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Religiöse Handlung oder nur Business?

 

Kein rein technischer Vorgang: Warum Halal-Zertifizierung in muslimischer Hand bleiben muss. Von Yasin Alder

 

(iz). Das Thema Zertifizierung von Produkten als „halal“, sei es im Bereich Lebensmittel oder anderen, ist in letzter Zeit vor dem Hintergrund eines weltweit boomenden Halal-Marktes auch von den Mainstream-Medien entdeckt worden.

 

Verwundert registriert man, dass viele deutsche Lebensmittel-Unternehmen schon seit Jahren Halal-Produkte, freilich vornehmlich für den Export in muslimische Länder, herstellen und sich zertifizieren lassen. Und das Interesse an halal-zertifizierten Produkten seitens der deutschen Nahrungsmittelindustrie steigt weiter an. Angesichts des boomenden Marktes drängen zunehmend auch nichtmuslimische Firmen in den Bereich der Halal-Zertifizierung. Die Kriterien für Zertifizierungen sind bisher nicht einheitlich und es besteht hierbei eine breite Spanne. Fragwürdig ist auch, ob Nichtmuslime überhaupt vertrauenswürdige Zertifizierungen vornehmen können.

 

Die Firma Halal Control in Rüsselsheim ist seit Anfang 2001 im Bereich der Zertifizierung tätig; zu ihren Kunden gehören unter anderem viele namhafte deutsche Unternehmen aus dem Lebensmittelbereich. Halal Control ist bekannt für seine besonders strengen Zertifizierungskriterien und Grundsätze.

 

Geschäftsführer Mahmoud Tatari erläutert die Anfänge seines Unternehmens: „Der Gründung gingen eineinhalbjährige Vorüberlegungen voraus. Wichtig war uns vor allem, wie wir selbst unabhängig überprüft werden können, wer das übernehmen kann und was eigentlich Neutralität bedeutet.“

 

Halal Control ist bei der DAR und anderen einschlägigen Stellen als Zertifizierungsstelle akkreditiert, arbeitet auf Grundlage der ISO-Normen und ist von verschiedenen Behörden wie dem offiziellen malaysischen Jakim-Standard, der weltweit als maßgebender und striktester Standard gilt, neben dem indonesischen und thailändischen Standard akkreditiert. Halal Control hat außerdem einen Rat von zwölf islamischen Gelehrten aus verschiedenen Ländern und aus verschiedenen Rechtsschulen, welche die Zertifizierung, die laut Tatari im Grunde eine Fatwa darstelle, überprüfen. „Hassan Pahmi von Jakim aus Malaysia hat bei deren Besuch bei uns gesagt, dass wir die stärkste Zertifizierungsstelle seien, die sie in Europa bisher geprüft hätten“, sagt Mahmoud Tatari. Auch von der zuständigen indonesischen Behörde wurde Halal Control nach langer Prüfung anerkannt, ebenfalls als stärkste in Europa und als eine von nur vier in ganz Europa, die bisher überhaupt von Indonesien als Zertifizierungsstellen anerkannt wurden. Bei Halal Control arbeiten derzeit fünf fest angestellte Mitarbeiter und zwölf freie Mitarbeiter im technischen Bereich.

 

„Halal ist eine ganzheitliche Anschauung, die sich auf alle Lebensbereiche erstreckt“, legt Tatari die Grundsätze von Halal Control dar. „Im Qur’an wird halal in Zusammenhang mit ‚tajjib’ genannt, und ‚tajjib’ ist auch mit den aufrichtigen Handlungen verbunden, sodass wir den Begriff Halal weiter gefasst definieren: Nicht nur das Produkt selbst muss statthaft sein, sondern auch die dahinter stehende Handlung muss islamkonform sein. Wenn ein Kaffeebauer aus Lateinamerika ausgebeutet wird, mag zwar das Produkt Kaffee noch halal sein, aber das Gesamte ist für uns nicht mehr tajjib. Das gleiche gilt für Kinderarbeit, Eier aus Legebatterien oder ähnliches. Das lehnen wir ab.“ Daher erklärt sich auch, dass Halal Control -anders als andere - es grundsätzlich ablehnt, industrielle Fleischproduktion zu zertifizieren, weil man die industrielle Schlachtungspraxis als nicht den islamischen, durch die Sunna vorgegebenen Normen entsprechend sieht.

