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Die "Besondere Beziehung" zwischen den USA und Israel

Von Gilbert Achcar*

 

Dieser Beitrag erschien in: INAMO (Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.), Heft Nr. 45/Frühjahr 2006, 12. Jahrg., Seiten 4-8

 

 

Die USA standen im Nahen Osten einer Mauer gegenüber. Ihre Strategie der Nachkriegsjahre war gescheitert: Die Russen waren zunehmend „drin“, während die Amerikaner selbst immer mehr hinausgedrängt wurden. Als man diese Sachlage in Washington erkannte, wurde Israel, in dem man lange eine Bürde für Washingtons Nahostpolitik gesehen hatte, zu einer strategischen Trumpfkarte allererster Güte.

 

Im Gegensatz zu jener Projektion, die Israel im Nachhinein als ein US-Zögling seit dem Moment seiner Gründung darstellt – und ganz zu schweigen von der phantasmagorischen Vision, Israel habe die USA in der Tasche! –, war der zionistische Staat in den 1950er Jahren ein noch unbequemerer Verbündeter, als dies Großbritannien war. Trotz Präsident Trumans Parteinahme für Israel, hatten die USA das Waffenembargo gegen alle kriegführenden Parteien eingehalten, das sie 1948 verhängt hatten.[1] Während der 1950er hatten die USA weder Waffen nach Israel geliefert, noch Militärhilfe geleistet, weil man fürchtete, die öffentliche Meinung in den arabischen Staaten gegen sich aufzubringen – dieselbe Logik hatte die USA Abstand von Großbritannien und Frankreich halten lassen. Frankreich war für mehr als zwei Jahrzehnte Israels wichtigster Waffenlieferant. Zugegebenermaßen finanzierte Washingtons Wirtschaftshilfe Israels Waffenkäufe von anderen Lieferanten. Aber das Fehlen direkter militärischer Verbindungen zeigt deutlich die Distanz, die zwischen den beiden Staaten v. a. unter der Eisenhower-Administration bestand.

 

Pro-Israel Lobby

 

Mit dem Verweis auf die wachsende Nähe zwischen den beiden Länder unter Lyndon Johnson glauben einige, daß diese Entwicklung als Ergebnis eines gewissen Einflusses von Juden, wenn nicht gar der „jüdischen Lobby“ in der Wählerschaft der Demokraten, im Gegensatz zu der der Republikaner, interpretiert werden könne.[2] Es ist in der Tat eine wohlbekannte Tatsache, daß die überwiegende Mehrheit der „jüdischen Stimmen“ in den USA, wie die anderer ethnischer Minderheiten, an die Demokratische Partei gehen. Aber die Vorstellung, daß die Pro-Israel-Lobby Washingtons Außenpolitik bestimmen würde – besonders im Hinblick auf eine Region von höchstem strategischen Interesse –, schreibt dieser mehr Macht zu, als sie tatsächlich hat.[3] Damit würde die Israel-Lobby sogar höher eingestuft als die Öl-Lobby, die die gewichtigsten Kapitalinteressen des Landes repräsentiert. Wie Noam Chomsky kürzlich anmerkte:

 

„Trotz der immensen US-Unterstützung für Israel wäre es ein Fehler anzunehmen, daß Israel das Hauptinteresse der USA im Nahen Osten darstelle. Dieses Hauptinteresse liegt vielmehr in den Energiereserven der Region, hauptsächlich auf der arabischen Halbinsel. Eine Studie des US-Außenministeriums von 1945 beschrieb Saudi Arabien als ‚enorme Quelle strategischer Macht und einen der größten materiellen Gewinne der Weltgeschichte.’ Die USA waren entschlossen, diesen Gewinn zu erzielen und zu behalten […] Eine Variation diese Themas aus jüngerer Zeit ist das Ziel, daß der Fluß von Petrodollars in die USA durch Waffenkäufe, Bauprojekte, Bankguthaben, Investitionen in Staatsanleihen etc. in die USA geleitet werden sollte. Gäbe es Israels vermeintliche geopolitische Rolle nicht – v. a. im Nahen Osten, aber auch anderswo –, so ist es zweifelhaft, daß die verschiedenen Pro-Israel-Lobbies in den USA irgendeinen bemerkenswerten Einfluß auf den politischen Entscheidungsprozeß gehabt hätten. […] Entsprechend wird dieser Einfluß auch sehr wahrscheinlich vergehen, wenn Israel zunehmend als Bedrohung denn als Stütze des primären Interesses der USA im Nahen Osten, d.h. die Aufrechterhaltung der Kontrolle über die Energiereserven der Region und den Fluß der Petrodollars, angesehen werden wird.“[4]

