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Deutsch hat Wurzeln in der Türkei

 

Sprachen wie Spanisch, Englisch, Deutsch und Persisch haben sich erst in den vergangen 9500 Jahren entwickelt. Nun haben Forscher den geographischen Ursprung der indoeuropäischen Mundarten lokalisiert: Anatolien.

 

 

 

Spanisch, Griechisch, Deutsch und Persisch - all diese und viele andere indoeuropäische Sprachen haben einen gemeinsamen Ursprung. Der liegt einer neuen Untersuchung zufolge in Anatolien in der heutigen Türkei. Beginnend vor 9500 Jahren habe sich die Ursprache von dort über weite Teile der Welt ausgebreitet, berichtet ein internationales Forscherteam im Fachblatt Science. Verantwortlich dafür sei vor allem die Entstehung und Ausbreitung der Landwirtschaft gewesen.

 

 

Die indoeuropäische Sprachfamilie ist die am weitesten verbreitete der Welt. Zu ihr gehören unter anderem die romanischen Sprachen, zum Beispiel Französisch und Spanisch, sowie die germanischen Sprachen wie Englisch und Deutsch.

Zum Ursprung der indoeuropäischen Sprachen diskutieren Fachleute vor allem zwei Hypothesen: Der Steppen-Hypothese zufolge entwickelte sich die Grundsprache nördlich des kaspischen Meeres in der russischen Steppe. Von dort breitete sie sich demnach mit halbnomadisch lebenden Viehhaltern der Kurgankultur vor 5000 bis 6000 Jahren Richtung Europa und in den Nahen Osten aus.

Die Forscher um Remco Bouckaert von der University of Auckland (Auckland/Neuseeland) fanden in ihrer Studie jedoch eher Belege für die Anatolien-Hypothese. Derzufolge breiteten sich die Sprachen von Anatolien aus vor 9500 bis 8000 Jahren zusammen mit der Landwirtschaft und einer bäuerlichen Lebensweise aus.

Die Wissenschaftler hatten für ihre Untersuchung ein Verfahren angewendet, das in der Genetik genutzt wird, um die Verwandtschaftsverhältnisse bei Arten zu untersuchen. Dabei werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Erbgut herangezogen, um beispielsweise die Entwicklung einer Art zu verfolgen.

Bouckaert und Kollegen betrachteten nun anstelle des Erbgutes verschiedene Wörter aus 103 gegenwärtigen und vergangenen Sprachen, die einen gemeinsamen Ursprung besitzen, zum Beispiel das Wort Mutter. Mutter heißt im Englischen "mother", im Spanischen "madre" oder im Persischen "madar". Fachleute nennen solche Wörter, die sich aus einem Ursprungswort entwickelt haben, Kognate.

Die Wissenschaftler verfolgten nun mit Hilfe eines statistischen Verfahrens die Entwicklung der Kognate und damit die Evolution der Sprache über die Zeit. Sie stellten eine Art Stammbaum auf und brachten die Angaben mit dem heutigen Verbreitungsgebiet der jeweiligen Sprache zusammen. So stießen sie auf Anatolien als den wahrscheinlichen Ursprungsort der indogermanischen Sprachen.

Vor 4000 bis 6000 Jahren spalteten sich die einzelnen Unterfamilien des Indogermanischen ab, also etwa die Stammsprachen des Keltischen, Germanischen oder Indoiranischen. Einzelne Sprachen innerhalb der Unterfamilien entwickelten sich dann vor etwa 4500 bis vor 2000 Jahren, also etwas das Deutsche innerhalb der Germanischen Sprachen.

Die Forscher betonen, dass die Landwirtschaft eine maßgebliche Rolle für die Entwicklung der globalen Sprachvielfalt gespielt habe. Sie sei aber nicht der einige Motor der Sprachentwicklung gewesen. Untersuchungen zur Entwicklung einer Sprache gäben wichtige Einblicke in die kulturelle Geschichte ihrer Sprecher.

 

 

 

 

Süddeutsche, 24.08.2012

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Ursprünge in der Türkei Die Deutsche Sprache kommt aus Anatolien

 

24.08.2012 00:00 Uhrvon Jana Schlütter

 

Die Wiege der indoeuropäischen Sprachen stand in der heutigen Türkei, besagt eine neue Studie. Sie steht im Widerspruch zur Theorie vieler historischer Linguisten.

