Zum Inhalt springen
Qries Qries Qries Qries Qries Qries

Empfohlene Beiträge

Achtes Wort

 

«Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen; Allah ist und auß er Ihm gibt es keinen Gott, Er, der Lebendige, der Beständige.» (2,255)

 

«Fürwahr, Glaube (din) ist bei Allah die Ergebung (Islam)» (3,19)

 

Möchtest du Wesen und Wert des Glaubens für den Menschen und des menschlichen Geistes für die Welt und die Welt selbst begreifen? Und weißt du, daß die Welt zu einem Gefängnis würde, gäbe es keinen wahren Glauben, und daß ein unreligiöser Mensch das unglückseligste unter allen Geschöpfen ist? Und weißt du, daß das tiefe Geheimnis (tylsym) dieser Welt durch den Ruf «Ya Allah!» (Oh Gott) und das Zeugnis «La ilahe illallah» (Es gibt keinen Gott außer Allah) erschlossen wird, wodurch auch des Menschen Seele (ruh) aus der Finsternis errettet wird, dann betrachte und höre das folgende Gleichnis:

 

In alter Zeit begaben sich einmal zwei Brüder gemeinsam auf eine lange Reise. Sie gingen und gingen immer weiter und kamen schließlich an eine Wegegabelung. Genau dort aber, wo der Weg sich teilte, erblickten sie einen Landeskundigen, der ihnen Vertrauen einflößte. Ihn befragten sie: «Welches ist der bessere Weg?» da entgegnete ihnen dieser: «Wählt ihr den rechten Weg, dann müßt ihr euch an Recht und Gesetz halten. Doch für diese Mühe werdet ihr in Sicherheit reisen und glücklich sein. Was aber den linken Weg betrifft, so bringt er

 

für euch Freiheit und Ungebundenheit. Doch bringt diese Freiheit Gefahren und diese Ungebundenheit Ruhelosigkeit mit sich. Nun aber entscheidet euch und trefft eure Wahl.»

 

Nachdem sie diese Worte vernommen hatten, sagte der eine von den beiden Brüdern, der gutwillig und wohlgesonnen war:

 

«Ich vertraue auf Gott,»

 

schlug den rechten Weg ein und machte sich auf die Reise. Und dabei unterwarf er sich den Anordnungen von Recht und Gesetz. Der andere Bruder aber, weil er bösgesinnt und verblendet war, zog es vor, den linken Weg zu wählen. Begleiten wir zuerst in Gedanken diesen Mann, der nun äußerlich eine leichte, doch innerlich eine schwere Bürde zu tragen hatte. Da wanderte nun dieser Mann die Berge und Täler hinauf und hinunter und ging und ging immer weiter, bis er sich am Ende in einer menschenleeren Wüste befand. Dort vernahm er plötzlich ein fürchterliches Gebrüll. Sich umschauend erblickte er einen schrecklichen Löwen, der hinter einem Gebüsch hervor zum Sprung ansetzte. Rasch floh der Mann vor dem Löwen davon, fand eine sechzig Ellen tiefe, ausgetrocknete Zisterne und stürzte sich in seiner Angst hinein. Als er schon halb hinuntergefallen war, fand er einen Baum, der seinen Sturz auffing. Dieser Baum klammerte sich mit zwei schon morsch gewordenen Wurzeln in der Wand der Zisterne fest. In diesen hatten sich zwei Mäuse verbissen, die eine weiß, die andere schwarz, und zernagten sie. Als der Mann seinen Blick nach oben wandte, sah er dort den Löwen einem Wächter gleich auf der Mauer sitzend warten. Nach unten blickend gewahrte er in der Tiefe einen abscheulichen Drachen. Er hatte das Haupt gegen ihn erhoben und reckte den Hals nach,seinen Füßen, die dreißig Ellen über dem Abgrund baumelten. Sein Rachen war ebenso groß wie der Schacht der Zisterne selbst. Und auch als er die Schachtwandt betrachtete, erblickte er rings umher allerlei Schmarotzer und eine Menge Ungeziefer. Nun wandte er seine Aufmerksamkeit der Krone des Baumes zu und sah, daß es ein Feigenbaum war. Doch - oh Wunder - der Baum trug sehr viele verschiedene Früchte. Nüsse und Granatäpfel hingen in seiner Krone.

