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Siebenundzwanzigstes Wort

 

Eine Abhandlung über »Persönliche Meinungsfindung (Idjtihad)« *

 

(Eine Frage, die ich vor fünf, sechs Jahren in einer Abhandlung auf arabisch über Idjtihad verfasst hatte, wurde hier auf den Wunsch zweier meiner Mitbrüder geschrieben. Diese Frage über Idjtihad soll denjenigen, der seine Grenzen überschreitet, auf seine Grenzen verweisen.)

 

 

»Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen. Wenn sie es jedoch vor den Gesandten und vor diejenigen von ihnen bringen würden, die zu befehlen haben, würden diejenigen von ihnen es wissen, die der Sache wirklich nachgehen können.« (Sure 4, 83)

Das Tor der Idjtihad ist zwar offen, aber es gibt in dieser Zeit »sechs Hindernisse« um hindurch zu gehen.

 

Erstens: So wie im Winter, einer Zeit heftiger Stürme, auch die kleinsten Löcher abgedichtet werden, wäre es keineswegs vernünftig, Neue Tore zu öffnen. Ferner bestünde die Gefahr, zu ertrinken, schlüge man Löcher in die Wände, während draußen eine gewaltige Sturmflut wütet, um sie zu reparieren. Genauso ist es ein Verbrechen am Islam, in dieser Zeit, wo die Verbote Gottes unbeachtet bleiben, in der Ära, wo unislamische Gebräuche eindringen, in der Periode, wo abzulehnende Erneuerungen im Übermaß auftreten und Irrlehren Zerstörungen anrichten, unter der Bezeichnung »Idjtihad« aus dem Schloss »Islam« heraus neue Tore nach draußen zu öffnen, und in seine Wände Löcher zu schlagen, die den Zerstörern Einlass gewähren.

 

Zweitens: Was die beiden unabänderlichen Rechtsquellen (Qur´an und Sunna) im Glauben betrifft, so kann die Idjtihad sie nicht berühren. Denn sie sind endgültig und festgesetzt. Ferner sind diese Grundlagen lebensnotwendig wie Nahrungsmittel und Nährstoffe. Sie bleiben heute unbeachtet und werden erschüttert. Man soll heute die ganze Begeisterung und Anstrengung für deren Aufrichtung und Belebung aufwenden. Darüber hinaus sind die Lehrmeinungen aus den beiden anderen Rechtsquellen * des Islam bekannt, die die vorherigen Rechtsgelehrten durch ihre reine und aufrichtige Idjtihad erstellt hatten und die für die Bedürfnisse jeder Zeit nicht begrenzt sind. Sie zu übersehen und sich nach Lust und Laune neue Idjtihad zu bilden, ist ein ketzerisches Verbrechen.

 

Drittens: Je nach Jahreszeit ist auf dem Markt das Verlangen nach einer bestimmten Sache groß. Von Zeit zu Zeit wird je eine Ware marktgängig. Genauso findet in dem Ausstellungsort der Welt, auf dem Markt des gesellschaftlichen Lebens und der Zivilisation der Menschen in jedem Jahrhundert je eine Sache ihren Anklang. Auf den Straßen, das heißt, auf den Märkten werden diese Dinge ausgestellt und das Interesse daran geweckt. Die Augen wenden sich ihnen zu und die Gedanken beschäftigen sich mit ihnen. Zum Beispiel stehen in dieser Zeit politische Dinge, die Absicherung des weltlichen Lebens und das Interesse für Naturwissenschaft und Philosophie im Vordergrund. In dem vorausgegangenen Zeitalter der »Reinen« (selef-i salihin = die erste und zweite Schülergeneration) und auf dem Markt jener Zeit war die beliebteste Sache das, womit der Schöpfer der Himmel und der Erde mit uns zufrieden wird, und was Er von uns verlangt, aus Seinen Worten herauszufinden und die Mittel zu beschaffen, die die ewige Glückseligkeit in der jenseitigen Welt erwerben lassen, welche durch das Licht des Prophetentums und des Qur´an dermaßen weit geöffnet wurden, um sie niemals mehr wieder zu schließen.

Da in jener Zeit die Gedanken, Herzen und Gemüter mit all ihrer Kraft daraufhin ausgerichtet waren, Wünsche des Herrn der Erde und des Himmels zu erkennen, waren auch die Unterhaltungen, Gespräche, Geschehnisse und Zustände im Alltagsleben der Menschen dementsprechend. Und da alle Dinge in dieser Richtung ihren Lauf nahmen, konnte jeder, der dafür empfänglich war, auf schönste Weise in seinem Herzen und seiner Natur entsprechend von jedem Ding unbewusst eine Lehre, die ihm Erkenntnis brachte, empfangen. Er bildete sich durch die Zustände, Ereignisse und Gespräche, die in jener Zeit abliefen. Als wäre jedes Ding ein Lehrer für ihn, dient alles durch seine Beschaffenheit und seine Natur als Vorbereitung für seine Idjtihad. Dieser natürliche Unterricht war sogar ein solches Licht, dass jeder fast ohne Anstrengung die Fähigkeit zu seiner Idjtihad besaß, gleich einem Licht, das sich beinahe wie von selbst entzündete.

So erlebte, wer dafür empfänglich war und auf diese Weise einen natürlichen Unterricht empfangen hatte, das Geheimnis des »Licht über Licht« und konnte schnell und in kurzer Zeit einen eigenen Kommentar finden, sobald er begann, sich seine Idjtihad zu erarbeiten, da seine Fähigkeit schon gleichsam der Bereitschaft eines Streichholzes entsprach.

In dieser Zeit sind aber infolge der Vorherrschaft der europäischen Kultur, ihrer Naturwissenschaften mit ihrer Aufdringlichkeit und die erschwerten Lebensbedingungen auf Erden die Herzen und Gedanken (der Menschen) zerstreut, ihre Opferbereitschaft und Güte gespalten. Der spirituelle Bereich ist in ihrer Gedankenwelt zu einem Fremdkörper geworden.

 

Aus diesem Grund braucht jemand in unserer Zeit zehnfach mehr Zeit, um zu seiner Idjtihad zu gelangen, als zum Beispiel Sufyan ibn Uyaina, ein Exeget, der schon in seinem vierten Lebensjahr den ganzen Qur´an auswendig konnte und mit Gelehrten wissenschaftliche Dispute führte, und das selbst bei einer in etwa vergleichbaren Intelligenz! Benötigte also Sufyan noch zehn Jahre, um zu seiner Idjtihad zu gelangen, so benötigt dieser Mann nun hundert Jahre, um (die gleiche innere Reife) zu erlangen. Denn für Sufyan begann der Prozess der Selbstfindung ganz natürlich bereits im frühesten Alter der Selbstentdeckung. Allmählich entwickelten sich seine Fähigkeiten, entfaltete sich ein inneres Licht, begann er von all überall seine Lehren zu empfangen und (in der steten Bereitschaft und Entflammbarkeit seines Geistes) einem Streichholz gleich zu werden.

Was aber seinen Vetter in heutiger Zeit betrifft, so ertrinken seine Gedanken in der Philosophie, verliert sich sein Verstand in der Politik, berauscht sich sein Herz im irdischen Leben und er verliert die natürliche Fähigkeit zur Idjtihad. Er hat im Grade seiner intensiven Beschäftigung mit den modernen Wissenschaften mit Sicherheit die Fähigkeit zu der Idjtihad, Gesetze (aus dem Qur´an ableiten zu können) verloren und bleibt im Grade seiner vielseitigen Bildung in den weltlichen Wissenschaften hinter der Annahme der Idjtihad (eines aus dem Qur´an abgeleiteten Gesetzes) zurück. Deswegen kann er nicht sagen: »Ich bin genauso klug wie er. Warum sollte ich ihm nicht gleich sein.« Er hat kein Recht so zu sagen und er kann ihm auch nicht gleich kommen.

 

Viertens: Jedem Ding wohnt eine Tendenz inne, sich zu entfalten, damit es wachsen und gedeihen kann. Diese Tendenz, sich zu entfalten, dient, da sie von innen heraus wächst, der Vervollkommnung dieses Dinges und seiner Anlagen. Wenn aber diese Tendenz, sich zu entfalten, von außen angreifen würde, so hieße das, die Haut des Körpers zu zerreißen und zu zerstören und wäre dies keine Entfaltung. Ebenso entspricht es der Vervollkommnung, ist es Vollkommenheit, wenn solche, die, wie die Selef-i Salihin durch die Türe der vollkommenen Gottesfurcht und auf dem Weg der Befolgung Pflichten des Glaubens in das Gebäude des Islam eingetreten sind, die Neigung in sich verspüren, sich zu entfalten und den Willen zur Idjtihad haben.

