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So wütend wie er könnt ihr gar nicht sein: Feridun Zaimoğlu

 

© dpa

http://images.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2011-10/feridun-zaimoglu/feridun-zaimoglu-540x304.jpgDer Schriftsteller Feridun Zaimoglu

 

Eine Altbauwohnung in Kiel, vollgestellt mit Gartenzwergen. Besuch bei Feridun Zaimoğlu, Schriftsteller. Der Mann, der »Kanak-Sprak«, die Sprache junger Deutschtürken druckreif gemacht hat.

 

 

»Türkisch oder deutsch, beides ist scheiße. Beides ist scheiße.

Warum werden wir das gefragt? Ich geh doch nicht in den Supermarkt und schaue mir nur zwei Regale an. Während jede Scheißhauspersönlichkeit da draußen sich etwas einbildet auf ihre Individualität, weil sie zwei bunte Keramikvasen von Ikea nach Hause schleppt und eine Träne vergossen hat, nachdem Amy Winehouse gestorben ist, sagt man Mamelucken wie uns: Deutsch oder türkisch, entscheidet euch. Ich glaub, es hackt.

50 Jahre, und keine Sau interessiert’s. Es gibt kein Fest.

 

 

Man liebt die Türken nicht. Man liebt sie einfach nicht. Warum auch. Sie benehmen sich oft genug daneben. Wie kann man nur, wenn man in einem Land geboren und aufgewachsen ist, verweigern zu sagen: Das ist mein Land. Diese Vorortstrizzis, die dabei dieses Affenwort von ›Respekt‹ benutzen, sie können es nicht mal aufschreiben. Sie reden von Mut und Einsatz. Ehre. Ich pfeife auf ihre Ehre. Die Ehre der Männer ist immer das Elend der Frauen.

Ich sage es: Natürlich bin ich Deutscher. Sollen sie mir doch Überassimilation unterstellen.

Diese Feiglinge auf beiden Seiten. Ich sehe Probleme. Es sind meist Probleme von Männern. Ich sehe aber auch große Erfolge. Die Frauen werden zur zukünftigen Elite dieses Landes gehören, vor allem Alevitinnen und gläubige Musliminnen. Weil sie brennen, weil sie Bescheid wissen.

Es wird nicht gefeiert in diesem meinem Land, weil die meisten Leute pennen. Sie sind damit beschäftigt, hysterisch zu sein. Sich künstlich aufzuregen. Nicht in Ruhe nachzudenken. Saisonarbeiter, die eine Klientel bedienen, die sich nie mit dem Kanaken anfreunden wird.

Es quillt und gärt, das Land ändert sich. Angst vor dem Fremden zu haben, ist etwas ganz normales. Globalisierung hin oder her, wir sind und bleiben eine Dorfgemeinschaft. Das Lumpigste aber ist, einzuprügeln auf die, die sich nicht wehren können, die Bedürftigen. Es ist falsch, sich mit diesen Prüglern an einen Tisch zu setzen. Ich mache das nicht. Diese ganzen Feuilletonknaller. Was für eine Verlogenheit. Auch da Feigheit. Da draußen wimmelt es von Islamexperten und ihrer irrationalen Abneigung. Dann sagt es doch einfach: Ich mag die nicht.

Man sagt, ich hätte eine Kinderseele. Wie wunderbar. Ich will sie mir bewahren. Ein Krieger gegen die Empirie sei ich. Ralph Giordano und andere Hansel haben das gesagt. Die Koalition der Fremdenskeptiker. Altfeministinnen und bekehrte Linke. Schauen Sie in mein Gesicht. Ist das das Gesicht eines Sonnyboys? Den Kanaken kannst du nimmer aus der Fresse wischen.