 

Doch all das betrachtete dieser Mann in seinem Unverstand völlig falsch. Er erkannte nicht, daß es sich dabei um keine gewöhnlichen Dinge handeln konnte. Es konnte nicht Werk des Zufalls sein. In all diesen seltsamen Dingen verbargen sich ihre besonderen Geheimnisse. Doch er konnte ihnen nicht entnehmen, daß hinter allen der Allwirkende steht. So begann er denn von den Früchten dieses Baumes zu essen, ungerührt von dem verborgenen Aufschrei über seine leidvolle Lage und der Klage in seinem Sinn, Herz und Verstand, weil seine eigenwillige Seele (nefs-i emmare), so als sei dies alles nicht vorhanden, sich über dem Weinen seines Herzens und seiner Seele mit den Fingern die Ohren verstopfte, und indem sie sich selbst betrog, so tat, als befände sie sich inmitten eines Gartens. Doch einige dieser Früchte waren gar nicht gesund, ja sogar giftig. In einer Hadis-i Kudsi (= der Prophet verkündet das Wort Gottes mit seinen eigenen Worten - d.Ü.) hat uns Gott der Gerechte geoffenbart:

 

Das heißt: «Ich behandle meinen Diener so, wie ich von ihm erkannt bin.» So hielt denn dieser unglückselige Mensch, was er erblickte und in seinem Unverstand fälschlich beurteilte, für eine einfache und offensichtliche Tatsache. Und in dieser Weise erlebte er auch das Geschehnis, erlebt es noch und wird es auch weiter so erfahren... So konnte er weder sterben, so daß er von seinem Leiden befreit würde, noch vermag er zu leben. Solitt er unter seiner Qual. Wir aber wollen, während wir diesen Unglückseligen seiner Strafe überlassen, zurückkehren und wollen sehen, wie es dem anderen Bruder inzwischen ergangen ist.

 

Siehe, wie dieser Mann in seiner guten Gesinnung daher kommt! Im Gegensatz zu seinem Bruder gerät er nicht in Bedrängnis. Denn dank der guten Erziehung, die er genossen hat, beschäftigt er sich nur mit dem, was gut ist und träumt nur von den schönen Dingen. Er spricht sich selbst Mut zu. Er braucht auch nicht wie sein Bruder unter Mühsal und Anstrengungen zu leiden. Denn er kennt seine Anordnungen und unterwirft sich ihnen. Ihm öffnen sich alle Türen. Als ein freier Mann bewegt er sich in geordneten und gesicherten Verhältnissen. So gelangt er zu einem Garten. Darin gibt es aber nicht nur schöne Blumen und herrliche Früchte, sondern auch übelerregende Dinge. Denn niemand kümmert sich darum. Auch sein Bruder war schon in einen solchen Garten gekommen. Doch der hatte den Übelkeit erregenden Dingen seine Aufmerksamkeit geschenkt, ja, sich mit ihnen beschäftigt und es war ihm schlecht davon geworden. So verließ er den Garten wieder und ging weg, ohne daß er darin Erholung gefunden hätte. Sein Bruder hingegen hält sich an den Grundsatz: « Sieh in allem das Gute!» Er übersieht die schlimmen Dinge. Er macht von den guten Dingen einen guten Gebrauch. Aufs beste erholt verläßt er den Garten, und setzt seinen Weg fort.

 

