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Von Martin Durm, ARD-Hörfunkstudio Kairo

Diese Tage in Ägypten haben Momente gebracht, die man nicht mehr vergisst: Eine Millionen Menschen auf dem Midan al Tahrir, die vollkommen friedlich ein demokratisches Land verlangen. Der brennende junge Mann auf dem Midan al Tahrir, der vor unseren Augen als menschliche Fackel über den Platz lief, getroffen von einem Brandsatz des Mubarak-hörigen Mobs. Und der Gottesdienst auf dem Midan al Tahrir - Christen und Muslime halten Kreuze und Korane in ihren Händen und beten für das baldige Ende einer 30-jährigen Diktatur.

Was geschieht, ist so unglaublich

 

Was in diesem Februar im Zentrum der ägyptischen Hauptstadt geschieht, ist so unglaublich in dieser fast schon verloren gegeben arabischen Welt, dass es einen beschämt. Es ist, als widerlege diese ägyptische Demokratiebewegung so ziemlich alle Vorurteile und Theorien des Westens zum Nahen Osten: Dass große Gefahr von den Islamisten ausgeht, dass Mubaraks Ägypten die Region stabilisiert, dass die Araber zu fatalistisch, zu träge, und irgendwie auch zu unbegabt sind, um sich von ihren Machthabern zu befreien.

Ägyptens Revolution, die alle Schichten der Gesellschaft erfasst hat - Säkulare und Religiöse, Intelektuelle und Tagelöhner, Muslime und Christen - beweist gerade, wie sehr wir uns täuschten. Seit 14 Tagen sind Tag und Nacht Tausende auf dem Midan al Tahrir und stehen ein für das Recht, sagen zu können, was sie denken und wählen zu dürfen, wen sie wollen - nicht mehr, nicht weniger.

Demokratie - nur wenn sie passt

 

Diese Menschenrechte hat ihnen Hosni Mubarak 30 Jahre lang verweigert. Beim Niederhalten und Unterdrücken jedweder Opposition konnte sich der ägyptische Potentat auf das klammheimliche Wohlwollen des Westens verlassen. Solange Mubarak die Islamisten bekämpfte und den kalten Frieden mit Israel garantierte, solange zahlten, subventionierten, stützten Europäer und Amerikaner seinen omnipräsenten Machtapparat.

Für den Westen - das lernten wir vor ein paar Wochen am Beispiel Tunesiens und jetzt ein zweites Mal am Beispiel Ägyptens - ist Demokratie offenbar nur dann ein unverzichtbarer Wert, wenn sie die eigenen strategischen und ökonomischen Interessen bedient.

Ägyptens Opposition in den Rücken gefallen

 

Stabilität, neue Märkte, Energiesicherheit - das waren und sind noch immer die eigentlichen Prämissen westlicher Politik in der arabischen Welt. Damit das auch die letzten bescheuerten Idealisten kapieren, haben die Staatenlenker der EU und der USA bei der inzwischen berüchtigten Münchner Sicherheitskonferenz ohne großes Rumreden erklärt, worum es geht in Ägypten: Darum, einen sogenannten "geordneten Übergang" zu gestalten.

Das sei die "große Aufgabe" Mubaraks, sagten die Amerikaner. Andernfalls drohe ein Machtvakuum, assistierte Guido Westerwelle. Mit diesen Äußerungen haben die Sicherheitskonferenzler das wankende Mubarak-Regime von außen stabilisiert - und sind gleichzeitig Ägyptens Oppositionellen in den Rücken gefallen.

Die wollen zwar auch einen Übergang. Aber es soll einer sein, den nicht mehr ein korrupter Machthaber und seine Hofschranzen organisieren, sondern Personen, die das Vertrauen der Demokratiebewegung besitzen. Vizepräsident, Präsidialrat - vieles wird derzeit diskutiert. Aber mit altbewährter Unterstützung des Westens werden Mubarak und seine Gefolgsleute nun erst einmal Zeit schinden können. Zeit, um Macht und Pfründe zu sichern. Zeit, um die Opposition langsam mürbe zu machen.

Noch kein westlicher Politiker hat sich blicken lassen

 

Aber noch immer campieren Tausende auf dem Midan al Tahrir. Leute aus Armenvierteln bringen Lebensmittel, Ärzte kümmern sich um Erschöpfte, Schriftsteller rezitieren Gedichte. Zwei Stunden auf dem Midan al Tahrir genügen, um wieder an das Gute im Menschen zu glauben zu können. Bis heute hat sich noch kein westlicher Politiker blicken lassen an diesem Ort, keine Zeichen der Solidarität, keine Geste der Unterstützung.

Wenn Europa die einmalige arabische Demokratiebewegung allein lässt, rückt irgendwann die Armee an und räumt in einer Nacht alles weg. Die Dinge werden sich dann etwas ändern, um die gleichen zu bleiben.

 

http://www.tagesschau.de/kommentar/aegyptenundderwesten100.html

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