 

Man ist oft verblüfft, welche Arten von Nahrungsmitteln eine Halal-Zertifizierung erfordern, von denen man dies nicht vermutet hätte. Dies ist darin begründet, dass diese in der modernen Produktionstechnologie auf vielfältige Weise mit Haram-Stoffen in Berührung kommen können, etwa mit Alkohol bzw. Ethanol oder vom Schwein stammenden Stoffen, die zum Beispiel als Hilfsstoffe zur Verwendung kommen. „Wir haben bisher etwa 120 kritische Punkte bei der Lebensmittelproduktion identifiziert, seien es Stoffe oder Produktionsverfahren, die wir überprüfen“, so Tatari. „Bevor wir zertifizieren, wird die jeweilige Entscheidung bei uns noch einmal mehrfach, von technologischer und islamologischer Seite, geprüft.“

 

Nicht nur die Produktionsweise selbst, sogar die für die Produktionsanlagen eingesetzten Reinigungsmittel können dabei eine Rolle spielen. Beispielsweise kann selbst Milchpulver mit Produkten vom Schwein in Berührung kommen, ebenso Gewürze mit alkoholischen Stoffen. Dies geht bis in den Bereich der Enzyme. Die Prüfungen werden bei Halal Control zuerst anhand von Dokumenten vorgenommen, durch Lebensmittelchemiker und Lebensmitteltechnologen; erst danach geht man zur Auditierung, zur Überprüfung der Prozesse, vor Ort in den Betrieb. Für kritische Stoffe werden Austauschstoffe gesucht, sofern dies möglich ist. Lassen sich keine finden, lehne man die Zertifizierung letztlich ab.

 

Schließlich geht es natürlich auch um die Implementierung der vorgeschlagenen Produktionsprozesse für die Halal-Produktion, und im Re-Audit wird die Einhaltung der Prozesse überprüft - auch unangemeldet. In den 90er Jahren waren insbesondere im Fleischsektor zahlreiche Unternehmen auf den Markt gekommen, die ihre Produkte als „halal“ deklarierten - vorher gab es solche Produkte kaum, nun fanden sie sich in großen Mengen gerade in türkischen oder arabischen Läden. Dies sei einer der Faktoren für die Gründung von Halal Control gewesen, erzählt Tatari. „Wir haben uns damals gefragt, wo all dieses Halal-Fleisch eigentlich herkommt, und haben den Bedarf für eine unabhängige Prüfung gesehen. Als wir in den Jahren 2005 und 2006 diese Fleischprodukte intensiv geprüft haben, war dies ziemlich ernüchternd. Wir haben 78 Proben von 13 Unternehmen mit türkisch klingenden Namen überprüft, bei denen die Hersteller selbst ein Halal-Logo aufgedruckt haben. Etwa 30 Prozent davon enthielten Bestandteile vom Schwein. Wir haben dies auch veröffentlicht und die Hersteller angeschrieben; einige haben uns sofort mit Anwälten gedroht. Bei einigen Herstellern wurde sogar bei mehrfachen Proben immer wieder Schwein gefunden.“

 

Halal Control lehnt, wie bereits erwähnt, industrielle Schlachtungen prinzipiell ab. „Eine Schlachtung ist ja eine ‘Ibada, eine gottesdienstliche Handlung, wie ein Gebet, sie ist kein Spaß und kein Business“, gibt Mahmoud Tatari zu bedenken. „Es gibt dabei Normen, die eben bei industrieller Schlachtung nicht wirklich erfüllt werden können. Für uns ist es nicht relevant, der Fleischindustrie dabei zu helfen, ihr Geschäft zu erleichtern. Außerdem wollen wir auch keine Überproduktion von Fleisch. Auch die Tierhaltung müsste überprüft werden. All dies wäre äußerst umfangreich, daher zertifizieren wir kein Fleisch; erst gestern haben wir wieder eine entsprechende Anfrage abgelehnt. Es gibt auch viele schwarze Schafe in diesem Bereich und viel Missbrauch, deswegen lassen wir die Finger davon.“

 

Alternativ befürwortet Mahmoud Tatari Handschlachtungen in kleinem Umfang, nach Bedarf, die von den muslimischen Gemeinden organisiert werden. Eine solche Organisationsweise ist freilich bisher nicht absehbar. Tatari meint darüber hinaus, dass für die Frage der Halal-Schlachtung auf europäischer Ebene eine Lösung gefunden werden müsse, da die Verbote des betäubungslosen Schlachtens in einigen Staaten, wie auch Deutschland, schon aufgrund des ökonomischen Drucks nicht auf Dauer haltbar sein würden. Derzeit gibt es rund 15 in Deutschland tätige Zertifizierungsstellen.

