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„Der Islam ist der Maßstab“...Mevlevis gibt es nicht mehr

 

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11.07.2007 In einem Interview mit der IZ spricht der berühmte Ney-Spieler Kudsi Erguner über die Grundzüge der Mevlevi-Tradition

„Der Islam ist der Maßstab“

Das Jahr 2007 ist auch das Jahr, in dem des 800. Geburtstages des großen Maulana Dschalaluddin Rumi gedacht wird. Insbesondere in der Türkei, aber auch in anderen Ländern wie Bosnien, erinnern sich die Menschen an das Lebenswerk des großen Meisters, der sowohl als Lehrer des islamischen Rechts (Fiqh) wirkte als auch ein Meister des Wissenschaft des Ihsans und der Liebe des Menschen zu Allah war. Es ist sicherlich nicht übertrieben zu sagen, dass er im Unsichtbaren die Grundlagen für die späteren Osmanen und ihr hochzivilisiertes Gemeinwesen legte.

 

Die Islamische Zeitung sprach aus diesem Anlass mit dem bekannten Musiker und Künstler Kudsi Erguner, der zurzeit in Paris lebt und sich seit langem mit den musikalischen Traditionen der Mevlevi-Tariqat, die von Rumi ins Leben gerufen wurde, befasst. Erguner erlernte das Nay-Spiel bei seinem Vater Ulvi Erguner und seinem Großvater Süleyman Erguner, die beide bedeutende Meister auf dem Instrument waren. Neben seiner Faszination des spirituellen Erbes und seiner persönlichen Erfahrungen in der Türkei spricht Erguner auch darüber, wie viel Kolonialismus und Kapitalismus an kulturellem Erbe in der muslimischen Welt bereits zerstört haben.

 

Islamische Zeitung: Anlässlich des 800. Geburtstages von Mevlana Dschalaluddin Rumi organisierte das türkische Kulturministerium ein Symposium. Dort haben Sie einen der interessantesten Vorträge gehalten mit dem Titel „Die Veränderungen der Mevlevis im Zuge der ‘Modernisierung’ der Türkei“. Können Sie diese Veränderungen kurz schildern? Was waren die Gründe für diese Veränderungen, und in welche Richtung gingen sie?

 

Kudsi Erguner: Mevlana zu lieben und ein Mevlevi-Derwisch zu sein, wird heute durcheinander gebracht. Schon während der Modernisierungsphase der Türkei gab es so etwas wie die Mevlevis nicht mehr. Wie allgemein bekannt, wurden 1925 die Tekken und Zawijas gesetzlich verboten und der Gesellschaft mit all ihren Traditionen, Lebensweisen und Akhlaq-Regeln wurde eine radikale Veränderung aufgezwungen. Ab diesem Zeitpunkt war die Mevlevi-Tariqa innerhalb der Türkei verboten, und auch die Angehörigen anderer Tariqas haben ihre Zugehörigkeit zu ihnen verborgen, weil es als etwas erniedrigendes angesehen wurde. Ich kannte einige aus den älteren Generationen, die die Zeit der offenen Mevlevihanes miterlebt haben. Saadeddin Heper Hoca von der Galata-Mevlevihane sagte immer über diejenigen, die nach dieser Zeit fragten, dass diese Angelegenheit zu Ende sei. Hartnäckigen Fragern gab er den Rat, von dieser Sache abzulassen. Neyzen Halil Can Hoca etwa kleidete sich wie ein katholischer Priester und sprach von der Notwendigkeit, den Din zu europäisieren. Wenn diese Generation zusammenkam, wurden nur einige wenige Anekdoten über diese Zeit erzählt - nichts weiteres. Das einzige, was übrig blieb vom Wissen dieser Zeit, ist das Buch von Abdulbaki Gölpinarli Hoca über den Adab und die Arkan der Mevlevis. Wie alle anderen Tariqas ist auch die Mevlevi-Tariqa eine Tariqa des Islam. Wir wissen alle, dass in den Traditionen der Tariqas nichts dem Din widerspricht. Anhand dem Werk von Ismail Ankaravi, in dem anhand von 40 Hadithen den Adab der Mevlevis erläutert werden, versteht man, dass alle Tariqas ihre Traditionen aus den Hadithen und Qur’an-Versen schöpfen, also ist der Islam der Maßstab. Heutige Artikel oder Bücher versuchen, ein falsches Bild zu vermitteln und das Gegenteil zu behaupten.

