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24.11.2011, Junge Welt / Thema / Seite 10

 

 

Geheuchelte Unschuld

 

Position. Auf einmal geben sich alle überrascht: Eine nazistische Terrorbande hat über *mehrere Jahre hinweg mindestens neun Migranten und eine Polizistin umgebracht. Die *führenden »Sicherheitspolitiker« wollen von nichts gewußt haben

Ulla Jelpke

Wer so redet, als seien die Naziterroristen vom Himmel gefallen, zeigt, daß er nicht an Aufklärung interessiert ist, sondern an Verschleierung. Seit 1990 ziehen Nazis ununterbrochen eine Blutspur durch Deutschland. Zwischen 140 und 180 Menschen sind nach Recherchen bürgerlicher Zeitungen und antifaschistischer Initiativen von Nazis erschlagen worden, weil sie »undeutsch« aussahen oder »undeutsch« lebten. Orte wie Solingen und Mölln werden noch auf Jahre hinaus mit solchen Naziangriffen verbunden werden. Jede dieser Taten war ein faschistischer Haßmord. Praktisch jeden dieser Morde verbuchten die Behörden als »Einzelfall« – wenn sie ihn denn überhaupt registrierten: Die offizielle Zählweise umfaßt nur 47 Tote und unterschlägt mal eben rund 100 Morde.

 

Natürlich ist es ein Unterschied, ob ein brauner Mob mehr oder weniger spontan, häufig in aller Öffentlichkeit, eine mörderische Hetzjagd auf Migranten oder Linke betreibt oder ob eine eingeschworene Terrorgruppe über Jahre hinweg quer durchs Land reist, um klandestin Migranten zu töten. Die Bereitschaft zu morden, ist aber keineswegs neu für die Naziszene.

 

Und seit Jahren ist bekannt, daß Nazis immer mehr Waffen horten. Die Sicherheitsbehörden präsentieren alle Jahre ein Arsenal an Schußwaffen – aber »wir hatten bislang keinen konkreten Anhaltspunkt für Rechtsterrorismus«, so Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Was hat man denn gedacht, was die Nazis mit den Waffen anstellen wollten? Eins und eins zusammenzuzählen fällt deutschen Ämtern schwer, wenn es um den Kampf gegen rechts geht.

Gezieltes Wegsehen

Es wird derzeit viel geredet über das »Versagen« und die »Fehler« der Sicherheitsbehörden. Gregor Gysi stellte hierzu in der Bundestagsdebatte am 22. November zu Recht klar: »Es geht um mehr als ein Versagen«. Vielmehr betrieben die Verfassungsschutzämter teilweise regelrechte Kumpanei mit der rechtsextremen Szene. Fehler kann man verzeihen, die machen wir alle, aber was die Naziszene angeht, haben die Dienste zumindest partiell ganz bewußt weggesehen oder, noch schlimmer: sie aktiv unterstützt.

 

Das Wegsehen wurde über all die Jahre von ganz oben gefordert. Offenbar wird das im Hinblick auf das genannte »Übersehen« von mindestens 100 Nazimorden. Es entspricht aber auch ganz allgemein der deutschen Behördentradition. Der Verfassungsschutz rekrutierte sich, wie auch die anderen Geheimdienste, die Kriminalämter und die Bundeswehr, aus Parteigängern der Nazis und Kriegsverbrecher. Ihre oberste Aufgabe sahen sie jahrzehntelang darin, ihre Nazikumpane vor Aufdeckung zu schützen und gegen die »rote Gefahr« zu kämpfen. Dieser Behördengeist hält sich offenbar mit großer Hartnäckigkeit.

 

Die Blindheit auf dem rechten Auge ist politisch ausdrücklich gewollt. Seit 2001 konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden ganz überwiegend auf den »Islamismus«. Die Hälfte der Ressourcen des Bundesamtes für Verfassungsschutz geht dafür drauf. Die andere Hälfte teilt sich hingegen in »Alltagsarbeit« auf, wie etwa die Überprüfungen von Mitarbeitern in sicherheitsrelevanten Bereichen wie Häfen und Flughäfen, in die Beobachtung angeblicher »Linksextremisten« – da bleibt für die Bekämpfung von Nazis nicht mehr viel Kapazität übrig.

 

Es paßt zum Bild, daß der Verfassungsschutz bislang eine gemeinsame Abteilung zur Bekämpfung von »Rechts- und Linksextremismus« hatte. In der verzerrten Wahrnehmung der herrschenden Sicherheitsfachleute ist das das Gleiche. Seit Jahren wird über angeblichen Linksextremismus als neue Gefahr für die Demokratie orakelt und eine angeblich kurz vor ihrer Gründung stehende »neue RAF« an die Wand gemalt. Von den über eine Million in Berlin zugelassener PKW wird pro Jahr eine dreistellige Zahl durch Brandstiftung zerstört – und Sicherheitspolitiker der etablierten Parteien von Union bis Grüne stehen bereit, über »militanten Linksextremismus« oder »Kiez-Taliban« herzuziehen, obwohl es überhaupt keine Belege dafür gibt, daß die Taten von Linken ausgehen. Man hat sich schon daran gewöhnt, daß Ausschreitungen am 1. Mai als »linksextremistischer Terror« bezeichnet werden. Wer sich dieser Sprachregelung bislang angeschlossen hat, möge jetzt bitte erklären, wie er den realen Terror der Nazis bezeichnen will!

 

Diese Haltung der Sicherheitsbehörden, den Hauptfeind links (und beim Islamismus, also beim »Fremden«) zu verorten, führt zu teilweise absurden Ergebnissen. So haben Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte im Februar dieses Jahres die Handydaten von Zehntausenden Antifaschisten erfassen lassen, die in Dresden demonstrierten. Tausende dieser Antifaschisten hatten versucht, sich den Nazis in den Weg zu stellen. Dafür gibt es gute Gründe: Jeder aus Sicht der Nazis »gelungene« Aufmarsch ist für sie ein Erfolgserlebnis, das sie dazu anspornt, noch mehr Aktivitäten zu entfalten. Naziaufmärsche tragen zur »Attraktivität« dieser Szene bei und sind geeignet, Mitläufer zu radikalisieren. Es ist deswegen nicht nur begrüßenswert, sondern geradezu geboten, sich ihnen in den Weg zu stellen und ihnen ein solches Erfolgserlebnis zu versagen. Aber die Menschen, die dies wagen, erhalten von diesem Staat nicht Anerkennung wegen ihrer Zivilcourage und ihres gesellschaftlichen Engagements, im Gegenteil: Sie werden im Vorfeld vom Verfassungsschutz als linke Chaoten abgestempelt und dann von Einsatzkräften der Polizei im Auftrag der Landesregierungen mit Knüppeln, Pfefferspray und Wasserwerfern aus dem Weg geprügelt, und die Bundespolizei hilft dabei.

 

Haben die konservativen Parteien nun dazugelernt? Immerhin hat der Bundestag am Dienstag einstimmig eine Entschließung verabschiedet, in der sich alle Parteien entschlossen zeigen, »die politisch-gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten und ihren Verbündeten vertieft fortzusetzen«. Die Linksfraktion wurde ausdrücklich als Mitzeichnerin des Antrages zugelassen. Bedeutet das eine Abkehr von der unsäglichen »Extremismustheorie« der bürgerlichen Parteien? Das muß bezweifelt werden, wenn man den folgenden Satz liest: »Wir brauchen eine gesellschaftliche Atmosphäre, die ermutigt, gegen politischen Extremismus und Gewalt das Wort zu erheben.« Politischer Extremismus, das ist für die Union bekanntlich schon die Antifa, ja schon die Linkspartei schlechthin. Zudem steht zu befürchten, daß Aktivitäten, die über das Wort hinausgehen, auch in Zukunft mit Pfefferspray unterdrückt werden sollen.

