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Die Rechtsschulen des Islams

Die Rechtsschulen des Islams, bekannt als Madhabs, sind traditionelle Schulen der islamischen Rechtsprechung (Fiqh). Sie entwickelten sich nach dem Tode des Propheten Muhammed.

Die Rechtsschulen des Islams sind aus dem Bedürfnis entstanden, den Koran und die Hadithe – die primären Quellen des islamischen Rechts – auszulegen und anzuwenden. Nach dem Tod des Propheten Muhammad entstanden Fragen zur religiösen Praxis, die nicht direkt durch diese primären Quellen beantwortet werden konnte, z.B. wie man die Hände beim Gebet halten soll. Der Koran ist ja kein Bilderbuch. Die Gelehrten begannen dann, diese Fragen durch Ijtihad (unabhängige Rechtsfindung) zu beantworten, was zur Entwicklung verschiedener Interpretationen und rechtlicher Meinungen führte. Diese verschiedenen Ansätze kristallisierten sich schließlich in den Rechtsschulen heraus, die jeweils eigene Methodologien und Prinzipien der Rechtsfindung entwickelten.

Diese Schulen sind wichtig, um den Koran und die Hadithe zu verstehen, da sie unterschiedliche Interpretationsansätze und Rechtsmeinungen anbieten, welche die Anwendung der islamischen Lehre auf das tägliche Leben ermöglichen.

Die Rechtsschulen gehen also auf Fragen der religiösen Praxis ein, nicht auf die Glaubensinhalte. In diesen sind sie komplett identisch, da gibt es keine Meinungsunterschiede.

Die vier großen sunnitischen Schulen sind Hanafi, Maliki, Shafi’i und Hanbali. Sie erkennen jeweils die Gültigkeit der anderen an und haben über die Jahrhunderte in rechtlichen Debatten interagiert. Diese Rechtsschulen sind weltweit verbreitet und werden ohne regionale Einschränkungen befolgt, obwohl jede in verschiedenen Teilen der Welt dominant geworden ist. Beispielsweise dominiert die Maliki-Schule in Nord- und Westafrika, die Hanafi-Schule in Süd- und Zentralasien, die Shafi’i-Schule in Ostafrika und Südostasien und die Hanbali-Schule in Nord- und Zentralarabien.

Die Unterschiede zwischen den Schulen ergeben sich aus der Art und Weise, wie sie Quellen wie den Koran, die Hadithe und andere rechtliche Methoden interpretieren. Die Hanafi-Schule, gegründet von Imam Abu Hanifa (699-767), legt großen Wert auf Vernunft und Gemeinschaftsansichten. Die Maliki-Schule von Imam Malik (711-795) bevorzugt die Traditionen der Gefährten des Propheten Muhammad. Imam al-Shafi (767-820), Gründer der Shafi’i-Schule, betonte die Bedeutung der Traditionen des Propheten und formulierte explizit Regeln für die Etablierung des islamischen Rechts. Die Hanbali-Schule, die von Imam Ahmad bin Hanbal (780-855) begründet wurde, ist bekannt für ihre konservative Ausrichtung und besteht auf den wörtlichen Anweisungen des Korans und der Hadithe.