 

Islamische Zeitung: Es kursieren die unterschiedlichsten Vorstellungen von Mevlana. Es gibt Gesinnungen, die Mevlana als Humanisten, gar Pantheisten darzustellen versuchen. Kann man überhaupt von Mevlana sprechen, ohne vom Islam zu sprechen?

 

Kudsi Erguner: Im letzten Jahrhundert wurde versucht, alles aufzugeben, was nicht mit der westlichen Kultur oder dem Türkentum zu vereinbaren oder in Verbindung zu bringen war. Und dieses Prinzip gilt auch für Mevlana, sodass er dem Westen als Philosoph, Humanist und Pantheist dargestellt wird. Mit dem „Türkentum“ wurde er in Verbindung gebracht, indem die Mevlevis als eine Weiterentwicklung des Schamanentum präsentiert wurden, sodass Mevlana als Synthese zwischen Islam und Türkentum missbraucht wurde. In der letzten Zeit wird eine bestimmte, kurze Passage aus Mevlanas Gedichten aus dem Kontext gerissen, um ihn als Vertreter der Toleranz und des Weltfriedens darzustellen. Lange Zeit hatten linke Intellektuelle in der Türkei auch Yunus Emre entstellt und für ihre Zwecke ausgenutzt, heute fallen „aufklärerische“ Türken über Mevlana her. Keine einzige Tariqa und keinen einzigen Schaikh kann man vom Islam getrennt betrachten. Die Quelle des Tasawwuf ist die Liebe und Zugehörigkeit zum Propheten Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden schenken. Den Liebenden ist es nicht möglich, einen anderen Weg einzuschlagen als den des Geliebten.

 

Islamische Zeitung: In einem Buch schreiben Sie, dass „unter dem Deckmantel der Mevlevis in der Kette ‘Schari’a, Tariqa, Haqiqa und Ma’rifa’ die Schari’a entfernt werden soll“...

 

Kudsi Erguner: Die großen Lehrer haben die Tariqa immer mit einem Schiff verglichen und die Schari’a mit dem Meer. Ein Schiff ohne Meer ist albern und nutzlos. Kein Weg, der nicht den Din als Maßstab hat und sich danach ausrichtet, kann sich als Tasawwuf oder Tariqa bezeichnen. Und diese Leute können sich auch nicht auf Mevlana berufen. Das Wort Tariqa bedeutet „Weg“. Jeder Weg hat ein Ziel, eine Istiqama (Richtung). Im Islam ist die Istiqama der Tariqa der Tauhid, und das Befolgen der Sunna unseres Propheten. Sicherlich gibt es andere Wege, aber die Istiqama, die Ausrichtung ist eine andere, dann sollte man es aber auch nicht mit Mevlana in Verbindung bringen. Wenn man diese Fälschungen mit Mevlana in Verbindung bringt, ist dies eine Beleidigung von Mevlana und unseres Propheten, der Quelle, dem Ursprung aller Tariqas.

 

Islamische Zeitung: Diese Entwicklung, die Auflösung der Mevlevis, hat ja schon in der Endphase des Osmanischen Reiches begonnen. Kann das Verbot der Tekkes und Zawwijas als Grund für die Folklorisierung der großen Mevlevi-Tradition angesehen werden?