 

Israels geopolitische Rolle wurde für die USA zu einer Zeit entscheidend, als sich diese seit Beginn der 1960er mit einem sich verbreitenden und radikalisierenden arabischen Nationalismus in einem Maße konfrontiert sahen, daß sie gezwungen waren, ihre direkte Präsenz in Herzen der Region aufzugeben, die sie als strategisch am wichtigsten betrachteten. Die USA evakuierten 15 Jahre nach ihrer Errichtung die Dhahran Basis – inmitten des saudischen Ölfördergebietes gelegen –, just als sich ein Sturm zusammenbraute und eben jene Interessen bedrohte, zu deren Schutz die Basis errichtet worden war. Dies vermittelt einen Eindruck davon, in welcher bedrohlichen Situation sich die USA im Rahmen ihres Projekts der Dominanz des Nahen Osten befanden. […]

 

Paris tritt ab, Washington kommt

 

Israels Wert für die USA hatte zwei komplementäre Aspekte. Zum einen spielte Israel eine Rolle als Wachhund für imperialistische Interessen in der Region. Andererseits erntete Washington politische Früchte in arabischen Ländern, indem es demonstrierte, daß es die Leine des Wachhundes fest im Griff hatte. Diese beiden Bedingungen wirkten zusammen und ließen Washington die Rolle Frankreichs als vorrangigen Waffenlieferanten für den zionistischen Staat übernehmen. Israels militärische Abhängigkeit von den USA, die dadurch entstand, kam zu der – angesichts des Ausmaßes an öffentlicher und privater Hilfe für Israel aus den USA – bereits bestehenden wirtschaftlichen Abhängigkeit hinzu.

 

Der Anstieg der US-Militärkredite für Israel spricht in dieser Hinsicht Bände. Während sie zwischen der Staatsgründung Israels 1948 und 1958 überhaupt nicht existierten, waren sie 1959 (400.000 US$) und 1960 (500.000 US$) relativ niedrig, erreichten dann 13,2 Mio. US$ im Jahr 1962, 13,3 Mio. 1963 und 12,9 Mio. 1965, bis sie dann 1966 – dem Jahr, bevor Israel seinen Angriff auf Ägypten, Syrien und Jordanien ausführte – auf 90 Mio. US$ emporschnellten.[5] Cheryl Rubenberg hat diese Entwicklung treffend beschrieben:

 

„Als Kennedy 1961 sein Amt antrat, vertrat er anfänglich die Position, der Frieden im Nahen Osten hänge von einem militärischen Kräftegleichgewicht zwischen Israel und den Arabern ab, dennoch begann er bald die Vorteile der Idee eines israelischen Sparta, das als US-Stellvertreter agierte, zu erkennen. Kennedy initiierte daher das Konzept einer „Sonderbeziehung“ mit Israel und begann, den jüdischen Staat mit hochentwickelten amerikanischen Waffen zu beliefern. Frankreich hatte Israel seit den früher 1950er Jahren im Rahmen des geheimen französisch-israelischen Waffenabkommens mit Waffen beliefert (eine Verletzung des Dreiparteienabkommens, aber mit amerikanischer Unterstützung und Ermutigung). Nach Charles de Gaulles’ Amtsantritt 1958 bestimmte Frankreich seine Politik gegenüber dem Nahen Osten jedoch neu und in den frühen 1960er Jahren gingen die französischen Waffenlieferungen an Israel zurück. Dieser Rückgang, die gleichzeitige Lieferung von MIG-21 und TU-16 durch die Sowjetunion an Ägypten (in der Folge der israelischen Invasion von 1956) und die beginnende Wahrnehmung von Israels möglichem Nutzen für die USA veranlaßten Kennedy, positiv auf Israels beständige Nachfrage nach amerikanischen Waffen zu reagieren. […] Diese Verkäufe (1962 Hawk-Kurzstreckenraketen, 1964 Panzer, 1966 Skyhawk Flugzeuge) markierten den Beginn der Verpflichtung Washingtons, die absolute militärische Überlegenheit Israels in der Region sicherzustellen; diese ist bis heute ein Eckpfeiler der Beziehungen zwischen den USA und Israel und der amerikanischen Nahostpolitik“.(S. 91).