Wenn aber anderenfalls dieses Bedürfnis, sich zu entfalten und dieser Wille, seinen eigenen Platz (im Leben) zu finden, von Leuten kommt, die aufgegeben haben, ihren Verpflichtungen nachzukommen, die das irdische Leben dem jenseitigen Leben vorziehen und von der materialistischen Philosophie besudelt sind, so heißt das, den Islamkörper zu zerstören und ist ein Mittel, die Kette des Gesetzes von ihrem Hals zu streifen.

 

Fünftens: Die drei (nachstehenden) Standpunkte verkehren die Idjtihad in heutiger Zeit ins Irdische, lösen sie aus ihrer himmlischen (Verankerung) heraus. Es ist aber die Scharia vom Himmel (herabgekommen) und auch die Idjtihad des Gesetzes ist im Himmel (verankert), da sie die verborgenen Gesetze des Himmels entschleiert.

 

Erstens: Die Weisheit hinter einer Bestimmung ist das eine, ihre Begründung das andere. Was die Weisheit und Zweckmäßigkeit betrifft, so begründen sie die Prioritäten, sind aber nicht der eigentliche Anlass zu einem Tun oder einem Unterlassen. Was aber die Begründung betrifft, so ist sie der eigentliche Anlass zu der Inkraftsetzung dieser Prioritäten. Zum Beispiel wird das Gebet auf Reisen gekürzt und werden nur zwei Reqat verrichtet. Die Begründung für diese Erlaubnis im Gesetz ist die Reise, die Weisheit dahinter aber liegt in den Anstrengungen (der Reise). Wird eine Reise unternommen und ist diese mit gar keiner Anstrengung verbunden, wird trotzdem das Gebet verkürzt. Denn die Begründung dafür ist gegeben. Wird jedoch keine Reise unternommen, sind aber hunderterlei Anstrengungen gegeben, fehlt eine Begründung für die Verkürzung des Gebetes. Nun stellt die Betrachtungsweise dieser Zeit aber, im Gegensatz zu dieser Tatsache, Zweckmäßigkeit und Weisheit an die Stelle einer (stichhaltigen) Begründung und bestimmt dementsprechend. Eine solche Idjtihad entspringt mit Sicherheit einer diesseitigen (weltlichen Gesinnung) und ist nicht jenseitig (himmlisch begründet).

 

Zweitens: Das Auge unserer Zeit ist hauptsächlich und vor allem auf irdisches Glück gerichtet. Auf dieses hin sind die Gesetze (unserer Zeit) ausgerichtet. Was hingegen das Auge der Scharia betrifft, so ist es hauptsächlich und vor allem auf das jenseitigen Glück gerichtet. Erst in zweiter Linie betrachtet es das irdische Glück und zwar als Mittel zum jenseitigen Glück. Das heißt, dass der Geist der Scharia dem Auge dieser Zeit fremd ist. Weil dies aber so ist, kann (sein Blick) nicht im Namen der Scharia zu einer Idjtihad hin führen.

 

Drittens: Es ist der Grundsatz

 

das heißt: »Eine Zwangslage hebt, was haram ist, auf die Stufe des helal.« Dieser Grundsatz ist aber nicht allgemeingültig. Wenn eine Zwangslage nicht durch einen verbotenen (haram) Weg zu Stande gekommen ist, so kann sie der Grund dazu sein, helal etwas zu machen, was haram ist. Wenn eine Zwangslage aber durch den Missbrauch der Handlungsfreiheit, durch (islamisch) illegale Gründe zu Stande gekommen ist, kann sie, was haram ist, nicht helal machen. Sie kann nicht zum Anlass dafür dienen, etwas rechtlich zu genehmigen, eine Entschuldigung darzustellen. Wenn zum Beispiel ein Mann seine Handlungsfreiheit missbraucht und sich in verbotener (haram) Weise betrinkt, so wird ihm alles Schlechte, das er in diesem Zustand begeht, nach (Meinung) der islamischen Rechtsgelehrten zur Last gelegt. Er wird nicht entschuldigt. Wenn er sich (in diesem Zustand) scheidet, gilt diese Scheidung und wenn er ein Verbrechen begeht, so wird er bestraft. Aber wenn sein Rauschzustand nicht durch den Missbrauch seiner Handlungsfreiheit zu Stande gekommen ist, so wird die Scheidung nicht rechtskräftig, bzw. er wird nicht bestraft.

Zum Beispiel kann einer, der von der Trunksucht befallen ist, nicht sagen »Es ist eine Zwangslage, es ist mir gebilligt,« auch wenn er im Grade einer Zwangslage davon abhängig ist. So gibt es denn in heutiger Zeit viele Situationen, die bereits den Grad einer Zwangslage erreicht zu haben scheinen, in der die Menschen gefangen sind und ihnen wie ein allgemeines Unglück vorkommen. Da diese durch den Missbrauch der Entscheidungsfreiheit aus (im Islam) nicht erlaubten Neigungen und aus verbotenen (haram) Handlungen herrühren, können sie kein Anlass zur Billigung (der Ausnahmezustände im islamischen Gesetz) sein und das Verbotene (haram) nicht als Erlaubtes (helal) geltend machen. Weil aber dahingegen die Leute (ehl-i Idjtihad) ihre Zwangslage zur Basis (ihrer Auslegung) der islamischen Gesetze machen, ist ihre Idjtihad erdgebunden, willkürlich, philosophisch, kann nicht himmlischen (Ursprungs) sein und entspricht nicht dem islamischen Recht. Indessen handelt es sich in Wirklichkeit um die Verfügung über die Gesetze Gottes, des Schöpfers der Himmel und der Erde und um eine Einmischung in Glaube und Gottesdienst Seiner Anbeter. Dergleichen Verfügungen und Einmischungen sind abzulehnen, insoweit es dazu keine vom Schöpfer autorisierte Erlaubnis gibt.

Aus zwei Gründen halten es manche Gottvergessenen für schön, wenn einige Kennzeichen des Islam, wie die Freitagspredigt (Hutbe) vom Arabischen gelöst und in der Sprache jedes Volkes gehalten wird.

 

Erster Grund: »Durch diese Weise soll die heutige Politik auch dem muslimischen Volk verständlich gemacht werden.« Was aber die heutige Politik betrifft, so ist in sie so viel Lug und Trug und Teufelswerk hineingeraten, dass sie bereits als Einflüsterung des Teufels gelten kann. Weil jedoch die Kanzel (minber) in der Tat ein Platz (maqam) ist, welcher der Verkündigung der göttlichen Offenbarungen (= Qur´an) geweiht ist, haben jene Einflüsterungen der Politiker kein Recht, zu diesen hohen Maqam emporzusteigen.

 

Zweiter Grund: »Die Freitagspredigt (Hutbe) ist dazu da, aus einigen qur´anischen Suren Rat zu geben und auszulegen.« Wenn das islamische Volk In der Tat die Pflichten, die allgemein bekannten Gesetze und Gebote des Islam in Mehrheit befolgt und in die Praxis umgesetzt hätte, dann könnte man vielleicht die Hutbe in der geläufigen Sprache halten und die Übersetzungen der qur´anischen Suren (wenn es möglich wäre *) gutheißen, sodass die Theorien in der islamischen Gesetzgebung und die feinsinnigen Themen und verborgenen Ratschläge (noch besser) verstanden würden.

Aber heutzutage werden Pflichten, wie das Gebet (namaz), die Almosensteuer (zekat), und das Fasten (orudj) und Verbote wie Mord, Unzucht und Alkohol, die allbekannten feststehenden Gesetze des Islam, vernachlässigt. Das einfache Volk braucht keinen Unterrichtet über die Gebote und Verbote (Gottes). Es braucht vielmehr die Ermunterung und Ermahnung, die sie an diese heiligen Gesetze wieder erinnert. Die Menschen haben eine Ader für den Islam und ein Gefühl für den Glauben und bedürfen der Anregung, der Erinnerung und der Ermunterung zu ihrer Beobachtung. Ein ungebildeter Mensch kann, wie unwissend er auch sein mag, aus dem Qur´an und der arabisch gehaltenen Predigt folgende kurze Bedeutung entnehmen. »Der Prediger und der Hafis (Qur´anrezitator) gemahnt an die Pfeiler des Glaubens und die Grundlagen des Islam, welche allen und so auch mir bekannt sind, unterrichtet sie uns und trägt sie uns vor.« So sagt er und es entsteht in seinem Herzen eine Begeisterung für sie. Welche Worte gibt es etwa im Kosmos, die den wunderbaren und allgemeinverständlichen Ermahnungen, Wiederholungen und Ermunterungen des Weisen Qur´an, der von dem gewaltigen Thron Gottes herabgekommen ist, gleichwertig sein könnten?

