Adem Geschrieben 18. Oktober 2008 Teilen Geschrieben 18. Oktober 2008 Der Staatsangehörigkeitsstatus von Nichtmuslimen im Islamischen Recht - Dr. theol. Ahmet Günes - Dass auch Nichtmuslime Staatsangehörige eines muslimischen Landes sein können, war in der islamischen Rechtsprechung stets unumstritten. Der Koran gesteht den Buchbesitzern (den Angehörigen der Offenbarungsreligionen, d.h., Juden und Christen) explizit das Recht zu, Staatsangehörige eines islamischen Staats werden zu können. (9:29) Aus der Praxis des Propheten Muhammad wiederum geht hervor, dass das gleiche Recht auch den Feueranbetern (mecusi) eingeräumt wird. (Bukhari, Dschizya, 1; Tirmidhi, Siyar, 31) Diese Einordnung besagt jedoch nicht, dass die Feueranbeter auch zu den Buchbesitzern zu zählen sind. Imam Abu Hanifa zufolge hat der Prophet den Feueranbetern das Recht auf eine Staatsangehörigkeit im islamischen Staat eingeräumt, obwohl sie nicht zu den Anhängern des Buches zählen. Er leitet daraus ab, dass Feueranbeter, Polytheisten und sogar Atheisten das gleiche Anrecht auf die Staatsangehörigkeit eines islamischen Staates haben wie die Buchbesitzer. (Cassas, IV, 283) Quintessenz seiner Ausführungen ist, dass die einzige Voraussetzung für den dauerhaften Erwerb der Staatsangehörigkeit eines islamischen Staats darin besteht, Mensch zu sein. Wenn heute über den Staatsangehörigenstatus von Nichtmuslimen diskutiert wird, geht es vor allem darum, inwieweit Muslime und Nichtmuslime innerhalb des Staates einander gleichgestellt sind. Dieser Frage wird sich auch der vorliegende Beitrag widmen. Beginnen möchte ich jedoch mit der rechtlichten Seite des Staatsangehörigkeitsvertrags. 1. Die rechtliche Seite des Staatsangehörigkeitsvertrags Der Staatsangehörigkeitsvertrag der Nichtmuslime mit den Muslimen gründet nach islamischem Recht auf dem Schutzrecht. Und beim Schutzrecht unterscheidet man zwischen zeitlich befristetem und unbefristetem Schutzrecht. Das befristete Schutzrecht - vergleichbar mit einem Visum - fällt in den Kompetenzbereich des Staatsoberhauptes und der Regierung. Es stellt eine Ausnahmeregelung dar und kann nach Ermessen verliehen werden. (Kasani, VII, 109) Werden dann bestimmte Voraussetzungen erfüllt, so kann wird aus dem befristeten Schutzrecht ein unbefristetes Schutzrecht werden. Das unbefristete Schutzrecht ist gekoppelt an den Vertrag der Staatsangehörigkeit, der für die muslimische Seite einseitig bindend ist. Nichtmuslime können ihre Staatsangehörigkeit somit jederzeit widerrufen. (Kasani, VII, 107) Nach islamischem Recht erlangt ein Nichtmuslim den Status eines Staatsangehörigen des islamischen Staates auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin durch Heirat, Immobilienerwerb oder nach einjährigem Aufenthalt. Selbst einem Nichtmuslim aus einem Land, gegen das man gerade Krieg führt, kann die Staatsangehörigkeit verliehen werden, soweit er sich dazu bereit erklärt, die fälligen Steuern (siehe unten) zu entrichten. Gleiches gilt auch für die nichtmuslimischen Angehörigen von Staaten, die im Krieg besiegt wurden. (Zeydan, 25) Im islamischen Recht wird der Staatsangehörigkeitsvertrag als ein dauerhafter Schutz bezeichnet und hat somit einen dauerhaften Status. (Kasani, VII, 110) Bekanntermaßen können Handelsverträge annulliert werden, und auch Eheverträge können, obgleich sie eine Klausel auf ‚Dauerhaftigkeit’ beinhalten, unter bestimmten rechtlichen Voraussetzungen aufgelöst werden; nicht jedoch das Staatsangehörigkeitsrecht der Nichtmuslime. Nach hanafitischer Rechtsauffassung rechtfertigen nicht einmal Strafdelikte den Entzug der Staatsangehörigkeit. Der Staatsangehörigkeitsvertrag kann nur dann von Seiten des Staates gekündigt werden, wenn ein nichtmuslimischer Staatsangehöriger in ein befeindetes Land flüchtet oder sich einem Aufstand anschließt. (Kasani, VII, 106-107, 112) Auch die Schafi’iten stehen auf einem ähnlichen Standpunkt. (Safii, IV, 198) Den Begriff Ausbürgerung - sowohl für Muslime als auch für Nichtmuslime - sucht man in der islamischen Rechtsliteratur vergebens. Aufgrund der Tatsache, dass der Staatsangehörigkeitsvertrag außerhalb seines Kompetenzbereichs liegt, ist nicht einmal das Staatsoberhaupt eines islamischen Staats befugt, diesen Vertrag für nichtig zu erklären und nichtmuslimischen Bürgern ihre Staatsangehörigkeit zu entziehen. (Kasani, VII, 109; Hamidullah, 210) Diese Verteilung der Kompetenzen leitet sich direkt aus dem islamischen Prinzip ab, demzufolge Mensch und Recht gleichermaßen zu achten sind. 2. Der Umfang des Staatsangehörigkeitsvertrags Mit der Staatsangehörigkeit eines islamischen Staats erhalten Nichtmuslime ein Anrecht darauf, dass ihr Leben, ihre Würde, ihre Familie und ihr Eigentum gegen innere wie äußere Bedrohungen geschützt werden. Sie können religiöse Rechte geltend machen und sind von den islamischen religiösen Pflichten und Abgaben befreit. Daneben genießen sie weitere Rechte und Sicherheiten und unterliegen auch manchen Pflichten. Die wichtigsten möchte ich im Folgenden vorstellen. a. Äußere Sicherheit Der Staatsangehörigkeitsvertrag sieht vor, dass die Muslime das Leben, die Würde, die Familie und das Eigentum der Nichtmuslime vor inneren wie äußeren Gefahren schützen und bewahren. (Kasani, VII,111) Der Prophet definierte dieses Anrecht der Nichtmuslime, indem er sagte, Sie stehen unter dem Schutz Gottes und seines Gesandten. (Tirmidhi, Siyar, 48) Kalif Umar betonte, dass der Staatsangehörigkeitsvertrag verlangt,„im Bedarfsfall sogar um ihretwillen zu kämpfen.“ (Bukhari, Dschihad und Siyar, 174) Im Staatsangehörigkeitsvertrag, den Halid ibn Velid mit dem Volk von Hira schloss, heißt es: „Solange sie ihr Versprechen und ihren Schwur einhalten, ihren Verpflichtungen nachkommen, die Regeln befolgen und den Muslimen ihre Abgaben entrichten, werden ihnen die gleichen Rechte gewährt wie auch den anderen Nichtmuslimen. Unsere Aufgabe wird sein, sie gegen äußere und innere Feinde zu verteidigen und die Sicherheit ihres Lebens und Eigentums zu gewährleisten.” (Ebu Yusuf, 143-144) Seit den Anfängen des Islams bieten Muslime Nichtmuslimen Schutz vor äußeren Gefahren. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Während der Eroberung Syriens etwa handelte der Heerführer Abu Ubayda mit den Christen aus der Region um Damaskus einen Friedensvertrag aus und akzeptierte sie damit als Schutzbefohlene. Die Nichtmuslime schätzten die Gerechtigkeit und Menschlichkeit des islamischen Staats, die Ehrlichkeit der Muslime und ihre moralischen Qualitäten. Dies ging sogar so weit, dass sie die Muslime über die Kriegsvorbereitungen der Byzantiner informierten. Als diese immer stärker vorangetrieben wurden, ließ Abu Ubayda den Gouverneuren der Regionen mit Staatsangehörigkeitsverträgen einen Erlass zukommen, wonach die von Nichtmuslimen entrichteten Steuern und Abgaben zurückerstattet werden sollten. An die Nichtmuslime selbst richtete er folgendes Schreiben: „Wir werden euch die bereits eingetriebenen Steuern wieder zurückerstatten. Denn nach unseren Kenntnissen treffen die Byzantiner Kriegsvorbereitungen. Als Gegenleistung für eure Steuern hatten wir euch den Schutz eures Lebens, eures Eigentums und eures Heims garantiert. Doch gegenwärtig sehen wir uns dazu nicht in der Lage, diese Sicherheit zu gewährleisten. Erst wenn Gott uns zum Sieg über den Feind verhilft, werden die bisherigen Vereinbarungen wieder in Kraft treten.“ (Abu Yusuf, 139) Die Nichtmuslime jedoch entgegneten: ‚Wir schätzen eure Herrschaft und Gerechtigkeit weit mehr als die Unterdrückung und Tyrannei früherer Zeiten. Mit eurer Unterstützung werden wir die Truppen von Heraclius mit Sicherheit in die Flucht schlagen.‘ Da erhoben sich die Juden und bekräftigten: ‚Wir schwören bei der Thora, dass kein Kommandant von Heraclius die Stadt Hims betreten soll, bevor wir nicht besiegt und kampfunfähig sind!‘ Daraufhin schlossen sie die Stadttore und bewachten sie. Bewohner anderer Städte, die sich den Muslimen ergeben hatten - Juden wie Christen - taten es ihnen nach. Als Heraclius Armee mit Gottes Hilfe geschlagen worden war und die Muslime die Oberhand behielten, öffneten sie die Stadttore, holten ihre Pauken und Trompeten hervor und feierten den Sieg der Muslime.“ (Baladhuri, 195-196) b. Innere Sicherheit Das Leben, die Würde, die Familie und das Eigentum der Nichtmuslime müssen auch vor inneren Gefahren geschützt werden. Dem islamischen Prozessrecht zufolge darf bei Gerichtsverfahren, die die Rechte des Individuums betreffen, die religiöse Identität des Klägers keine Relevanz für das Urteil besitzen. Selbst Staatsoberhäupter haben bereits mit nichtmuslimischen Staatsangehörigen vor Gericht gestanden. Es gibt viele Präzedenzfälle, in denen muslimische Richter Urteile zugunsten von nichtmuslimischen Staatsangehörigen gegen muslimische Herrscher gefällt haben. (Turnagil, 39) Im islamischen Strafrecht sind Muslime und Nichtmuslime den gleichen gesetzlichen Regelungen unterworfen. Abu Hanifa stellt fest, dass die Gesetze im Hinblick auf die Vergeltung (Qisas) nicht nur gültig sind, wenn ein Nichtmuslim einen Muslim ermordet hat, sondern auch im umgekehrten Fall. Denn der Koranvers, aus dem das Gesetz, nicht töten zu dürfen, abgeleitet wird, spricht von nafs - deutsch: selbst. Und unter dieses nafs fallen alle Menschen, ganz gleich ob sie gläubig sind oder nicht. Ibn Abbas setzte durch, dass muslimische und nichtmuslimische Staatsangehörige bei Verzicht auf Vergeltung auch im Bezug auf das dann fällige Blutgeld die gleichen Rechte besitzen. (Kasani, VII, 252) Toten Nichtmuslimen soll der gleiche Respekt entgegengebracht werden wie toten Muslimen. Weder tote noch lebende Nichtmuslime dürfen gedemütigt und geschmäht werden. Verboten sind auch jegliche Verleumdungen gegen Muslime und Nichtmuslime. Ein Muslim, der eine nichtmuslimische Frau vergewaltigt, erhält