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Islam und Schulalltag

Signale gegen Frust und Unverständnis

Dr. Jochen Müller* - 11.03.2010

Was Pädagogen tun können , um Konflikten mit muslimischen Schülern und Eltern vor zubeugen?

Das „globalisierte Klassenzimmer“ stellt Lehrer vor besondere Herausforderungen – und kann vielfältige Anlässe für Konflikte geben. An diesen sind Lehrer manchmal beteiligt. Dabei stehen sie unter ständiger Beobachtung durch ihre Klasse: Tatsächliche oder vermeintliche Vorbehalte und Vorurteile gegenüber dem Islam werden gerade von muslimischen Schülern genau registriert – was zu entsprechenden ablehnenden Haltungen gegenüber einzelnen Lehrern und der Schule insgesamt führen kann. Wie können Schule, muslimische Schüler und deren Eltern zu einem angemessenen Umgang finden?

 

Im Gespräch klagen muslimische Schüler und ihre Eltern häufig über Lehrer und Schulleitungen: Diese seien Muslimen und dem Islam gegenüber kritisch oder gar feindselig eingestellt. So würden zum Beispiel muslimische Schülerinnen oft diskriminiert, wenn sie sich mit einem Kopftuch als Muslime zu erkennen geben. Viele Schüler geben an, dass Lehrer abfällige Bemerkungen über Religion, Herkunft oder Tradition äußerten, die bis zu offenem Rassismus gehen können. So berichtete mir eine Schülerin einer Berliner Realschule, wie ein Lehrer ihr erklärt habe, dass sie doch mit einer Drei in Deutsch zufrieden sein solle: „Für eine Türkin ist das doch gut!“

 

Konkrete Studien über das Ausmaß von Islamfeindlichkeit und Ressentiments gegenüber Muslimen, Türken oder Arabern speziell an Schulen gibt es nicht. Jedoch legen Untersuchungen und Umfragen in der Gesamtbevölkerung nahe, dass Unkenntnis, Stereotypen, Vorurteile bis hin zu offener Feindseligkeit gegenüber Islam und Muslimen in allen Teilen der Gesellschaft verbreitet sind. So erklärten in einer Studie des Bielefelder Konfliktforschers Wilhelm Heitmeyer fast 40% der Befragten, sich „durch die vielen Muslime wie Fremde im eigenen Land“ zu fühlen. 67% der Befragten halten die „muslimische Kultur“ und deren Werte für unvereinbar mit der eigenen (Heitmeyer, Deutsche Zustände 2007). Vergleichbare Einstellungen dürften also auch in Schulen und Lehrerzimmern bekannt sein.

 

 

Ratlos im Schulalltag

Befördert werden diese durch den oft äußerst schwierigen Schulalltag, mit dem Lehrer gerade in sozialen Brennpunkten konfrontiert sind: Nicht selten werden hier Lehrer von einzelnen Schülern mit Migrationshintergrund in besonderer Weise herausgefordert, provoziert und „getestet“. Dies geschieht auch vor dem Hintergrund, dass einige dieser Kinder und Jugendlichen kaum über andere „deutsche“ Bezugspersonen verfügen. In der Ausbildung werden Pädagogen dagegen nur unzureichend auf solche Situationen vorbereitet. Wie man mit Klassen arbeiten kann, in denen die große Mehrheit der Schüler einen Migrationshintergrund hat, erfahren sie in der Lehrerausbildung höchstens am Rande.

 

Viele Lehrkräfte sind hier ratlos, was im Schulalltag zu Frustrationen und mitunter zu Projektionen und stereotypen Zuschreibungen führen kann: So kann sich bei Lehrern angesichts der vor allem in Brennpunktvierteln verbreiteten Probleme schnell der Eindruck einstellen, „muslimische Schüler“ seien gleichbedeutend mit „schlechten Schülern“. Auch auffälliges Verhalten, Probleme oder Konflikte werden – mitunter sogar in der Absicht, Verständnis zu zeigen – „kulturalisiert“, das heißt auf Herkunft, Tradition und Religion der Schüler zurückgeführt.

 

Übersensible Wahrnehmung

 

Auf Seiten muslimischer Schüler und Eltern werden solche Zuschreibungen und die damit verbundenen subtilen Diskriminierungen sehr genau wahrgenommen. Das teilen sie in Gesprächen immer wieder mit. Dabei sind allerdings oft auch Missverständnisse und übersensible Wahrnehmungen zu beobachten – etwa wenn kritische Anmerkungen von Lehrern gegenüber spezifischen Formen von Religiosität gleich als Ausdruck genereller Islamfeindschaft bewertet werden.