 

Sechstens: Die großen Exegeten unter den Selef-i Salihin lebten noch kurz nach dem Zeitalter der Gefährten des Propheten Mohammed, dem Zeitalter des Lichtes und dem Zeitalter der Wahrheit, konnten reines Licht empfangen und sich in Aufrichtigkeit ihre Idjtihad bilden. Was die Leute (ehl-i Idjtihad) heutiger Zeit betrifft, so schauen sie hinter dermaßen vielen Schleiern und aus einer weiten Entfernung in das Buch der Wahrheit, sodass sie selbst noch den am deutlichsten (sichtbaren) Buchstaben kaum mehr erkennen können.

 

Wenn du sagst: Die Sahabis sind auch nur Menschen und können nicht frei von Fehlern und Gegensätzen sein. Die Quelle ihrer Idjtihad und der Urteile über die islamischen Gesetze sind die Rechtschaffenheit und Aufrichtigkeit der Gefährten des Propheten, sodass die Umma (islamische Gemeinde) übereinstimmend sagt: »Die Sahabis sind in allen Dingen rechtschaffen und sprechen die Wahrheit.«

 

Antwort: In der Tat liebten die Sahabis in vollkommener Übereinstimmung das Recht, verlangten nach Aufrichtigkeit und sehnten sich nach Gerechtigkeit. Denn die Hässlichkeit allen Luges und Truges wurde in all ihrer Hässlichkeit und die Schönheit der Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit in all ihrer Schönheit so deutlich gezeigt, dass die Entfernung zwischen ihnen so groß war wie die zwischen dem Thron Gottes und der Erde. Zwischen ihnen erkannte man einen so großen Unterschied wie den, welcher zwischen der Stufe eines Müseylime Kezzab (= des Lügners), jener alleruntersten Stufe (Esfel-i Safilin) und der Stufe der Aufrichtigkeit des verehrten Propheten, mit dem Friede und Segen sei, jener höchsten Stufe besteht. In der Tat war das, was Müseylime zum Niedrigsten aller Niedrigen hinabstürzen ließ, die Lüge, wohingegen die Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit Mohammeds den Vertrauten, mit dem Friede und Segen sei, zum Ehrenwertesten aller Ehrenwerten emporsteigen ließ.

So ist es denn sicher und gewiss, zwangsläufig und ohne Zweifel, dass die Sahabis in der Erhabenheit ihrer Gefühle und ihrer Hochachtung ethischer Schönheit, erleuchtet durch die lichtvolle Unterhaltung mit der Sonne des Prophetentums, ihre Hände bewusst nicht nach dem Müllhandel mit der Lüge und Müseylimes Täuschung ausstreckten, welche so hässlich und der Grund zu seinem Sturz war. Sie schreckten vor der Lüge, einem Freund des Unglaubens, zurück, so wie sie vor dem Unglauben zurückschreckten und verlangten mit Bestimmtheit nach Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Rechtmäßigkeit, die so schön sind, (ein Grundstein) für Stolz und Ruhm und eine Leiter, um darauf emporzusteigen, fortzuschreiten, und die unter den hohen Schätzen, die der Stolz des Prophetentums sind, am meisten gefragt sind und durch den Glanz ihrer Schönheit dem menschlichen Zusammenleben ihr Licht verleihen, insbesondere bei der Überlieferung und Verkündigung der Bestimmungen der islamischen Gesetzgebung. Daran hielten sie sich von ganzem Herzen. Im Gegensatz dazu hat sich der Abstand zwischen Lüge und Recht in dieser Zeit so sehr verkürzt, dass sie nun sozusagen Schulter an Schulter stehen. Man geht ganz leicht von der Wahrheit zur Unwahrheit hinüber. Selbst in der Politik gibt man einer verlogenen Propaganda vor der Aufrichtigkeit den Vorzug. Wenn also nun in einem Laden minderwertige Ware zusammen mit erlesenstem Schmuck zum selben Preis verkauft wird, so wird sicherlich der Brillant der Aufrichtigkeit und Rechtmäßigkeit, ein Juwel der Wahrheit von sehr hohem Wert, im Vertrauen auf die Kenntnis und das Wort des Verkäufers blindlings nicht gekauft.

 

 

 

Schlusswort Entsprechend den Jahrhunderten ändern sich die Gesetze. Es können sogar in einem Jahrhundert verschiedene Gesetze und Propheten für verschiedene Völker kommen und sind sie auch gekommen. Nach dem Siegel der Propheten waren unterschiedliche Gesetze nicht mehr nötig, da die große Gesetzgebung, die er brachte, in jedem Jahrhundert für jedes Volk ausreichte. Aber in Einzelheiten waren in gewissem Grade verschiedene Schulen nötig. Mit der Änderung der Jahreszeiten ändert sich auch die Kleidung. Je nach Temperament ändern sich ja die Medikamente. Genauso ändern sich die Gesetze je nach Zeitalter. Je nach den Fähigkeiten der Völker verändern sich die Anwendungen ihrer Gesetze. Denn in den Einzelheiten richten sich die Anwendungen der Gesetze nach den Haltungen der Menschen. Dementsprechend kommen sie und werden zu Heilmitteln. In den Zeiten der vorausgegangenen Propheten waren die Schichten der Menschen voneinander weit entfernt und ihre Art in gewissem Grade grob und ungestüm. Von ihren Vorstellungen her waren sie primitiv und standen dem Nomadenleben nahe. Daher kamen in ihrer Zeit unterschiedliche Gesetze, die ihrer Haltung entsprachen. Wir hören sogar, dass sich auf einem Festland in demselben Zeitalter verschiedene Propheten und Gesetze befanden. Mit der Ankunft des Propheten der Endzeit waren verschiedene Gesetze nicht mehr nötig, da die Menschen von der Stufe einer Grundschule zu der Stufe eines Gymnasiums fortgeschritten waren. Durch viele Umwälzungen und Vermischungen gelangten die Völker der Menschheit zu einer Reife, in der sie einen einzigen Unterricht bekommen, auf einen einzigen Lehrer hören und mit einer einzigen Gesetzgebung leben konnten. Danach wurden auch verschiedene Lehrer nicht für nötig gehalten. Da sie aber ein gleiches Niveau nicht vollständig erreichten und sich nicht eine gleiche gesellschaftliche Lebensweise übergestreift hatten, kamen verschiedene Rechtsschulen hervor. Wenn die absolute Mehrheit der Menschen, wie die Studenten einer Hochschule, die selbe gesellschaftliche Lebensweise überziehen könnten, ein gleiches Niveau erreichten, dann könnte man die Rechtsschulen vereinen. Aber da der Umstand der Welt diesen Zustand nicht zulässt, können auch die Rechtsschulen nicht eins werden.

 

Wenn du sagst: Es kann nur eins richtig sein. Wie können verschiedene Bestimmungen solcher vier, sogar zwölf Rechtsschulen richtig sein?

 

Antwort: Ein und dasselbe Wasser bekommt fünf Bestimmungen für fünf verschiedene Kranke. Es ist dies folgendermaßen:

Für den einen ist das Wasser ein Medikament je nach Art der Krankheit. Medizinisch ist es Vadjib (Pflicht). Für einen anderen aber ist es wegen seiner Krankheit so schädlich wie Gift. Medizinisch ist es für ihn Haram (verboten). Für einen anderen schadet es aber wenig. Medizinisch ist das Wasser für ihn Mekruh (unerwünscht). Für einen anderen nutzt es ohne Schaden. Medizinisch ist es für ihn Sunnah (Nachfolge des Propheten). Für einen anderen ist das Wasser weder schädlich noch nützlich. Er mag es mit Genuss trinken. Für ihn ist es Mubah (wünschenswert). Das Richtige hat sich hier ausgebreitet. Alle fünf Fälle sind recht. Kannst du sagen, dass das Wasser nur ein Heilmittel ist, nur Vadjib (Pflicht) ist und keine andere Bestimmung hat?