die gleiche Strafe, als hätte er eine muslimische Frau vergewaltigt. (Hamidullah, 174) Das Eigentum der Nichtmuslime steht unter Schutz. Bestiehlt ein Muslim einen Nichtmuslim, so wird er wegen Diebstahls verurteilt und bestraft. Dies gilt sogar für den Diebstahl von Gütern wie Alkohol und Schweinefleisch, die für Muslime verboten sind. Auch sie sind durch das Eigentumsrecht der Nichtmuslime geschützt. Sie dürfen nicht angerührt werden, weil sie für Nichtmuslime einen pekuniären Wert darstellen. Beschädigt ein Muslim diese Güter, muss er den Besitzer nach allgemeiner Rechtsauffassung dafür entschädigen. (Serahsi, Mebsut, XI,102) c. Religiöse Rechte Als der Prophet Muhammad die Stadt Medina mit seiner Emigration beehrte, arbeitete er mit den verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen die Verfassung von Medina aus, in der die Rechte aller Bürger, ungeachtet Religion, ethnischer Zugehörigkeit und sozialer Stellung schriftlich fixiert wurden. Mit dieser Verfassung erhielt die ‚Erleuchtete Stadt’ (Medina al-munawwara), wie sie seither genannt wird, auch den Beinamen ‚Ort des Vertrauens’ (Dar al-Iman). Die Verfassung von Medina ist von großer Bedeutung, vor allem hinsichtlich der praktischen Umsetzung und Gestaltung des friedlichen und harmonischen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Religionen und Ethnien sowie im Hinblick auf die gegenseitige Unterstützung und Solidarität der Bürger. Was die staatsinterne Gerichtsbarkeit anbelangt, so herrscht im islamischen Recht der Grundsatz des Territorialitätsprinzips (Seybani, IV, 237). Mit anderen Worten: In einem islamischen Staat sollen für alle Bürger ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit die gleichen Rechtsnormen gelten, sofern diese keinen Bezug zu religiösen Normen aufweisen. Nichtmuslime fallen somit im islamischen Staat unter das islamische Recht, zumindest was das Strafrecht, das Schuldrecht und das Sachenrecht betrifft. (Ibn Abidin, IV, 128-129; Schafi’i, IV, 180) Auch alle verwaltungsrechtlichen bzw. administrativen Angelegenheiten sollen diesem Grundsatz folgen. (Siehe Bilmen, III, 310) Ein Ausspruch des Propheten Muhammad veranschaulicht das entsprechende juristische Prinzip: Die Rechte der Muslime sind auch ihre [der Nichtmuslime] Rechte, die Pflichten der Muslime sind auch ihre Pflichten. (Tirmidhi, Siyar, 48) Der Leitsatz „Lasst die Nichtmuslime ihre Glaubensangelegenheiten selber regeln” (Kasani, VII, 147) bringt das allgemeine Prinzip für die Regelung der religiösen Angelegenheiten der Nichtmuslime im islamischen Recht schön auf den Punkt. Denn diese religiösen Angelegenheiten bilden die einzige Ausnahme vom Gleichheitsprinzip zwischen Muslimen und Nichtmuslimen. Der Islam erweist sowohl den religiösen Werten als auch den religiösen Akten der Nichtmuslime Respekt. Darauf wurde von den Anfängen des Islams an sehr viel Wert gelegt. Als der Prophet Muhammad einmal die Christen aus Nadschran (eine Region nahe der Grenze zum Jemen) in der Masdschid an-Nabawi (der Prophetenmoschee) empfing, entschuldigten sich seine Gesprächspartner plötzlich und wollten hinausgehen. Als der Prophet sie nach dem Grund fragte, sagten sie: „Es ist Zeit für unseren Gottesdienst, und wir wollen uns nicht verspäten.” Daraufhin bot der Prophet