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Künstliche Intelligenz, Sprache und Technologie

Eine islamische Betrachtung aus der Verantwortungsperspektive

In einer Zeit, in der Maschinen das Wort ergreifen und Algorithmen Gedanken formen, stehen wir als Menschheit an einem Wendepunkt. Die technischen Entwicklungen schreiten voran, schneller als viele begreifen. Doch aus islamischer Sicht ist nicht entscheidend, was technisch möglich ist, sondern was dem Gemeinwohl dient und gesellschaftlich verantwortbar ist. Technologie ist ein Werkzeug, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und jedes Werkzeug trägt in sich eine Verantwortung.

Sprache – Ein göttliches Geschenk

Im Koran heißt es: „Er hat ihn das klare Sprechen gelehrt“ (Koran, 55:4). Sprache ist keine bloße Funktion. Sie ist ein Zeichen göttlicher Ordnung. Der Mensch ist das einzige Wesen, dem der Schöpfer das bewusste Sprechen, das Formulieren von Gedanken und das Weitergeben von Wissen verliehen hat. Sprache ist Brücke, Ausdruck des Innersten und auch Verantwortung.

Wenn nun Maschinen beginnen, diese Sprache zu imitieren, wenn sie z.B. Gedichte schreiben, Gespräche führen oder Entscheidungen beeinflussen, dann nähern sie sich einem Bereich, der im islamischen Verständnis sensibel und verantwortungsvoll zu behandeln ist. Denn mit der Sprache wird auch die Wahrheit getragen. Wer spricht, trägt Verantwortung vor dem Schöpfer für jedes gesprochene Wort. Maschinen jedoch kennen keine Reue, keine Absicht, kein Herz. Sie können “sprechen“, aber sie können nicht verantworten.

Technologie als Prüfung, nicht als Ersatz

Technologie ist nicht haram, nur, weil sie neu ist. Im Gegenteil, der Islam fordert den Menschen auf, zu forschen, zu entdecken, zu verstehen. Aber er warnt auch vor Überheblichkeit, vor Maßlosigkeit und vor dem Vergessen des eigenen Platzes.

Die islamische Geschichte war stets geprägt von Fortschritt. Muslime forschten, entdeckten, erfanden, aus dem Glauben heraus, dass das Erforschen der Schöpfung ein Weg zu Gott ist. Doch nie war Fortschritt ein Ziel an sich. Technologie diente stets dem Menschen, nicht umgekehrt.

Heute jedoch erleben wir, dass viele der technischen Entwicklungen das Ziel aus dem Blick verlieren. Künstliche Intelligenz wird nicht mehr nur als Werkzeug verstanden, sondern als scheinbar unabhängiger Geist. Man delegiert Entscheidungen, Meinungsbildung, ja sogar Verantwortung an Programme. Dabei ist es der Mensch, der am Ende zur Rechenschaft gezogen wird, nicht der Algorithmus.

Der Prophet Muhammed sagte: „Jeder von euch ist ein Hirte, und jeder ist verantwortlich für seine Herde“ (Bukhari, 86, 7138). Das bedeutet: Auch wer Technologie einsetzt, bleibt verantwortlich für ihre Wirkung. Ob es das gesprochene Wort ist, das durch Künstliche Intelligenz erzeugt wird, oder ein Text, der im Namen eines Menschen veröffentlicht wird, die Verantwortung bleibt beim Nutzer.

Maß und Achtsamkeit statt blinder Fortschritt

Der Islam lehrt das rechte Maß. Alles hat seine Ordnung, sein Gleichgewicht. Auch die Nutzung von Technologien darf nicht ins Maßlose abgleiten. Wer alles von Maschinen erledigen lässt, das Denken, das Schreiben, das Sprechen, der stumpft innerlich ab. Er verliert das Gespür für Wahrheit und Echtheit.

Ein Text, der nicht aus einem menschlichen Herzen kommt, mag logisch klingen, doch ihm fehlt Tiefe. Ein Gespräch, das durch künstliche Mittel geführt wird, mag funktional sein, doch es bleibt seelenlos. Der Mensch jedoch ist kein bloßer Empfänger von Informationen, sondern ein fühlendes, verantwortliches Wesen. Deshalb darf er sich nicht damit zufriedengeben, Werkzeuge über seine ureigenen Gaben zu stellen.

Wahrhaftigkeit im Zeitalter der Maschinen

Im Islam hat Wahrhaftigkeit einen hohen Stellenwert. Der Prophet Muhammed wurde “Al Amin“ (der Wahrhaftige, der Vertrauenswürdige) genannt. Diese Eigenschaften müssen auch im digitalen Zeitalter bewahrt werden. Gerade dann, wenn Maschinen Informationen generieren, Inhalte verbreiten oder Stimmen nachahmen, braucht es den wachsamen, wahrhaftigen Menschen.

Wer aus islamischer Sicht handelt, fragt: „Was ist wahrhaftig, was ist aufrichtig?“ Maschinen sind nicht in der Lage, diese Unterscheidung zu treffen. Sie kennen keine Absicht (niyya) oder keine Aufrichtigkeit (ikhlas). Darum muss der Mensch die Führung behalten, nicht nur technisch, sondern vor allem moralisch.

Verantwortung vor dem Schöpfer, nicht vor Maschinen

Es wird eine Zeit kommen, und sie ist bereits da, in der die Grenzen zwischen Mensch und Maschine verschwimmen. Woher ein Text stammt, wer ein Bild erzeugt hat oder wessen Stimme spricht, ist oft nicht mehr zu erkennen. Doch im Islam gilt, dass jeder Mensch für das verantwortlich gemacht wird, was er tut, sagt, verbreitet oder schweigend hinnimmt.

Der Koran erinnert uns daran: „Und verfolge nicht das, wovon du kein Wissen hast. Gewiss, Gehör, Augenlicht und Herz, all diese, über all das wird Rechenschaft gefordert“ (Koran, 17:36). Künstliche Intelligenz und Technologie entbinden nicht von dieser Rechenschaft. Im Gegenteil, sie machen sie noch drängender. Denn wo menschliche Kontrolle nachlässt, wächst die Gefahr der Unachtsamkeit.

Ein gläubiger Mensch nutzt Technologie nicht, um sich zu ersetzen, sondern um sich zu stärken, im Guten, im Lernen, im Dienen. Er prüft seine Absicht, wägt ab, bleibt achtsam. Und er weiß, dass Alles, was er sagt oder sagen lässt, ein Gewicht bei seinem Schöpfer hat.

Schlusswort: Mensch bleiben in einer maschinellen Welt

In einer Welt, in der Maschinen sprechen, muss der Mensch lernen, mit Herz zu hören. In einer Zeit, in der Algorithmen Texte schreiben, muss der Gläubige lernen, mit Seele zu antworten. Nicht jede technische Möglichkeit ist ein Fortschritt. Und nicht jedes gesprochene Wort ist ein gutes Wort.

Die islamische Verantwortung liegt darin, Technologie nicht zu verteufeln, aber auch nicht zu vergötzen. Der Mensch bleibt das Zentrum. Er ist Träger des Wortes, Empfänger der Offenbarung, Bewahrer des Vertrauens. Maschinen mögen helfen, doch sie dürfen nicht führen.

Denn am Ende wird nicht gefragt, was eine Maschine gesagt hat, sondern was der Mensch damit gemacht hat.

Dr. Cemil Şahinöz, Islamische Zeitung, August 2025
https://islamische-zeitung.de/ki-sprache-technologie-eine-islamische-sicht/

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