 

Die unterschiedliche Struktur der republikanischen und demokratischen Wählerschaft – in anderen Worten: der jüdische Stimmenanteil – ist also nicht der ausschlaggebende Faktor, der die „Sonderbeziehung“ zwischen den USA und Israel erklärt. Obwohl diese Beziehung auf eine Demokratische Administration in den frühen 1960ern zurückgeht, wurde sie unter den Republikanischen Administrationen Nixon (Kissinger), Reagan und George W. Bush fortgesetzt und sogar noch enger ausgebaut. Dies zeigt, daß die Gründe für diese Beziehung die hier beschriebenen sind. Die Hinwendung der USA zu Israel als Verbündeten im Nahen Osten stellte sich, als sie 1967 ihren Höhepunkt erreichte, als exzellente Investition heraus. Die USA haben diese Allianz seitdem auf einem sehr hohen Niveau weitergeführt.

 

Der qualitative und quantitative Anstieg der US-Militärhilfe für den zionistischen Staat 1966 (mit einer Lieferung von Flugzeugen) ist höchst bemerkenswert. Die USA wollten, daß ihr israelischer Verbündeter Ägypten und Syrien, die beide von den USA als die Hauptbedrohung für US-Interessen in der Region angesehen wurden, eine entscheidende militärische Niederlage beibringt. Dafür hat Rubenberg die Gründe anschaulich zusammengestellt:

 

„Die Überlegung, Israel 'von der Leine zu lassen', beinhaltete auch die Wahrscheinlichkeit, daß dies dazu dienen könnte, Nasser zu diskreditieren und möglicherweise seinen Sturz zu bewirken; damit würde Ägyptens Beteiligung am Bürgerkrieg im Jemen beendet, ein Sieg der Royalisten begünstigt; die Sowjets würden bloßgestellt, wenn die Armeen von Staaten, die sie aufwendig ausgerüstet hatten, vernichtend geschlagen würden; das Baath-Regime in Syrien würde geschwächt und destabilisiert; die USA erhielten Informationen über sowjetischen Waffensysteme und Israel würde eine solch gewichtige Position gewinnen, daß es fortan als Instrument der Ausweitung amerikanischer Dominanz in der Region dienen könnte.“ (S. 112f.)

 

Der 1967er Krieg

 

Der israelische Angriff vom 5. Juni 1967 war der erste Krieg, den Israel im Bündnis mit den USA führte. Er zeigte sowohl die neue enge Kooperation, die zwischen beiden Staaten etabliert worden war, aber auch die anhaltenden Differenzen ihrer jeweiligen Ziele. Während sie unmittelbare Interessen teilten, gingen ihre längerfristigen Pläne auseinander. Im Bewußtsein von Washingtons Garantien und Unterstützung führte der zionistische Staat einen entscheidenden Schlag gegen Ägypten und Syrien, die Hochburgen des radikalisierten arabischen Nationalismus. Gleichzeitig verfolgte Israel ein ganz eigenes Ziel: Es machte seine Eroberung ganz Palästinas westlich des Jordan komplett und besetzte die Westbank in einem Krieg gegen das jordanische Königreich, der in den Plänen Washingtons nicht vorgesehen war. Im Sechs-Tage-Krieg wurden also verdeckt zwei Kriege ausgetragen: Ein Krieg im Interesse der USA wie Israels gegen ihren gemeinsamen Feind – den arabischen Nationalismus und ein weiterer Krieg gegen Jordanien ausschließlich im Interesse Israels zur Umsetzung des zionistischen Projekts. Die Juni-Offensive von 1967 erwies sich als erfolgreicher, als das Israel oder die USA je erwartet hatten. In den Augen Washingtons bestätigte sie die Zuverlässigkeit der neuen strategischen Orientierung im Nahen Osten und gleichzeitig stellte sie die entschiedene und großzügige Unterstützung für den neuen Verbündeten sicher. Die staatliche Hilfe der USA für Israel – mit Abstand die größte Hilfssumme, die Washington überhaupt einem anderen Staaten zuteil werden läßt – zahlt sich für Washington jedoch um ein Vielfaches aus. Der militärische Nutzen des israelischen Stellvertreters ist ungleich größer als das, was man mit Aufwendungen in gleicher Höhe erreichen würde, wenn sie jährlich dem US-Militärhaushalt zugeschlagen würden. Anders gesagt, die „marginale Nützlichkeit“ dieses Betrages, wenn er direkt zu den US-Militärausgaben hinzugefügt würde, wäre unvergleichbar geringer als die Nützlichkeit seiner Investition in Unterstützung für die Aktivitäten des Staates Israel als strategischem Verbündeter der USA.[…] [6]