Über die selbstverständliche Entstehung der Unterschiede schrieb der Islamgelehrte Said Nursi folgendermaßen: „Entsprechend den Jahrhunderten ändern sich auch die Gesetze. Es können sogar in einem Jahrhundert verschiedene Gesetze und Propheten für verschiedene Völker kommen und sind sie auch gekommen. Aber nach dem Siegel der Propheten (Muhammed) waren unterschiedliche Gesetze nicht mehr nötig, da die große Gesetzgebung, die er brachte, in jedem Jahrhundert für jedes Volk ausreichte. Aber in Einzelheiten waren im gewissem Grade verschiedene Schulen nötig. (Beispiel:) Mit der Änderung der Jahreszeiten ändert sich auch die Kleidung. Je nach Temperament ändern sich ja die Medikamente. Genauso ändern sich die Gesetze je nach Zeitalter. Je nach den Fähigkeiten der Völker verändern sich die Anwendungen ihrer Gesetze. Denn in den Einzelheiten richten sich die Anwendungen der Gesetze nach den Haltungen der Menschen. Dementsprechend kommen sie und werden zu Heilmitteln. In den Zeiten der vorausgegangenen Propheten waren die Schichten der Menschen voneinander weit entfernt und ihre Art in gewissem Grade grob und ungestüm. Von ihren Vorstellungen her waren sie primitiv und standen dem Nomadenleben nahe. Daher kamen in ihrer Zeit unterschiedliche Gesetze, die ihrer Haltung entsprachen. Wir sehen sogar, dass sich auf einem Festland in demselben Zeitalter verschiedene Propheten und Gesetze befanden. Mit der Ankunft des Propheten der Endzeit (Muhammed) aber waren verschiedene Gesetze nicht mehr nötig, da die Menschen von der Stufe einer Grundschule zu der Stufe eines Gymnasiums fortgeschritten waren. Durch viele Umwälzungen und Vermischungen gelangten die Völker der Menschheit zu einer Reife, in der sie einen einzigen Unterricht bekommen, auf einen einzigen Lehrer hören und mit einer einzigen Gesetzgebung leben konnten. Danach wurden auch verschiedene Lehrer nicht für nötig gehalten. Da sie aber ein gleiches Niveau nicht vollständig erreichten und sich nicht eine gleiche gesellschaftliche Lebensweise übergestreift hatten, kamen verschiedene Rechtsschulen hervor. Wenn die absolute Mehrheit der Menschen, wie die Studenten einer Hochschule, die selbe gesellschaftliche Lebensweise überziehen könnten, ein gleiches Niveau erreichten, dann könnte man die Rechtsschulen vereinen. Aber da der Umstand der Welt diesen Zustand nicht zulässt, können auch die Rechtsschulen nicht eins werden“ (Nursi, 2002, S. 867ff).


Auf die Fragestellung, welche der Rechtsschulen den nun die richtige sei, antwortete Nursi: „Ein und dasselbe Wasser bekommt (laut der islamischen Rechtsfindung) fünf Bestimmungen für fünf verschiedene Situationen. Es ist dies folgendermaßen: Für den einen ist das Wasser ein Medikament je nach Art der Krankheit. Medizinisch ist es Vadjib (Pflicht). Für einen anderen aber ist es wegen seiner Krankheit so schädlich wie Gift. Medizinisch ist es für ihn Haram (verboten). Für einen anderen schadet es aber wenig. Medizinisch ist das Wasser für ihn Mekruh (unerwünscht). Für einen anderen nutzt es ohne Schaden. Medizinisch ist es für ihn Sunnah (Tradition des Propheten). Für einen anderen ist das Wasser weder schädlich noch nützlich. Er mag es mit Genuss trinken. Für ihn ist es Mubah (wünschenswert). Das Richtige hat sich hier ausgebreitet. Alle fünf Fälle sind recht. Kannst du sagen, dass das Wasser nur ein Heilmittel ist, nur Vadjib (Pflicht) ist und keine andere Bestimmung hat? Genauso wie dieses erscheinen die Gesetze Gottes in den Rechtsschulen entsprechend denjenigen, die sie befolgen, durch die Leitung der göttlichen Weisheit anders. Alle diese verschiedenen Variationen sind recht und richtig. Jede Variation wird auch richtig und passt der Sache“ (Nursi, 2002, S. 868).

Alle vier Schulen stimmen in den wesentlichen Aspekten des Islams überein und erkennen die Autorität des Korans und der Traditionen als ultimative Quellen des islamischen Rechts an. Unterschiede entstehen nur in Bereichen, in denen diese Quellen keine expliziten Anweisungen geben, wodurch die Schulen ihre unabhängige Argumentation nutzen.

Die Entwicklung dieser Rechtsschulen ist ein wesentlicher Aspekt der islamischen Geschichte und hat bis heute Auswirkungen auf die Rechtspraxis in der muslimischen Welt. Sie zeigen, wie Muslime seit Jahrhunderten versucht haben, ihre religiösen Texte zu interpretieren und auf das tägliche Leben anzuwenden.

Dr. Cemil Şahinöz

Literatur: Nursi S.: Worte. Vfjh e.V. Druck: Köln, 2002

Islamische Zeitung Juli 2024

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