Amira Geschrieben 16. Oktober 2005 Teilen Geschrieben 16. Oktober 2005 Assalamun aleykum! Mich beschäftigt schon seit einiger Zeit ein bestimmtes Thema, das erst vor kurzem in der Uni und auch bei der Familie meines Mannes wieder sehr kontrovers diskutiert wurde. Hierbei geht es um das Verhältnis von Schiiten und Sunniten. Oft werden die Schiiten als Gotteslästerer bezeichnet, weil sie angeblich Ali Ibn Abi Talib vergöttlichen - was sie nicht tun, er ist nur der erste Imam, da er aus unserer Sicht nach dem Tode des Propheten am geeignetsten war an dessen Stelle die Umma zu führen. Schließlich war er der nächste männlich Verwandte und auch der erste Mann nach dem Propheten, der den Islam annahm. Die Sunniten werden wiederum als Gemeinschaft beschuldigt, das Leben der ersten drei Imame auf dem Gewissen zu haben. Sprich, es geht eigentlich nur um gegenseitige Schuldzuweisungen und die gerechte Nachfolge des Propheten als Führer der Umma. Bis heute ist der Split sehr tief, ich merke es in der sunnitischen Familie meines Mannes, die damit klarkommen muss, dass ich die schiitische Tradition weiterlebe. Aber worum geht es denn heute noch? Eine kollektive Schuld? Sind wir nicht alle Geschwister im muslimischen Glauben und gelten nicht für uns alle die gleichen Gesetze? Unterscheiden sich nicht nur die Traditionen? Sollten wir nicht aufhören, unsere Brüder und Schwestern für Dinge verantwortlich zu machen, die nie in ihrer Hand gelegen haben? Sollten wir nicht lieber friedlich zusammenleben anstatt uns immer wieder (wie z.B. im Irak) zu bekämpfen? Was sagt ihr zu diesem Thema? Andere Meinungen würden mich sehr interessieren... Allah maakon Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Webmaster Geschrieben 20. Oktober 2005 Teilen Geschrieben 20. Oktober 2005 Ich denke, die Trennung zwischen Sunna und Shia ist zu 99% aus politischen Gründen. Wenn man die Geschichte analysiert, wird man dies schnell feststellen. Vesselam Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Amira Geschrieben 25. Oktober 2005 Autor Teilen Geschrieben 25. Oktober 2005 Natürlich spielen vor allem machtpolitische Faktoren eine große Rolle. Doch es geht auf der sozialen Ebene weiter! Immer wieder höre ich, wie Sunniten schlecht über Schiiten sprechen: Sie verstoßen gegen das göttliche Verbot, Gewalt gegen sich selbst und andere zu richten (Selbstgeißelungen bei Ashura-Riten, aber diese sind auch unter den Schiiten nicht gern gesehen und werden scharf verurteilt). Sie halten nicht die Grundsätze des Islam ein, da sie Imam Ali ibn Abi Talib auf die Stufe eines Propheten oder sogar Halbgottes stellen (ein absurderes Vorurteil kann es nicht geben - Imam Ali hat etwa denselben Status wie Abu Bakr bei den Sunniten, er ist des Propheten Nachfolger in der Führung der Umma, obwohl er vielleicht doch etwas höher im Rang steht als der erste Kalif, da er mit dem Propheten verwandt ist und zudem sein erster männlicher Anhänger war). Und dann noch andere Dinge wie z.B. dass Schiiten das fünfmalige tägliche Gebet nicht einhalten und höchstens 3mal beten würden (was vielleicht in einigen Sekten verbreitet ist, das jedoch genauso bei den Sunniten, die Ithna Ashariyya beten 5 mal!). Die Schiiten dagegen würden am liebsten die gesamte sunnitische Gemeinschaft dafür büßen lassen, dass viele unserer Imame durch sunnitische Hand ermordet wurden (diese Morde fanden tatsächlich aus politischen Gründen statt - Yazid und Muawiyya waren sicher keine Engel, sondern sehr machtorientiert). Außerdem verletzen die Todesumstände um Imam al Hassan und Imam al Hussein noch immer jedes schiitische Herz - schließlich wurden die Prophetenenkel von Hz Mohammed selbst als "Rosen im Garten des Paradieses" bezeichnet, was ihnen schon einen gewissen Status verlieh. Kurz: es gibt auch in zivilen und religiös-gelehrten Kreisen ein Schuld-hin-und-her-Geschiebe zwischen Sunniten und Schiiten und immer heißt es, man habe doch nur vergolten, was der Andere verbrochen hatte. Das geht doch bis heute so. Die Anhänger Imam Alis handelten nicht aus politischen Gründen, als sie ihn als Führer der Umma anerkannten und auch er selbst tat es nicht. Er übte sich in Geduld und stand den vorangehenden Kalifen mit Rat und Tat zur Seite. Da ging es nie um das Thema: Ich will aber jetzt der Anführer sein! Die politischen Aspekte mischten sich erst später ein, mit der teilweisen Verfolgung der Schiiten und in der Neuzeit. Im heutigen Irak geht es natürlich um die Politik. Ist das ein Wunder? Die Mehrheit der Bevölkerung sind Schiiten, im Irak befinden sich viele schiitische Heiligtümer. Lange genug wurden die irakischen Schiiten von sunnitischer Regierung geknechtet und ihre Schreine geschändet. Warum soll nicht die Regierung von einer Vertretung der größten Bevölkerungsgruppe geführt werden? Das sollte jedoch keinen Anlass zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen geben oder? Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
