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Der Islam im Spiegel der Medienberichterstattung

 

Geraten die Muslime in die Rolle, die der Westen einst Juden, Schwarzen und anderen Minderheiten aufzwang? Ja, sagt Farag Elkamel, ein ägyptischer Kommunikationswissenschafter. Er analysierte am vergangenen Wochenende an einer Tagung in Lugano das Islam-Bild im Spiegel der Medienberichterstattung und kam wie die meisten seiner Kollegen zum selben Schluss: Die westlichen Medien klären nicht auf, sondern verzerren die politische, religiöse und soziale Realität im Nahen Osten. Der Islam werde zum Feindbild stilisiert. Die einzelnen Informationen seien zwar meist nicht falsch, so die generelle Meinung der Medienanalytiker, aber sie bildeten nur einen kleinen Teil der islamischen Realität ab, den extremistischen, gewaltbereiten nämlich. Die westlichen Medien, sagte Elkamel, konzentrierten sich auf ein kleines Segment von Fanatikern, welche den Muslimen letztlich mehr Schaden zufügten als dem Westen.

Übertriebene Ängste

Kai Hafez (Universität Erfurt) erkennt eine Übergewichtung des Abnormen, da im Journalismus nur schlechte Nachrichten gute seien. Es mangle auch an Kompetenz, eine fremde Kultur dem einheimischen Publikum verständlich zu machen. Fotografien von religiösen und kulturellen Praktiken und Symbolen würden aus dem Kontext gerissen und zur Bebilderung von Informationen über Terrorismus verwendet, wodurch der gesamte Islam in Verruf gerate. Zudem behinderten die Zwänge der Medienökonomie das Bemühen um sachgerechte Informationen. Die Folge sei eine übertriebene Furcht des westlichen Publikums vor dem Islam und den Muslimen. Der BBC-Journalist Nicholas Jones kritisierte, dass der Alarmismus der englischen Boulevardblätter die Leser zum Glauben verleite, die Muslime «überschwemmten» Grossbritannien. Dabei stellten sie nur vier Prozent der Bevölkerung. Hafez meinte etwas resigniert, über diese negativen Faktoren werde seit Jahren diskutiert, eine Verbesserung sei jedoch nicht erkennbar.

 

Die begrenzte Medienfreiheit im arabischen Raum trägt allerdings nicht zur Verbesserung der transkulturellen Verständigung bei. In Bezug auf religiöse Fragen seien grössere Meinungsverschiedenheiten undenkbar, sagte Zyed Krichen vom tunesischen Nachrichtenmagazin «Réalités». Nirgendwo auf der Welt spiele die Religion im Fernsehen eine derart dominante Rolle wie im arabischen Raum. Während des Streits um die dänischen Mohammed-Karikaturen seien liberale muslimische Intellektuelle nicht zu Wort gekommen; und jene, die in westlichen Kanälen auftraten, habe man als fünfte Kolonne verschrien - die arabischen Medien tragen offenbar ihrerseits dazu bei, dass ein extremistisches Gesamtbild entsteht.

 

Weniger schwarz malte Katharina Nötzold (Universität Erfurt). Auch für sie gibt es - aufgrund der Analyse einschlägiger Forschungen in Europa - einen negativistischen Generalbass im westlichen Mediensound. Der Islam werde als allzu monolithischer Block wahrgenommen. Es werde aber verschiedentlich versucht, einseitige Bilder zu korrigieren. Sogar in Boulevardblättern erkennt Nötzold differenzierende Berichterstattungen. Gemäss ihren persönlichen Beobachtungen wird der dominierende Sound von diversen Medien durch Dokumentationen und Hintergrundgeschichten gestört. Auch das Internet scheint dazu beizutragen, die starren Fronten aufzubrechen. Entsprechende Anzeichen einer grenzüberschreitenden Verständigung erkennen der ägyptische Journalist Elijah Zarwan und der amerikanische Forscher Michael Carmichael.

 

Es liegt auch am Konsumenten

Tatsächlich kann man das Negativbild des Islam, das zweifellos dominiert, nicht einfach als Kollateralschaden der hiesigen Berichterstattungsmechanismen bezeichnen. Diverse westliche Medien bieten Möglichkeiten, sich ein genaueres Bild über den Nahen Osten zu machen. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch die aktuellen Versuche der öffentlichen Sender Deutschlands, Internet-Plattformen für die differenzierte Auseinandersetzung mit muslimischen Perspektiven einzurichten.

 

Doch braucht es auch die Bereitschaft, das Gebotene wahrzunehmen. Offensichtlich gibt es zahlreiche Konsumenten, die es nicht genauer wissen wollen. Sei es, weil sie bloss erfahren wollen, was sie unmittelbar bedroht (der Terrorismus), sei es, weil sie sich angesichts der komplexen Verstrickungen im arabischen Raum überfordert fühlen und darum Augen und Ohren zuhalten. In freiheitlichen Kommunikationssystemen trägt das Konsumverhalten jedenfalls auch dazu bei, wie differenziert die einzelnen Medien berichten. (Die Veranstaltung wurde vom European Journalism Observatory in Lugano und von der Schweizer Journalistenschule MAZ in Luzern organisiert.)

 

Quelle: NZZ Online -- 23. März 2007

 

 

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