Genauso wie dieses erscheinen die Gesetze Gottes in den Rechtsschulen entsprechend denjenigen, die sie befolgen, durch die Leitung der göttlichen Weisheit anders. Alle diese verschiedenen Variationen sind recht und richtig. Jede Variation wird auch richtig und passt der Sache. Zum Beispiel steht durch die Billigung der Weisheit Gottes die Mehrheit derjenigen, die Imam Shafi´i folgen, im Vergleich zu den Hanefiten den Dorfbewohnern und den Nomaden näher. Bei ihnen fehlt das gesellschaftliche Leben, das die Gemeinschaft zu einem einzigen Körper macht. Daher betet jeder die Sure Fatiha im Gebet hinter dem Vorbeter (flüsternd) für sich mit, damit jeder für sich vor der Schwelle dessen, der alle Bedürfnisse befriedigt, seine Angelegenheit gesagt und seine persönlichen Wünsche geäußert hat.

So ist es gerecht und entspricht der lauteren Weisheit, was diejenigen, die Imam A´zam folgen, betrifft, so stehen sie in Anbetracht der absoluten Mehrheit dem kulturellen Leben, den Stadtbewohnern, noch näher und sind für ein gesellschaftliches Leben fähig, da die meisten islamischen Regierungen diese Rechtsschule bevorzugten. Eine Gemeinschaft verkörpert sich in einer einzelnen Person und ein einziger Mann spricht im Namen aller. Die Allgemeinheit bestätigt ihn innerlich und knüpft mit ihm eine herzliche Verbindung und es gilt sein Wort als das Wort der Allgemeinheit. Daher wird nach Hanefitischer Rechtsschule hinter dem Vorbeter keine Fatiha (flüsternd) mit gebetet. Nicht mitzusprechen ist vollkommen richtig und entspricht der lauteren Weisheit.

Noch ein Beispiel: Da die Scharia, die islamische Gesetzgebung, nun einmal die eigenwillige Seele erzieht, errichtet sie vor den Überschreitungen der Temperamente eine Sperrmauer. Mit Sicherheit wird nach der shafi´itischen Rechtsschule, deren überwiegende Gefolgschaft Bauern und Halbnomaden und einfache Arbeiter sind, »durch die Berührung einer Frau deren Abdest (rituelle Waschung) ungültig. Schon ein wenig Unreinheit ist schädlich.«Nach der Hanefitischen Rechtsschule, der die Menschen folgen, die in der Überzahl ein gesellschaftliches Leben führen und eine halbzivilisierte Form zeigen, »macht die Berührung einer Frau den Abdest (rituelle Waschung) nicht ungültig. Ein wenig Unreinheit wird gebilligt.«

Nun wollen wir einen einfachen Arbeiter mit einem Herrn vergleichen. Ein Arbeiter kann wegen der Art, in der er sich seinen Lebensunterhalt verdient, mit fremden Frauen Umgang haben, und mit ihnen in Berührung kommen, sich um einen Herd zusammensetzen und schmutzige Arbeit verrichten. Dabei kann in seinem Berufsleben und (im Erwerb) seines Lebensunterhaltes sein Temperament und seine herrschsüchtige Seele eine freie Bahn erspähen und ihre Grenzen überschreiten. Darum lässt die Scharia in seinem inneren Ohr ein Echo vom Himmel klingen, um gegen seine Überschreitung eine Sperrmauer zu errichten, in dem sie über ihn bestimmt: »Der Abdest (rituelle Waschung) wird ungültig, meide den Berührungskontakt! Mach dich nicht schmutzig, es macht dein Gebet ungültig!« Was aber einen Herrn betrifft, der ehrenhaft sein soll, so braucht er wegen der gesellschaftlichen Sitten und im Namen der allgemeinen Moral mit fremden Frauen keinen Umgang zu haben. Aus der Verpflichtung zur Sauberkeit als ein Zivilisierter muss er nicht in diesem Grade schmutzige Arbeiten verrichten. Darum verhält sich die Scharia durch die Hanefitische Rechtsschule ihm gegenüber nicht heftig und streng. Sie zeigt ihm die Richtung der Billigung und macht es ihm leichter. »Wenn deine Hand mit einer Frau in Berührung gekommen ist, wird dein Abdest nicht ungültig. Es ist dir nicht nachteilig, wenn du dich nach einer Schmutzarbeit vor den Menschen schämst und dich nicht wäschst. Ein wenig Unreinheit wird gebilligt.« So sagst sie ihm und rettet ihn vor dem Zweifel.

Hier sind als Beispiel für dich zwei Tropfen aus dem Meer… Vergleiche diese mit anderen. Mit (Hilfe des Buches) »Scharanis Waage« kannst du die Maße der Scharia auf diese Weise messen, wenn du dazu imstande bist.

 

 

»Gepriesen seist Du! Wir haben kein Wissen, außer dem, was Du uns gelehrt hast. Denn Du bist der Allwissende, der Allweise.« (Sure 2, 32)

»Oh Gott schenke Frieden und Segen dem, der in sich ein umfassender Spiegel der Erscheinung Deiner Schönen Namen ist und in dem so die Lichter Deiner Liebe zur Schönheit Deiner Eigenschaften und Deiner Namen erschienen sind. Da er das vollkommenste und wunderbarste unter Deinen Geschöpfen ist, so ist er auch der, in dem sich die Lichter Deiner Liebe zu der Kunstfertigkeit konzentrieren, die in Deinen Kunstwerken zum Ausdruck kommen. Er ist das Inhaltsverzeichnis der Schönheiten Deiner Ornamente und ein Musterbeispiel Deiner vollkommenen Kunstwerke. Da er durch seine Eigenschaften der wunderbarste in der Vollkommenheit Deiner Werke ist und der mit lauter Stimme die Schönheit Deiner Ornamente bekannt gibt und sie bewundert und als öffentlicher Ausrufer der Schönheit dient, die Du in Deinen Geschöpfen zeigst, kommen in ihm die Feinheiten Deiner Liebe zu Deinen Kunstwerken zum Ausdruck. Er besitzt mit Deinem Segen (fadl) alle anmutigen Eigenschaften und durch deine Gastfreundschaft (ikram) alle guten Sitten. In ihm vereinigen sich daher alle Arten Deiner Güte (ihsan) und Deiner Liebe. Er wurde ein hohes, ein treffendes Beispiel und ein Vorbild für alle Guten, Geduldigen, Gläubigen, Gottesfürchtigen, Reumütigen und Bekehrten, die Du im Qur´an erwähnst und die Du liebst, und alle Arten des Seins, die gelebt haben und die Du durch Deine Liebe geehrt hast. Er wurde sogar zum Bannerträger (imam) all derer, die Dich lieben und zu einem Meister aller von Dir Geliebten und das Oberhaupt Deiner Freunde. Ihm, seiner Familie, seiner Gefährten und allen Propheten, die seine Brüder sind, tausendmal Friede und Segen! Amen. Oh Barmherziger aller Barmherzigen!«

 

 

Anhang zum Siebenundzwanzigsten Wort

 

Dieser Anhang handelt von den Sahabis (Gefährten des Propheten)

Ich sage wie auch Maulana Djami gesagt hat:

 

 

»Wie könnte es denn sein, dass ich nicht ins Paradies gehen sollte, so wie auch der Hund der Ashab-i Kehf (= die Siebenschläfer) mit der Schar Deiner Ashab (= die Sahabis) . Wie könnte das sein? Sollte denn er ins Paradies kommen, ich aber zur Hölle fahren? Er war der Hund der Ashab-i Kehf. Ich aber bin der Hund Deiner Ashab.«

 

 

»Im Namen des Gepriesenen. Und fürwahr, es gibt kein Ding, das nicht lobend Ihn preist.«

»Im Namen Allahs, des Erbarmes, des Barmherzigen. Mohammed ist der Gesandte Gottes, und diejenigen, die mit ihm gläubig sind, sind den Ungläubigen gegenüber heftig, unter sich aber mitfühlend. Und so weiter bis zum Ende des Qur´anverses.« (Sure 48, 29)

Eine Frage, die ihr stellt: In manchen Überlieferungen heißt es: »In einer Zeit, in der ketzerische Erneuerungen Anklang finden, kann ein Teil der Reinen (= Heiligen) unter den Gläubigen und Gottesfürchtigen auf der Stufe der Gefährten des Propheten stehen oder selbst noch auf einer höheren.« Es gibt solche Überlieferungen. Sind diese Überlieferungen echt? Wenn sie aber echt sind, welche Wahrheit steht dann dahinter?