 

Es war einmal, in grauer Vorzeit, ein kleines Volk. Wir wissen fast nichts über seine Angehörigen. Und trotzdem beeinflussen sie das Leben von etwa drei Milliarden Menschen, die heute zwischen Island und Sri Lanka siedeln. Denn sie verständigten sich in einer Sprache, aus der sich mehr als 400 indoeuropäische Sprachen entwickelten. Die Krux jedoch ist: Obwohl historische Linguisten seit etwa 200 Jahren ihre Fährte verfolgen und sorgfältig Sprachstammbäume zeichnen, ist noch unklar, wer diese Menschen waren und wo sie wohnten. Nun treten Naturwissenschaftler auf den Plan und verkünden siegesgewiss, dass ihre Methoden das vertrackte Rätsel besser lösen können.

 

Im Fachblatt „Science“ erscheint heute eine solche Studie und wird vermutlich den Streit zwischen Sprach- und Naturwissenschaftlern erneut entzünden.

Zwei Thesen dominieren die Debatte und geben auf Wo, Wann und Warum eine unterschiedliche Antwort. Die Wiege der indoeuropäischen Sprache habe vor zirka 6000 Jahren irgendwo nördlich des Kaspischen und des Schwarzen Meeres in der russischen Steppe gestanden, behauptet die Mehrzahl der historischen Linguisten gemeinsam mit etlichen Archäologen. Ein kriegerisches Nomadenvolk der Kurgan-Kultur habe die proto-indoeuropäische Sprache auf dem Pferderücken verbreitet, im Gepäck zwei wichtige Erfindungen: das Rad und die Zähmung des Pferdes.

Die naturwissenschaftliche Konkurrenz favorisiert die friedliche Gegenthese und verortet die Urheimat der indoeuropäischen Sprachen in Anatolien. Die Bauern der Jungsteinzeit hätten allmählich ihre Felder ausgedehnt und so vor 8000 bis 9500 Jahren nicht nur den Lebensstil der Jäger und Sammler verdrängt, sondern auch deren Sprachen. Das untermauert auch die Studie, die Russel Gray und Quentin Atkinson von der Universität von Auckland in Neuseeland und ihre Kollegen nun in „Science“ veröffentlichen.

 

 

Die Forscher haben sich ein statistisches Modell aus der Evolutionsbiologie geborgt, das normalerweise dazu dient, den Verlauf von Grippeepidemien vorherzusagen und sie zu einem Ausbruchsort zurückzuverfolgen. Statt des Viren-Erbguts speisten sie Kognate ein, ähnlich klingende Wörter wie „mother“, „Mutter“ oder „madre“, die einen gemeinsamen Ursprung haben. Für 200 Bedeutungen wie Namen für Verwandte, Körperteile oder einfache Verben stellten sie in 103 Sprachen (20 davon längst ausgestorben) Wortvarianten mit gemeinsamem Ursprung zusammen. Und statt der Verbreitung der Viren gaben sie die derzeitige Verbreitung der jeweiligen Sprachen oder bekannte Daten aus der Geschichte ein. So konnten sie die Entstehung der indoeuropäischen Sprachen über Jahrtausende bis ins jungsteinzeitliche Anatolien zurückverfolgen. Ein Algorithmus lieferte die wahrscheinlichsten Stammbaum-Varianten – samt Datierung und geografischer Ausbreitung. Keiner der vielen möglichen Stammbäume hatte seine Wurzeln in der russischen Steppe.

Die Heimat der indoeuropäischen Sprachen zu finden, sei keine akademische Fingerübung, betont der Linguist Paul Heggarty vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. „Schließlich ist es die größte Sprachfamilie weltweit, sie wurde am besten erforscht und dokumentiert“, sagt er. Immer wieder diene sie als Messlatte für die Entwicklung anderer Sprachfamilien. „Sollte das Metermaß der Messlatte falsch sein, hätte das enorme Auswirkungen. In dem Fall müssen wir über Zeitabfolgen und die Bedeutung der Landwirtschaft bei der Verbreitung von Sprachen neu nachdenken.“

Viele historische Linguisten sind dazu nicht bereit. Bereits 2003 brach ein Sturm der Entrüstung los, als Gray und Atkinson eine erste Studie mit ähnlicher Methode in „Nature“ veröffentlichten. Schon das damals benutzte evolutionsbiologische Modell datierte die Entstehung der indoeuropäischen Ursprache so, dass nur die anatolischen Bauern als ihre Sprecher infrage kamen, auch wenn die Methode noch keine geografische Verbreitung nachzeichnen konnte.

„Das kann nicht stimmen!“, tönte es damals aus allen Ecken. Die Datenbanken, die Gray und seine Kollegen benutzten, seien veraltet. Sich nur auf Vokabular zu verlassen, sei ohnehin fahrlässig. Und überhaupt: Die Analogie von der Entstehung der Arten zur Entstehung der Sprachen vereinfache viel zu stark. Einige setzten die neuen Methoden gleich mit den quantitativen Methoden, die die Linguisten bereits in den 50er Jahren ausprobiert und wegen hanebüchener Resultate wieder verworfen hatten.