 

Der radikale arabische Nationalismus ist spurlos verschwunden

 

1970 wurde der arabische Nationalismus politisch zu Grabe getragen; der Angriff von 1967 erreichte sein politisches Ziel also mit einer dreijährigen Verzögerung. Dies erforderte jedoch die Zerschlagung der anderen ausgeprägtesten und spektakulärsten Speerspitze der Radikalisierung der Volksbewegung, die zeitweilig dem militärischen Sieg der US-Israel Allianz entgegenhielt. Im September 1970 (Schwarzer September) erstickte die jordanische Armee die alternative, quasi-staatliche Macht, die von einem Block bewaffneter palästinensischer Gruppen aufgebaut worden war, in Blut. Im selben Monat unternahm Hafez al Asad eine Kraftprobe mit der radikalen Gruppe, die in Syrien an der Macht waren, und vertrieb sie im November letztlich erfolgreich aus dem Amt. […]

 

Vom radikalen arabischen Nationalismus blieb nichts mehr als ein demagogischer, dunkler Abklatsch, den das irakische Baath-Regime mit seiner Außenpolitik verkörperte. Bagdad nutzte die Gelegenheit, die ihm der Wegfall Ägyptens und Syriens als traditionelle Hochburgen des Nationalismus bot, und verlegte sich auf eine nationalistischer-als-du-Rhetorik. Angesichts dieser Scheinheiligkeit konnte das selbstherrliche Auftreten des irakischen Baath-Regimes kaum überzeugen. 1971 gab Sadat Gaafar an-Numeirys Militärdiktatur grünes Licht, als dieser die Kommunisten im Sudan niederschlug und damit die letzte große unabhängige Kommunistische Partei der arabischen Welt. […]

 

Das tatsächliche militärische Ergebnis des 1973er Krieges – ein erstaunliches militärisches Wiedererstarken Israels dank der Luftunterstützung mit US-Militärgütern, nachdem es am Rande einer Katastrophe gestanden hatte – bestätigte auch, daß der zionistische Staat unüberwindbar war, solange er aktive Unterstützung durch Washington erfuhr. Israels Abhängigkeit von den USA in Fragen der eigenen Sicherheit verstärkte sich nachhaltig durch diesen „Yom Kippur-Krieg“, während der Krieg gleichzeitig einmal mehr den arabischen Nachbarn Israels eindrucksvolle militärische Schlagkraft demonstrierte. Washington erzielte damit in beiderlei Hinsicht einen Nutzen. Zusätzlich erlaubte der sprunghaft gestiegene Ölpreis dem Schah von Persien den Kauf fortgeschrittener Waffentechnik; der US-militärisch-industrielle Komplex erzielte dadurch hohe Gewinne. Er stärkte damit seine Rolle als Washingtons nahöstlicher Verbündeter an der östlichen Flanke der arabischen Halbinsel und komplettierte damit die Reihen der anderen Verbündeten: Israel im Westen – bald gemeinsam mit Ägypten – und die Türkei im Norden. […]