 

Antwort: Nach den Gesandten Gottes sind die Sahabis die edelsten des menschlichen Geschlechtes. Dafür ist die Übereinstimmung der Schule derer, die dem Vorbild des Propheten und seiner Gemeinde folgen, ein sicheres Zeugnis. Die echten unter diesen Überlieferungen handeln von den persönlichen Vorzügen. Denn einer, dem ein anderer (wegen seiner inneren Haltung) vorgezogen wird, kann wegen seiner besonderen Fähigkeiten oder hinsichtlich einer persönlichen Vollkommenheit bevorzugt werden. In Wirklichkeit können die Sahabis, die besonders hervorgehoben werden, weil der Herr sie am Ende der Sure al-Fath lobend erwähnt, und die das Lob und den Preis der Thora, des Evangeliums und des Qur´an erfuhren, hinsichtlich ihrer grundlegenden Vorzüge nicht erreicht werden. Unter sehr vielen Gründen und Weisheiten dieser Wahrheit wollen wir hier nur drei Weisheiten erklären, die drei Gründe beinhalten.

 

Erstens, Eine Weisheit: Das Gespräch mit dem Propheten war ein solches Elixier, dass einer, der es nur eine einzige Minute genoss, zu den Lichtern der Wahrheit gelangte, statt jahrelang auf dem geistigen Wege voranzuschreiten. Denn im Gespräch (sohbet) fand eine Angleichung, eine Widerspiegelung statt. Es ist ja bekannt, dass man durch Widerspiegelung und Befolgung dieses Großen Lichtes des Prophetentums auf eine Stufe von so gewaltiger Höhe emporsteigen kann. Ebenso kann der Diener eines Kaisers in seinem Dienst zu einer solch hohen Stellung emporsteigen, wie sie ein (Stammes)König nicht erreichen kann.

Es ist auf Grund dieses Geheimnisses, dass auch die bedeutendsten Gottesfreunde nicht den Rang eines Sahabis erlangen können. Selbst Gottesfreunde wie Djelale d-din al-Suyuti, der im wachen Zustand vielmals das Gespräch mit dem Propheten genossen hatte, konnten trotzdem nicht den Sahabis gleich kommen, auch wenn sie mit dem ehrenwerten Gesandten, mit dem Friede und Segen sei, in wachem Zustand zusammengetroffen waren und in dieser Welt durch ein Gespräch mit ihm geehrt worden waren.

Denn das Gespräch, das die Sahabis erlebten, hatte im Lichte des Prophetentums Mohammeds stattgefunden, mit dem Friede und Segen sei. Das heißt: sie hatten sich mit ihm als dem Gesandten Gottes unterhalten.

Was die Gottesfreunde betrifft, so erlebten sie ein Gespräch im Lichte der Gottesfreundschaft Ahmeds (Mohammeds), mit dem Friede und Segen sei, wenn sie den ehrwürdigen Gesandten, mit dem Friede und Segen sei, nach seinem Tod getroffen hatten. Wenn also der ehrwürdige Gesandte, mit dem Friede und Segen sei, vor ihren Augen Gestalt angenommen hatte, ihnen erschienen war, so geschah das unter dem Aspekt der Gottesfreundschaft Ahmeds (Mohammeds), mit dem Friede und Segen sei, nicht aber im Lichte seines Prophetentums. In Anbetracht dieser Tatsache ergibt es sich, dass sich diese beiden Gespräche so voneinander unterschieden, wie die Höhe der Stufe eines Gottesgesandten von der Stufe eines Gottesfreundes.

Was für ein lichtausstrahlendes Elixier das Gespräch mit dem Propheten war, wird verständlich, wenn ein Beduine, der so brutal und hartherzig war, dass er seine Tochter lebendig begraben konnte, zu dem Propheten kam und dieser ihn mit einem einstündigen Gespräch beehrte und dadurch eine so barmherzige Liebe empfing, dass er noch nicht einmal mit seinem Fuß auf eine Ameise treten konnte. Des Weiteren nahm ein unwissender wilder Mann einen ganzen Tag an dem Gespräch mit dem Propheten teil; dann ging er in Länder wie China oder Indien und diente dortigen kultivierten Völkern als Lehrer der Wahrheit und Wegweiser zur Vollkommenheit.

 

Zweitens, Ein Grund: Wie in dem Kapitel über Idjtihad aus dem »Siebenundzwanzigsten Wort« erklärt und bewiesen wurde, stehen die Sahabis (Gefährten des Propheten) in absoluter Mehrheit auf der höchsten Stufe der menschlichen Vollendung.

Denn in jener Zeit, in der die gewaltige Umwandlung durch den Islam zu Stande kam, wurden das Gute und das Wahre mit all ihren Schönheiten und das Böse und das Wahnhafte mit all seinen Hässlichkeiten erkannt und greifbar empfunden. Zwischen dem Bösen und dem Guten war eine so große Trennung und zwischen der Lüge und der Wahrhaftigkeit eine solch weite Entfernung zu Stande gekommen, wie zwischen dem Unglauben und dem Glauben, ja beide Seiten waren soweit entfernt wie die Hölle und das Paradies. Der öffentliche Ausrufer der Lüge, der Bosheit und des Irrtums war Müseylime, der Lügner, und seine Worte waren die eines Clowns. Mit Sicherheit haben die Sahabis, die von ihrem Wesen her erhabene Gefühle trugen, sich für eine Moral begeisterten und auf Ehre und Ruf großen Wert legten, nicht willentlich ihre Hände nach der Lüge und Bosheit ausgestreckt, um nicht auf die Stufe von Müseylime hinab zu stürzen.

Die Charakterzüge der Gefährten des Propheten verlangten danach, die höchsten Höhen der Vollkommenheit des Gottesgeliebten, mit dem Friede und Segen sei, der der öffentliche Ausrufer und ein Vorbild für Richtigkeit, Wohltat und Wahrheit war, zu betrachten und mit all ihrer Kraft und Begeisterung in diese Richtung zu laufen. Zum Beispiel geschieht es manchmal, dass die Menschen manche Dinge, die auf dem Markt der Kultur der Menschheit und in den Geschäften des gesellschaftlichen Lebens der Menschen fürchterliche Folgen und hässliche Spuren hinterlassen und wie ein tödliches Gift wirken, nicht kaufen, sondern sich sogar davor ekeln und mit aller Kraft davor weglaufen. Manche Gegenstände und geistige Dinge haben schöne Wirkungen und gute Werke zur Folge, die wie ein erquickender Heiltrank und wie ein Brillant die interessierten Blicke aller Menschen auf sich ziehen. Jeder will sie kaufen, soweit es ihm möglich ist. Genauso brachten Dinge, wie Lüge, Bosheit und Unglaube auf dem Markt des gesellschaftlichen Lebens der Menschen im Zeitalter der Glückseligkeit Ergebnisse, wie ewige Qual und gemeine Maskeraden, wie bei Müseylime, dem Lügner, zu Stande.

Daher ist es klar, dass die Sahabis, die sich für edle Eigenschaften und hohe Werte begeisterten, davor wie vor einem tödlichen Gift davonliefen und sie hassten. Es war unausbleiblich, dass es unter den Gefährten des Propheten, die von ihrem Wesen her rein und deren Charaktereigenschaften erhaben waren, aus ihrem ganzen Herzen, aus ganzer Seele und allen ihren Kräften eine große Nachfrage und ein heftiges Verlangen nach der Wahrheit und Wahrhaftigkeit und dem Glauben gab, was Ergebnisse, wie ewige Glückseligkeit hervor brachte und leuchtende Früchte, wie den ehrenwerten Gottesgesandten, mit dem Friede und Segen sei.

