vielfalt der Meinungen: Eine bestimmte Lesart des Textes wird mit dem Text selbst identifiziert, der dann nicht mehr hinterfragt werden darf. Reduktion aller Erscheinungen auf eine Primärursache: Wenn Gott als direkte greifbare Ursache aller Dinge nur den Religionsgelehrten zugänglich ist, kann jegliche andere Erkenntnis als "säkular" konfisziert werden. Reduktion des Erbes: Nur die Autoritäten werden herangezogen, die bestimmte Ansichten stützen. Reduktion der Dynamik der Wirklichkeit: Eine von der Scharia und der Sunna vorgegebene Lösung für alle Probleme der Gegenwart. Reduktion der historischen Dimension: Eine menschliche Geschichte, die nur in den Dimensionen Rückkehr zum Islam oder Entfernung vom Wege Gottes betrachtet wird. "Der religiöse Diskurs widerspricht schließlich dem Islam selbst, da er eine seiner wichtigsten Grundlagen, die Vernunft, negiert und meint, damit die Überlieferung zu bestätigen. Tatsächlich aber negiert er sie, indem er ihre erkenntnistheoretische Grundlage verneint. Im Gegensatz zu dem, was der zeitgenössische religiöse Diskurs propagiert, kann man nicht durch das Schiedsgericht der Texte, dessen Konsequenzen die islamische Geschichte belegt, zum Islam zurückkehren, sondern nur indem man der Vernunft ihren alten Stellenwert einräumt. (Islam und Politik, S. 65). "Die Botschaft des Islam wäre vollkommen folgenlos geblieben, hätten die Menschen, die sie als erste empfingen, sie nicht verstehen können. Sie verstanden den Islam in ihren Lebensumständen, und durch ihr Verständnis und ihre Anwendung des Islam veränderte sich ihre Gesellschaft. Man sollte die Auffassung der ersten Generation von Muslimen und der folgenden Generationen aber keineswegs für endgültig oder absolut halten. Der Text des Koran gestattet einen endlosen Decodierungsprozess. In diesem Prozess sollte die ursprüngliche Bedeutung nicht ignoriert oder vereinfacht werden, weil diese Bedeutung entscheidend dafür ist, die Richtung der weiteren Deutung des Textes aufzuzeigen. Wenn man die Richtung hat, ist es viel leichter, sich auf den Sinn des Textes im heutigen soziokulturellen Kontext hinzubewegen. ... So paradox es klingen mag: Gerade wenn die Botschaft des Islam für die gesamte Menschheit unabhängig von Zeit und Ort gültig sein soll, ist eine Vielfalt der Interpretation unvermeidlich. Wenn der Text auch ein historisches Faktum von göttlichem Ursprung ist, so ist seine Interpretation doch absolut menschlich." (Spricht Gott nur Arabisch? In: Die Zeit 05/2003) Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Manuel Geschrieben 23. Januar 2008 Teilen Geschrieben 23. Januar 2008 Ich habe Abu Zaids Buch "Mein Leben mit dem Islam gelesen" ! Ich finde Abu Zaid ist eine sehr sympathische und hochinteressante Persönlichkeit! Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Adem Geschrieben 24. Januar 2008 Teilen Geschrieben 24. Januar 2008 Amira soweit ich verstehe ist Abu Zaid in einer sehr untoleranten Atmosphäre aufgewachsen. Seine Erkenntnisse beruhen mehr oder weniger auf diese negative Erfahrung. Das er gute Absichten hat un d ein guter Muslim ist kann sein. Trotzdem sollte man bei solchen Fällen vorsichtig sein, seine Erkenntnisse untersuchen, kritisch nachforschen und mit festen islamischen Massstäben vergleichen. Denn ein einsamer Held kann durchaus gefährlich sein. Vor allem wenn er von Unislamischen Kreisen sofort aufgenommen wird. Tatsächlich habe ich bei seinen Stellungnahmen ein bisschen Evangelismus endeckt. Dies ist auch in der Türkei sehr populär und hat viel asimilisation verursacht. Sprich "Islam für jedermann, Koran lesen selber kommentieren." Natürlich darf Koran zeitgemäss interpretiert werden. Aber dass so appellieren als ob es keiner getan hat finde ich merkwürdig. Na ja vielleicht liege ich falsch, aber das sind so meine Sorgen zu diesem Thema... Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Amira Geschrieben 24. Januar 2008 Autor Teilen Geschrieben 24. Januar 2008 Adem, du guckst ein wenig in die falsche Richtung. Ursprünglich wurde seine Arbeit über die andere Lesart des Koran sehr positiv aufgenommen. Nur ein Mitglied des Prüfungsausschusses, welches irgendwie an irgendwelchen Geschäften beteiligt war, deren Methodik Abu Zaid stark in die Kritik nahm, fühlte sich auf den Schlips getreten. Eben dieses Mitglied wies seine Arbeit zurück und konnte aufgrund wirtschaftlichen Einflusses die allgemeine Zurückweisung bewirken und eben diese ökonomischen Kreise, die sich hier angegriffen fühlten, forcierten auch den Apostasievorwurf. Das ist ja gerade das beschämende: Eine Gesellschaft, die sich selbst als islamisch sieht, ist so sehr auf Materialismus und Weltlichkeit bedacht, dass vernünftige und aufgeklärte Denker kurzerhand zu Apostaten erklärt werden, nur weil sie eben solche Praktiken kritisieren. Die Ansätze Abu Zaids zur Koranexegese spielten - soweit ich verstanden habe - höchstens eine sekundäre Rolle. Es war alles Interessenpolitik. DAS ist es, was mich irgendwo einfach schockiert. Wie tief kann eine sogenannte islamische Gesellschaft sinken? Übrigens: Mir ist nicht bekannt, dass Abu Zaid irgendwelche islamischen Grundsätze negierte. Mir geht es auch nicht darum, dass ich mich auf seine Auslegung des Koran stütze, dazu kenne ich sie nicht gut genug. Es geht mir darum, dass Menschen, die versuchen eine Art islamische Renaissance und Aufklärung voranzutreiben, einfach aufgrund politischer Interessen derart zerstört werden. Das war seiner Zeit bei Dr. Shariati so, auch gegen ihn agierte der iranische Staat (damals unter dem Shah-Regime) recht aggressiv und es gibt Gerüchte, der damalige iranische Geheimdienst habe ihn ermordet. Da sehen wir wieder, wie wenig sich moderne Regierungen in Ländern mit muslimischer Mehrheit eigentlich auf ihre Religion stützen bzw sich an ihre Grundsätze halten. Kein Wunder, dass ein geistiger Aufschwung schwierig voranzutreiben ist. Ich hoffe, ich konnte mein Problem mit dem Fall Abu Zaid nun etwas genauer erläutern. Ich weiß ehrlich gesagt grad nicht, ob Abu Zaid überhaupt eine Art Tafsir verfasst hat, soweit ich informiert bin, hat er einfach nur die These vertreten, dass man vieles einfach als metaphorisch betrachten kann und sollte. Er hat ja auch nicht gesagt, dass vor ihm keiner den Koran (zeitgemäß) interpretiert hat (wobei ich die zeitgemäße Exegese als sehr sehr wichtig empfinde), aber wie viele verschiedene Interpretationen es gibt, dürfte ja allgemein bekannt sein oder? Schon traurig eigentlich, dass man nicht mal beim Koran unter Muslimen zu einem Konsens kommt. Ich kann mich leider an viele Details aus dem Vortrag nicht mehr genau erinnern, aber ich weiß noch, dass eine Freundin und ich und immer wieder zwischendurch ansahen und sagten: "Wenn man das so sieht, sind wir alle Apostaten". Naja, ich hoffe irgendwann nochmal an Herrn Daknili heranzukommen, dann werde ich nochmal etwas genauer nachfragen zu einigen Punkten. Am Montag hatte ich das leider aus Zeitgründen nicht mehr geschafft. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Adem Geschrieben 24. Januar 2008 Teilen Geschrieben 24. Januar 2008 Ich kenne den man nicht. Was ich gelesen habe, macht mich nur ein bisschen skeptisch. Na ja ist ja auch unwichtig. abgesehen davon. Gibt es in Islam eine Spanne in dem man sich Äussern und Erkenntnisse bringen kann. Wenn man die Grenze überschreitet sollte man natürlich abgemahnt werden. Da ist das Problem: Sind die Leute die abmahnen auch dazu fähig und seriös? Das ist die Frage. Adem Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Amira Geschrieben 29. Januar 2008 Autor Teilen Geschrieben 29. Januar 2008 Hmmm eigentlich schade, dass sich sonst keiner zu diesem Thema äußert... Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
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