ihnen an, „Ihr könnt euren Gottesdienst hier in der Moschee abhalten“, was sie dankend annahmen. (Ibn Hischam, II, 574) Im Friedensabkommen mit der Bevölkerung von Nadschran ließ der Prophet ausdrücklich die Immunität ihrer Gotteshäuser und das Recht auf eigenständige Priesterwahlen festschreiben. (Ebu Yusuf, 72, 73) Nichtmuslimen steht es frei, ihre Kinder den eigenen Glaubensvorstellungen gemäß zu erziehen und auszubilden. Zu Lebzeiten des Propheten Muhammad unterhielten die Juden in Medina eine Synagoge und eine Erziehungsanstalt, die Bayt al-Midras genannt wurde. (Hamidullah, 217; Ibn Hischam, II, 552, 558) Nach islamischem Recht darf ein muslimischer Ehemann seiner nichtmuslimischen Ehefrau (Jüdin oder Christin) nicht verbieten, nach eigener Glaubensvorstellung zu beten oder die eigenen Gotteshäuser aufzusuchen. (Bilmen, II, 105) Sogar bestimmte Bereiche des Personen-, Familien- und Erbrechts unterstehen nicht der islamischen Rechtsprechung, sofern sie religiöse Regelungen berühren. Nach islamischem Recht sind alle Straftaten und Verurteilungen von individueller Natur. Das heißt, niemand kann für eine Straftat belangt werden, die ein anderer begangen hat. Des Weiteren dürfen Grausamkeiten nicht mit Grausamkeiten beantwortet werden. Das Prinzip der Gegenseitigkeit darf im islamischen Recht nur von der Politik angewandt werden. Wenn also in nichtislamischen Staaten die religiösen Rechte und Freiheiten von Muslimen eingeschränkt bzw. missachtet werden, so darf dies nicht zum Anlass genommen werden, die Rechte der Nichtmuslime in muslimischen Staaten zu beschneiden. Eines von vielen Beispielen aus der Geschichte der Osmanen: Sultan Selim I. plante, als Vergeltung für die während der Reconquista (spanisch: Rückeroberung) an andalusischen Muslimen in Spanien verübten Grausamkeiten, die Kirchen im Osmanischen Reich in Moscheen umzuwandeln. Doch der Scheich al-Islam Zenbilli Ali Efendi erhob Einspruch und verwies auf den Koran und den Verpflichtungsvertrag zwischen dem Patriarchat der Christen und Sultan Mehmet I., dem Vorgänger von Selim I. Jahre später hatte Sultan Süleyman I. das gleiche Ansinne, doch auch er wurde von dem amtierenden Scheich al-Islam Ebussuud Efendi in die Schranken verwiesen. (Niyazi, 227) d. Die Entbindung von Pflichten, die der Islam vorsieht Nichtmuslime sind im islamischen Staat dazu verpflichtet, eine Kopfsteuer, die Dschizya, zu entrichten. Zwar wird diese Verpflichtung bisweilen als eine Verletzung des Gleichheitsprinzips zwischen Muslimen und Nichtmuslimen interpretiert; doch die Zahlung dieser Steuer hat einen direkten Bezug zu den religiösen Sozialabgaben (Zakat) und zum Militärdienst, die allein von Muslimen zu leisten sind. Hier kommt das grundlegende Prinzip zur Anwendung, dass nichtmuslimische Staatsangehörige von religiösen Pflichten, die der Islam den Muslimen auferlegt, befreit sind. (Zencani, 99) In der islamischen Rechtsliteratur werden das Pflichtgebet, das Fasten und die Pilgerfahrt, aber auch die Sozialabgabe und der Militärdienst der Kategorie der Glaubensausübung (Ibada - auch: Dienst an Gott) zugeordnet. Folglich sind Nichtmuslime von Sozialabgabe und Militärdienst befreit, was freilich in der Praxis nicht bedeutete, dass sie keinen Militärdienst leisten durften. (Bilmen, III, 