 

Einen einheitlichen Halal-Standard für die Zertifizierung hält Tatari zwar für wünschenswert, er glaubt aber nicht, dass es diesen in absehbarer Zeit geben werde. „Es wird weiterhin Unterschiede geben. Ich sehe eine solche angestrebte Harmonisierung auch kritisch, weil dadurch bestimmte Normen eher nur abgeschwächt werden. Erfahrungsgemäß richten sich viele Zertifizierungsstellen eher nach den Bedürfnissen der Industrie, als dass die Industrie sich nach den Bedürfnissen der Muslime oder den islamischen Normen richtet.“

 

Harmonisierungsmöglichkeiten sieht er wenn überhaupt eher bei der Implementierung. Viele entsprechende Verlautbarungen in diesem Bereich bzeichnet er eher als „Marketing“ und häufig „substanzlos“.

 

Halal-Zertifizierung deutscher Lebensmittel ist noch immer vor allem eine Export-Angelegenheit. Viele Hersteller und auch Handelsketten schrecken noch davor zurück, Halal-Logos auch auf ihre in Deutschland verkauften Produkte anzubringen. Dabei kann es sein, dass ein bestimmtes Produkt, sagen wir einmal Nuss-Nugat-Creme, nur für den Export halal produziert wird, das in Deutschland erhältliche Produkt aber nicht halal-zertifiziert ist. Es kann aber auch sein, dass es dies sehr wohl ist, nur eben kein Halal-Logo aufgedruckt ist. Mahmoud Tatari von Halal Control glaubt, dass dies letztlich der Markt regulieren werde. „Der Markt wächst, die Nachfrage steigt, und in den USA oder in England sind „koscher“ und „halal“ mittlerweile auch für Nichtmuslime zu Qualitätsmerkmalen mit gutem Image geworden, die den Käufern ein besseres Gefühl vermitteln. Früher oder später wird dies auch in Deutschland so sein. Für uns ist unser Halal-Siegel nicht nur ein Gütesiegel, sondern auch ein Wertesiegel, das auch die Tajjib-Aspekte umfasst. Wir glauben, dass Halal auch in Deutschland dieses Image bekommen wird und die Logos künftig ganz selbstverständlich auf die Produkte angebracht werden.“

 

An Bedeutung gewinnen wird aus Sicht von Mahmoud Tatari auch die Halal-Zertifizierung bei pharmazeutischen Produkten, gerade Arzneimitteln. Zwar ist es Muslimen erlaubt, Medikamente, die Bestandteile vom Schwein oder Alkohol enthalten, einzunehmen, wenn dies notwendig ist, aber nur, wenn es keine entsprechende Alternative ohne diese Bestandteile gibt. Daher gibt es natürlich gerade hier einen großen Bedarf nach Halal-Medikamenten. Aber auch bei Kosmetik- und Körperpflegeprodukten gebe es eine große Nachfrage nach halal-zertifizierten Produkten. Zukunftsträchtig ist auch die Verbindung von Halal, Tajjib, Bio und Fair Trade, doch sieht Tatari diese Produkte als für die meisten muslimischen Konsumenten noch zu teuer an, da diese immer noch vor allem auf günstige Preise Wert legten.

 

Besteht angesichts entsprechender Bestrebungen auf dem Markt die Gefahr, dass die Zertifizierung den Muslimen aus der Hand gleitet und mehr und mehr von nichtmuslimischen Stellen übernommen wird? „Diese Entwicklung befindet sich bereits im Gange“, meint Tatari. „Weltweit agierende Zertifizierungsunternehmen wie Intertek oder SGS sind bereits mit eigenen Standards tätig. Es ist ein attraktiver Markt mit großen Verdienstmöglichkeiten. Zum Teil gibt es dann Kooperationen mit muslimischen Institutionen, die ihnen das legitimieren sollen. Man versucht da massiv, sich große Marktanteile zu sichern. In Deutschland beginnt die RAL ebenfalls mit „‘technischen’ Definitionen von Halal, aber Halal bleibt eben etwas religiöses, nichts technisches.“

 

Es könne, so Mahmoud Tatari, nicht sein, dass Fleisch produzierende Betriebe auch selbst im Bereich der Zertifizierung tätig würden, sozusagen die Industrie sich selbst zertifiziert. Ebenso wenig hält er davon, dass Zertifizierungsstellen an den Verkaufserlösen der zertifizierten Produkte teilhaben und somit daran mitverdienten, da dies ihre Unabhängigkeit in Frage stelle. All dies sind Dinge, die stattfinden.

 

„Es werden teilweise Standards unter dubiosen Kooperationen in die Welt gesetzt, die von den etablierten Zertifizierungsstellen in Indonesien und Malaysia nicht getragen werden können, weil hinter diesen Standards keine islamischen Gelehrten stehen. Man kann nicht einfach nur eine Liste abhaken, denn es gibt immer Spezialfälle, die eine islamologische Beurteilung notwendig machen. Und das macht den Unterschied aus.“

 

 

IZ - 27.10.2009

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