„Es gab Missverständnisse auf beiden Seiten“, sagt Heggarty. Viele Linguisten kannten sich mit den komplizierten Methoden der Evolutionsbiologen nicht aus und suchten nach Angriffspunkten, um ihre Arbeit zu verteidigen. Die Naturwissenschaftler dagegen behandelten linguistische Daten zu oft wie abgesicherte Fakten, auch wenn hinter jedem Kognat jahrzehntelange Forschung und etliche Interpretationen steckten, die genauso gut wieder revidiert werden können.

Die Frühgeschichte des Menschen funktioniere nicht wie ein Uhrwerk, sagt Heggarty: „Dabei geht es um Plausibilität, nicht um ja oder nein.“ Trotzdem dürften die Verfechter der Steppen-These in Erklärungsnot kommen. „Die Modelle der Biologen werden besser.“

 

 

 

 

Tagesspiegel, 24.08.2012

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  • 4 Monate später...

Neuer Trend

 

Deutschland lernt Türkisch!

 

Sechzig Jahre, nachdem erste Gastarbeiter ins Land kamen, zeigen viele Deutsche plötzlich großes Interesse an deren Sprache

 

Von KATJA HEISE

 

06.01.2013 - 12:21 Uhr

 

Ein neuer Trend setzt sich durch: Deutschland lernt Türkisch!

 

Mehrere Berliner Sprachschulen verzeichneten einen Zuwachs von vierzig bis fünfzig Prozent, allein im vergangenen Jahr. Von einem Nachfrage-Boom sprechen außerdem die Sprachzentren an den Unis deutscher Großstädte.

 

Neben den Berliner Unis verzeichnet die Uni Hamburg fast eine Verdopplung ihrer Türkisch-Sprachschüler seit 2009, die Ludwig-Maximilians-Universität in München gar eine Verdreifachung, wie es auf Anfrage heißt.

 

„Das plötzliche Interesse ist erstaunlich und so groß wie noch nie“, sagt Elke Roessler, Leiterin des Sprachenzentrums der Berliner Humboldt-Uni zu BILD.de. „2008 hatten wir nur nur zwei Türkischkurse, inzwischen sind es sechs. Es müssen immer wieder Studierende von Anfängerkursen abgewiesen werden“, sagt auch der Sprecher der Uni München Clemens Grosse.

 

Ebenso habe die Freie Universität in Berlin aufgrund der großen Nachfrage aufgestockt. Es gebe jetzt mehr Kurse, auch für Fortgeschrittene, heißt es hier.

 

Und es gibt noch eine Besonderheit, wie die Leiterin des Sprachenzentrums der Freien Universität Berlin, Dr. Ruth Tobias berichtet: Junge Menschen ohne türkischen Hintergrund bringen –anders als noch vor ein paar Jahren –aus ihrem Umfeld erste Kenntnisse der Sprache mit. Floskeln und Redewendungen sowie kurze Alltagskonversation würden längst im Alltag umgesetzt.

 

Und auch der kulturelle Code, Mimik und Gestik der türkischen Kultur würde adäquat angewendet. Das halte sie für erstaunlich, weil sich der neue Trend jetzt so plötzlich abzeichne. Vor ein paar Jahren habe sie das noch nicht beobachten können. Immerhin: Die ersten türkischen Gastarbeiter kamen bereits vor sechzig Jahren nach Deutschland. Was ist passiert?

 

Es sei wohl vor allem der wirtschaftliche Aufschwung der Türkei, der der Sprache ein besseres Image verleiht, glaubt Cem Sentürk vom Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung in Essen.

 

80 000 türkische Unternehmer liefern auch an deutsche Unternehmen, 5000 deutsche Unternehmen investieren in die Türkei. Seit 2009 hat sich das Brutto-Inlands-Produkt um 17,8 Prozent gesteigert. Es gehe also darum, mit Geschäftspartnern zu kommunizieren.

 

Untermauert werde dies laut dem Experten auch von dem Erasmus-Studenten-Austausch, den es seit 2004 zwischen der Türkei und Deutschland gibt. Es begann mit knapp 100 Austauschstudenten, heute sind es 700 Deutsche, die jährlich für ein oder zwei Semester in die Türkei gehen.

 

Viele Studenten lernten heute die Sprache auch, weil sie sie für ihre zukünftige wissenschaftliche oder berufliche Tätigkeit brauchten, bei Studien und Projekten mit dem Land oder bei Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs).

 

Von wirtschaftlichen Gründen sprechen auch die Schüler von Fatih Kanars Sprachschule im Süden von Neukölln. „Es kommen in den letzten zwei Jahren plötzlich viele Ärzte, