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Wer sind die Haqqanis? Islamisten in Afghanistan

 

Wer sind die Haqqanis?

 

Nils Wörmer

 

Die USA machen sie für die jüngsten Anschläge auf US-Botschaft und CIA-Hauptquartier in Kabul verantwortlich, Pakistan weigert sich, gegen sie militärisch vorzugehen. Welche Rolle spielt das Haqqani-Netzwerk in Afghanistan?

 

Am 23. September 2011 warnte Sirajuddin Haqqani die USA in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters vor einer Bodenoffensive in Nord-Waziristan. Die USA würden schwerere Verluste hinnehmen müssen als in Afghanistan und bis zu 15.000 Kämpfern gegenüberstehen, erklärte der zentrale operative Führer der Haqqani-Gruppierung via Satellitentelefon. Anlass für die Drohungen Haqqanis dürfte eine Anhörung des amerikanischen Senats vom Vortag gewesen sein.

 

Der Vorsitzende der Joint Chiefs of Staff, Admiral Mike Mullen, erklärte vor dem »Committee on Armed Services«, dass das so genannte Haqqani-Netzwerk mit Unterstützung des pakistanischen Militärgeheimdienstes Inter Services Intelligence (ISI) für die jüngsten aufsehenerregenden Anschläge in Afghanistan verantwortlich sei.Mullen nannte explizit den Angriff auf die amerikanische Botschaft in Kabul am 12. September 2011, den Bombenanschlag gegen einen Stützpunkt der US-Streitkräfte in der Wardak Provinz am 10. September 2011 sowie die spektakuläre Erstürmung des Kabul Intercontinental Hotels am 28. Juni 2011.

 

Weshalb sticht gerade das Haqqani-Netzwerk durch komplexe, taktisch und technisch anspruchsvolle Anschläge oder Angriffe hervor? Und welche Rolle spielt die afghanisch-pakistanische Gruppe in der landesweiten Aufstandsbewegung in Afghanistan?

 

Autonomie unter Mujaheddin und Taliban

 

Das Haqqani-Netzwerk ist ein weitgehend autonom agierender Flügel der afghanischen Taliban. Während des Jihads der 1980er Jahre führte Maulawi Jalaluddin Haqqani, geboren circa 1943, die Gruppe bereits als eigenständigen Teil der »Hezb-e Islami Khales«, einer der sieben sunnitischen Mujaheddin-Parteien, die ihre Hauptquartiere im pakistanischen Peschawar hatten. 1995 schloss er sich den Taliban an, ohne dabei seine Machtbasis in Nord-Waziristan und den drei afghanischen Provinzen Khost, Paktia und Paktika aufzugeben. Unter der Taliban-Regierung übernahm Haqqani den Ministerposten für Grenz- und Stammesangelegenheiten und fungierte zwischen 1996 und 1997 zeitweise als Oberbefehlshaber der Taliban-Streitkräfte an der nördlich von Kabul verlaufenden Front.

 

Religiöse Autorität, Stammesführer und legendärer Kommandeur

 

Jalaluddin Haqqani erfüllt in besonderem Maße die drei wichtigsten Kriterien, um in der paschtunischen Gesellschaft Prestige zu erwerben: tribale Herkunft, religiöse Autorität und Reputation als Krieger.

 

Er gehört der einflussreichen Haqqani-Familie des für seine Verdienste in den drei anglo-afghanischen Kriegen bekannten paschtunischen Zadran-Stammes an. Haqqani hat an der renommierten Deobandi-Religionsschule, Dar ul-Ulum Haqqania in Akora Khattak, studiert und dort später auch als Lehrer gearbeitet – daher der Beiname Haqqani. Außerdem spricht er fließend Arabisch.

 

Als Mujaheddin-Kommandeur hat er mehrfach Offensiven der sowjetischen Streitkräfte in Paktia, Paktika und Khost abgewehrt. Während der größten sowjetischen Militäroperation des Afghanistan-Krieges, der »Operation Magistral«, war Haqqani der Kommandeur der gegnerischen Mujaheddin-Verbände und hat bis zu 20.000 Kämpfer geführt. Außerdem war er der erste Mujaheddin-Kommandeur, dessen Milizen 1991 die Einnahme einer bedeutenden Stadt, nämlich Khost an der pakistanischen Grenze, gelang.

 

Familiäre, tribale und klientelistische Strukturen

 

Die Netzwerkstrukturen Haqqanis sind ein Abbild seiner familiären, tribalen und der auf dem hohen Prestige basierenden klientelistischen Verbindungen. Seine Familie, die Haqqanis, stellt die wichtigsten Funktionäre und Feldkommandeure des Haqqani-Netzwerkes.

 

Aufgrund des hohen Alters und angeblich schlechten Gesundheitszustands Jalaluddin Haqqanis gilt dessen Sohn Sirajuddin, geboren 1979, mittlerweile als der operative Kopf und eigentliche Führer des Haqqani-Netzwerks. Die US-Regierung hat eine Belohnung von fünf Millionen Dollar für die Ergreifung Sirajuddin Haqqanis ausgesetzt. Seinem Zadran-Stamm, der in den vier oben genannten Provinzen ansässig ist, gehören die meisten der Kämpfer der Gruppe an. Seine wichtigsten Verbündeten sind Angehörige verwandter Stämme oder Wegbegleiter aus seiner Zeit als religiöser Gelehrter und Mujaheddin-Kommandeur.