 

Washingtons politisches Hauptziel im Nahen Osten bestand in den 1970ern darin, seine Fähigkeit zu demonstrieren, eine regionale Pax Americana zu etablieren. Anders gesagt, die USA wollten zeigen, daß sie Israel genügend Konzessionen abringen konnten, damit die Staaten, die eine US-Oberherrschaft akzeptierten, dem anhaltenden Kriegszustand, der ihre Ressourcen aufbrauchte, ohne Gesichtsverlust entgehen konnten. Die von Henry Kissinger entwickelte Strategie zielte auf eine Reihe separater Abkommen, angefangen mit einem ägyptisch-israelischen Abkommen. Er hoffte, damit zu verhindern, daß sich die arabischen Regierungen in gemeinsamen Verhandlungen gegenseitig in nationalistischem Eifer überbieten würden, wie er es in Genf nach dem Oktoberkrieg von 1973 erlebt hatte. Außerdem hatte dieses Vorgehen den Vorteil, daß Moskau außen vor blieb.

 

Nach dem Oktober/Yom Kippur-Krieg

 

In Washington kam man schnell zu dem Schluß, daß man – wollte man sein Ziel erreichen – die PLO als Haupthindernis für eine Belegung des arabisch-israelischen Konfliktes unter US-Vermittlung beseitigen mußte. Die PLO hatte sich in den Libanon zurückgezogen, wo sie erneut eine quasi-staatliche Machtbasis als Ersatz für jene etabliert hatte, die sie in Jordanien verloren hatte. Washingtons christlich libanesische Verbündete versuchten 1975, eine Situation zu provozieren, in der die libanesische Armee wie einst die jordanische eingreifen würde, um die Palästinenser matt zu setzen. Der Versuch schlug fehl und führte zu einem 15 Jahre andauernden Bürgerkrieg. In der ersten Phase des Krieges fiel die libanesische Armee auseinander und die US-Verbündeten wurden 1976 geschlagen. Die syrische Armee eilte dann, mit grünem Licht aus Washington und Israel, zu deren Rettung.

 

1977 siegte der Likud in den israelischen Wahlen zum ersten Mal in der Geschichte des zionistischen Staates. Die Situation entwickelte sich zu einem Patt, bis Sadat die aufsehenerregende Initiative ergriff und nach Israel reiste; damit brach er den arabischen Boykott, der seit der Gründung Israels bestanden hatte. Sadats Initiative zeigte, daß er für Loyalität mit Washington und eine Bündnis mit Israel alles aufs Spiel zu setzten bereit war. Sie führte 1978 zunächst zum Camp-David-Abkommen und 1979 zum israelischägyptischen Friedensabkommen. […]

 

Washington blieb nicht verborgen, daß der „Friedensprozeß“, der durch die israelischägyptischen Verträge in Gang gesetzt worden war, an der arabisch-israelischen Front in den frühen 1980er Jahren zum Stillstand gekommen war. Man reagierte damit, den israelischen Verbündeten „von der Leine zu lassen“ und die PLO zu attackieren, die man immer noch als Haupthindernis für die Etablierung einer Pax Americana ansah. Zu diesem Zeitpunkt waren die USA noch durch das Vietnam-Trauma paralysiert und befanden sich an einem Tiefpunkt ihrer imperialen Macht.

 

Der fünfte israelisch-arabische Krieg und die Rückkehr der US-Truppen

 

Durch seine Libanon-Invasion gelang es Israel 1982, einen entscheidenden Schlag gegen die PLO zu führen und sie zur Evakuierung der meisten Truppen und Kommandozentralen aus dem Land zu zwingen. Dieser fünfte israelisch-arabische Krieg ermöglichte sogar die erste Rückkehr von US-Truppen in den Nahen Osten – seit der Landung der Marines im Libanon 1958 und der Evakuierung der US-Basen in Dhahran (1962) und Wheelus (1970) – im Rahmen einer „multilateralen Eingreiftruppe“, die in Wirklichkeit aus Nato-Truppen bestand.