Er geht nun immer weiter und weiter und gelangt wie zuvor sein Bruder zu einer gewaltigen Wüste. Plötzlich hört er das Gebrüll des Löwen, der sich auf ihn stürzen will. Er fürchtet sich. Doch seine Furcht ist nicht so stark wie die seines Bruders. Doch weil er stets nur denkt und annimmt, was gut und schön war, tröstet er sich mit dem Gedanken:«Diese Wüste hat ihren Herrn.Es wäre möglich, daß dieser Löwe ein Diener unter dem Befehl seines Herrn ist.» Dennoch flieht er und gelangt zu einer sechzig Ellen tiefen, ausgetrockneten Zisterne und springt hinein. Wie sein Bruder kann er sich in deren Mitte mit seinen Händen an einem Baum festhalten. An ihm festgekrallt bleibt er mitten in der Luft hängen. Er sieht die beiden Tiere, welche die beiden Wurzeln des Baumes benagen. Er blickt nach oben und sieht den Löwen. Er blickt nach unten und sieht einen Drachen. Gleich seinem Bruder erfährt er sich in einer seltsamen Lage. Auch ihn packt die Angst. Doch seine Angst ist tausendmal kleiner als die seines Bruders... Doch seine gute Erziehung gibt ihm auch hier wieder gute Gedanken ein. Und was diese guten Gedanken betrifft, so zeigen sie ihm alle Dinge im schönsten Licht. So denkt er denn aus diesem Grunde: «All diese seltsamen Ereignisse stehen miteinander in einem Zusammenhang. Es sieht so aus, als folgten sie alle einem höheren Befehl. Wenn das aber so ist, dann ist in allen Dingen ein tieferes Geheimnis (tylsym) verborgen. In der Tat geschieht alles auf Befehl eines verborgenen Herrschers. Wenn das aber so ist, dann bin ich nicht allein. Der verborgene Herrscher kümmert sich um mich. Er stellt mich auf die Probe. Er hat mich aus einem bestimmten Grunde hierher geführt und gerufen. « Aus einer solchen Furcht, der mit ihr verbundenen Vorahnung und allen guten Gedanken heraus, erwächst in ihm die erstaunte Frage: «Wer mag das wohl sein, der mich in dieser Weise prüft und sich mir darin zu erkennen geben will und mich auf diesem seltsamen Wege ans Ziel führt?»

 

Aus dieser Neugierde und das damit verbundene Bedürfnis, den Herrn dieses Geheimnisses (tylsym) kennenzulernen, erwächst nun die Liebe zu ihm. Aus dieser Liebe aber erwächst ihm der Wunsch,dieses Geheimnis zu entschleiern. Aus diesem Wunsch aber erwächst ihm der Wille (irade), sich nun auch so gut und schön und richtig zu verhalten, daß es dem Herrn (sahib) dieses Geheimnisses wohlgefällt und Er mit ihm zufrieden ist.

 

Nun blickt er zur Krone des Baumes hinauf und sieht: Es ist ein Feigenbaum. Doch in dieser Krone wachsen Früchte von tausenderlei Bäumen. In diesem Augenblick verschwand aus ihm jede Furcht. Denn nun begriff er mit Sicherheit: Dieser Feigenbaum ist wie eine Speisekarte, ein Inhaltsverzeichnis, eine Ausstellung!

 

Dieser verborgene Herrscher muß die Früchte in Seinen Weinbergen und Gärten in die Bäume gehängt haben, damit sie Muster, Geheimnis und Wunderzeichen sein sollen und Er muß diesen Baum mit ihnen geschmückt haben, damit sie für Seine Gäste ein Zeichen sein sollen für die Speisen, die Er ihnen vorbereitet hat. Könnte denn anders ein einzelner Baum die Früchte tausender Bäume hervorbringen!?

 

Nun begann er zu beten und zu flehen, daß ihm der Schlüssel dieses Geheimnisses (tylsym) zum Erlebnis würde, und er rief:

 

«Oh Du, der Du der Beherrscher dieser Stätten bist! Mein Schicksal ruht in Deiner Hand. Zu Dir nehme ich meine Zuflucht und stelle mich in Deinen Dienst. Ich strebe danach, Dein Wohlgefallen zu erlangen. Ich suche Dich. »

 

Über diesem flehentlichen Gebet öffnete sich plötzlich der Schacht der Zisterne, die Schachtwand spaltete sich und eine Pforte zu einem überaus schönen, sauberen und gepflegten Garten tat sich auf. Oder es war vielmehr das Maul des Drachens, das sich in ein solches Tor verwandelte. Löwe und Drache nahmen die Gestalt zweier Diener an. Sie baten ihn, einzutreten und Gast zu sein. Ja, nunmehr nahm der Löwe für ihn sogar die Gestalt eines lammfrommen Pferdes an.

 

Wohlan denn nun, du meine faule Seele (nefs)! Und du mein Freund, der du mir jetzt in meiner Vorstellung gegenüber sitzt!

 

Kommt (ihr beiden = die Seele und der Freund)! Wägen und vergleichen wir die Lage dieser beiden Brüder! Wollen wir nun schauen und begreifen, wie das Gute wieder Gutes und das Böse wieder Böses hervorbringt!