Nach jener Zeit verkürzte sich aber allmählich und immer mehr die Entfernung zwischen Wahrheit und Lüge, bis sie Schulter an Schulter standen. Es begann damit, dass beide im selben Geschäft verkauft wurden und auch die gesellschaftliche Ethik zerstört wurde. In der politischen Propaganda wurde die Lüge gut gehegt. Ja wie könnte es sich denn in einer Zeit, in der die abscheuliche Hässlichkeit der Lüge getarnt bleibt und in der die prächtige Schönheit der Wahrheit nicht zum Vorschein kommt, einer zutrauen, die Kraft, die Standhaftigkeit und die Gottesfurcht der Gefährten des Propheten in ihrer Gerechtigkeit, in ihrer Ehrlichkeit, in ihrer Erhabenheit und Wahrhaftigkeit erreichen zu wollen oder gar diese Stufe noch zu übersteigen. Hier möchte ich etwas erklären, was ich erlebt habe und was die oben erwähnte Angelegenheit gewissermaßen einigermaßen erhellt. Es ist dies wie folgt:

Da kam mir einmal der Gedanke, wie kommt es eigentlich, dass eine so außerordentliche Persönlichkeit wie Muhyi d-din al-Arabi die Sahabis nicht erreichen konnte? Später, während ich im Gebet

 

 

»Gepriesen sei der höchste Herr.«

rezitierte, enthüllte sich mir die Bedeutung dieses Wortes. Es zeigte sich mir nicht in des Wortes wörtlichster Bedeutung, aber einen Hauch dieser Wahrheit habe ich doch verspürt. Und ich sagte mir im Stillen: Ach könnte mir nur ein einziges Gebet, wie bei diesem einen Wort gelingen, es wäre besser als ein ganzes Jahr der Anbetung (ibadet). Nach dem Gebet (namaz) verstand ich, dass diese Erinnerung und dieses Erlebnis mir eine Lehre war, dass man die Stufe der Gefährten des Propheten im Gebet nicht erreichen kann. In jener gewaltigen, gesellschaftlichen Umwandlung, die durch die Lichter des weisen Qur´an zu Stande gekommen war, trennten sich diese Gegensätze in der Tat und entfernten sich immer mehr von einander. Die Bosheit mit all dem, was ihr anhaftete, mit all ihrer Finsternis und in all ihren Erscheinungsformen und das Gute und Vollkommene, mit all seinem Lichte und allem, was es bewirkt, gerieten in Gegensatz zueinander. In dieser Situation und in einer derart aufregenden Zeit brachte jedes Wort des Gedenkens und der Lobpreisung jede Schicht seines vollständigen Sinngehaltes jung und frisch zum Ausdruck. Alle Empfindungen und geistigen Feinheiten der Menschen wurden unter dem Getöse jener gewaltigen Umwandlung wachgerufen, sogar die Sinne wie Vorstellung, Traum und meditative Wahrnehmung konnten die unterschiedlichen Bedeutungen aus den Rezitationen zum Gottesgedenken und den Lobpreisungen in ihrem wachen Zustand nach ihrem Empfindungsvermögen empfangen und aufnehmen. So war es denn diese Weisheit, in der die Sahabis, deren Empfindungen und Sinne voll erwacht waren, diese gesegneten Worte sagten, welche Lichter des Glaubens und Gottesgedenkens beinhalten. Aus ihr erhielten sie ihre Bedeutung, sobald sie sie aussprachen und all ihre Sinne bekamen aus ihr ihren Anteil. Jedoch schliefen nach den großen Umwandlungen und revolutionären (Ereignissen jener Zeit) allmählich die Feinheiten ein und der Sinn für die Wahrheit versank in der Vergessenheit. Diese gesegneten Worte wurden so, gleich Früchten, allmählich vom Schleier der Gewohnheit überdeckt und verloren ihre Schönheit und Frische. An der Luft oberflächlicher Betrachtung trocknen sie beinahe aus, bis auf einen unbedeutenden Rest von Feuchtigkeit, sodass man den vorherigen Zustand nur noch dadurch wieder zurück gewinnen kann, dass man sie einer intensiven Behandlung durch tiefes Nachsinnen unterzieht. So geschieht es denn aus diesem Grunde, dass andere zu der Tugend und einem Rang (Maqam *), welchen ein Gefährte des Propheten in vierzig Minuten erreichte, erst in 40 Tagen, ja sogar erst in 40 Jahren gelangen kann.

 

Drittens, der dritte Grund: Wie im »Zwölften«, »Vierundzwanzigsten« und »Fünfundzwanzigsten Wort« bewiesen wurde, ist das Verhältnis des Prophetentums zur Gottesfreundschaft vergleichbar mit dem Verhältnis eines Spiegelbildes der Sonne zur Sonne selbst. Nun, so hoch der Geist des Prophetentums über dem Geist der Gottesfreundschaft steht, so hoch stehen notwendigerweise die Sahabis, welche Diener im Geiste des Prophetentums und die Planeten jener Sonne waren, über den Heiligen (Salih) aus dem Geiste der Gottesfreundschaft.

Was aber die größte Gottesfreundschaft betrifft, welche auf dem Erbe des Prophetentums und der Treue zu ihm beruht, welche die Gottesfreundschaft der Sahabis war, so kann sie, auch wenn ein Veli (= ein Sufi) sie erwirbt, dennoch nicht gleichwertig mit dem Maqam der Sahabis sein, welche die erste Reihe bilden. Wir wollen hier nun drei der verschiedenen Aspekten erklären, die diesen dritten Grund betreffen.

 

Erster Aspekt: Was die Idjtihad betrifft, das heißt, seine Meinung an Hand des Gesetzes herauszukristallisieren (istinbat-i ahkam), das heißt das Wohlwollen Gottes des Gerechten von seinem Wort her zu verstehen, so kann man heute den Gefährten des Propheten nicht gleich werden. Denn in der damaligen großen Umwandlung des Gottesbegriffes, drehte sich alles darum, den Willen des Herrn und die Gesetze Gottes zu verstehen. Alle Gedanken waren auf diese istinbat-i ahkam hin ausgerichtet. Die Herzen aller fragten sich interessiert: »Was ist es, was unser Herr von uns verlangt?«

Die Umstände jener Zeit brachten es mit sich, dass diese Gegebenheiten förmlich zu riechen und zu spüren waren. Alle Gespräche kreisten um dieses Thema als ihrem Inhalt. Da nun alles und jedes, Gespräche, Unterhaltungen und Erzählungen damals in der Weise verliefen, dass sie all diese Bedeutungen gewissermaßen unterrichteten, vervollkommneten sich deshalb die Fähigkeiten der Sahabis und ihre Gedanken wurden erleuchtet. Ihre Fähigkeit zu Idjtihad und Istinbat waren wie ein Streichholz (aufzuflammen) bereit und zu leuchten. Die Stufe seiner Istinbat und Idjtihad, die ein Sahabi damals an einem Tag oder in einem Jahr erworben hatte, kann daher ein Mann, der genauso klug und begabt wie diese Sahabis sein könnte, in heutiger Zeit in zehn ja sogar in hundert Jahren nicht erwerben.

Denn: Heute steht statt der Ewigen Glückseligkeit das irdische Glück im Mittelpunkt aller Betrachtungen. Die Aufmerksamkeit der Menschen ist auf andere Ziele gerichtet. Unterhaltssorgen aus Mangel an Gottvertrauen vernebeln den Geist, die materialistisch-naturalis-tische Philosophie schlägt den Verstand mit Blindheit. Gleich wie das soziale Umfeld des Menschen seinem Verständnis und seiner Begabung keine Kraft zur Idjtihad verleiht, so lässt sie diese vielmehr sich versprengen und zerstreuen. In dem Kapitel des »Siebenundzwanzigsten Wortes« über Idjtihad, wo Sufyan ibn Uyaina mit einem anderen, kongenialen Geist verglichen wurde, hatten wir bewiesen: Das, was Sufyan in 10 Jahren erworben hatte, kann ein anderer auch in hundert Jahren nicht erwerben.

 

Zweiter Aspekt: Den Makam der Sahabis hinsichtlich ihrer Nähe zu Gott kann man auf dem Wege der Gottesfreundschaft nicht erreichen. Denn Gott der Gerechte steht uns am nächsten und ist uns näher als alle Dinge (dieser Welt). Wir dagegen sind unendlich weit entfernt von Ihm. In Seine Nähe zu gelangen, ist auf zwei Arten möglich:

 

Erstens: Durch die Entfaltung des (Bewusstseins) göttlicher Nähe. Das Prophetentum ist auf eine solche Nähe ausgerichtet. Die Sahabis haben dieses Geheimnis durch das Erbe des Prophetentums und ihre Gespräche (sohbet) darüber in sich erfahren.

 

Zweitens: Dadurch, dass wir davon ausgehen, dass wir weit (von Gott) entfernt sind, und so die Stufenleiter (zu Ihm) emporsteigen, um endlich in gewissem Grade mit Seiner Nähe geehrt zu werden. Gewöhnlich fahren und segeln die meisten Reisenden, möge ihr Weg nun von innen nach außen (enfusi) oder von außen nach innen (afaqi) zur Gottesfreundschaft hinführen, in dieser Weise.