Vertuschung als Programm

Von einem Willen der Behörden zur Aufklärung des Nazi-Geheimdienstskandals kann keine Rede sein. Die Linke hatte gefordert, eine öffentliche Sitzung des Innenausschusses durchzuführen. Das wurde »natürlich« abgelehnt. Die Aufklärung über das Agieren der Sicherheitsdienste findet im wesentlichen in zwei Ausschüssen statt: Einmal im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG), dessen Mitglieder allesamt zur Geheimhaltung verpflichtet sind. Das bedeutet, daß sie selbst dann, wenn sie auf große Skandale stoßen, dieses Wissen für sich behalten müssen. Aufklärung ist damit per Gesetz ausgeschlossen. Außerdem kam der Innenausschuß am Montag zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen. Viereinhalb Stunden tagte das Gremium, eine ganze Phalanx von Geheimdienst- und Polizeichefs sowie Staatssekretären erstattete Bericht. Grüne und FDP zeigten sich hinterher »enttäuscht«, weil nichts wirklich Neues mitgeteilt wurde. Dieses Prinzip kennt man von ähnlichen, früheren Skandalen: »Aufgeklärt« wird immer nur, was schon in der Zeitung stand. Auch der Innenausschuß tagt nichtöffentlich, und Protokolle werden als Verschlußsache eingestuft. Dennoch wollte Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm auf die Frage, wieviel Geld der Bundesverfassungsschutz eigentlich für V-Leute ausgibt, nicht antworten: Das teile er nur dem PKG mit. »Bestimmt werden die übertariflich bezahlt«, wurde ihm dann noch von gutgelaunten CDU-Abgeordneten hinterhergerufen.

 

Die Vertuschung ist Programm; das eine oder andere Bauernopfer wird zwar noch fällig werden, aber daß der Fisch vom Kopf her stinkt, wird nicht gesehen.

 

Der vor wenigen Tagen eingeführte Generalbundesanwalt Harald Range, der es sich als Neuer im Amt hätte erlauben können, ein bißchen auf die Pauke zu hauen, verkündete statt dessen, es gebe »keine Anhaltspunkte« für eine Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit der rechtsterroristischen Tätergruppe. So, wie es für den Innenminister bislang auch »keine Anhaltspunkte« für die Existenz einer braunen Terrorzelle gegeben hat.

Rechtsdrall bei Sicherheitsbehörden

Wie bei den meisten Geheimdienstskandalen auch in der Vergangenheit, bleibt die Aufklärung investigativen Journalisten überlassen. Was sich bisher herauskristallisiert, ist brisant genug:

 

Der hessische Verfassungsschutz hat einen Mann beschäftigt, der nicht nur aus beruflichem Interesse »Mein Kampf« und andere Nazischriften in der Wohnung liegen hat. Seine Nachbarn haben ihn schon früh »Klein Adolf« gerufen – für den Verfassungsschutz schien das die beste Empfehlung gewesen sein, ihn mit dem Führen von V-Leuten in der Naziszene zu beauftragen. Wahrscheinlich dachte man sich, der würde sich darin wie ein Fisch im Wasser bewegen. Tatsächlich ist bei den V-Leuten kaum zu unterscheiden, wer eigentlich Fisch und wer Köder ist. Nach unterschiedlichen Darstellungen in den Medien war der hessische Verfassungsschützer entweder sechsmal oder dreimal zur Tatzeit oder kurz davor an den Tatorten der »Zwickauer Zelle«. Nachdem er 2006 von der Polizei vorübergehend als Verdächtiger behandelt worden war, brach die Mordserie ab. Zufall? Die vorgesetzte Behörde versichert, es habe alles seine Richtigkeit, und es bestehe kein Verdacht.

