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Khaled Abou El Fadl ist sowohl Jurist für islamisches Recht wie auch amerikanischer Rechtsanwalt. Er fordert eine intellektuelle Revolution des Islam und kritisiert scharf die saudisch-wahhabitische Auslegung des Korans. Ein Portrait von Monika Jung-Mounib.

 

Khaled Abou El Fadl Ohne eine intellektuelle Revolution, die sich an die historische Erbschaft des Islam erinnert, haben weder die Demokratie im Nahen Osten noch die Integration von muslimischen Minderheiten in westlichen Gesellschaften eine Chance.

 

Diese Erbschaft, so Khaled Abou El Fadl, ein prominenter islamischer Jurist und amerikanischer Rechtsanwalt, bestehe vor allem darin, den Reichtum der Interpretationsmöglichkeiten des Islam anzuerkennen und sie zu praktizieren.

 

In seinen modernen Auslegungen des Korans zeigt Abou El Fadl, was diese Flexibilität zur Interpretation genau bedeutet: Für ihn schließt die göttliche Souveränität – im Islam ist Gott der einzige Souverän und die höchste Quelle legitimen Rechts – eine menschliche Vermittlung nicht aus.

 

Der Koran schreibe zwar keine genaue Regierungsform vor, aber er definiere einige grundlegende soziale und politische Werte: Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Toleranz sowie nicht-autokratische, beratende Regierungsmethoden.

 

In seinen Augen bietet eine konstitutionelle Demokratie, die individuelle Rechte schützt, daher das größte Potential, um diese Werte zu fördern. Indem in einer Demokratie allen Menschen gleiche politische Rechte zuerkannt würden, drücke sie den besonderen Status der Menschen in Gottes Schöpfung aus und befähige diese, ihrer Verantwortung nachzukommen.

 

Für die Unterordnung unter eine menschliche Autorität, wie autoritäre Regime das verlangten, gäbe es keinen Raum, so der Intellektuelle.

 

Staatliche Gesetze sind nicht Gottes Wille

 

Strittig ist Abou El Fadls Kernpunkt, dass die Scharia, das göttliche Gesetz, kein moralischer Code sei. In seinen Augen sei die Scharia ein göttlicher Ratgeber, der Prinzipien und Methoden enthalte, die das göttliche Ideal zu verwirklichen suchten.

 

"Wir können Gottes Willen debattieren, so viel wir wollen. Ich ermutige Muslime, das zu tun und Gottes Willen zu entdecken", sagt Abou El Fadl.

 

"Wenn wir aber ein Gesetz annehmen und der Staat es verwirklicht, können wir nicht davon ausgehen, dass es Gottes Willen repräsentiert. Wenn wir jedoch dem Staat die Macht geben, Gott zu vertreten, dann ist das keine Demokratie, sondern eine Form von Ideologie. Das widerspricht der islamischen Theologie, denn Gott hat keine gleichwertigen Partner."

 

Das göttliche Gesetz solle deshalb nur Fragen des Glaubens umfassen und nicht dem Staat unterliegen. Es sei nicht dessen Aufgabe, die Beziehungen zwischen Gott und den Gläubigen zu regeln.

 

"Ehemänner werden zu Halbgöttern"

 

Abou El Fadl gilt auch als einer der führenden muslimischen 'Feministen', der alle puritanischen Forderungen, wie die Verschleierung von Frauen, ablehnt: "Die Behauptungen der Wahhabiten über Frauen spiegeln ihre Präferenzen wider und basieren nicht auf klassischen Quellen. Es gibt keine Textquellen, laut denen die Regierung Frauen zwingen kann, den Kopfschleier zu tragen."

 

Beispielsweise forderten die Wahhabiten, dass Frauen ihren Ehemännern blind gehorchten. "Für mich ist das Götzenverehrung, Ehemänner werden zu Halbgöttern", sagt Abou El Fadl.

 

Vor diesem Hintergrund erstaunt es kaum, dass die Wahhabiten-Theologen ebenfalls nicht mit Abou El Fadls Kritik am Selbstmord und am Terrorismus, der auf Zivilisten zielt, einverstanden sind.

 

"Es widerspricht eindeutig dem islamischen Gesetz, auf Zivilisten zu zielen, auch wenn es um die Befreiung des eigenen Landes geht. Das ist ein Imperativ der islamischen Moralität, und das umso mehr, wenn diese Moralität unter Druck gerät", erklärt Abou El Fadl.

 

Interpretationsmonopol der Wahhabiten

 

Der Grund, warum Abou El Fadls Auslegungen islamischen Klerikern und besonders den in Saudi-Arabien praktizierenden puritanischen Wahhabiten-Theologen ein Dorn im Auge sind, liegt auf der Hand: Die Wahhabiten begründen ihre Alleinherrschaft mit ihrem Interpretationsmonopol auf die Scharia und sehen darum ihre Vision des Islam durch Abou El Fadls Ansichten bedroht.

 

Anstatt die Fähigkeit des Islam zur Interpretation anzuerkennen, lehnen sie jeden Ansatz von Demokratie ab. Darüber hinaus macht sich Abou El Fadls Kritik an den Wahhbis im Kern an der Tatsache fest, dass diese ohne ein Festhalten an einer Methodologie und ohne ein Verständnis islamischen Rechts das Interpretationsmonopol auf die Scharia beanspruchen.

 

Die Wahhabiten hingegen scheinen sich gerade deshalb umso mehr durch Abou El Fadl herausgefordert zu fühlen, weil dieser seine Interpretationen mit klassischen islamischen Quellen belegen und auf alte Traditionen verweisen kann.

