Webmaster Geschrieben 19. November 2008 Teilen Geschrieben 19. November 2008 Warum lässt Gott Ungerechtigkeit zu? Eine philosophische Annäherung an die Problemstellung Die Frage „Warum lässt Gott Ungerechtigkeit zu?“ ist eine Frage aus der Moderne. Besonders in Zeiten der Kriege, der Naturkatastrophen oder anderen großen Unglücksereignissen wird diese Frage in der Gesellschaft öfters gestellt. Um diese populäre Frage zu beantworten, müssen wir zunächst einmal erwähnen, dass Begriffe wie „gerecht“ und „ungerecht“ subjektiv sind. Das heißt, sie werden von jedem Individuum anders aufgefasst. Jeder Mensch hat subjektive Vorstellungen von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. So hat jede Kultur und jede Gesellschaft ihr eigenes Gerechtigkeitsprinzip entwickelt. Was für das eine Volk als „gerecht“ gilt, muss nicht zwingend für das andere Volk auch gerecht sein. Dies führt zu einem Konflikt der Gedächtnisse, dass wir in einem Exkurs analysieren werden. 1.Exkurs: Dualität Mann kann in der Philosophie sogar soweit gehen und sagen, dass die Ungerechtigkeit gar nicht existiert. Dies möchte ich mit dem folgenden Beispiel zeigen: Mann kann verschiedene Arten von Hitze haben, mehr Hitze, Super-hitze, Mega-hitze, Weiße Hitze, ein wenig Hitze oder keine Hitze. Aber wir haben nichts, was sich “Kälte” nennt. Wir können 273 Grad unter Null erreichen, was bedeutet, dass keine Hitze vorhanden ist, aber wir können nicht weiter gehen als das. Es gibt nichts, wie Kälte, andernfalls müssten wir imstande sein weiter in die Kälte zu gehen als -273. Kälte ist lediglich ein Wort, dass wir verwenden um das nicht-vorhandensein von Hitze zu beschreiben. Wir können Kälte nicht messen. Wärme können wir in thermischen Einheiten messen, da Wärme Energie ist. Kälte ist nicht das Gegenteil von Wärme, sondern nur die Abwesenheit davon. (vgl. Sahinöz, 2005, S.162) So ist es auch mit der Dunkelheit. Dunkelheit ist nicht etwas, es ist nur die Abwesenheit von etwas. Wir können gedämpftes Licht haben, normales Licht, helles Licht, blitzendes Licht, aber wenn wir durchgehend keines haben, dann nennen wir es Dunkelheit. Das ist die Bedeutung, die wir verwenden um dieses Wort zu definieren. In Wahrheit ist Dunkelheit nicht. Wenn es wäre, dann wären wir fähig eine dünklere Dunkelheit zu machen. Es ist also das Prinzip der Dualität, um das es hier geht. So gibt es keine Ungerechtigkeit. Es ist vielmehr die Abwesenheit von Gerechtigkeit. Wenn wir uns nun nach diesem kleinen Exkurs der Fragestellung widmen, müssen wir zwingend versuchen, „gerecht“ zu definieren. Denn anderwärtig kann man, wie oben beschrieben, zu keinem Ergebnis kommen. Denn derjenige, der diese Titelfrage stellt, hat subjektiv gerecht und ungerecht schon im Unterbewusstsein definiert. So besagt unsere Definition von „ungerecht“, dass eine Person etwas, sei es materiell oder immateriell, das es verdient, nicht bekommt. Das Recht des Einen wird ihm also entnommen, so dass er nicht zu seinem Recht kommt, und so Ungerechtigkeit erlebt. Dieses Denkmuster geht auf die Logik von Plato zurück. Gleichzeitig wird etwas, was mit dem Rechtssystem eines Staates nicht übereinstimmt, als unrecht bezeichnet. Die Kultur eines Volkes spielt bei dem, was dann letztendlich gerecht und ungerecht ist, eine wichtige Rolle. Gerechtigkeit hat somit die soziologische Funktion, innerhalb menschlicher Beziehungen Werturteile zu ermöglichen. In unserem Fall geht es nun um die Frage, warum der Schöpfer in seiner Schöpfung „Ungerechtigkeit“, wie Kriege, Hungerstod usw. zulässt. Warum Er also, laut unserer Definition, z.B. Naturkatastrophen entstehen lässt, und so Millionen von Unschuldigen Menschen sterben. Auch hier müssen wir zunächst einmal auf die Schöpfung selbst eingehen. Der Schöpfer hat die Schöpfung erschaffen. Doch Er greift nicht in die Schöpfung oder in die Handlungen der Menschen ein. Wenn wir die Ungerechtigkeit, wie wir sie oben definiert haben, genauer betrachten, erkennen wir schnell, dass der Mensch die eigentliche Ursache der Tatsachen ist, die wir als ungerecht betrachten. Das heißt, der Mensch produziert durch verschiedene Mechanismen in der Gesellschaft Ungerechtigkeit. Somit ist nicht der Schöpfer, sondern der Mensch selbst die Ursache der Ungerechtigkeit. Der Islamgelehrte Said Nursi geht in seinen Werken ausführlich auf diese Fragestellung ein. In „Die Worte“ (2002, S.589) gibt er folgende Analogie: „So wie ein fauler Mann, der durch einen Regen, der sehr viele Aufgaben erfüllt, Schaden erleidet, nicht sagen kann, der Regen wäre keine Gnade.