 

Seht: Jener Unglückselige, der zu seiner Reise den linken Weg eingeschlagen hat, muß sich ständig bewußt sein, in den Schlund eines Drachens hinabzustürzen und zittert davor. Was aberjenen Glücklichen betrifft, so ist er zu einem Garten eingeladen, der mit vielfältigen Früchten und jeder Art Annehmlichkeit gesegnet ist. Zudem wird das Herz dieses Unglückseligen von schmerzlicher Furcht und einer schrecklichen Angst zerrissen. Was aber jenen Glücklichen betrifft, so schaut und betrachtet er all jene seltsamen Dinge wie lehrreiche und anregende Beispiele, als ein schreckliches Abenteuer, dessen guter Ausgang von zukünftiger Heilsgewißheit gemildert wird oder als eine Erfahrung, welche ihn die Liebe lehrt. Und weiter noch wird dieser Unglückselige von Einsamkeit, Verzweiflung und Verlassenheit gequält. Der Glückliche hingegen genießt den vertrauten Umgang, er lebt in froher Hoffnung yind sehnsüchtigem Verlangen. Überdies betrachtet dieser Unglückselige sich selbst als einen Gefangenen, bedroht durch die Angriffe wütender Ungeheuer. Doch der Glückliche ist ein hochgeschätzter Gast, der mit den sonderbaren Dienern seines freigebigen Gastherrn, bei dem er zu Gast ist, vertrauten Umgang pflegt und durch die er Freude und Erholung findet. Und außerdem beschleunigt dieser Unglückselige noch seine Strafe durch den Genuß von Speisen, die zwar äußerlich wohlschmeckend erscheinen, in ihrer Wirkung aber innerlich giftig sind. Denn diese Früchte sind lediglich Muster. Man darf zwar von ihnen kosten, so daß man nach deren Originalen Sehnsucht bekommt und sie erwerbenmöchte, sie aber gleich einem Tier zu verschlingen, ist nicht erlaubt. Der Glückliche jedoch kostet sie, begreift, worum es sich handelt und verschiebt ihren Genuß auf später. Das Warten darauf wird ihm durch die Vorfreude versüßt. Dagegen ist dieser Unglückselige auch noch ungerecht zu sich selbst. Eine Wahrheit, schön wie der lichte Tag und seine eigene Lage, die wie ein strahlender Tag ist, überführt er in seiner Uneinsichtigkeit selbst in einen finsteren und grausamen Argwohn, der die Gestalt der Hölle annimmt. So widerfährt ihm nur Gerechtigkeit, wenn die Liebe Gottes (schefkat) ihn nicht anrührt und er hat auch kein Recht, irgendjemanden zu beschuldigen.

 

Dafür ein Beispiel: Wenn ein Mann zur Sommerszeit in einem schönen Garten inmitten seiner Freunde sich nicht damit begnügt, an einem geselligen Mahl teilzunehmen, es sich gemütlich zu machen und zu genießen, stattdessen seine Sinne mit unreinem Rauschtrank vernebelt und nun in der Vorstellung lebt, er befände sich mitten im Winter hungrig und nackt unter Wölfen und nun zu schreien und zu weinen beginnt, so versteht es sich von selbst, daß er kein Mitleid (schefkat) verdient. Er tut sich selber Unrecht. Er sieht Wölfe in seinen Freunden und beleidigt sie. So ist also die Lage dieses Unglückseligen genauso wie in obigem Beispiel. Was aber den Glücklichen betrifft, so sieht er die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist aber schön. Indem er die Wirklichkeit der Wahrheit gemäß als schön erkennt, gibt er jener Vollendung (kemal) die Ehre, welche dem Herrn (sahib) über alle Wahrheit zu eigen ist. So ist er auch würdig Seines Erbarmens. So offenbart sich hier der Sinn des Lehrsatzes aus dem Quran: «Wisse, daß das Böse aus dir selbst, das Gute aber von Allah kommt.» Ziehst du nun noch weitere, ähnliche Unterschiede zum Vergleich heran, so wirst du verstehen, daß die eigenwillige Seele (nefs-i emmare) des ersteren, ihm innerlich(manevi) Höllenqualen bereitet. Für den anderen aber manifestieren sich durch dessen gute Absicht (niyet), seine gute Vorstellungsweise, seine gute Charakterart und seine guten Gedanken (fikir) eine große Güte, eine Glückseligkeit, ein persönliches Charisma und Gottes reichster Segen (feyz).

