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Bizarrer Erbstreit um Kafka-Nachlass

 

Seit Jahrzehnten halten die Erben von Kafka-Freund Max Brod unveröffentlichte Manuskripte und Briefe unter Verschluss. Nun wurden die Schließfächer mit den Texten geöffnet.

 

Die Träume vieler Germanisten und Leser schlummern seit Jahrzehnten in Banktresoren in Tel Aviv und Zürich unberührt in Schließfächern: Unveröffentlichte Manuskripte und Briefe von Franz Kafka. Ein bizarrer Erbstreit zwischen der israelischen Nationalbibliothek und zwei alten Damen verhindert bisher die wissenschaftliche Aufarbeitung des Kafka-Nachlasses, oder gar dessen Veröffentlichung. Nun ist ein weiterer Akt im Erbstreit angebrochen.

 

Das Familiengericht Tel Aviv soll entscheiden, wem die literarisch wie finanziell wertvolle Hinterlassenschaft gehört. Wann, steht aber nicht fest. Bevor es so weit ist, will es erst einmal genau wissen, was eigentlich drin ist in den Schließfächern. So wurden in der vergangenen Woche auf Anweisung des Gerichts die Boxen in den Banktresoren geöffnet, damit Wissenschafter den Inhalt sichten können. Das kann noch Wochen dauern; vorher ist mit einer Entscheidung nicht zu rechnen.

Was sagt das Testament Max Brods?

 

In dem Erbstreit geht es eigentlich darum, wie das Testament des Dichters Max Brod auszulegen ist. Bevor er 1924 an Tuberkulose starb, hatte Kafka seinem Freund seine Manuskripte vermacht und ihm aufgetragen, alles ungelesen zu verbrennen.

 

Brod hielt sich bekanntlich nicht daran. Als er 1939 vor den Nationalsozialisten aus Prag nach Israel fliehen musste, hatte er in einem Koffer die Werke von Kafka dabei. Er veröffentlichte das meiste - aber eben nicht alles. Als er 1968 starb, übertrug er die Verwaltung seines literarischen Nachlasses seiner Sekretärin Esther Hoffe. Nach ihrer Auffassung war es Brods Wille, dass sie Kafkas Manuskripte bekommen sollte. Als Hoffe vor drei Jahren im Alter von 101 Jahren starb, hinterließ sie ihren Besitz ihren Töchtern Eva Hoffe und Ruth Wiesler.

Streit um den "Prozeß"

 

Esther Hoffe hütete das Kafka-Konvolut 40 Jahre lang in ihrer Wohnung in Tel Aviv sowie in Bankschließfächern. Einiges verkaufte sie auch. So wurde das Originalmanuskript des "Prozeß" 1988 bei Sotheby's in London für eine Million Pfund versteigert. Auch um dieses Schriftstück ist ein Streit entbrannt: Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach am Neckar hat den "Prozeß" gekauft, aber auch die israelischen Nationalbibliothek erhebt Anspruch darauf.

 

Weil die israelische Nationalbibliothek im Gerichtsstreit mit den Hoffe-Erbinnen die Testamentsvollstreckung gerichtlich blockiert, kommen die etwa 80 Jahre alten Eva Hoffe und Ruth Wiesler bis heute nicht an ihr Erbe heran - das betrifft auch Geld in Millionenhöhe, Immobilien und Schmuck. Eine von ihnen soll verarmt sein.

Auch Marbach will Kafka-Erbe

 

"Die verstorbene Frau Hoffe hat nicht getan, worum der verstorbene Herr Brod sie gebeten hat, nämlich die Dokumente der Nationalbibliothek zu übergeben", sagt der Anwalt der israelischen Nationalbibliothek, Meir Heller. Der Anwalt von Eva Hoffe, Oded Hacohen, hält dagegen, Brod habe die Sammlung der Mutter seiner Mandantin geschenkt und ihr freigestellt, sie dem Nationalmuseum oder einer anderen Einrichtung ihrer Wahl im In- oder Ausland zu übergeben. Er verweist auf ein Gerichtsurteil von 1974, das ebendies bestätigt.

 

Das bedeute, dass Eva Hoffe die Dokumente rechtmäßig geerbt habe und frei darüber verfügen könne. Das schließe auch einen Verkauf an das Literaturarchiv in Marbach ein, mit dem sie bereits Verhandlungen über den restlichen Nachlass Kafkas und Brods geführt hat.

 

Dem Leiter der Handschriftenabteilung, Ulrich von Bülow, zufolge hatten schon Brod und Esther Hoffe mehrmals darüber gesprochen, das Material dort einzubringen. Das Archiv sei daran interessiert, weil es bereits viele andere Manuskripte und Briefe besitze, die es ergänzen könnte. Die Nationalbibliothek hingegen gedenkt nach Worten ihre Vorsitzenden David Blumberg "nicht, auf die Kulturgüter zu verzichten, die rechtmäßig ihr und damit dem israelischen und jüdischen Volk gehören".

 

 

 

(Ag.) 22.07.2010

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