 

Daß deutsche Sicherheitsbehörden einen starken Rechtsdrall haben, ist nun aber keineswegs ein abwegiger Verdacht. Nicht nur in Hinblick auf ihre Gründung: Ob Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst, Militärischer Abschirmdienst, Bundeswehr, Bundeskriminalamt usw. – alle waren sie von Nazis durchsetzt, auf deren Kompetenz, die sie im Reichssicherheitshauptamt oder bei der Wehrmacht erworben hatten, die BRD nicht verzichten wollte.

 

An Orten wie Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen ließ sich Anfang der 1990er Jahre beobachten, daß die augenzwinkernde Kumpanei der Sicherheitsbehörden nicht Geschichte ist. In Hoyerswerda tobte 1991 tagelang ein wütender Mob und verübte regelrechte Pogrome gegen Flüchtlinge. Die Stadtverwaltung sorgte nicht für »Recht und Ordnung«, sondern kam den Forderungen dieses Mobs nach und machte die Stadt »ausländerfrei«, indem sie die Flüchtlinge verlegte. Wenig später sah die Polizei in Rostock-Lichtenhagen seelenruhig zu, wie ein Haufen lynchwütiger Deutscher ein Wohnheim anzündete.

 

Rechtsextreme Vorfälle und Fälle ungenierter Wehrmachtsverherrlichung werden aus dem Sicherheitsapparat immer wieder berichtet, insbesondere aus der Bundeswehr, aber auch beim Verfassungsschutz. Vor allem in Thüringen wurde die Naziszene von ganz oben protegiert. 200000 DM hat der Führer des »Thüringischen Heimatschutzes« und spätere NPD-Kader Tino Brandt vom Verfassungsschutz als Spitzellohn erhalten, mindestens 25000 DM sein Kamerad Thomas Dienel. Die Gelder flossen jeweils in den Aufbau der Nazistrukturen – der Staat als Förderer brauner Terroristen. Der frühere thüringische Verfassungsschutzpräsident Helmut Roewer, der eine ganze Palette dubioser Figuren aus der Naziszene mit lukrativen Nebenjobs versorgt hatte, verdingt sich seit seiner Pensionierung als Autor des österreichischen Ares-Verlages, wo er sich zu rechten Kameraden und Wehrmachtsapologeten gesellt. Roewer behauptet heute, er sei mit Ermittlungen gegen die Naziterrorzelle beauftragt worden, weil die Landesregierung dem LKA nicht getraut habe. Aus dem LKA wiederum verlautet, es habe die drei Naziterroristen zwischen 1998 und 1999 im Visier gehabt, der Zugriff sei aber verweigert worden.

 

Polizei und Verfassungsschutz schieben sich gegenseitig die Schuld zu, werfen sich mangelnde Kooperation und Kommunikationspannen vor. Mein Vertrauen in die Erklärungen des Staatsapparates tendiert gegen Null, und generell muß alles, was er verlautbart, bezweifelt werden. Das gilt auch für die Umstände der Festnahmen bzw. des vermeintlichen Doppelselbstmordes der beiden männlichen Nazimörder. Anwohner aus Eisenach, wo sich die beiden in einem Wohnwagen erschossen haben sollen, geben in den Medien zu Protokoll, sie hätten überhaupt keine Schüsse gehört, obwohl sie teilweise nur wenige Meter vom Tatort entfernt wohnen. Und woher hat mindestens einer dieser Nazimörder einen »echten falschen Reisepaß« erhalten? Verschwörungstheorien schießen schnell ins Kraut, das ist womöglich sogar eine beabsichtigte Nebenwirkung des staatlichen »Teil*aufklärungsmanagements«, aber festzuhalten bleibt in jedem Fall, daß die offiziellen Verlautbarungen keineswegs immer die verläßlichsten sind. Denn es ist ja offensichtlich, daß der Staat kein Interesse daran hat, den Skandal öffentlich aufzuarbeiten.