 

Oh du meine Seele (nefs)! Und du oh Mensch, der du gemeinsam mit meiner Seele dieser Erzählung zuhörst!

 

Wenn du kein unglückseliger Bruder werden willst, vielmehr ein glücklicher Bruder werden möchtest, dann höre auf den Quran und folge seiner Weisung! Halte dich fest an ihm! Beachte seine Leitlinien und setze sie in die Praxis um!

 

Wenn du dir über die Wahrheit, die in diesen Gleichnissen enthalten ist, klar geworden bist, wirst du auch der Bedeutung der Religion, dem Sinn des Lebens, dem Wert des Menschen und der Bedeutung des Glaubens im Alltag zum Durchbruch verhelfen. Das Wichtigste darüber will ich dir hier sagen. Die Feinheiten magst du dir dann selber ausgestalten!

 

So siehe denn nun! Was die beiden Brüder betrifft, so wird durch den einen von ihnen die Seele (ruh) eines Gläubigen (mu'min) und das Herz eines rechtschaffenen Menschen (salih), durch den anderen die Seele eines Ungläubigen (kafir) und das Herz eines sündigen Menschen (fasyk) dargestellt. Von den beiden Wegen führt der rechte den Weg des Quran und des Glaubens, der linke aber den Weg der Auflehnung und des Unglaubens (kufr). Der Garten, durch den diese Wege führen, ist dieses vergängliche menschliche Gemeinschaftsleben innerhalb der menschlichen Gesellschaft, ihren sozialen Strukturen, ihrer Kultur und Zivilisation, in dem sich Schönes und Schlechtes, Gutes und Böses, Lauteres und Unsauberes beieinander finden. Der Verständige handelt nach dem Grundsatz:

 

«Nimm das, was dich freudig macht und laß das, was dir Sorge macht!»

 

und geht im Herzen wohlbehalten (selamet). Die Wüste ist die Erde und das irdische Leben. Der

 

Löwe bedeutet den Tod und seine Stunde. Die Zisterne bezeichnet den menschlichen Körper und seine Lebensspanne. Und ihre Tiefe von sechzig Ellen ist ein Hinweis auf die sechzig Jahre einer durchschnittlichen Lebensspanne und allgemeinen Lebenserwartung. Was aber den Baum darinnen betrifft, so verkörpert er das menschliche Leben nach seiner Länge und in seiner Substanz. Die beiden Tiere, ein weißes und ein schwarzes, sind der Tag und die Nacht. Der Schlund des Drachens bedeutet das Grab als das Tor zum Zwischenreich (berzah ) und den Weg ins Jenseits. Doch für den Gläubigen ist dies der Rachen, der die Pforten des Kerkers aufreißt und hinaus führt in die Gärten Edens. Das Ungeziefer stellt die alltäglichen Widerwärtigkeiten dar. Doch auf den Gläubigen wirken sie wie der wohlwollend gemeinte Hinweis Gottes und jene Zuwendung des Allbarmherzigen, die ihn davor bewahrt, in den Schlaf der Gottvergessenheit zu verfallen. Was nun die Früchte an dem Baum betrifft, so sind sie die irdischen Gnadengaben, die Gott in Seiner vollkommenen Freigebigkeit gleichsam als eine Speisekarte der jenseitigen Gnadengaben, als Erinnerungsstücke, als Musterbeispiele in der Form von Nachbildungen der Paradiesesfrüchte geschaffen hat, so, als wollte Er Seine «Kunden» damit zum Kauf anregen. Und obwohl es sich dabei nur um einen einzigen Baum handelt, trägt dieser doch die verschiedensten Früchte. Dies ist ein Hinweis auf Seine einzigartige Allmacht gleich Seinem Siegel, Seine göttliche Herrschaft (Rububiyet) gleich einem Stempel und das

 