 

Die US-Intervention endete jedoch in einem doppelten Desaster: Zuerst zwangen die gegen USA gerichteten Selbstmordattentate diese zum übereilten Rückzug ihrer Truppen aus dem Libanon; zum „Vietnam-Syndrom“ kam also ein „Beirut-Sydrom“ hinzu. Zweitens mußte sich die israelische Armee zum ersten Mal bedingungslos aus einem besetzten Gebiet zurückziehen, einem Gebiet, das es in einem Krieg erobert hatte, der unpopulär wie nie zuvor war – auch in Israel selbst. Der israelische Rückzug vollzog sich in zwei Phasen. 1985 zog sich Israel in eine relativ schmale „Sicherheitszone“ im Südlibanon und dann im Jahr 2000 – unter dem Druck der bewaffneten Angriffe des libanesischen Widerstandes unter Führung der Hizbullah – aus praktisch dem gesamten Land zurück und ließ die lokalen Verbündeten der Besatzungsarmee zurück. […]

 

Die Intifada, die 1988 ihren Höhepunkt erreichte, hatte den palästinensischen Kampf derart zurück ins Zentrum der arabischen Politik gerückt, daß die Reagan-Administration 1988 offiziell Verhandlungen mit der PLO begann, ohne jedoch ein Ergebnis zu erzielen. Nach dem spektakulären Comeback der US-Hegemonie im Nahen Osten dank des Golfkrieges sah sich Washington gezwungen, seine Aufmerksamkeit einmal mehr auf den israelisch-palästinensischen Konflikt zu richten. Man erachtete es als notwendig, die zum Stillstand gekommene Politik der Durchsetzung einer Pax Americana, die nun dringlicher denn je geworden war, zu einem Zeitpunkt, da die US-Hegemonie einen Höhepunkt erreicht hatte und dringend durch eine Stabilisierung der Situation konsolidiert werden mußte, mit Nachdruck wieder aufzunehmen.

 

Wenige Monate nach dem offiziellen Ende des Irakkrieges eröffnete George H. W. Bush eine israelisch-arabische Friedenskonferenz in Madrid, die erste seit der Genfer Konferenz von 1974, die alle beteiligten Länder versammelte. Washington mußte Israels Likud-Premierminister Yitzak Shamir zur Teilnahme zwingen, denn Shamir war von der Idee, an einer Konferenz teilzunehmen, die zu einer regionalen Verhandlungslösung führen sollte, nicht begeistert. Er wußte im voraus, daß er die minimalsten Voraussetzungen für solch ein Abkommen würde ablehnen müssen, denn er zog die de facto, wenn nicht gar de jure Annektierung palästinensischen und syrischen Territoriums, das 1967 besetzt worden war, vor. Die Bush-Administration zwang den israelischen Premierminister zur Teilnahme, indem sie drohte, einen zugesagten Kredit von 10 Mrd. US$ zurückzuhalten. Die Shamir-Regierung brauchte das Geld dringend zur Integration der russisch-jüdischen Einwanderer, die entscheidend für die expansionistischen Pläne des Likud und die Sicherung seiner Überlegenheit an den Wahlurnen waren.

 

Nach Oslo

 

Im Gegensatz zu früheren Jahren zeigte die Phase der Spannungen zwischen den USA und Israel, daß der strategische Wert des zionistischen Staates in den Augen Washingtons abgenommen hatte. Eine schwächere US-Position im Nahen Osten hatte die strategische Bedeutung der Allianz mit Israel in den frühen 1960ern ansteigen lassen, während die massive direkte Präsenz von US-Truppen in der Region seit 1990 Israel tendenziell weniger bedeutsam für die Verteidigung von US-Interessen erscheinen läßt und die Forderungen der USA gegenüber seinem zionistischen Verbündeten wachsen läßt. […]

 

Die Abkommen von 1993 (und der israelisch-jordanische Friedensvertrag) ermöglichten es Israel, in sieben Jahren ebensoviel umzusetzen, wie es durch die Anwendung des Allon-Plans zwischen 1967 und 1993 erreicht hatte. Zwischen 1993 und 2000 verdoppelte Israel die Zahl der Siedler und intensivierte den Ausbau seines strategischen Netzwerkes (Straßen usw.) in den Gebieten, die es 1967 besetzt hatte.