 

Die Geschichte Haqqanis als lokaler Machthaber in den Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (Federally Administered Tribal Areas, FATA) – vor allem in Nord-Waziristan, seit etwa einem Jahr aber auch in Kurram – begann, als er Ende der 1970er Jahre seine Madrasa und den Familiensitz von Khost auf die pakistanische Seite des Siedlungsgebietes der Zadran nach Miran Shah verlegte.

 

Seit dieser Zeit verfügt das Haqqani-Netzwerk neben infrastrukturellen Einrichtungen für den Kampf in Afghanistan über zahlreiche persönliche Verbindungen zu anderen Stämmen, bewaffneten Gruppen und wichtigen Einzelpersonen in den FATA. Dadurch, dass der Zadran-Stamm beiderseits der afghanisch-pakistanischen Grenze ansässig ist, weist das Haqqani-Netzwerk traditionell einen hohen Anteil pakistanischer Staatsbürger in seinen Reihen auf.

 

Expansion seit 2007

 

Nach 2001 begann das Haqqani-Netzwerk mit Operationen gegen afghanische und internationale Sicherheitskräfte, zunächst in seinen traditionellen Einflussgebieten von Khost, Paktia und Paktika. Seit 2007 hat die Gruppe ihren Operationsradius erweitert und beteiligt sich an der Seite von Taliban und Hezb-e Islami an Aktionen in Kabul und den angrenzenden Provinzen sowie vereinzelt in Nordafghanistan, hier vor allem in Kunduz.

 

Die Operationen des Haqqani-Netzwerkes gelten als besonders professionell. Einige der spektakulärsten Anschläge der vergangenen Jahre, wie zum Beispiel der Angriff auf das Serena-Hotel im Januar 2008, der Attentatsversuch gegen Hamid Karzai im April 2008, der Autobombenanschlag auf die indische Botschaft in Kabul im Juli 2009 oder der Anschlag gegen den CIA-Stützpunkt in Camp Chapman im Dezember 2009 werden Haqqani zugeschrieben.

 

Exklusiver Zugang zu Ressourcen und enge Verbindungen ins Ausland

 

Die Befähigung der Gruppe zu derartigen Anschlägen kann vor allem auf den exklusiven Zugang Haqqanis zu personellen und materiellen Ressourcen zurückgeführt werden. Aufgrund seiner arabischen Sprachkenntnisse und der Heirat einer Frau aus den Vereinigten Arabischen Emiraten verfügt Haqqani bereits seit Jahrzehnten über sehr gute Verbindungen zu arabischen Geldgebern.

 

Darüber hinaus ist das Haqqani-Netzwerk eng mit al-Qaida verbündet. Usama Bin Laden soll in den 1980er Jahren zeitweise unter dem Kommando Haqqanis gekämpft haben. In späteren Jahren hat dieser dem al-Qaida Chef mehrfach Unterstützung und Zuflucht gewährt. Außerdem ist Haqqani einer der längsten Verbündeten des ISI, was einige Beobachter in den vergangenen Jahren mehrfach zu dem Schluss geführt hat, dass der engste Kreis um Haqqani im Vorfeld von US-Drohnenangriffen oftmals durch ISI-Offiziere gewarnt wurde.

 

Die Gruppierung unterhält zudem enge Verbindungen zu den pakistanischen Taliban, von deren heutigen Führern einige in früheren Jahren bereits unter dem Kommando Haqqanis gekämpft haben, sowie zu den usbekischen Gruppen »Islamische Bewegung Usbekistans« (IBU) und »Islamische Jihad-Union« (IJU).

 

Kampf in Afghanistan, Rückzugsraum in Pakistan

 

Das Haqqani-Netzwerk wurde in den vergangenen Jahren mehrfach von amerikanischen oder ISAF-Stellen als die gefährlichste der aufständischen Gruppierungen bezeichnet. Der Kampf des Haqqani-Netzwerkes zielt auf die Vertreibung der ausländischen Truppen aus Afghanistan und die Wiedererrichtung des »Islamischen Emirates« der Taliban ab.

 

Die Haqqanis erkennen Mullah Omar vorbehaltlos als »Befehlshaber der Gläubigen – Amir ul- Mumineen« und rechtmäßigen Herrscher Afghanistans an. Gleichwohl erwarten sie von den Taliban das Zugeständnis weitestgehender Autonomie in ihrem traditionellen Einflussbereich in Südostafghanistan und den FATA, wo sie aus der Kontrolle von Schmuggelrouten erhebliche finanzielle Gewinne erzielen.

 

Da die Haqqanis, wie auch die afghanischen Taliban, auf die Nutzung der FATA als Operationsbasis angewiesen sind, vermeiden sie Konflikte mit dem pakistanischen Staat und dessen Sicherheitsbehörden. Derzeit schätzen Beobachter die Zahl der mit Haqqani assoziierten Kämpfer auf bis zu 12.000 ein. Im Falle eines Konfliktes mit dem pakistanischen Staat, das heißt bei einem Eingreifen pakistanischer Sicherheitskräfte in Nord-Waziristan und damit einhergehend einer existentiellen Bedrohung der Haqqani-Familie, dürfte das Mobilisierungspotential noch deutlich höher sein.

 

Mit Blick auf die Genese und derzeitige Bedeutung des Haqqani-Netzwerkes erscheint vollkommen offen, wie sich die Gruppierung weiter entwickelt. Stärker noch als in Bezug auf die Taliban Mullah Omars oder die Hezb-e Islami Gulbuddin Hekmatyars darf daran gezweifelt werden, dass mit den Haqqanis eine politische Übereinkunft oder gar eine Aussöhnung möglich ist.

 

 

 

 

 

Zenith, 29.09.2011

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