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(02.01.2026) Moscheen als soziale Räume – eine Reise durch Raum, Zeit und Gemeinschaft

 

Wenn man durch die Gassen alter Städte in Ländern mit überwiegend Muslimen läuft, stößt man früher oder später auf eine Moschee. Nicht selten ist sie das Zentrum des Viertels. Kinder spielen auf dem Hof, Alte unterhalten sich an der Mauer, Jugendliche sitzen auf der Treppe. Die Moschee wirkt wie ein Magnet. Nicht, weil der Muezzin ruft, sondern weil sich dort Leben abspielt. Um diese Rolle zu verstehen, lohnt sich ein Blick zurück.

Der Anfang war mehr als Stein und Gebet

Die ersten Moscheen entstanden nicht in Form prachtvoller Bauten, sondern in der Schlichtheit des Hauses des Propheten in Medina. Es war ein einfacher Ort, mit Palmstämmen als Pfeiler und einem Dach aus Blättern. Aber er war mehr als ein Ort für Gebete. Dort wurde beraten, gelehrt, diskutiert, geheilt, aufgenommen und geschützt. Fremde Reisende fanden Unterschlupf. Streitigkeiten wurden geschlichtet. Der Prophet empfing Gesandte, unterrichtete seine Gefährten und kümmerte sich um die Armen.

Diese Funktion blieb kein Zufall. Sie war Ausdruck einer Idee, die Religion nicht vom Leben trennte. Das Geistige war nicht abgetrennt vom Sozialen. Moschee bedeutete nicht Rückzug, sondern Beteiligung.

Wachstum der Moschee – Spiegel wachsender Gesellschaften

Mit der Ausbreitung des Islam entstanden Moscheen in vielen Regionen. Architektonisch passten sie sich an die Gegebenheiten an. Ob in Andalusien, Istanbul oder Indien, das Minarett konnte unterschiedlich aussehen, doch die innere Struktur blieb ähnlich.

Was sich jedoch immer zeigte, war die Rolle der Moschee als öffentlicher Raum. In Kairo etwa, in der Al-Azhar, wurde über Generationen hinweg nicht nur gebetet, sondern auch unterrichtet. In Samarkand bot die Moschee Platz für Händler, Reisende und Schüler. In Damaskus gab es Nebengebäude für Bedürftige, Waisen und Kranke.

Die Moschee wurde also zum Ort des Alltags. Man heiratete dort, schloss Verträge, traf Entscheidungen.

Kolonialismus und Verdrängung des Sozialen

Mit der Kolonialzeit änderte sich vieles. In vielen Regionen versuchten die neuen Machthaber, Religion aus dem öffentlichen Leben zu drängen. Moscheen wurden auf ihre rituelle Funktion reduziert. Sie durften noch betreten werden, aber sie sollten nicht mehr verbinden. Bildung wurde aus ihnen herausgelöst, Wohlfahrt fremdbestimmt.

Dieser Bruch hatte Folgen. Moscheen wurden in manchen Regionen zu rein spirituellen Inseln. Die sozialen Funktionen verkümmerten. Die Gläubigen wurden zu Einzelnen im Gebet, nicht mehr zu einer Gemeinschaft im Leben.

Migration und Moscheen im Westen

Mit den muslimischen Migrationen nach Europa im 20. Jahrhundert kehrten viele Funktionen der Moschee zurück, aber in neuen Formen. Arbeiter in Deutschland oder Frankreich gründeten in Garagen, Kellern, leerstehenden Zugwagons und Lagerhallen erste Gebetsräume. Später entstanden richtige Moscheen.

Doch sie blieben nicht beim Gebet. Es wurde gemeinsam gegessen, gefeiert, gelernt. Nachhilfeunterricht für Kinder, Eheberatung, Deutschkurse, Flüchtlingshilfe. Die Moschee wurde wieder zum Ort, an dem Leben passierte.

Sie diente zur Identitäts- und Orientierungsstiftung in der Fremde und war ein Ort der Begegnung und der Lehre. Sie war wie eine Insel, die ein Stück Heimat bot (vgl. Utermann, 1995, S. 10). So konnte die Fremdheit und die Einsamkeit durch das Zusammenkommen der Muslime und durch das Bewusstmachen der Gegenwart Gottes vergessen werden.