 

Die Folge sind nicht selten Abwehr- und Protesthaltungen, mit denen muslimische Schüler ihre religiöse Identität noch stärker betonen und die sie entsprechend anerkannt sehen wollen. Mitunter bestehen sie nun erst recht auf der Einhaltung „islamischer“ Regeln (etwa zum Fasten oder Beten in der Schule) – oder was sie dafür halten. Dies wiederum kann seitens der Schule den Eindruck erwecken, sich tatsächlich im Kampf gegen eine vermeintliche Islamisierung zu befinden.

 

Ein Vorfall aus einem Gymnasium in Berlin- Neukölln zeigt, welches Spannungspotenzial in diesen Konflikten liegt: Ein dort tätiger Ethiklehrer berichtete, dass er seinen Schülern ein kritisches Religionsverständnis nahe bringen wolle. An einem Gymnasium, so seine Erwartung, müsse „das ja wohl möglich sein“. Doch als er eines Tages den Klassenraum betritt, erheben sich zehn der überwiegend muslimischen Schüler und skandieren „Allahu akbar!“ („Gott ist groß!“)

 

 

Protest hinter fragen

Das Beispiel zeigt die Wirkungsmächtigkeit von gegenseitigen Zuschreibungen, die an vielen Schulen zum Alltag gehören. Aus ihnen kann ein Teufelskreis von Unverständnis, Frustration und Aggressivität entstehen, aus dem herauszukommen mit zunehmender Dauer schwieriger wird: Am Ende werten Schüler und Lehrer sich gegenseitig ab. In einer solchen Atmosphäre kann Lernen nicht mehr gelingen. Wie können also Schule und Pädagogen dazu beitragen, um das Wechselspiel gegenseitiger Zuschreibungen zu unterbrechen und zu einem angemessenen Umgang mit muslimischen Schülern und deren Eltern zu finden?

 

Dazu gilt es zunächst, die Rolle von Religion und Herkunft in Konflikt- und Problemfällen zu hinterfragen. Schließlich sind es vielfältige Gründe, die zu einem Protestverhalten wie dem oben geschilderten führen können. Provozierendes und abwertendes Verhalten ist oft auch dann nicht unmittelbar religiös oder kulturell begründet, wenn es von Schülern selbst in religiösen oder nationalistischen Begriffen und Symbolen artikuliert wird. So verweisen Beschimpfungen wie „Scheißkurden“, „Deutscher“, „Schwuler“, „Hure“ oder „Juden“, die auf vielen Schulhöfen zu hören sind, nicht unbedingt auf einen spezifischen kulturellen Hintergrund des Schülers, der sich in dieser Form über andere auslässt. Diese Beschimpfungen sind oft schlicht Ausdruck des Versuchs, sich selbst und die eigene Gruppe aufzuwerten, indem andere abgewertet werden.

 

Für die pädagogische Praxis heißt dies, dass aus aggressivem oder abfälligem Verhalten von Schülern nicht vorschnell auf Kultur und Religion als dessen primäre Ursache geschlossen werden sollte. So schreien viele Kinder in Grundschulen nicht etwa deshalb so laut, weil sie Türken oder Muslime sind, sondern weil viele von ihnen aus kinderreichen Familien kommen, die oft auf engstem Raum zusammen leben – Lautstärke kann da ein gewohntes Mittel sein, sich Gehör und Aufmerksamkeit zu verschaffen.

 

 

Konsequente Sanktionen

Zudem sollten Schule und Pädagogen signalisieren, dass Schüler mit (muslimischem) Migrationshintergrund selbstverständlich „dazugehören“ und anerkannt und respektiert sind. Eine solche respektvolle Haltung erleichtert es der Schule auch, auf Fehlverhalten entschieden und konsequent – d.h.: gegebenenfalls mit den erforderlichen disziplinarischen Maßnahmen – zu reagieren, ohne dass diese als spezifische Sanktion für Migranten und Muslime interpretiert werden können. Lehrern sollte dennoch bewusst sein, dass der Islam ein wichtiger Teil des Selbstverständnisses und der Lebenswirklichkeit vieler ihrer Schüler ist. Muslimische Schüler sind oft religiöser als es die meisten Lehrer aus ihrem persönlichen Umfeld und von der Mehrzahl der nicht-muslimischen Schüler gewohnt sind. „Warum glauben unsere Lehrer nicht an Gott?“, fragen sie im Gespräch.

