zehra Geschrieben 19. Oktober 2009 Teilen Geschrieben 19. Oktober 2009 Verwirrung über die Impfpläne gegen die Schweinegrippe: Innenminister Schäuble will von Zweiklassen-Medizin nichts wissen. Warum sein Ressort für Politiker und Spitzenbeamte ein verträglicheres Präparat geordert hat, kann er sich nicht erklären. Berlin/München - Mitglieder der Bundesregierung sollen einen anderen Schweinegrippe-Impfstoff bekommen als der Rest der Bevölkerung - einen, der ohne Wirkverstärker auskommt und deshalb als verträglicher gilt. Nach einem entsprechenden Bericht des SPIEGEL muss sich die Bundesregierung gegen heftige Kritik wehren. Es gebe keine "Zwei-Klassen-Impfung", sagte eine Sprecherin von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) der "Berliner Zeitung". Das Beschaffungsamt des Innenministeriums habe mit dem Hersteller Baxter schon vor vielen Monaten einen Vertrag abgeschlossen, den man einhalten müsse. Zum damaligen Zeitpunkt sei von Unterschieden zwischen den beiden Stoffen noch keine Rede gewesen. Zuletzt hatten Experten immer häufiger davor gewarnt, dass das für die Massenimpfung vorgesehene Vakzin Pandemrix wegen seines Wirkverstärkers insbesondere für Schwangere und Kinder nicht zu empfehlen sei. Schäuble selbst sagte am Montag jedoch, er wisse gar nicht, aus welchen Gründen der eine Impfstoff so und der andere so bestellt worden sei. "Das Verteidigungsministerium hat für die Soldaten Impfstoffe bestellt, und von denen soll auch ein Teil der Mitarbeiter in der Verwaltung, der für Krisenstäbe benötigt wird, geimpft werden können", sagte der CDU-Politiker am Montag im Bayerischen Rundfunk. Die Darstellung, dass hier eine Privilegierung von politischen Verantwortungsträgern vorgesehen sei, "ist nun wirklich jenseits jeder Realität", sagte Schäuble. Er fügte hinzu: "Ich weiß gar nicht, ob ich mich jemals impfen lassen werde". Wolfgang Bosbach, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag, ist da bereits weiter: Er hat sich darauf festgelegt, auf die Impfung zu verzichten. "Ich lasse mich nicht impfen, dann muss ich auch nicht die Frage beantworten, ob ich als Bundestagsabgeordneter einen Luxus-Impfstoff bekommen habe", sagte der CDU-Politiker am Montag dem Fernsehsender n-tv mit sichtlicher Verärgerung. "Es ist immer noch die Freiheit des einzelnen, sich impfen zu lassen." Er habe überhaupt kein Verständnis für die Diskussionen über bessere oder schlechtere Impfstoffe. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ derweil wissen, dass sie trotz des für die Bundesregierung bestellten Impfstoffes auf ihren Hausarzt setze. Von ihm solle sie - wie jeder Bürger - den Massenimpfstoff Pandemrix bekommen, heißt es in der "Bild"-Zeitung. Ebenso halte es Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD): "Ich lasse mich mit dem Impfstoff impfen, mit dem auch die Bevölkerung geimpft wird. Der ist genauso wie die anderen zugelassen, sicher und wirksam." Regierungssprecher Ulrich Wilhelm hat unterdessen dementiert, dass die Bundesregierung für sich einen besseren Impfstoff gegen Schweinegrippe als für den Rest der Bevölkerung bestellt habe. Entsprechende Vorwürfe "entbehren jeder Grundlage", sagte Wilhelm am Montag in Berlin. "Richtig ist, es gibt keinen besseren oder schlechteren Impfstoff." "Dumm und verheerend" Die Debatte tobt allerdings mit unverminderter Heftigkeit weiter. Das Vorgehen des Bundesinnenministeriums sei "dumm und verheerend", sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach dem "Münchner Merkur". "Wie will man das Vertrauen der Bürger gewinnen, wenn der Bund für die Regierung einen anderen Impfstoff bestellt als für die Bevölkerung?" Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbandes VdK, sprach in der "Bild"-Zeitung von einem "falschen Signal". "Da verstärkt sich bei vielen Menschen der Eindruck, sie seien Patienten zweiter Klasse. Das zeugt von wenig Fingerspitzengefühl." Ähnlich äußerte sich die Grünen-Gesundheitsexpertin Biggi Bender: "Großes Risiko fürs Volk, kleines Risiko für die Regierung. Diese Art von Zweiklassenmedizin darf es in einer Demokratie nicht geben." Auch führende Mediziner äußerten heftige Kritik an der geplanten Impfpraxis. "Dass Politiker und Spitzenbeamte in Ministerien mit einem anderen Impfstoff geimpft werden als die Bevölkerung, ist ein verheerendes Zeichen", sagte Martin Exner, der Chef des Instituts für Hygiene und Öffentliche Gesundheit an der Universität Bonn. "Gerade Politiker müssen diejenigen sein, die das, was sie empfehlen, auch für sich selbst in Anspruch nehmen." Das Thüringer Gesundheitsministerium warnt bereits vor einer Dämpfung der Impfbereitschaft in der Bevölkerung. "Die Diskussion um einen vermeintlich besseren Impfstoff für Bundeswehr und Bundesregierung wirkt demotivierend", sagte Ministeriumssprecher Thomas Schulz am Montag. Dadurch sei der medizinisch falsche Eindruck entstanden, es gäbe einen besseren und einen schlechteren Impfstoff. Das SPIEGEL-ONLINE-Vote zur Impfbereitschaft (siehe linke Spalte) scheint diese Befürchtungen eindrucksvoll zu bestätigen. Der Virologe Alexander Kekulé von der Uniklinik Halle bezeichnete es als Skandal, dass Mitglieder der Bundesregierung und der Behörden "offenbar einen anderen Impfstoff bekommen sollen". Dennoch riet er gesunden Erwachsenen dringend zur Impfung - und zwar sowohl gegen die neue als auch gegen die "normale" Variante. Erstmals gebe es die Chance, "so eine Influenza-Welle wirklich durch eine Impfung zu begrenzen". Er selbst werde sich auch mit dem Impfstoff Pandemrix gegen Schweinegrippe impfen lassen, sagte Kekulé. Er sei aber auch gesund und erwachsen. Seine drei kleinen Kinder werde er vorerst nicht impfen lassen, "sondern warten, was sich noch tut in den nächsten Wochen". Nachbestellung für Schwangere Das Bundesinnenministerium hatte zuvor dem SPIEGEL bestätigt, dass für die Regierung und nachgeordnete Bundesbehörden 200.000 Dosen des Impfstoffs Celvapan vom US-Hersteller Baxter International bestellt wurden. Dieser Impfstoff enthält eine höhere Konzentration von deaktivierten Grippe-Viren, kommt deshalb ohne Wirkverstärker aus und soll dadurch verträglicher sein. Er ist allerdings auch weniger erprobt als das Konkurrenzprodukt des Pharmahersteller GlaxoSmithKline. Von dessen Impfstoff Pandemrix, der mit Wirkverstärkern - sogenannten Adjuvantien - versehen ist, sollen von kommender Woche an 50 Millionen Dosen in Deutschland bereitstehen. Da aber Pandemrix nicht an Schwangeren getestet wurde, soll für sie nun schnell ein Impfstoff ohne Wirkverstärker besorgt werden. Der zuständige Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Klaus Theo Schröder, sagte dem SPIEGEL, es liefen derzeit "Gespräche mit Herstellern sowie den Gesundheitsministerien in Frankreich und den USA mit dem Ziel, für Schwangere auch nicht-adjuvantierten Impfstoff zu beschaffen." Eine Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) betonte am Sonntag, dass "alle drei bisher zugelassenen Impfstoffe wirksam und verträglich" seien. Es gebe "keinerlei gefährliche Nebenwirkungen". Auch die Mitarbeiter des Instituts würden mit Pandemrix geimpft. "Wir sind der Meinung, das ist ein guter Impfstoff", sagte die Sprecherin. "Wir haben ihn für die Bevölkerung empfohlen und wollen ihn auch für uns." mbe/ddp/Reuters/AP/dpa Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
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