360) Schon zu Lebzeiten des Propheten, aber auch später kam es durchaus vor, dass sich Nichtmuslime an militärischen Aktivitäten beteiligten. In diesem Fall, so die islamische Rechtsliteratur, wurde ihnen für das entsprechende Jahr die Dschizya erlassen. (Meydani, IV, 132) e. Finanzielle Verpflichtungen Bis heute existiert kein Staat auf der Welt, der keine Steuern erhebt. Die Steuern sind die Haupteinnahmequelle eines jeden Staates, sie sollten der inneren und äußeren Sicherheit zugute kommen und weitere öffentliche Dienste finanzieren. (Tug, 1ff.) Natürlich gilt das auch für einen islamischen Staat. Die Muslime müssen als Grundsteuer das sogenannte ‚Zehntel’ (Uschr) entrichten und die Nichtmuslime den ‚Tribut’ (Kharadsch). Die Höhe des Tributs wurde nach der Beschaffenheit des Ackerbodens (und den daraus resultierenden Ernteerträgen) bemessen, und sie wurde alljährlich neu festgelegt. Für die Nutzung von staatseigenen Flächen mussten also Steuern entrichtet werden, unerheblich ob es sich bei dem Nutzer um einen Muslim oder einen Nichtmuslim handelte. Was die Einnahmen aus Handel, Industrie und anderen Wirtschaftszweigen betrifft, so entrichten Muslime ihre Steuern in Form der Zakat (Sozialabgabe), Nichtmuslime hingegen in der Form der Dschizya (Kopfsteuer). (Abu Yusuf, 123) Und genau wie die Bemessung der Zakat in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Einkommen der muslimischen Steuerpflichtigen steht, ist auch für die Tributszahlungen der Nichtmuslime die Höhe ihrer individuellen Einkommen entscheidend (Abu Yusuf, 40, 122) Die starken Schwankungen der Tributszahlungen in der Geschichte belegen diese Handhabung. (Abu Yusuf, 36, 38) Im Verhältnis wurde durchschnittlich doppelt so viel Dschizya erhoben wie Zakat. Da Letztere ca. ein Vierzigstel des Vermögens betrug, betrug die Dschizya zwei Vierzigstel und somit etwa 5% des Vermögens. Generell wurde die Höhe der Tributzahlung in den friedlich eingenommenen Gebieten in gegenseitigem Einvernehmen festgelegt. (Kasani, VII, 111) Darüber hinaus wurde von Kindern, Frauen und Menschen ohne Einkommen sowie von Geistlichen keine Dschizya eingefordert. (Abu Yusuf, 122) Verarmten Nichtmuslimen wurde die Dschizya erlassen, stattdessen wurde ihnen nicht selten Sozialhilfe aus der Staatskasse gewährt, so z.B. während des Kalifats von Umar: Eines Tages sah der Kalif Umar einen älteren blinden Mann vor seiner Haustür betteln. Er ging zu ihm hin und fragte ihn, welcher Religion er angehöre. „Jude“, sagte der Mann, und da fragte ihn Umar weiter, was ihm denn Schlimmes widerfahren sei. Der Mann antwortete: „Die Dschizya, die Armut und das Alter.“ Daraufhin nahm ihn Umar an der Hand und führte ihn in sein Haus. Dort gab er ihm ein Almosen und schickte ihn anschließend zu den Beamten der Staatskasse, die er aufforderte, solche Menschen in der Zukunft zu unterstützen: „Bei Gott, wir müssen diese Menschen fürsorglich behandeln. In ihrer Jugend haben sie uns Tribut gezahlt, also dürfen wir sie jetzt nicht hilflos sich selbst überlassen.