Die erste Art ist reine Gottesgabe und kein menschliches Verdienst, alles geschieht durch die Anziehungskraft Gottes und Sein Erbarmen, (ist eine Umwandlung in den) Geliebten Gottes (Mahbub). Dieser Weg ist kurz und bestimmt (metin), sehr hoch, sehr rein und ohne Schatten. Die andere ist ein menschliche Leistung, langwierig und umdüstert. Auch wenn es dabei viel Wunderbares und Erstaunliches zu erleben gibt, kann diese (zweite Art) von ihrem Wert her die erste nicht erreichen.

Es gibt zum Beispiel zwei Wege, von heute ausgehend den gestrigen Tag zu erreichen.

 

Erstens: Sich von dem Lauf der Zeit unabhängig machen, mit einer heiligen Kraft über die Zeit hinaus steigen und den gestrigen Tag so gegenwärtig erleben wie den heutigen.

 

Zweitens: Diese Entfernung von einem Jahr durchreisen und am Ende zum Gestern gelangen. Doch wiederum lässt sich das Gestern nicht festhalten. Es verlässt (den Reisenden) und zieht weiter.

Genauso gibt es auch zwei Möglichkeiten, wie man vom äußerlichen Anschein zur Wahrheit hinüber gelangen kann.

 

Erstens: Indem man sich unmittelbar von der Ausstrahlungskraft der Wahrheit anziehen lässt, um die Wahrheit unmittelbar innerhalb des äußeren Scheins zu entdecken, ohne erst das Zwischenreich (berzah) des mystischen Weges (tariqat) zu betreten.

 

Zweitens: Indem man über viele Stufen des geistigen Weges emporsteigt. Den Leuten der Gottesfreundschaft (Mystiker) gelingt es zwar, ihre Begierden auszulöschen und ihr eigenwillige Seele zu töten, doch können sie wiederum den Sahabis nicht gleich kommen, denn die Seelen der Gefährten des Propheten waren geläutert und gereinigt. Daher erfuhren sie durch viele natürliche Anlagen, die im Wesen ihrer Seelen liegen, die verschiedenen Möglichkeiten der Anbetung Gottes und die unterschiedlichen Arten des Dankes und der Lobpreisung. Nach der Vernichtung der Begierde gehen diese Methoden der Anbetung der Gottesfreunde (Mystiker) in Routine über.

 

Dritter Aspekt: Hinsichtlich der vorzüglichen Taten und der verdienstreichen Handlungen (sevab) und hinsichtlich der besonderen Eigenschaften, die das jenseitige Leben betreffen, kann man die Sahabis nicht erreichen. Denn wie ein Soldat unter besonderen Umständen durch eine Stunde Wache stehen, unter Einsatz seines Lebens auf wichtigem Posten, soviel Segen erwerben kann wie durch ein Jahr Anbetung, so kann er auch, wenn ihn eine Kugel trifft, in einer Minute auf eine Stufe (makam) wie die eines Gottesfreundes emporsteigen, die man sie sonst erst nach mindestens 40 Tagen erreichen kann. Genauso waren die Verdienste der Sahabis in ihrem Aufbau des Islam, in der Verbreitung der Gesetze des Qur´an, in ihrer Bereitschaft, um des Islam Willen, einer ganzen Welt Widerstand zu leisten, so hoch, dass andere (die Verdienste einer einzigen) Minute nicht einmal in einem Jahr erwerben können. Man kann sogar sagen, dass alle ihre Minuten in diesem heiligen Dienst jener Minute gleichen, in der der Soldat den Märtyrertod erlitt. Alle ihre Stunden sind wie der Wachdienst eines opferbereiten Soldaten, der unter Lebensgefahr eine Stunde Wache hält. Die Mühe ist nur gering, ihr Lohn aber groß und ihr Wert erhaben. In der Tat stehen ja die Sahabis bei dem Aufbau des Islam und bei der Verbreitung der Lichter des Qur´an in der ersten Reihe. Daher wird ihnen von den (Verdiensten der) guten Taten der ganzen Gemeinde nach dem Grundsatz

 

 

»Derjenige, der veranlasst, wird genauso bewertet, wie derjenige der ausführt.«

ein Anteil zugeschlagen. Das Gebet, das die ganze islamische Gemeinde spricht,

 

 

»O Gott, gib Segen unserem Haupt Mohammed und seiner Familie und seinen Gefährten!«

zeigt, dass die Sahabis an den guten Taten der ganzen Gemeinde Anteil haben. Ferner wächst eine kleine Besonderheit, von der Wurzel eines Baumes ausgehend, in seinen Ästen mächtig heran und wird selbst noch größer als ein großer Ast. Ferner führt auch eine kleine Steigung am Anfang (eines Weges) mit der Zeit zu einer beträchtlichen Höhe. Überdies wächst sich manchmal eine Nadelspitze, in die Nähe einer Lichtquelle gebracht, in der Peripherie zu einem Schattenwurf von einem Meter Länge aus. Genau wie in diesen vier Beispielen sind die Sahabis die Wurzeln und Grundlagen des Lichtbaumes des Islam; des Weiteren stehen sie im Gebäude des Islams ganz in der Nähe der Quelle des Lichtes; des Weiteren gehören sie zu den Vorbildern in der islamischen Gemeinde und standen in der ersten Reihe ihrer Imame. Des Weiteren standen sie in der Nähe des Zentrums der Sonne des Prophetentums und der Leuchte der Wahrheit. Daher gilt bei ihnen auch eine geringe Mühe als viel, ein kleiner Dienst als groß. Um ihnen gleichen zu können, müsste man ein echter Sahabi werden können!

 

 

»Friede und Segen sei mit unserem Propheten, der sagte: Meine Gefährten sind wie die Sterne: wem ihr auch folgt, ihr werdet die rechte Leitung finden. Mein Zeitalter ist unter den Zeitaltern das segensreichste.«

»Gepriesen seist Du! Wir haben kein Wissen, außer dem, was Du uns gelehrt hast. Denn Du bist der Allwissende, der Allweise.« (Sure 2, 32)

Frage: Man sagt: Die Sahabis haben den ehrenwerten Gesandten persönlich gesehen und dann ein Bekenntnis ausgesprochen. Aber wir haben ohne ihn zu sehen das Bekenntnis ausgesprochen. Daher ist unser Glaube noch stärker. Zudem gibt es Überlieferungen, die die Stärke unseres Glaubens beweisen.

 

Antwort: Damals, als die öffentliche Meinung gegen die Wahrheiten des Islam war und sich gegen sie stellte, sahen die Sahabis den ehrenwerten Gesandten, mit dem Friede und Segen sei, nur in seiner menschlichen Gestalt und gelangten manchmal ohne Wunder zu solch einem Glauben, dass die ganze öffentliche Meinung der Welt ihren Glauben nicht erschüttern konnte. Nicht einmal den Schatten eines Zweifels konnten sie auf ihn werfen, oder ein kleines bisschen Argwohn in ihnen wecken. Ihr aber wollt die Stärke eures eigenen Glaubens gegen die Glaubensstärke der Sahabis in die Waagschale werfen. Obwohl die öffentliche Meinung aller Muslime euch Kraft und Zeugnis für euren Glauben gibt, und obwohl ihr den ehrenwerten Gesandten, mit dem Friede und Segen sei, nicht als einen Menschen leiblich vor euch gesehen habt, ihn, welcher der Kern des Tuba-Baumes seines prophetischen Auftrags war, sondern seine großartige geistige Persönlichkeit, erleuchtet mit allen Lichtern des Islam und mit allen Wahrheiten des Qur´an, umgeben von tausend Wundern, mit eurem Verstand betrachtet, beginnt auf das Wort eines einzigen europäischen Philosophen zu zweifeln und euer Argwohn ist geweckt! Wo bleibt da nun die Stärke eures Glaubens? Und was ist demgegenüber die Stärke des Glaubens der Sahabis, welcher durch die Angriffe einer ganzen Welt von Ungläubigen, Christen, Juden und Philosophen nicht zu erschüttern war? Und was ist dem gegenüber die Stärke der Gottesfurcht und die Vollkommenheit der Reinheit der Sahabis, die beweist, wie stark sie im Glauben waren und die ein Destillat ihres Glaubens waren! Oh du Kritikaster! Wo bleibt hier nun dein trüber Glaube, wenn er in seiner extremen Schwäche noch nicht einmal seine Pflichten (fard) vollständig zu erfüllen vermag!