aylinyavuzx Geschrieben 28. Oktober 2005 Teilen Geschrieben 28. Oktober 2005 Amira, du hast völlig recht ! Deinen letzten beiden Sätzen stimme ich aber nicht zu. Man darf die sunnitische Teil der Bevölkerung wegen Saddam's Despotismus nicht ignorieren oder "Bestrafen", sie sollten auch mitbestimmen und nicht nur von Schiiten "Regiert" werden.Leider sind die Sunniten in diser Hinsicht selbst ignorant und nehmen an den Wahlen nicht teil usw... Die ethnisch-religiöse Teilung in Irak wird noch viele Jahre Instabilität verursachen, leider; aber was für Alternativen gibt es noch? Zur Zeit herrscht dort d. Anarchie...Ich bete und überlege, was wir als Muslime sonst tun könnten... Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Thai Geschrieben 28. Oktober 2005 Teilen Geschrieben 28. Oktober 2005 Ich denke, man darf die Shiiten nicht alle in einen Topf werfen. Es gibt verschiedene Gruppierungen unter den Shiiten. Was die Lage in Irak angeht. Da schließe ich mich dem Webmaster gerne an und behaupte ebenfalls, dass das mit religiösen und sozialen Unterschiedenen nichts zu tun hat. Es ist ein Machtkampf der Politik in Irak. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Amira Geschrieben 1. November 2005 Autor Teilen Geschrieben 1. November 2005 Natürlich ist es ein Machtkampf der Politik! Aber man darf nicht vergessen, was die Schiiten in den letzten Jahrzehnten im Irak erlitten haben. Sie waren vieler Rechte beraubt und stärker der Staatswillkür ausgesetzt als die Sunniten. Ich denke, das ist mit ein Grund für ihr Aufbegehren - sie wollen quasi eine Entschädigung. Ich habe nie gesagt, dass alle Sunniten nunmehr davon ausgeschlossen werden sollten, Verantwortung in der Regierung etc zu tragen. Ob Sunniten oder Schiiten - sie alle sind doch Iraker! Allerdings sollten die Sunniten die Regierungsgewalt nicht für sich allein beanspruchen, dafür haben sie keine Berechtigung. Eine vernünftige Lösung in diesem Fall wäre das System, das im Libanon praktiziert wird: die Ämter werden aufgeteilt, jede Bevölkerungs-/Religionsgruppe stellt Ämter in bestimmter Anzahl und bestimmtem Rang, je nach dem, wie groß der Anteil (prozentual) in der Bevölkerung ist. Abgesehen von Übergriffen der Hizbollah hat es so eigentlich im Libanon zwischen Schiiten, Sunniten und maronitischen Christen immer ganz gut funktioniert. Aber Politik ist nur ein Aspekt des Konfliktes. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber es gibt wirklich einen hohen Grad der Diskriminierung vor allem von Seiten der Sunniten gegenüber der Shia, aber auch andersherum... Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
Thai Geschrieben 2. Dezember 2005 Teilen Geschrieben 2. Dezember 2005 Zunächst einmal: Sowohl Sunniten als auch Schiiten sind zu den Muslimen zu zählen. Die große Mehrheit der Muslime (ca. 85%) sind Sunniten. Der Unterschied zwischen Schiiten und Sunniten liegt darin, daß die Nachfolger des Propheten unterschiedliche Akzeptanz erfahren. Die Sunniten erkennen 4 rechtgeleitete Khalifen an (Abu Bakr, Aamar, Uthman, Ali), während die Schiiten erst die ihrer Meinung nach später regierenden 11 Imame/Khalifen (einschließlich Ali) anerkennen. Der 12. Imam ist nach Meinung der (12er-)Schiiten unter der Erde verborgen, beobachtet das Geschehen auf der Erde und wird später einmal zurückkommen und auf der Erde regieren. Die Aussagen und Handlungsweisen aller 12 (11) Imame werden als verbindlich für alle Schiiten angesehen. Sie haben den Stellenwert einer Offenbarung durch Gott, der die Imame rechtleite. Dies hat seine Konsequenz für die Meinungsbildung/Rechtssprechung bei Schiiten und Sunniten: Während die Sunniten zur Rechtssprechung (in dieser Reihenfolge) die Quellen 1. Koran, 2. Sunna (Überlieferungen über Handlungsweisen und Aussprüche des Propheten), 3. Konsens unter den Gelehrten und 4. Analogieschluß zulassen, gelten bei den Schiiten die Quellen 1. Koran, 2. Sunna des Propheten und der 11 Imame, 3. Meinung des Stellvertreters des 12. Imam 4. Vernunft. Das heißt nicht, daß Sunniten bei der Interpretation der Religion nicht vernünftig sind. Es bedeutet in diesem Zusammenhang, daß die Sunniten den Verstand als begrenzte Gottesgabe ansehen, die Fehlern unterliegen kann. Im Gegensatz dazu verwenden die Schiiten die Vernunft, um unverständliche Passagen des Korans zu interpretieren, wenn z.B. die Rede ist von dem "Thron Gottes", dem "Stuhl Gottes", den "Händen Gottes". Hierfür werden dann Interpretationen wie die Gnade oder Stärke Gottes gegeben, während die Sunniten diese Passagen wörtlich nehmen und als unbegreiflich akzeptieren. Der Verstand hat Grenzen. Daher gehen die Sunniten von der wörtlichen und sinngemäßen Bedeutung des Korans aus, während die Schiiten an eine verborgene Bedeutung des Korans glauben, die nur den genannten Imamen zugänglich ist. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen Mehr Optionen zum Teilen...
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