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Umstrittenes Pauschalurteil: Ein hoher Richter in Nordrhein-Westfalen wendet sich dagegen, dass muslimische Gemeinden den Kirchen gleichgestellt werden. Seine Begründung ist hanebüchen

 

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In seiner Rede "Zum Verhältnis von Kirche und Staat" trat Michael Bertrams, hier im Sitzungssaal des Verfassungsgerichtes NRW, nicht als Richter auf. Er sagte selbst, er verlasse den "selbst verordneten Standpunkt des Juristen". Aber so viel persönliches Bekenntnis müsse sein

 

Der Vorwurf war kein neuer, doch wer ihn formulierte und wie, das war starker Tobak: Michael Bertrams, der Präsident des Verfassungsgerichtshofs in Nordrhein-Westfalen und damit höchster Richter an Rhein und Ruhr, hatte in einem Vortrag den Protestanten empfohlen, eine klare Position gegen dem "Vormarsch" des Islam zu beziehen. Denn Muslime würden zwar nach außen etwas anderes bekunden, nach innen aber wüssten sie mit den Werten des Grundgesetzes oft nichts anzufangen.

 

Anlass für seinen Vortrag in Münster war das Jubiläum der "Barmer Erklärung" von 1934, mit der evangelische Theologen sich gegen die Nazis und christliche Mitläufer wandten. Sie wollten ihren guten Glauben nicht kompromisslerisch "dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen". Vor diesem historischen Hintergrund sprach Bertrams aktuelle Probleme zwischen dem Staat und dem Islam an und suggerierte damit: Protestanten sollten sich heute der Öffnung gegenüber dem Islam in Deutschland genauso widersetzen, wie sich einige von ihnen vor 75 Jahren den Nazis und der Staatsgläubigkeit der "Deutschen Christen" widersetzt hatten.

 

Konkret wendet sich Bertrams gegen eine Gleichstellung muslimischer Religionsgemeinschaften mit den großen Kirchen, also ihre Anerkennung und Förderung als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Obgleich, so der Richter, islamische Gruppen in der Regel öffentlich erklärten, auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen, würden sie von "ihrem islamischen Selbstverständnis her" doch häufig Positionen besetzen, "die in offenem Widerspruch zu elementaren Grundwerten unserer Verfassung stehen".

 

Als Belege dienen Bertrams die Vorstellung vom "Gottesstaat" und das islamische Recht (Scharia), das der Frau "in nahezu allen Lebensbereichen einen niedereren Rang" zuweise als dem Mann. Der Staat aber dürfe nur Religionsgemeinschaften fördern, welche die Grundlagen der freiheitlichen Ordnung vorbehaltlos bejahen und stärken. Das sind, laut Bertrams, die beiden großen christlichen Kirchen. Der Staat solle sein Verhältnis zu den Religionen nach den "christlichen Wurzeln Europas ausrichten." Damit geht Bertrams über die Rechtslage hinweg, wonach auch die jüdischen Gemeinden und die Zeugen Jehovas mit den großen Kirchen gleichgestellt sind.

 

Die Pauschalurteile des Richters Bertrams zum Islam "sind leider nicht geeignet, das Vertrauen der Muslime in den Rechtsstaat zu stärken, im Gegenteil". Das sagt Bülent Ucar, Professor für Islamische Religionspädagogik und Lehrerbildung an der Universität Osnabrück, ein gläubiger Muslim und ein deutscher Beamter auf dem Boden des Grundgesetzes. Tatsächlich rückt der Gerichtspräsident mit seinen Mutmaßungen über das muslimische "Selbstverständnis" und seine Wirkung "nach innen" von der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe entscheidend ab.

 

Im Kopftuchurteil über Lehrerinnen, in einem Beschluss für die Mun-Sekte wie im Körperschaftsurteil zugunsten der Zeugen Jehovas kommt es den Karlsruher Richtern im Wesentlichen auf das äußere Verhalten in der säkularen Gesellschaft und im weltanschaulich neutralen Staat an. "Wegen des Grundsatzes der religiös-weltanschaulichen Neutralität darf der Staat eine Religionsgemeinschaft nicht nach ihrem Glauben, sondern nur nach ihrem Verhalten beurteilen", stellt die Jehova-Entscheidung unmissverständlich klar. Da bleibt kein Platz für Gesinnungsschnüffelei.

 

Tatsächlich bejahen mehr als zwei Drittel aller Muslime in Deutschland ausdrücklich religiöse Toleranz und mithin eine pluralistische Gesellschaft. Das zeigen soziologische Untersuchungen etwa der Bertelsmann Stiftung. Es kann laut Bundesverfassungsgericht auch nicht Ziel des "Körperschaftsstatus" sein, "eine Religionsgemeinschaft durch Privilegien zur Kooperation mit dem Staat anzuhalten. Das Grundgesetz ermöglicht eine Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften mit dem Staat, macht sie aber nicht zur Bedingung."

 

Mit seiner Meinung spaltet der höchste Richter im größten Bundesland die Gesellschaft in Deutschland, nicht zuletzt in der Frage der Gleichberechtigung. Dazu bemerkt der Religionsexperte Ucar umsichtig: "Es gibt im Koran sicherlich die ein oder andere Stelle, die als antifeministisch interpretiert werden könnte. Man findet ähnliche Passagen in frühen Schriften des Hinduismus, Judentums und auch des Christentums." Solche Texte müsse man aber aus ihrem "historischen Kontext" verstehen und heutzutage neu interpretieren.

 

Dass auch christliche Länder sich sehr viel Zeit ließen mit der Gleichberechtigung, verdeutlich die jüngste deutsche Geschichte: Zwar verkündete das Grundgesetz schon 1949 die Rechtsgleichheit von Mann und Frau, räumte jedoch für die konkrete gesetzliche Umsetzung eine Schonfrist bis 1953 ein. Wegen der Hinhaltetaktik der regierenden CDU und der Kirchen trat das Gleichberechtigungsgesetz erst 1958 in Kraft. Aber erst seit 1977 darf die Ehefrau offiziell auch ohne Einverständnis ihres Mannes berufstätig sein und erst seither gilt das Partnerschaftsprinzip ohne gesetzlich vorgeschriebene Aufgabenteilung in der Ehe.

 

Der Integrationsbeauftragte der nordrhein-westfälischen Landesregierung, Thomas Kufen, versucht, den Ball flach zu halten. Auf Nachfrage bittet er um "Verständnis, dass ich mich zu den privat getätigten Aussagen des Richters Dr. Bertrams nicht äußern werde". Hier irrt der Integrator: Der Gerichtspräsident ließ sich zum Vortrag mit vollem Rang und Amtstitel ankündigen.

 

 

Hermann Horstkotte, Zeit-Online, 07.10.09

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