 

 

Deshalb liebe ich das Fortkommen von mir selbst. Deshalb nicht nur Kanak Sprak, sondern German Amok und jetzt Ruß, wo nur Deutsche aus dem Ruhrgebiet vorkommen. Deshalb Leyla vor fünf Jahren. Nach Leyla liebten sie mich alle. Es war die Geschichte meiner Mutter und ihrer Reise nach Deutschland. Meine Mutter war so stolz, dass sie anfing, sich am Telefon mit Leyla zu melden.

Aber Kanak Sprak war es, mit dem etwas sichtbar wurde. Plötzlich war es in der Welt. Viele haben meine Sprache nicht verstanden. Sie war der Temperatur nachempfunden, die ich draußen verspürte. Ausgerechnet ich! Hatte ich gerade noch Gedichte von Gottfried Benn gelesen, wurde ich plötzlich zum König der Kanaken. Gemacht. Ich habe mitgemacht. Punk ’s never dead, motherfuckers. Alle tanzten Pop, jetzt kam Pogo. Es war wie eine Entgiftung.

Ich war vorher noch nie auf einer Lesung, im Theater oder in der Oper. Ich ging in die Videothek, wie wir alle. Also kamen die Türken auch nicht zu meinen Lesungen. Und ständig fragten mich die Deutschen, wo denn die ganzen Türken blieben. Alter, wir sind Arbeiter- und Bauernkinder. Eingewanderte Unterschicht, wir gehen nicht auf Lesungen, das ist doch schwul.

Ich war wütend damals. Ich bin es immer noch. Ich will auch gar nicht, dass die Wut weggeht, dieser Furor, mit dem ich mir auch vieles zunichtegemacht habe. Ich könnte doch auch zum Beispiel sagen: Feridun, leg doch mal dieses ganze Metall ab, diese geschmacklosen, überdimensionalen Ringe an deinen Fingern. Das ist schlechter Stil. Ich kenne doch die Spielregeln im deutschen Kulturbetrieb, ich müsste nur diese Ringe ablegen. Ich gelte nicht als seriöser Schriftsteller.

Ich bin nicht etabliert. Vielleicht bin ich es und will es nur nicht sein. Ich kenne das Gefühl nicht. Ich gebe ein Buch ab und sage mir: Freu dich doch! Und dann ist es nach ein paar Stunden vorbei. Dann steigt der Giftpegel wieder.

Die Literatur und die Kultur sind ein bürgerliches Areal. Für Hofgaukler ist da immer Platz. Aber dann kommt da plötzlich einer und beruft sich auf die deutsche Romantik. Massiert die deutsche Sprache wie niemand zuvor. Und sieht aus wie ich. Damit kann man nicht umgehen. Damit kann nicht einmal ich selbst umgehen.

Ich liebe diese Ringe. Wenn sie sich beim Tippen berühren, hört es sich an wie bei einem Almabtrieb.

Ich habe gesehen, wie hart es meine Eltern hatten. Worauf sie verzichten mussten. Sie haben sich halb totgeschuftet. Mein Vater bei BASF in Ludwigshafen, später in einer Metallfabrik in Berlin. Meine Mutter als Putzfrau. Ach, diese großartigen Frauen. Diese türkischen Trümmerfrauen. Sie werden nicht gewürdigt, diese wunderschönen Frauen.

Ich lasse nichts auf sie kommen. Ich bin stolz auf diese meine Leute, es ist eine Erfolgsgeschichte. Ich schimpfe auf sie, aber ich denunziere sie nicht. Die erste Generation, sie hat so gekämpft. Man soll diesen großartigen Menschen ein Denkmal setzen, um ihre Arbeit zu würdigen. Haben sie am Daumen gelutscht, oder was? Achtet sie, diese schönen Menschen! Sonst werde ich zum Pitbull.

Fickt euch, die ihr sie als Fehler der Geschichte bezeichnet!«

(Aufgezeichnet von Özlem Topçu. Man kann Feridun Zaimoğlu einfach nicht erzählen – man muss ihn selbst erzählen lassen.)

 

 

Zeit Online, 27.10.2011

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