»Weiter so«

Das zeigt sich daran, wie schnell nun technische und strukturelle Änderungen gefordert werden: Noch bevor die Geschichte der Naziterroristen und das Verhalten von Polizei und Geheimdiensten aufgeklärt ist, präsentiert der Bundesinnenminister einen Zehn-Punkte-Katalog, wie künftig alles besser gemacht werden sollte. Er ist sich natürlich nicht zu schade, erneut nach der Vorratsdatenspeicherung zu rufen: Gäbe es die schon, ließen sich die telefonischen Kontakte der Nazimörder ein halbes Jahr lang zurückverfolgen. Das stimmt natürlich, aber es ließen sich eben auch die telefonischen Kontakte der ganzen Bevölkerung rekonstruieren, was einen eklatanten Grundrechteeingriff darstellt. Zudem zeigt das Beispiel der Funkzellenabfrage in Dresden, daß sich solche Ermittlungsbefugnisse eben nicht gezielt gegen Terroristen richten, sondern sie als Allroundwaffe auch bei der Ausforschung legitimer, gewaltfreier linker Bewegungen dienen.

 

Aber genau das ist die Stoßrichtung des Planes, den die Bundesregierung nun verfolgt: Eben jene Dienste, die schmählich versagt bzw. mit den Nazis kooperiert haben, sollen nun noch gestärkt werden. Es gibt kein Halten, kein Moratorium. Im Gegenteil: Der gerade verabschiedete Haushalt 2012 des Bundesverfassungsschutzes sieht eine Erhöhung des Geheimdienstetats um 14 Millionen Euro auf 188 Millionen Euro vor. Wofür diese Summe ausgegeben wird, ist geheim. Der Innenminister will nun ein »Terrorabwehrzentrum rechts« aufbauen, nach dem Modell des schon bestehenden »Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums«, das sich ausschließlich dem islamistischen Terrorismus widmet. Dazu soll es eine der Antiterrordatei entsprechende Datei potentiell gewalttätiger Neonazis geben.

 

Noch mehr Datenspeicherungen, noch eine polizeilich-geheimdienstliche Mischorganisa*tion – die Antwort der Bundesregierung auf die nazistische Bedrohung besteht in einer Aufrüstung der Sicherheitsorgane und einer Einschränkung der Grundrechte. Es ist die gleiche Herangehensweise wie gegen den Islamismus, und ich wette, es wird nicht lange dauern, bis dann auch ein »Terrorabwehrzentrum links« gefordert wird.

 

Es hat ganz offenbar tatsächlich Abstimmungspannen zwischen den Diensten und der Polizei gegeben. Entscheidend dafür, daß die Nazibande jahrelang unentdeckt morden konnte, daß das Netzwerk, das gegenwärtig auf rund 30 Helfer geschätzt wird, nicht entdeckt wurde, ist aber nicht die ungenügend »effiziente« Struktur der Geheimdienste. Schon 1992 war eine »Informationsgruppe zur Beobachtung und Bekämpfung rechtsextremistischer/-terroristischer, insbesondere fremdenfeindlicher Gewaltakte« gegründet worden. Da hätten sich die verschiedenen Sicherheitsbehörden austauschen können. Haben sie aber nicht: Diese Einrichtung ist spätestens nach 2003 sang- und klanglos eingeschlafen.

 

Aber auch ohne sie wäre ein Austausch über die wichtigsten Erkenntnisse möglich gewesen: Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten, das durch institutionelle Festlegungen wie gemeinsame Terrorabwehrzentren permanent unterlaufen wird, schließt nicht aus, daß der Geheimdienst der Polizei den Aufenthaltsort von Terroristen mitteilt. Wer Kenntnis von Straftaten hat, ist ohnehin verpflichtet, die Polizei hierüber zu informieren. Das all dies nicht passiert ist, daß die Nazis ungestört morden konnten, stellt ein politisches Problem dar, das mit technischen Mitteln nicht zu lösen sein wird.