“ „Der Regen bewirkt unendlich viel, und alles, was er verursacht, ist gut. Wenn durch schlechtes Verhalten einige Leute Schaden aus dem Regen erleiden, können sie nicht sagen, die Erschaffung des Regens wäre keine Gnade. Sie können nicht behaupten, der Regen wäre eine schlechte Tat des Schöpfers. Vielmehr wurde der Regen für sie zu etwas Schlechtem aufgrund ihres schlechtem Verhalten und ihres Begehrens. Auch liegt großer Nutzen durch die Erschaffung des Feuers. Alles davon ist gut. Wenn einige Leute durch das Feuer Schaden nehmen, indem sie es missbrauchen oder indem sie in schlechter Weise etwas dadurch erwerben möchten, so können sie nicht sagen, dass die Erschaffung des Feuers böse wäre, denn es wurde nicht allein dafür geschaffen, sie zu verbrennen. Vielmehr geschieht es, dass sie sich durch falsches Verhalten beim Kochen der Speisen ihre Hände am Feuer verbrennen und sich so diesen Knecht zum Feind machen.“ (Nursi, 2004, S.80-81). Die Herstellung von Schneidewerkzeugen wie Messer ist also keine Ungerechtigkeit, nur weil einige wenige es als Waffe benutzen. Doch warum lässt der Schöpfer diese vom Menschen produzierte Ungerechtigkeit zu? Die Antwort auf diese Frage steckt in dem Schicksalsbegriff. Deshalb machen wir nun noch einmal einen Exkurs. 2.Exkurs: Schicksal „Der Schicksalsbegriff ist der am meisten falsch verstandene Begriff. Schicksal ist nicht die Kontrolle durch Gott. Es ist keine Steuerung des Menschen mit einem Joystick. Es ist keine Vorprogrammierung. Der Mensch ist frei in seinen Entscheidungen. Dies wird von vielen falsch verstanden, was zu einer Aussage wie: „Ich kann doch nichts für meine Kriminalität. Gott hat mein Schicksal so geschrieben!“ führen kann. Der Determinismusgedanke, nämlich dass das menschliche Wollen vollständig durch Gott bestimmt und bewirkt ist, ist nicht akzeptabel, denn so verliert alles seinen Sinn. Weder das Universum noch die Erschaffung des Menschen und dessen Prüfung hätten einen Sinn. Es wäre alles eine reine Verschwendung. Schicksal ist vielmehr die Vorhersehung Gottes. Es ist Gottes Vorauswissen über alles Zukünftige und dessen Verwirklichung bei gleichzeitiger Willens- und Handlungsfreiheit des Menschen. Der Schöpfer kennt zu jedem Zeitpunkt alle Beziehungen zwischen den Teilen des Universums.“ (Sahinöz, 2005, S.133) Der Schöpfer kontrolliert also die Taten der Menschen nicht. Denn nur so kann Er sie nach der Auferstehung zur Rechenschaft ziehen. Alles, was der Mensch hier auf Erden als Tat vollbringt, sei es gerecht oder ungerecht, wird im Jenseits seine Bestrafung oder Belohnung erhalten. Würde der Schöpfer direkt in seine Schöpfung eingreifen, hätte das Leben keinen Sinn. Denn dann wäre es eine sinnlose Erschaffung. Vielmehr wird die Menschheit durch ihre Taten in gerechte oder ungerechte aufgeteilt, so dass die Gerechten ihre Belohnung im Jenseits erhalten. Nachdem nun geklärt ist, dass der Schöpfer keine Ungerechtigkeit auf Erden begeht, widmen wir uns einer Frage, die sich immer wieder in dieser Diskussion stellt. Es ist die Frage nach der Hölle. In der Tat erscheint die Hölle als eine Ungerechtigkeit des Allbarmherzigen Schöpfers. Doch bei näherer Betrachtung werden wir sofort erkennen, dass dem nicht so ist. Man stelle sich hierfür die Gefängnisse vor. In jedem Land gibt es Gefängnisse. Ohne dieses Einrichtungen würde in einem Land nur Anarchie herrschen. Jeder wäre ein potentieller Verbrecher. Daher sind Gefängnisse außerordentlich wichtig. Sie sichern unser gesellschaftliches Leben. Niemand käme auf die Idee zu behaupten, dass der Staat ungerecht ist, weil es Gefängnisse gibt. Dem gleich ist die Hölle. Die Hölle ist kein „Spielplatz“ des Schöpfers. Der Barmherzige Gott „schmeißt“ kein Individuum in einen bratenden Kessel. Vielmehr entscheiden die Taten eines jeden Individuums, ob es in die Hölle kommt oder nicht. So, wie ein Straftäter wegen seinen eigenen Handlungen ins Gefängnis kommt, und nicht der Staat wild entscheidet, wer ins Gefängnis soll. Um es auf den Punkt zu bringen. Mit Seiner Barmherzigkeit ist der Schöpfer Einzigartig. Er ist frei von Ungerechtigkeit und wird jedem Menschen das geben, was es verdient. Cemil Sahinöz Literatur: * Nursi Said: Die Briefe. Über Natur und Ziel des Menschen, des Lebens und aller Dinge. Sözler: Istanbul, 2004 * Nursi Said: Die Worte. Nachdenkliches zum Koran. Sözler: Istanbul, 2002 * Sahinöz Cemil: Wer Bist Du? Die Reise des Menschen. 2.überarbeitete Auflage. Nesil: Istanbul, 2005 Publiziert in Ayasofya Nr.16, 2006, S.46-48 Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
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