 

Respekt, nicht Kritiklosigkeit

 

Respekt vor der Religiosität von Schülern und Eltern zu zeigen, kann daher eine konstruktive Zusammenarbeit erleichtern. Zum Beispiel können einfache Kenntnisse über den Islam und die Herkunftsregionen Schülern wie Eltern signalisieren: „Ich interessiere mich für Euch!“ Diese Offenheit ist nicht gleichzusetzen mit Kritiklosigkeit. Im Gegenteil: Sie kann dazu beitragen, einem gerade unter Jugendlichen verbreiteten, sehr rigiden und traditionalistischen Islamverständnis glaubhaft begegnen zu können. Dieses kann sich an der Schule etwa in der Abwertung und Diskriminierung Anders- und Nichtgläubiger oder gegenüber Muslimen zeigen, die religiösen Geboten weniger wortwörtlich folgen.

 

Ein Beispiel für die offene Auseinandersetzung mit Religiosität ist der Umgang mit dem Kopftuch: Eine respektvolle Haltung gegenüber muslimischen Schülern bedeutet nicht, das Kopftuch gut finden zu müssen. Aber das Tragen des Kopftuchs ist zunächst als individuelle Entscheidung zu respektieren, die Schülerinnen aus unterschiedlichen Gründen treffen. Zwar werden viele Mädchen von ihrem Umfeld mehr oder weniger zum Kopftuch gedrängt. Auch hier gilt es jedoch genauer hinzusehen, denn viele Mädchen und junge Frauen tragen das Tuch aus eigener religiöser Überzeugung – oder aus Protest: gegen ihre Eltern, die Schule oder die Gesellschaft, von der sie sich nicht akzeptiert fühlen. So sind gerade manche junge Frauen mit Kopftuch politisch und gesellschaftlich sehr engagiert.

 

Gemeinsam mit Eltern

 

Zu den Signalen, die die Schule aussenden kann, gehört auch das intensive und kontinuierliche Bemühen um die Eltern. Die Erfahrungen an vielen Schulen zeigen, dass dies aufgrund bestehender Ängste und Vorurteile ein langwieriger und mitunter frustrierender Prozess sein kann. Es gibt hierzu jedoch kaum eine Alternative. Hilfreich sind dabei interkulturelle Kompetenzen, die nicht zuletzt durch Sozialarbeiter und Lehrer sowie interkulturelle Mittler migrantischer Herkunft gewährleistet werden können. Und auch kleine Gesten können in der Praxis ganz entscheidend sein: Die Klassenlehrerin, die im Elterngespräch nicht gleich mit der Tür ins Haus fällt, sondern erst einmal etwas Positives über die Kinder sagt und eine Tasse Tee anbietet, macht auf diese „kultursensible“ Weise deutlich, dass es ihr gemeinsam mit den Eltern um das Wohl des Kindes geht.

 

Und noch etwas ist von großer Bedeutung: Das Kollegium sollte sich die Zeit nehmen, um ausführlich miteinander über spezifische Probleme und die im Umgang mit ihnen gemachten Erfahrungen zu sprechen. Patentlösungen werden sie dabei zwar nicht entdecken – eines ist aber klar: Lehrer sind selbst die besten Experten. In der alltäglichen Praxis sammeln sie die meisten Erfahrungen – z. B. mit gelungenen Interventionen und solchen, die scheitern. Nur müssen diese Erfahrungen auch nutzbar gemacht werden. Im Austausch untereinander können sich Pädagogen nicht nur ein umfassendes Bild von Problemen und ihren Ursachen machen, sondern auch eigene Haltungen und Verhaltensformen reflektieren und sich der im Kollegium vorhandenen Ressourcen bewusst werden. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit der Unterstützung durch externe Fachkräfte oder Supervision. Auch in der Schule gilt also: Respekt, Dialog und Kommunikation sind die Mittel der Wahl, um Frustrationen und daraus häufig resultierenden Projektionen über „die anderen“ vorzubeugen.

 

Mit freundlicher Genehmigung von ufuq.de

Quelle: ufuq.de-Newsletter „Jugendkultur, Religion und Demokratie"

 

 

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*zum Autor: Dr. Jochen Müller ist Islamwissenschaftler und Mitbegründer des Vereins ufuq.de. Er berät Schulen und führt Projekte mit Jugendlichen und Schülern durch – unter anderem im Modellprojekt der bpb „Jugendkultur, Religion und Demokratie“.

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