»Extremismus«-Ansatz

Denn entscheidend für die Performance der Sicherheitsdienste ist ihre politische Konditionierung seit 1949: Sie wollten die Nazigefahr nicht sehen, weil es nicht in ihr Weltbild paßt, daß der Hauptfeind rechts stehen könnte. Sie sind konditioniert darauf, Linke als Staatsfeinde zu betrachten und Muslime unter »Islamismus«-Verdacht zu stellen. Sie verzetteln sich bei der Beobachtung von friedlichen Antifaschisten und Parteistrukturen der Linken, gleichzeitig sponsern sie jedoch Nazikader, ignorieren die meisten Nazimorde und bagatellisieren den Rest zu Einzeltaten.

 

Ein kleines Zeichen, daß die Bundesregierung dazugelernt hat, könnte sie setzen, indem sie die Fördermittel für Projekte gegen Nazis aufstockt, und indem sie die unsägliche Extremismuserklärung zurücknimmt. Jedes Projekt gegen Nazis, das Bundeszuschüsse erhält, muß schriftlich versichern, daß es selbst und jeder seiner Partner unzweideutig »nichtextremistisch« ist. Die Folge sind Verunsicherung und Mißtrauen, weil sich nun Projektpartner gegenseitig auf ihre Verfassungstreue prüfen sollen. Im Zweifelsfall sollen sie den Verfassungsschutz fragen – ausgerechnet! Diese Praxis ist bezeichnend für den »Extremismus«-Ansatz der konservativen Parteien: Wer sich gegen Nazis engagiert, ist wahrscheinlich ein »Linksextremist«. Man geht scheinbar auf gleiche Distanz und schadet damit aber im Endeffekt dem Kampf gegen Nazis. Diese »Extremismuserklärung« ist zudem hochnotpeinlich, wenn nun ein weiteres Mal aufgedeckt wird, wie es um die Partner der Sicherheitsbehörden bestellt ist, die hochbezahlte V-Leute im Nazisumpf unterhalten.

 

Als dringlich erweist sich auch einmal mehr ein NPD-Verbot. Nicht nur, weil die Nazipartei seit eh und je enge Kontakte zu militanten Nazibanden hat und offen mit militanten »Kameradschaften« fraternisiert, sondern weil sie offenbar auch für die »Zwickauer Zelle« eine wichtige Rolle als Scharnier und Resonanzboden gespielt hat. Innenminister Friedrich sagt, er wolle ein Verbot erneut prüfen. Das würde aber den vorherigen Abzug der V-Leute erfordern: 2003 scheiterte schon mal ein Verbotsverfahren, weil das Bundesverfassungsgericht nicht mehr trennen konnte, ob militant-verfassungsfeindliche Äußerungen von NPD-Kadern nun in deren Eigenschaft als Nazis oder in deren Eigenschaft als V-Leute fielen. Den Abzug dieser V-Leute erklärt Friedrich noch heute zum Risiko, weil sie ein unverzichtbares »Frühwarnsystem« darstellten und der Staat sonst blind auf dem rechten Auge sei. Dabei ist es offenkundig, daß die V-Leute den Staat erst recht blenden: Auf den Thüringischen Heimatschutz, aus dessen Mitte die »Zwickauer Zelle« hervorging, waren staatliche Spitzel angesetzt. Geholfen hat es nur einer Seite: den Nazis. Denn nicht der Staat hatte die braune Szene bespitzelt, sondern die Nazis haben Geld vom Staat erhalten.

 

In den nächsten Tagen werden Repräsentanten des öffentlichen Lebens und der Regierung eine Gedenkfeier mit den Hinterbliebenen der zehn Morde der NSU-Bande durchführen. Dies steht den Familien der Opfer zweifellos zu, genauso wie Entschädigungszahlungen. Schon jetzt aber ist abzusehen, daß diese Gedenkfeier als Alibi für die bisherige und künftige Untätigkeit im Kampf gegen Neofaschismus instrumentalisiert wird.

Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag

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