Öffnung in die Gesellschaft

Es dauerte aber lange, bis der unsichtbare Islam der Väter durch den sichtbaren Islam der Söhne ersetzt wurde (Şahinöz, 2019, S. 143ff). Daher war die Moschee gleichzeitig auch eine Projektionsfläche. Wer sie nicht betrat, sah oft nur das Fremde. Viele Moscheen wurden nicht als soziale Räume wahrgenommen, sondern als Bedrohung oder Rückzugsort. Das lag auch daran, dass es zu wenig Dialog gab. Die Moscheegemeinde sprach selten die Sprache der Stadt, in der sie stand.

Die entscheidende Frage lautete damals: Bleibt die Moschee ein Innenraum für Eingeweihte oder öffnet sie sich für die Nachbarschaft? Die überwältigende Mehrheit der Moscheen in Europa öffnete die Türen, nicht nur jährlich am Tag der offenen Moschee oder zum Fastenbrechen, sondern auch für gemeinsame Veranstaltungen, Moscheeführungen und andere Begegnungen mit der Gesamtgesellschaft. Gegenwärtig gehen sie mit ihren Nachbarn offen und in Augenhöhe in den Austausch und helfen Bedürftigen, egal welchen Glaubens.

Ehrenamt als Herzstück der Moscheen

Doch diese Öffnung ist auch eine Herausforderung. Einige Moscheegemeinden stehen zwischen Erwartung und Überforderung. Denn eine Moschee, die soziale Aufgaben übernimmt, muss organisiert sein. Sie braucht Menschen, Zeit und Ressourcen.

Wer eine Moschee betritt, sieht vielleicht zuerst Teppiche, Bücher und Menschen beim Gebet. Was man auf den ersten Blick nicht sieht, ist das riesige Netz an freiwilliger Arbeit, das im Hintergrund alles zusammenhält. In kaum einem anderen Bereich ist das Ehrenamt so lebendig wie in den Moscheegemeinden. Fast alles, was dort passiert, geschieht aus Überzeugung, nicht gegen Bezahlung.

Da ist der ältere Herr, der jeden Morgen kommt und sauber macht. Die Frau, die samstags Kindern den Koran beibringt. Die Jugendlichen, die Events organisieren, Essen ausgeben oder Spenden sammeln. Es gibt Menschen, die unzählige Stunden investieren, um die Buchhaltung zu machen, Fahrdienste für Ältere zu übernehmen oder Beratungen anzubieten. Oft im Verborgenen, ohne viel Aufhebens.

Diese stille Kraft sorgt dafür, dass die Moschee lebt. Dass Kinder lernen können, dass Bedürftige Hilfe finden, dass Feste stattfinden und Räume gepflegt bleiben. Ehrenamt in der Moschee ist kein Zusatz, sondern das Fundament. Ohne es gäbe es keine Gemeinschaft, keine Struktur, kein Angebot.

Und was dabei entsteht, ist nicht nur Hilfe, sondern Verantwortung, Teilhabe und Sinn. Wer sich einbringt, wird gebraucht. Wer gebraucht wird, fühlt sich zugehörig. Genau darin liegt die integrative und soziale Kraft der Moschee. Nicht in der Architektur, sondern in den Händen derer, die sie mit Leben füllen.

Moscheen sind daher nicht bloß Orte des Gebets. Sie sind Spiegelbilder ihrer Gesellschaft. Nicht Gebäude mit Wänden, sondern Orte mit Türen. Türen, die man öffnet, nicht nur zum Himmel, sondern auch zueinander.

Dr. Cemil Şahinöz, Islamische Zeitung, Januar 2026
https://islamische-zeitung.de/deutsche-moschee-sind-mehr-als-steine/

Literatur

  • Şahinöz C.: Die Nurculuk Bewegung. Entstehung, Organisation und Vernetzung. 4. Auflage. BOD: Norderstedt, 2019

  • Utermann C.: Türkischer Islam in Deutschland. DPA: Hamburg, 1995

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