“ Umar interpretierte den Koranvers Wahrlich, die Almosen sind nur für die Armen und Bedürftigen (9:60) dahingehend, dass mit den Armen die Muslime und mit den Bedürftigen die Buchbesitzer gemeint seien, und verzichtete bei diesem und ähnlich bedürftigen Menschen auf die Tributzahlung. (Abu Yusuf, 126) Im Zuge der Neuordnung des osmanischen Staates (Tanzimat) im 19. Jahrhundert wurde die Tributpflicht mit der Begründung der steuerlichen Gleichbehandlung aufgehoben und gleichzeitig der Wehrdienst für alle eingeführt. Diese Regelung stieß aber bei den nichtmuslimischen Staatsangehörigen auf Ablehnung. (Inalcik, VIII, 48) Fazit Die Schutzbefohlenen (Dhimmis) besitzen im islamischen Staat den Status von vollwertigen Staatsangehörigen. Im Hinblick auf ihre individuellen Rechte sind sie den Muslimen gleichgestellt. Ihre Stellung als Schutzbefohlene garantiert den Nichtmuslimen nahezu die gleichen Rechte wie den Muslimen. (Kasani, VII, 111) Der Staatsangehörigkeitsvertrag mit Nichtmuslimen gilt im islamischen Recht als ein einseitiger Vertrag mit einem dauerhaften Status. Mit dem Abschluss dieses Vertrags garantieren die Muslime den Nichtmuslimen, ihr Leben, ihre Würde, ihre Familie und ihr Eigentums vor äußeren wie inneren Gefahren zu schützen. In allen Bereichen, die die Menschenrechte betreffen, wird weder nach Religionszugehörigkeit noch nach Sprache, Nationalität, Geschlecht oder Position unterschieden. Für alle Angehörigen eines islamischen Staats gelten die gleichen rechtlichen Regelungen. Die religiösen Werte der Nichtmuslime sind stets zu respektieren, und die Nichteinmischung in ihre Glaubensangelegenheiten ist ein Grundprinzip. Außerdem bestehen die islamischen Pflichten für Nichtmuslime nicht. Diese Grundsätze beruhen auf den Koranversen Ihr habt eure Religion, und ich habe meine Religion (109:6) und Doch wir haben unsere Taten und ihr [die Schriftbesitzer] habt eure Taten. (2:139; und ähnlich in 28:55 sowie 42:15). Sie spiegeln ein Verwaltungsverständnis wider, das die religiösen Rechte und Freiheiten respektiert. Literatur Baladhuri; Futuh al-Buldan; Ankara 2002 Bilmen, Ö. Nasuhi; Hukuki Islamiyye ve Istilahati Fikhiyye Kamusu; Istanbul Bukhari, Abu Abdullah Muhammed b. Ismail; As-Sahih; Istanbul Cassas, Ebu Bekir Ahmet b. Ali; Ahkam al-Qur’an; Beyrut 1985 Çeker, Orhan; Osmanli Hukuk-i Aile Kararnamesi; Konya 1999 Debusi, Ebu Zeyd Abdullah b. Ömer; Takvimu’l-Edille fi Usuli’l-Fikh; Beirut 2001 Abu Yusuf, Ya’qub ibn Ibrahim; Kitab al-Kharadsch; Beyrut 1302 Elmalili, M. Hamdi Yazir; Hak Dini Kur’an Dili; Istanbul 1979 Hamidullah, Muhammed; Islam Anayasa Hukuku; Istanbul 1995 Ibn Abidin; Hasiyetü Reddi’l-Muhtar;Istanbul 1984 Ibn Hisam; As-Sira an-Nabawiya;Beirut 1985 Inalcik, Halil; “Cizye”; DIA; Istanbul 1993 Kasani, Alauddin Ebu Bekr b. Mesud; Bedaiu’s-Sanai’ fi Tertibi’s-Serai’; Beirut 1986 Meydani; Al-Lubab fi Scharh al-Kitab; Beirut 1985 Niyazi, Mehmet; Türk Devlet Felsefesi; Istanbul 1993 Serahsi, Muhammed b. Ahmed; Al-Mabsut; Beirut 1986 Serahsi, Muhammed b. Ahmed; Usul; Istanbul 1990 Safii, Muhammed b. IIris; Al-Umm; Beirut Tirmidhi, Abu Isa Muhammed b, Isa; Al-Dschami’ al-Sahih; Beirut Tug, Salih; Islam Vergi Hukukunun Ortaya Çikisi; Istanbul 1984 Zencani, Ebu’l-Menakib Sihabuddin Mahmud b. Ahmed; Tahridsch al-Furu’ ala l-Usul; Beirut 1987 Zeydan, Abdulkerim; Ahkamu’z-Zimmiyyin ve’l-Müste’menin fi Dari’l-Islam; Beirut 1988 fontaene.de Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
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