 

Kudsi Erguner: Die Mevlevis waren im Osmanischem Reich die Elite. Wir sehen, dass im 19. Jahrhundert viele Mevlevi-Größen in der Europäisierung ein Heilmittel sahen, um der Auflösung des Osmanischen Reiches zuvorzukommen. Diese Auffassung, diese Ideologie führte dazu, dass viele Mevlevi-Schaikhs, darunter die Celebis von Konya, in Freimaurer-Logen eintraten und ein Teil der säkularen Bewegung „Ittihad ve terakki“ wurden. Diese Entwicklung ging so weit, dass der letzte Celebi Konyas, Veled Izbudgin, 1925 als Abgeordneter des Parlaments das Gesetz mit unterschrieb, mit denen die Tekkes und Zawijas verboten wurde. Auch wenn sich die Menschen ändern, können bestimmte Institutionen bestimmte Werte bewahren. Die Mevlevi-Tekken haben als solche Orte über Jahrhunderte hinweg trotz der Veränderungen in der Gesellschaft diese Tradition bewahrt. Als jedoch auch diese geschlossen wurden, entstand eine Lücke von mindestens einem halben Jahrhundert. Die Überlieferungskette war unterbrochen. Bis in die 60er und 70er Jahre wurden die Mevlevis dem Volk vorenthalten und versucht, sie in die Vergessenheit zu treiben, sodass die große Wissenslehre das türkische Volk nicht mehr bereichern konnte. Jetzt ist eine „Wiederbelebung“ zu beobachten, die aber eine bloße Touristenattraktion ist, eine Art regionaler Folklore Konyas.

 

Islamische Zeitung: Wie bewerten Sie das Verhalten des türkischen Staates in diesem Fall?

 

Kudsi Erguner: Ich habe bis jetzt nicht beobachten können, dass die Türkei oder viele andere muslimische Staaten unabhängig sind und zum Vorteil ihrer Völker arbeiten. Ihr Verhalten und ihre Entscheidungen sind das Ergebnis dessen, was andere Staaten wollen. Jahrelang wurden während des sogenannten Kalten Krieges junge Menschen, denen vorgeworfen wurde, Kommunisten zu sein, in der Türkei verfolgt und getötet, nur um es unseren „befreundeten“ Staaten recht zu machen. Und aus demselben Grund werden wir nun „mevlevisiert“ oder „sufisiert“. Es wäre besser, wenn sich der Staat mit anderen Dingen beschäftigen würde…

 

Islamische Zeitung: Ist es möglich, die große Mevlevi-Tradition in der Türkei wiederzubeleben?

 

Kudsi Erguner: So etwas ist nicht mehr möglich. Die Mevlevis haben sich nicht unabhängig, getrennt von der Gesellschaft entwickelt. Sie sind innerhalb einer islamischen Gesellschaft, Gemeinschaft entstanden, und mit dem Ende dieser Gesellschaft sind auch sie zu Ende gegangen. Es gibt heute natürlich andere Haqiqa-Wege. Diese müssen nicht unbedingt Mevlevi-Wege sein. Aber die wahren Liebenden von Mevlana werden immer mehr. Das Zusammenkommen dieser Menschen wird einen Weg öffnen, so wie einzelne Wassertropfen zu einem Fluss zusammenfließen.

 

Islamische Zeitung: Vor einigen Wochen haben Sie im Rahmen der Istanbuler Kulturtage in Köln ein Konzert mit dem Titel „Goethes West-östlicher Divan“ gegeben. Teile aus Goethes Divan wurden in Mevlevi-Maqamen auf Deutsch gesungen. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

 

Kudsi Erguner: Die Türkei will Europa immer beweisen, wie europäisch sie doch sind. Dazu treten ständig auf Festivals türkische Pianisten auf, die Mozart spielen, oder türkische Popmusiker werden in der Vitrine ausgestellt, gar nicht zu sprechen von den Techno-Sufis... Ich frage mich, ist von unserer Vergangheit, unserer Zivilisation nichts mehr übriggeblieben? Auf diese meine Frage gibt Goethe die schönste Antwort! Die Welt braucht auch andere Kulturen als die des Westens. Aber leider ist nicht mehr viel übrig geblieben, weil erst der Kolonialismus und der Neokolonialismus und nun die Globalisierung beziehungsweise der Kapitalismus alles vernichtet haben, was nicht westlich und vermarktbar ist.

 

Islamische Zeitung: Lieber Herr Erguner, vielen Dank für das Interview.

 

Das Interview führte Eren Güvercin.

 

ws

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