Was aber die Überlieferung betrifft, in der gesagt wird: »So jemand in der Endzeit, auch ohne mich gesehen zu haben, zum Glauben gelangt, so wird er deswegen noch mehr geschätzt«, so betrifft dies die besonderen Vorzüge. Dies wird über einige besondere Persönlichkeiten gesagt. Hier handelt es sich aber um allgemeine Vorzüge der Mehrheit.

 

Zweite Frage: Man sagt: Die Leute der Gottesfreundschaft und die Gefährten der Vollkommenheit haben die Welt verlassen. Es heißt sogar in einer Überlieferung (Hadith): Weltliebe ist der Anfang aller Fehler. Die Sahabis waren aber sehr in ihre weltlichen Angelegenheiten verwickelt. Sie haben der Welt nicht entsagt; und doch war ein Teil der Sahabis sogar noch weiter vorangeschritten als die zivilisierten Leute damaliger Zeit. Wie kommt es dann, dass Sie sagen, noch der einfachste Sahabi sei so bedeutsam gewesen wie die größten unter den Gottesfreunden (Mystiker) ist?

 

Antwort: Im Zweiten Kapitel des »Zweiunddreißigsten Wortes« wurde vollkommen eindeutig bewiesen: Das Antlitz der Welt zu lieben, wenn es auf das Jenseits ausgerichtet ist und Gottes Namen sich gegenübergestellt hat, ist keine Ursache zur Fehlerhaftigkeit, sondern ein Quell der Vollkommenheit und wie weit man auch in diesen beiden Aspekten fortzuschreiten mag, so weit schreitet man auch im Dienst und in der Anbetung Gottes fort. Was also die Welt der Sahabis betrifft, so findet sie sich in diesen beiden Aspekten wieder. Sie haben die Welt als einen Acker für das Jenseits betrachtet; sie haben ihn bestellt und haben geerntet. Sie haben alles Sein als einen Spiegel der Namen Gottes angesehen, in Begeisterung hinein geschaut und sie darin betrachtet. Die Schlechtigkeit dieser Welt aber ist ihr vergängliches Gesicht, das auf die Lust und Laune der Menschen hingerichtet ist.

 

Dritte Frage: Die Orden sind Wege zur Wahrheit. Über den Naqshibandi Orden, den man als die berühmteste, höchste und größte unter den Ordensstraßen bezeichnet, haben manche von den Helden und Imamen dieses Ordens, dessen Grundsatz wie folgt beschrieben und gesagt:

 

 

»Man muss im Naqshibandi-Orden vier Dinge aufgeben: Das Diesseits, das Jenseits, seinen Platz in dieser Welt, und die Aufgabe all dieser Dinge.«

Das heißt, im Naqshibandi-Orden ist es notwendig, vier Dinge aufzugeben: der Begierde (nefs) wegen weder die Welt, noch das Jenseits zum eigentlichen Zweck machen, seinen Platz in dieser Welt zu vergessen, um (am Ende) das Aufgeben selbst zu vergessen, um sich nicht der eigenen Taten zu rühmen und stolz zu werden. Hieße das, wahre Gotteserkenntnis und menschliche Vollendung seien nur dadurch möglich, dass man alle Dinge aufgibt außer IHM?

 

Antwort: Bestünde der Mensch nur aus seinem Herzen, dann sollte er alles aufgeben, außer IHM, auch die Namen und Eigenschaften (Gottes) hinter sich lassen und die »Bindung des Herzens« nur mit dem Wesen Gottes des Gerechten vollziehen. Aber das menschliche Wesen umfasst (in sich sehr viele) dienstbereite (Geister), subtile Eigenschaften und Fähigkeiten wie Verstand, Geist, meditative Wahrnehmung und Gemüt (nefs). Der vollkommene Mensch (insan-i kamil) ist derjenige, der alle inneren Feinheiten (seines Wesens) auf den verschiedenen, ihnen eigenen Wegen des Dienstes und der Anbetung in Richtung auf die Wahrheit hin leitet und wie ein Sahabi in weitem Umfang, in vielfältiger Form, unter dem Kommando seines Herzens, umgeben von allen Subtilitäten, seinen Soldaten, wie ein Held zum Ziel schreitet. Wenn das Herz, um sich selbst zu retten, seine Soldaten verlässt und ganz alleine weiter geht, ist das kein Anlass, um stolz zu werden, sondern nur die Folge einer Notlage.

 

Vierte Frage: Woher resultiert die Behauptung einer Überlegenheit gegenüber den Sahabis? Wer bringt dergleichen heraus? Warum ist dies in heutiger Zeit überhaupt ein Gesprächsthema? Woher resultiert dieser Anspruch auf Gleichheit mit den großen Exegeten?

 

Antwort: Es gibt zwei Gruppen, welche diese Frage diskutieren. Die eine Gruppe sind die aufrichtigen Leute des Glaubens und die Gelehrten, die so manche Hadith gelesen haben und nun in heutiger Zeit die Gottesfürchtigen und Frommen mit dergleichen Themen für Gespräche interessieren und begeistern. Gegen diese Gruppe haben wir nichts einzuwenden. Aber dies sind nur einige wenige und sie kommen schnell zur Besinnung. Die andere Gruppe aber sind äußerst bösartige, selbstgefällige Menschen, die (ihre Gesinnung) unter dem Anspruch auf Gleichheit mit den großen Exegeten ohne jede Rechtsschule verbreiten und ihre Glaubenslosigkeit unter der Behauptung der Gleichheit mit den Sahabis praktizieren wollen. Denn:

Zum ersten: Diese Irrgläubigen sind ihren Ausschweifungen verfallen. Sie sind von ihren Ausschweifungen abhängig geworden. Sie können diese Auflagen des islamischen Gesetzes nicht erfüllen, die sie in ihren Ausschweifungen behindern. Um eine Ausrede zu finden, sagen sie: »Diese Fragen sind Idjtihad. In diesen Fragen widersprechen die verschiedenen Rechtsschulen einander. Außerdem sind sie Menschen wie wir und können Fehler machen. So können also auch wir ihnen gleich uns unseren eigenen Idjtihad machen, unseren Gottesdienst nach unseren Wünschen machen. Warum sollten wir dazu gezwungen sein, (einem Mezheb) zu folgen?«

So entziehen sich diese Unglückseligen durch diese Einflüsterung des Teufels den Bindungen einer Rechtsschule. Im »Siebenundzwanzigsten Wort« wurde bereits in aller Deutlichkeit aufgezeigt, dass ihre Behauptungen unhaltbar sind. Daher weisen wir hier nur darauf hin.

Zum zweiten: Jene Art Leute des Irrweges haben erkannt, dass die Angelegenheit nicht mit den Exegeten (Mudjtehidin) beendet ist. Was auf deren Schultern ruht, ist nur die Auslegung (der Vorschriften) des Glaubens. Im Grunde genommen wollen diese Art Leute des Irrweges gerade diese Glaubensvorschriften (fard) aufgeben oder ändern. Wenn sie sagten: »Wir sind noch besser als (die Exegeten)«, wird die Sache dadurch für sie nicht erledigt. Denn die Exegeten dürfen sich nur mit der Auslegung (der Glaubensvorschriften) und solchen Einzelheiten beschäftigen, die nicht festgelegt sind. Dagegen wollen sich diese Leute des Irrweges, die keiner der Rechtsschulen folgen, mit ihren Gedankengängen bis in die Grundlagen des Glaubens (fard) eindringen, die unveränderlichen Vorschriften verändern und den festen Grundpfeilern des Islam entgegenarbeiten. Daher werden sie mit Sicherheit versuchen die Sahabis anzugreifen, die die Träger und Säulen der Grundlagen des Glaubens sind. Oho, nicht einmal solche Tiere in Menschengestalt, selbst nicht die wahrhaftigen Menschen und die Großen unter den Gottesfreunden, die vollkommensten unter den wahren Menschen, können diesen Anspruch der Gleichheit selbst nicht gegenüber den kleinen unter den Sahabis erwerben. Das wurde unwiderlegbar im »Siebenundzwanzigsten Wort« bewiesen.

 

 

»Friede und Segen sei mit Deinem Gesandten, der sagte: Beschimpft nicht meine Gefährten. Selbst einer von euch, der so viel Gold spendet (die Menge wie) den Berg Uhud, kann nicht so viel Segen (für sich erwerben, wie) einer meiner Gefährten, der auch nur eine Handvoll spendet. Der Prophet Gottes spricht die Wahrheit.«

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