 

"Das, was in Saudi-Arabien geschieht, wo zum Beispiel die Meinungen von drei Juristen als Gottes Gesetz gelten, widerspricht der islamischen Tradition. Für die Wahhabiten ist es häretisch, an die Demokratie zu glauben oder sie zu fordern. Darum betrachten sie mich als einen Häretiker", sagt Abou El Fadl.

 

"So hart wie die Wüste"

 

Nicht nur sind alle seine Werke in Saudi-Arabien verboten, seit Jahren erhält der Professor für islamisches Recht auch Todesdrohungen von Wahhabiten-Aktivisten. Was ihn jedoch nicht davon abhält, den Wahhabismus weiter anzuprangern:

 

"Wahhabismus ist Despotismus. Er spricht nie von Liebe. Musik, Kunst, alles Menschliche, Schöne und Zarte ist verbannt. Der Wahhabismus ist eine harsche Theologie, so hart und so feindlich wie die Wüste selbst".

 

Die starke Verbreitung des Wahhabismus macht Abou El Fadl unter anderem auch für die Integrationsprobleme muslimischer Minderheiten in westlichen, säkularen Gesellschaften verantwortlich. Der Wahhabismus habe die USA und Europa sowie auch ägyptische Kleriker stark infiltriert.

 

Er sei zwar weder in Ägypten noch in Syrien die dominierende Theologie geworden, aber seit den siebziger Jahren hätten die Saudis damit begonnen, ihre Art von Islam mit Hilfe der Petrodollars zu verbreiten.

 

Möglich gewesen sei das, weil die islamischen Institutionen nach dem Ende des Kolonialismus kollabierten und die Puritaner das entstandene Autoritätsvakuum mittels ihrer Gelder hätten füllen können. Seit dem 11. September sei diese Fähigkeit jedoch eingeschränkt.

 

Wahhabismus verhindert Integration

 

Zudem habe ein großer Teil der ersten Generation von Migranten der Integration widerstanden, weil sie der Wahhabiten-Theologie gefolgt sei. Diese lehre, dass Muslime nicht zu einer nicht-muslimischen Gemeinschaft gehören könnten. "Das islamische Wissen der ersten Generation ist oft armselig", so Abou El Fadl.

 

Hinzu komme, dass die erste Generation sich in der Regel stark mit den Bräuchen und der Sprache des Herkunftslandes verbunden fühle: "Sie gründen islamische Zentren, die vielmehr kulturelle Zentren sind. Probleme entstehen meist dann, wenn die erste Generation die zweite oder dritte Generation als zu französisch, zu britisch oder als zu deutsch wahrnimmt."

 

Es seien daher vor allem kulturelle Gründe, die die Probleme bei der Integration schafften. Da zwischen Kultur und Religion nicht klar getrennt werde, entständen Generationskonflikte, die oft zu Loyalitätskonflikten innerhalb von Familien führten, fährt Abou El Fadl fort.

 

Nur ein Minimum der Scharia wird verlangt

 

Theologische Gründe für eine problematische Integration sieht der islamische Intellektuelle nicht. Die Theologie und die Jurisprudenz des Islam hätten eine enorme Flexibilität gezeigt, wenn es darum ging, in der Minderheit lebenden Muslimen entgegen zu kommen: Es sei nur ein Minimum der Scharia wie Beten, Fasten und Almosen geben verlangt worden.

 

Wenn Muslime diese reichen Möglichkeiten des Islam zur Interpretation begreifen würden, dann wäre erreicht, dass der Islam ihnen die Flexibilität zugesteht, innerhalb derer sie sich wie authentische Muslime und zugleich wie Franzosen, Deutsche oder Briten fühlen könnten.

 

Darüber hinaus ermutige der Reichtum an Interpretation sie dazu, sich in ihren neuen Gesellschaften zu engagieren statt sich zurückzuziehen. Das hieße zum Beispiel, dass ein deutscher Muslim die Pflicht habe, in Deutschland und nicht in seinem Herkunftsland Bedürftigen zu helfen.

 

"Europäischer Islam ist überflüssig"

 

Forderungen nach einem europäischen Islam hält Abou El Fadl für überflüssig. "Die islamische Theologie und das islamische Recht bieten alles, damit Muslime in einer säkularen, pluralistischen und demokratischen Gesellschaft leben können: Toleranz, Akzeptanz des Pluralismus, Ablehnung von Zwang, Teilnahme am öffentlichen Leben, solange dieses von moralischen Prinzipien geleitet wird, und Barmherzigkeit und Liebe", sagt er.

 

Dagegen läge es an den Europäern, Verallgemeinerungen über den Islam zu vermeiden und sich stattdessen geistig mit Muslimen und dem humanistischen Islam auseinanderzusetzen.

 

Verallgemeinerungen würden in der heimischen Gesellschaft Angst vor Muslimen erzeugen, wodurch diese sich abgelehnt fühlten. Europas "Judenfrage", so Abou El Fadl, habe schliesslich auch mit Verallgemeinerungen über die Juden angefangen.

 

Monika Jung-Mounib

 

© Qantara.de 2005

 

Khaled Abou El Fadl ist Professor an der School of Law an der University of California und ein prominenter islamischer Jurist und Intellektueller, der seit Dezember 2003 der U.S. Commission on International Religious Freedom angehört. Außerdem ist der Vorstandsmitglied von Human Rights Watch. Das Besondere an ihm ist, dass er sowohl ein islamischer Jurist als auch ein amerikanischer Anwalt ist. In Ägypten und Kuwait wurde er in islamischer Jurisprudenz ausgebildet und ist ein hochrangiger Scheich. Seitdem er den Wahhabismus öffentlich angreift, erhält er regelmässig Todesdrohungen (und steht unter dem Schutz des FBI). Alle seine Bücher sind in Saudi-Arabien verboten. (moj)

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