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Ein Abend zwischen Genuss und Verzicht

 

02.08.12 von Florian Gontek Halle/Steinhagen. Meine erste Begegnung mit dem Ramadan hat mich gefesselt. Bereits im vergangenen Jahr berichtete ich über den Fastenmonat der Muslime in Halle. Ich war fasziniert von der Atmosphäre, der religiösen Zeremonie, gebannt von der Gastfreundschaft im neunten Monat des islamischen Mondkalenders. Und so wollte ich mehr erfahren, wollte wieder dabei sein, aber diesmal noch näher – als Gast bei einer muslimischen Familie. So nahm ich die Einladung der Sahinöz’ gerne an, durfte ihr Gast an einem besonderen Abend sein.21.28 Uhr, die Zeit des Fastenbrechens. Alles ist auf diese Uhrzeit ausgerichtet. An der weißen Wohnungstür der Familie Sahinöz stehe ich schon ein wenig früher, will keinesfalls zu spät kommen. Zum Empfang erwarten mich neben Cemil Sahinöz (31) auch seine Frau Songül (27) und der kleine Ensar (15 Monate). Sein Name bedeutet »Einheimischer«, wie ich später erfahre.

Ensar ist in Deutschland geboren, genauso wie seine Eltern. „Er soll ein deutscher Moslem sein”, erklärt mir Cemil. Der Gedanke der Integration spielt für den diplomierten Soziologen eine wichtige Rolle. Gibt er ihn doch als Integrationsbeauftragter und als psychologischer Familienberater des Deutschen Rotenkreuzes für den Kreis Gütersloh auch gezielt an andere Menschen weiter.

Nun rennt die Zeit, 21.25 Uhr, noch drei Minuten, dann ist es soweit. Schnell mache ich noch ein Foto von Songül Sahinöz beim Zubereiten der Kartoffelsuppe, sie wird es gleich als Vorspeise geben. Auf dem Tisch stehen schon Getränke und Essen: Wasser, einige Softdrinks, Datteln und Fladenbrot. Angerührt wird noch nichts. Nur der kleine Ensar spielt etwas mit den Teigfladen, trinkt aus seiner Flasche. Cemil lacht. „Ensar fastet nicht, man beginnt damit für gewöhnlich erst in der Pubertät. Wenn es einem gesundheitlich schadet, nimmt man nicht daran teil.”

Auch seine Frau Songül hat daher in den vergangenen zwei Jahren nicht auf Wasser und Nahrung verzichtet. Ensar zu Liebe. „Im ersten Jahr war ich schwanger, im zweiten habe ich gestillt”, erklärt Songül, die ein Kopftuch trägt. Sie stammt gebürtig aus Köln, dort, wo momentan die größte Moschee Deutschlands gebaut wird. Schon im kommenden Jahr sollen dort 1 200 Muslime Platz finden, um ihren Glauben zu leben.

Mittlerweile ist es 21.28 Uhr und Cemil und Songül Sahinöz beginnen mit dem Fastenbrechen. Eine Tradition, die auf den Propheten Mohammed zurückgeht. Während Cemil zur süßen Dattel greift, nimmt seine Ehefrau einen Schluck Wasser. „Ich trinke außerhalb des Ramadan sehr viel, der Körper gewöhnt sich aber schnell an den Verzicht”, erklärt Songül mir, sie fastet erst zum zweiten Mal in der Sommerzeit. Da sich der Ramadan nach dem islamischen Mondkalender richtet, beginnt der Monat jedes Jahr an einem anderen Termin und wandert so durchs Jahr. Vom Aufgang der Sonne bis zu deren Untergang kommen die Muslime ohne Wasser und Essen aus. Momentan sind es gut 17 Stunden.

 

 

Heilige Zeremonie im Wohnzimmer

21.29 Uhr, die Zeit des Gebetes. Im Wohnzimmer der Familie werden die Gebetsteppiche ausgerollt, vor dem Fernseher, direkt neben dem Couchtisch. Auch der kleine Ensar hat einen. „Du kannst ruhig sprechen, aber wir werden Dir nicht antworten, kommunizieren während des Gebets nicht”, erläutert mir Cemil. Ich schweige und lausche den Worten während der heiligen Zeremonie im Wohnzimmer. Es sind Verse aus dem Koran, die dort gesprochen werden, ich verstehe keines der Worte davon. Welche Verse genau gewählt werden, steht jedem Moslem frei. Nur einige bestimmte sind immer gleich.

Dann beginnt das Essen. Als Gast darf ich selbstverständlich mitessen. Diese besondere Gastfreundschaft ist noch immer etwas, was mich an der muslimischen Lebensweise fasziniert. Als Vorspeise gibt es besagte Kartoffelsuppe. Zum Hauptgang Kartoffelauflauf, Salat, Hühnchen in Cremesoße und türkischen Reis. Er schmeckt anders als der, den man aus der deutschen Küche gewohnt ist – weniger klebrig. Die Zubereitung unterscheide sich, erläutert mir Songül Sahinöz später.

Nach dem Essen unterhalten wir uns über den türkischen Fastenmonat und über die Faszination dieser vier Wochen, die für die Muslime am 19. August mit dem »Fest des Fastenbrechens« endet. Cemil nennt es das »Zuckerfest«. Die Zeit des Ramadan wird für die Familie Sahinöz als weniger schwierig wahrgenommen als von Christen vermutet. Vielmehr sei es ein „Ölwechsel für den Körper”, eine Zeit, „um sich noch intensiver auf seine Werte zu besinnen”, wie Cemil erklärt. Der Verzicht auf Nahrung macht dabei nur einen kleinen Teil dieser Enthaltsamkeit aus. „Wir versuchen auch auf Streit und Diskussionen zu verzichten, intensiver den Koran zu lesen”, sagt Cemil.

Mittlerweile ist es kurz vor elf und auf dem Tisch liegen Bücher. »Der deutsche Islam«, außerdem eine Weitererzählung des Filmstoffes »Forrest Gump« und die «Ayasofya«, eine interkulturelle Zeitschrift für Wissenschaft, Integration und Religion, dessen Chefredakteur Cemil Sahinöz ist. Die Bücher hat er selbst geschrieben – seine eigene Fortsetzung des Oscar-prämierten Hollywood-Streifens schon im Alter von 15 Jahren. Wir unterhalten uns über die deutsche Kultur innerhalb des Islams. Um die 100 000 konvertierte deutsche Muslime leben mittlerweile in Deutschland, und trotz solcher Entwicklungen bestehen zwischen der islamischen und christlichen Religion immer noch Missverständnisse.

Während ich nach Hause fahre, geht es für Cemil und Songül noch weiter. Nach dem Essen gibt es ein abschließendes Gebet, und um 4.12 Uhr wird mit einem Schlucker Wasser der Aufgang der Sonne begrüßt – noch bis zum 19. August Alltag für rund vier Millionen Muslime in Deutschland.

 

Haller Kreisblatt, 02.08.2012

http://www.haller-kreisblatt.de/hk-templates/nachrichtendetails/datum/2012/08/02/ein-abend-zwischen-genuss-und-verzicht/

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