Jörg Geschrieben 22. September 2010 Teilen Geschrieben 22. September 2010 Interview mit der Frankfurter Rundschau Mathias Rohe Wie verträgt sich der Islam mit deutschem Recht? Seit Muslime hier zu Lande schächten dürfen, wird diese Frage sehr kontrovers debattiert. Mathias Rohe, Islamwissenschaftler, Richter am OLG und Professor für Bürgerliches und Internationales Recht an der Universität Erlangen, beschäftigt sich seit Jahren systematisch mit diesem Thema. Mit ihm sprachen in Erlangen FR-Mitarbeiter Hartmut Meesmann und FR-Reporterin Katharina Sperber. Frankfurter Rundschau:Das Bundesverfassungsgericht hat das Schächten als religiöses Gebot für Muslime anerkannt. Die Reaktionen darauf sind anhaltend heftig. Überrascht Sie das? Mathias Rohe: Nein. Denn es geht dabei nicht eigentlich um die Frage des Schächtens - nimmt man einmal die Tierschützer aus. Die Frage des Schlachtens ohne Betäubung hat vielmehr Symbolcharakter. Viele Menschen haben Angst, dass der Islam zu einflussreich werden könnte, im Sinne von: Heute ist es das Schächten, morgen der Ruf des Muezzin und übermorgen das Handabhacken. Aber das sind ja Realitäten in muslimischen Ländern. Unser Recht gilt uneingeschränkt, jeder hat sich an die Rechtsordnung zu halten. Deshalb brauchen wir das Handabhacken nicht zu diskutieren. Das Recht schafft allerdings in der Verfassung Religionsfreiheit, das heißt unter dem breiten Dach des Rechts gibt es religiöse Entfaltungsmöglichkeiten. Die Letztherrschaft, insbesondere des Verfassungsrechts, aber ist nicht anzutasten. Selbst dann nicht, wenn wir eine muslimische Mehrheit hätten. Im Grundgesetz, Artikel 79, Absatz 3, steht, dass die fundamentalen Werte - Achtung der Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaatsprinzip, Sozialstaatsprinzip - einer so genannten Ewigkeitsgarantie unterliegen. Schadet das Urteil der Integration der Muslime? Im Gegenteil. Integration heißt einerseits: Wir können verlangen, dass Menschen, die zu uns kommen und hier leben, sich der Rechtsordnung unterstellen, die für uns alle gilt. Das heißt aber nicht, dass sie ihre religiösen und kulturellen Eigenheiten aufgeben müssen. Unsere Rechtsordnung zeichnet sich ja gerade durch einen großen inneren Pluralismus in solchen Fragen aus. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt: Es kommt nicht darauf an, was irgendwelche Autoritäten in der islamischen Welt zum Schächten sagen. Entscheidend ist vielmehr, ob eine muslimische Gruppe hier zu Lande der Überzeugung ist, sie müsse aus religiösen Gründen Tiere ohne Betäubung schlachten, weil es die Scharia, das religiöse Gesetzbuch, so vorschreibt. Das heißt: Man koppelt die Muslime in Deutschland ab von einer Art Fremdbestimmung von außen und gibt ihnen damit die Möglichkeit der religiösen Selbstbestimmung. Es wird nicht unterschieden zwischen zwingenden und weniger zwingenden religiösen Pflichten? Die Beantwortung dieser entscheidenden Frage überlassen wir den Muslimen selbst. Wenn sie plausibel machen können, was sie als religiöses Gebot verstehen, dann ist das zunächst zu akzeptieren. Welche religiösen Gebote wären nicht akzeptabel? Zum Beispiel die Körperstrafen, die in der Scharia vorgesehen sind und die eher mittelalterlichen Strafvorstellungen entsprechen. Aber ich habe noch keinen Muslim getroffen, der ernsthaft darüber nachdenken würde, solche Strafen hier zu Lande einzuführen. Religionsfreiheit heißt nicht, dass man in die Rechte anderer eingreifen darf, und das Strafrecht ist eine nationale Angelegenheit. Muss man nicht unterscheiden zwischen religiösen Geboten und kulturellen Gebräuchen? Nur die Religion genießt die Freiheit nach Artikel 4 des Grundgesetzes. Kulturelle Gebräuche fallen lediglich unter den Schutz der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Erklären Sie uns das am Beispiel des Kopftuchs. Nach dem Selbstverständnis vieler Muslime ist das Tragen eines Kopftuchs ein religiöses Gebot. Aber es ist zugleich ein kulturelles Phänomen. Sieht man sich die Bekleidungsvorschriften im Koran an, kann man sich durchaus darüber streiten, was unter einer züchtigen Bekleidung zu verstehen ist. Faktisch tragen muslimische Frauen vom Kopftuch über den Schleier bis zur Burkha verschiedene Formen der Bedeckung. Es gibt eine religiöse Verankerung des Gebots, aber die konkrete Umsetzung bleibt den Menschen überlassen. Kritische Auslegungsrichtungen fragen: Handelt es sich hier wirklich um ein Gebot, das sich an alle Menschen in allen Ländern zu allen Zeiten richtet? Müssen sich also Eskimofrauen, wenn sie denn Muslime wären, genauso kleiden wie Frauen im zentralafrikanischen Busch? Können Juristen hier Ordnung schaffen? Wir sollten uns eher um einen Konsens im Gespräch bemühen und fragen: Was macht uns Angst, wenn muslimische Frauen ein Kopftuch tragen? Wenn wir aber urteilen müssen, dann gilt wiederum: Wenn Muslime glaubhaft sagen, das Tragen des Kopftuchs sei ein religiöses Gebot, dann müssen wir Juristen das akzeptieren. Schüler haben aber das Recht, in der Schule von religiösen Symbolen nicht belästigt zu werden. Wir stecken da in einem Dilemma, das kaum zu lösen ist: Es steht die positive gegen die negative Religionsfreiheit, und umgekehrt. Nun sind die Verfassungsjuristen aber einhellig der Meinung, dass aus der notwendigen Neutralität des Staates nicht abgeleitet werden kann, dass die Religionsausübung in die Hinterzimmer zu verbannen sei. Religion darf auch im öffentlichen Raum stattfinden. Deswegen müssen die eben wegschauen, die religiöse Symbole nicht sehen wollen. Auf der anderen Seite verstehe ich die Bedenken von Kultusministerien, wenn sie im Blick auf kopftuchtragende Lehrerinnen sagen: Lehrerinnen sind prägende Vorbilder und könnten unkritische kleine Kinder in eine bestimmte Richtung lenken. Mich stört auch, wenn Musliminnen erklären, das Verbot des Kopftuchs sei blanker Rassismus. Viel hängt auch davon ab, wie man einen Lehrer, einen Beamten, einen Richter sieht: Ist er nur eine Marionette des Staates, so dass man sagen muss: Der Staat zieht sich ein Kopftuch auf, und das geht nicht. Oder muss man nicht sagen: Auch die kopftuchtragende Lehrerin ist in erster Linie ein Mensch. Und solange sie nicht zu indoktrinieren versucht, ist das religiöse Symbol zu tolerieren, so wie etwa in England, wo es kopftuchbewehrte Polizistinnen gibt. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel fürchtet, dass der zivilisatorische Konsens bei uns in Frage gestellt wird. Wir stehen heute vor einer historisch neuen Situation: Ein großer Teil der Muslime will freiwillig außerhalb der islamischen Welt leben und sich da auf Dauer einrichten. Sie stehen somit vor der Frage, wie sie sich integrieren und ihren Glauben leben können im Einklang mit dem Grundgesetz und den deutschen Gesetzen. Sie müssen einen Islam ausformen, der keine Ängste mehr bei der deutschen Mehrheitsbevölkerung auslöst. Gehen wir ins Detail. Der Islam bevorzugt den Mann im Scheidungsrecht und schränkt die Freiheiten der Frauen ein. Wie ist hier rechtlich zu verfahren? Da kennt das Recht sehr differenzierte Lösungen. Es gibt die Materie des internationalen Privatrechts in grenzüberschreitenden Rechtsfällen, wo beispielsweise Ausländer beteiligt sind. Wir wenden hier in Deutschland jeden Tag die Scharia an. Wenn Jordanier in Deutschland heiraten, dann verheiraten wir sie nach jordanischem Recht. Das gilt grundsätzlich auch im Scheidungsfall. Die Menschen haben in diesen privaten Verhältnissen Entscheidungsfreiheit. Erst wenn diese Anwendung unerträglich würden, dann käme das deutsche Recht zur Geltung. Was wäre unerträglich? Die einseitige Verstoßung einer Ehefrau durch den Ehemann, ohne dass die beiden getrennt gelebt hätten. Das würden wir nicht akzeptieren, weil ein solches Verhalten unserem Rechtsverständnis widerspräche. Wir akzeptieren es aber wohl wieder, wenn eine Zeit der Trennung vorausgegangen war. Und wie sieht es mit der Polygamie aus? Wenn ein Mann einreist, der in seinem Heimatland nach den islamischen Vorschriften rechtmäßig mehrere Ehefrauen geheiratet hat, akzeptieren wir diese polygame Ehe auch hier. Es gibt sogar im Sozialgesetzbuch entsprechende Vorschriften, zum Beispiel wenn es um Rentenanwartschaften geht. Würden wir das nicht tun, würden wir den Frauen Steine statt Brot geben. Denn sie haben sich ja darauf eingestellt, was ihre Versorgung angeht. Die Scharia schreibt vor, Glaubensabtrünnige mit dem Tod zu bestrafen... Das ist ein klarer Fall von grobem Menschenrechtsverstoß. Die meisten modernen islamischen Juristen deuten dieses Delikt inzwischen auch historisch kritisch, im Sinne der Strafbarkeit "weltlichen" Hochverrats gegen den Staat. Im Koran steht nichts von Todesstrafe, allerdings heißt es in den Überlieferungen des Propheten, den Hadithen, Apostaten