 

In der Zwischenzeit blieben die Palästinenser, die in die Irre geführt oder von der Palästinensischen Autonomiebehörde in Schach gehalten wurden, relativ ruhig – bis sie nach und nach realisierten, wie sie betrogen worden waren und versuchten, mit allen verfügbaren Mitteln zu reagieren. Ihre Reaktion wurde zunehmend hoffnungsloser, dann verzweifelt, als Israel die Brutalität seiner Repressionen erhöhte und den Lebensnerv der Gebiete durch Blockaden lahmlegte. Israel versuchte willentlich, die Spannungen auf die Spitze zu treiben, um die Führung unter Arafat zu zwingen, die ihr zugedachte Aufgabe auszuführen, und ihr eigenes Volk zu unterdrücken. […]

 

Die zweite Bush-Administration muß – wie die erste – die regionale US-Hegemonie durch die Beseitigung aller Hindernisse für die Etablierung einer Pax Americana im Nahen Osten stabilisieren. Sie muß daher – wie ihre Vorgängerin – auf eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts hinwirken. Aus diesem Grund hat sie ihre Road Map vorgelegt und jedem in der Region deutlich gemacht, daß sie diese umzusetzen gedenkt. Gestärkt durch ihre neue, direkte Präsenz in der Region im besetzten Irak, hat die US-Administration noch stärker als 1991 erklärt, daß sie bereit ist, beträchtlichen Druck auf ihren israelischen Verbündeten auszuüben. Aber Sharon blockiert wie Shamir 1991. Er gibt vor, Washingtons Forderungen nachzukommen, in dem er geringe oder nur formale Zugeständnisse macht, die Palästinenser aber weiterhin provoziert. […] Je mehr die US-Besatzung des Irak zu einem Desaster wird, desto mehr wird die Bush- Administration Irak als Top-Priorität ansehen und daher versucht sein, nicht auf zwei nahöstlichen Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen.

 

Fußnoten

 

1. Trumans Parteinahme für Israel ging übrigens mit antijüdischen Ressentiments einher, wie seinen jüngst freigegebenen persönlichen Dokumenten zu entnehmen ist. Diese Enthüllung war ein Schlag für Trumans großen Bewunderer – und bedingungslosen Unterstützer Israels –, den Kolumnisten William Safire; vgl. „Truman’s Underdogs“, New York Times, 14.07.2003.

2. Diese Personen waren überrascht, daß ein republikanischer Präsident, George W. Bush, der im Jahr 2000 die knappe Mehrheit der jüdischen Stimmen und eine große Mehrheit der muslimischen Stimmen erzielte, eine beispiellose Zusammenarbeit mit der extremsten Regierung in der Geschichte des Staates Israel einging.

3. Dies ist eine viel zutreffendere Bezeichnung als “jüdische Lobby”. Das American Israel Public Affairs Comittee (AIPAC) nennt sich selbst bezeichnenderweise Amerikas Pro-Israel-Lobby.

4. Noam Chomsky, Fateful Triangle: The U.S., Israel and the Palestinians, 2. Auflage, Cambridge, MA 1999, S. 17, 22. In der gekürzten deutschen Ausgabe Offene Wunde Nahost. Israel, die Palästinenser und die US-Politik, Hamburg 2002 ist diese Passage nicht enthalten [Anm. d. Übers.].

5. Zahlenangaben zitiert nach Cheryl Rubenberg: Israel and the American National Interest: A critical Examination, Chicago 1986, S. 67, 96.

6. Im Vergleich der Effektivität der Militärhaushalte beider Armeen, ist jeder in die israelische Armee investierte Dollar um ein Vielfaches mehr wert als derselbe in die US-Armee investierte Betrag.

 

* Gilbert Achcar, ist Politikwissenschaftler (Schwerpunkt: Internationale Beziehungen) an der Universität 8 in Paris. Auszug aus seinem Buch: Eastern Cauldron, Islam, Afghanistan, Palestine and Iraq in a Marxist Mirror, Pluto Press London, 2004. Kürzungen mit Genehmigung des Autors. Aus dem Englischen von Anja Zückmantel.

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