Königreich Gottes, der Prägung einer Münze gleich: Denn: «Aus einem einzigen Ding alle Dinge hervorzubringen», d.h. aus der gleichen Erde alle Pflanzen und ihre Früchte sprießen zu lassen, aus dem gleichen Wasser alle Tiere zu erschaffen und zugleich «aus allen Dingen ein einziges Ding hervorzubringen». Das heißt, daß die so verschiedenen Arten von Nahrungsmitteln, welche die einzelnen Tiere in sich aufnehmen, in das jeweils spezifische Muskelgewebe dieser Tiere umgewandelt wird. Er strickt Seinen Tieren unabhängig von der Verschiedenheit ihrer Nahrung stets einheitlich die gleiche Haut. Diese und andere ähnliche Werke Seiner Kunst zeigen das private Siegel jener Einen und Einzigartigen (Ehad-y Samed) Persönlichkeit, welche König ist von Ewigkeit zu Ewigkeit. Es ist der Ihm eigene Stempel. So trägt ein jedes Ding die unnachahmliche Prägung Seiner Münze. In der Tat ist diese Fähigkeit, aus einem Ding alle Dinge und aus allen Dingen ein einziges Ding hervorzubringen, das persönliche Kennzeichen des Schöpfers aller Dinge und Wunder (ayat) ausschließlich dessen, der der Allmächtige ist über alle Dinge. Was aber die Offenbarung des Schlüssels (tylsym) betrifft, so ist er das Geheimnis des Glaubens, der das Geheimnis hinter der Weisheit der Schöpfung erschließt. Dieser Schlüssel heißt:

 

«Oh Gott ! Es gibt keinen Gott auß er Allah. Allah ist und auß er Ihm gibt es keinen Gott, Er, der Lebendige, der Beständige.» (2,256)

 

Wenn sich nun aber der Schlund des Drachens in ein Tor zu einem Garten verwandelt, so bedeutet dies:

 

Während sich für die Leute des Irrweges und der Auflehnung das Tor zu einer Friedhofswelt öffnet, eng wie der Bauch eines Drachenungeheuers, und vergleichbar einem Kerker inmitten der Einöde einer vergessenen

 

Welt, öffnet sich für die Leute des Quran und des Glaubens das Tor aus dem Gefängnis dieser Welt hinaus zu den ewigen Gärten und heraus aus diesem Prüffeld zu den Gärten Edens, heraus aus der Mühsal des Lebens zum Erbarmen des Barmherzigen. Und wenn dieser wilde Löwe zu einem vertrauten Diener wird, bzw. sich in ein lammfrommes Pferd verwandelt, so bedeutet dies, daß das Tor für die Leute des Irrweges eine ewige, schmerzliche Trennung von all ihren Lieben (mahbub), noch dazu eine Vertreibung aus ihrem eigenen, imaginären irdischen Paradies, eine Einschließung in den Kerker, das Gefängnis des Grabes inmitten ihrer Einsamkeit und Verlassenheit ist, für die Leute der Rechtleitung und des Quran hingegen ein Fahrzeug, um ihren alten Freunden und all den Lieben, welche in die andere Welt hinübergegangen sind, wieder zu begegnen. Außerdem ist es das Mittel, um in die wahre Heimat und zum Sitz der ewigen Glückseligkeit zu gelangen. Und weiter ist es eine Einladung in die Gärten Edens, heraus aus dem Kerker dieser Welt. Darüber hinaus ist der Tod auch der Augenblick, wo wir von der Gnade des allbarmherzigen Erbarmers den Lohn für die Dienste, die wir Ihm geleistet haben, in Empfang nehmen. Und schließlich ist er die Befreiung von einer lebenslangen Verpflichtung, sich zu mühen und zu plagen. Und endlich bringt er den Feierabend, nachdem der Dienst abgeleistet, die Prüfungen bestanden, die Übungen beendet und alle Vorschriften erfüllt worden sind...

 

Zusammenfassung: Wer auch immer sein Hauptaugenmerk nur auf dieses vergängliche Leben gerichtet hält, der mag äußerlich betrachtet in einem Paradies leben, innerlich ist es die Hölle. Und wer auch immer sich ernsthaft um ein ewiges Leben bemüht, dessen Leben wird glücklich in beiden Welten, in dieser und in jener Welt. Wie schlimm auch immer seine Welt sein mag und wie sehr sie ihn auch bedrückt, so betrachtet er sie dennoch mit gutem Mut und frohem Sinn, weil er in ihr einen Wartesaal und einen Vorraum des Paradieses sieht, sie so erträgt und sich in Dankbarkeit geduldet.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Gast
Dieses Thema wurde nun für weitere Antworten gesperrt.
×
×
  • Neu erstellen...