müssten eigentlich getötet werden. Gelehrte der Kairoer Al-Azhar-Universität sagen nun, diese Überlieferung stünde auf so schwachen Füßen, dass man so eine gravierende Strafe nicht darauf stützen könne. Es sind nur einige wenige islamische Länder, die Apostaten überhaupt noch belangen, und diese Regime zeichnen sich insgesamt nicht durch Liberalität aus. Aber es ist ein rechtskulturelles Problem, das in Deutschland Furcht auslöst. Deswegen wünsche ich mir sehr, dass die Muslime in Europa die Scharia auf solch heikle Punkte hin untersuchen und sich auf eine Interpretation verständigen, die mit unserem Grundgesetz und den europäischen Menschenrechtsgrundsätzen vereinbar sind. Sollte die Rechtspolitik die Ausbildung eines europäischen Islam institutionell fördern? Das sollte sie, soweit sie kann und darf. Die Frage ist jedoch wie. Will man eine religiös orientierte Sonderrechtsordnung etablieren? Dafür spricht, dass sich Muslime damit besonders akzeptiert fühlen. Dagegen spricht, dass damit Illusionen gefördert werden, Muslime könnten sich von der allgemein gültigen Rechtsordnung verabschieden. Das darf nicht sein. Muslime müssen zuerst einmal erkennen, dass es im Wesentlichen an ihnen selbst liegt, was sie aus ihrer Organisationsfreiheit, die hier zu Lande herrscht, machen. Im Rahmen der Religionsfreiheit können die Muslime unter dem geltenden Recht sehr vieles gestalten: beispielsweise Verträge ohne Zinsen schließen oder Familienrechtsverhältnisse ein Stück weit gestalten. Sie können auch Schlichtungsinstanzen bilden. Der Zentralrat der Muslime hat vor kurzem einen wichtigen Schritt in diese Richtung unternommen. Er hat eine Grundsatzerklärung mit einem deutlichen und uneingeschränkten Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Ordnung des Grundgesetzes vorgelegt, einschließlich der Freiheit zum Glaubenswechsel. Das Interview führten Katharina Sperber und Hartmut Meesmann Quelle: "In Deutschland wenden wir jeden Tag die Scharia an". Der Islamwissenschaftler und Jurist Mathias Rohe über die Vereinbarkeit von deutschem Recht und muslimischem Glauben. Auf: Bundeszentrale für politische Bildung Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Afterlife Geschrieben 22. September 2010 Teilen Geschrieben 22. September 2010 Schüler haben aber das Recht, in der Schule von religiösen Symbolen nicht belästigt zu werden. Wir stecken da in einem Dilemma, das kaum zu lösen ist: Es steht die positive gegen die negative Religionsfreiheit, und umgekehrt. Nun sind die Verfassungsjuristen aber einhellig der Meinung, dass aus der notwendigen Neutralität des Staates nicht abgeleitet werden kann, dass die Religionsausübung in die Hinterzimmer zu verbannen sei. Religion darf auch im öffentlichen Raum stattfinden. Deswegen müssen die eben wegschauen, die religiöse Symbole nicht sehen wollen... Nee, eben nicht. Man geht davon aus, dass die Normalität das Nichttragen von Kopftuch ist. Wobei die Welt aus der Perspektive einer Muslimin ausgehen unnormal ist, kein Kopftuch zu tragen. Sobald man anfängt zu erzählen, was anders ist und sein eigenes Ideal für normal erklärt, ist es Rassismus! Aber verstehen wird es wohl keiner, mann muss diese Ausgrenzung wohl selber erlebt haben, eine Absage wegen dem Kopftuch bekommen haben ... Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Nur Efsan Geschrieben 22. September 2010 Teilen Geschrieben 22. September 2010 Meiner Meinung nach ist es auch normal kein Kopftuch zu tragen, sowie es durchaus normal für mich ist, mich islamisch zu kleiden. Das einzig unnormale in dieser Geschichte ist, dass viele Leutchen Frauen mit Kopftüchern als unnormal ansehen. Was ist schon normal, das müsste man mal definieren. Würde man in einer kommunistischen Diktatur leben, wo jeder den gleichen grauen Sack zu tragen hat, könnte man darüber disskutieren. Aber in liberal-demokratischen Ländern - wo es alle erdenklichen Varianten und Variationen von Kleidung und "Unbekleidetheit" gibt - ein quadratisches Tuch als Belästigung und Anormalität aufzufassen, deutet schon sehr auf drastische Wahrnehmungsverzerrung der Psyche hin. Hierbei müsste mir jmnd definieren und genauestens schildern, inwiefern das Kopftuch belästigt- handgreiflich, verbal, löst es iwelche negativen Radioaktivitäten in der Luft aus? Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
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