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Da ich einerseits in letzter Zeit öfters in die Milli Görüs Moschee in meiner Nachbarschaft zum Beten geh, andererseits aber die Vorwürfe in den Medien gegen M.G. auch nicht einfach an mir vorbeigehen lassen kann und ich sie hinterfragen möchte, hat das Buch natürlich gleich mein Interesse geweckt.

Der Titel "Nach dem Islamismus - Eine Ethnographie der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs" hat mich erst befürchten lassen, dass es sich dabei um die üblichen Vorwürfe gegen M.G. handelt, von wegen antisemitisch, auf einen Islamischen Gottesstaat aus, Veruntreuung von Geldern, vom Verfassungsschutz beobachtet usw.usf. - man kennt die Vorwürfe ja, ebenso wie die übliche Darstellung in den Medien.

Beim Durchblättern in der Buchhandlung wurde mir aber schnell klar, dass das Buch in eine etwas andere Richtung geht.

Im ersten Teil des Buches wird die Entwicklung von Milli Görus in Deutschland seit Anfang der 70er dargelegt, immer vor dem Hintergrund der jeweiligen Migrationsphase (Gastarbeiter, Familienzusammenführung, die Erkenntnis, dass man nicht mehr zurückkehrt bis hin zur Generation der in Deutschland aufgewachsenen Kinder), der Hoffnungen und Wünsche der Migranten und den entsprechenden politischen Entwicklungen in der Türkei.

Den weiteren Teil des Buches widmet der Autor vorwiegend der jüngeren Generation, - vielleicht nicht der jüngsten - denen, die durch das deutsche Bildungssystem gegangen und von ihm geprägt worden sind, für die Integrration auch nie ein großes Thema gewesen ist, da sie von Anfang an -auch- in der deutschen Gesellschaft zu Hause sind. Das Denken dieser Generation, die auch in den Führungsspitzen der M.G. engagiert sind, bezeichnet der Autor als "post-islamistisches" Denken (Wobei sich über Begriffe ja streiten läßt), das sich in vielen Dingen vom Denken der älteren Generation unterscheidet. Dem Autor ist dabei anzumerken, dass er sich nicht nur intensiv mit dem Islam auseinander gesetzt hat - da fehlen die üblichen Phrasen, Vorurteile und die Hetze vieler anderer Autoren - sondern auch gerade mit den Möglichkeiten des "Post-Islamismus" für die in Deutschland lebenden Muslime sympathisiert.

 

Da das Thema sehr komplex ist, gäbe es viel zu diesem Buch zu schreiben, am ehesten kann ich wenigstens in etwa die Richtung, in die es geht, durch einen -zusammengefassten- Auszug zumindest andeuten. So beginnt das Kapitel "Die Wiedergeweinnung des Religösen":

 

[/i]In den achtziger und neunziger Jahren tritt uns die IGMG als eine gfänzlich soziale Isntitution gegenüber - eine Institution, die gleichzeitig religiös, politisch, ökonomisch und sozial war. (...) Der enge Verbund all dieser Aspekte machte Sinn für eine Organisation, deren raison d'etre die Erlösung aus der Fremde bzw. die Vorbereitung einer Rückkehr in die Türkei war. Die konservative Haltung zur Religion, der politische Traum von der Umgestaltung der Türkei, der Wunsch, in eine islamische Wirtschaft zu investieren und die Bedeutung von Unterstützungsnetzwerken erklären sich alle daraus. Für die postislamistische Generation, die in den neunziger Jahren begann, die Führungspositionen zu übernehmen, sah die Welt (...) anders aus. Der Gedanke einer mit der Rückkehr verbundenen Erlösung war ihr fremd. Sie wollte ihre Religion in einer nichtislamisch geprägten Gesellschaft leben. Sie wollte in dieser Gesellschaft reüssieren. Die integristische Haltung, also die innere Durchdringung von Religion, Politik, Wirtschaft und Sozialem, wie sie für den Islamismus der ersten Generation charakteristisch war, entsprach nicht mehr der Alltagserfahrung. Sie erlebten diese gesellschaftlichen Teilbereiche prinzipiell als getrennt. Die Konsequenz für sie war der Versuch, die IGMG als reine Religionsgemeinschaft zu rekonstruieren.

 

Habe das Buch noch nicht ganz fertig gelesen, interessant sind aber z.B. auch der Diskurs über eine islamische Rechtssprechung, die dem Leben in Europa gerecht wird (Islam in Europa?Europäischer Islam?EuroIslam?) und auch der kritische Ansatz gegenüber der Darstellung von M.G. in den Medien und beim Verfassungsschutz. (Nach dem Motto: Einerseits wird von den Muslimen gefordert, sich zu integrieren, andererseit erschwert die schlechte Darstellung in Medien und Verfassungsschutz die Akzeptanz und damit auch die Möglichkeit, sich zu integrieren, oder sie verhindert sie sogar.)

 

Wie gesagt, ließe sich noch viel Schreiben zu dem Buch und es gäbe auch eine Menge Diskussionsstoff für dieses Forum. Deswegen, wer sich dafür interessiert, einfach selber Lesen.

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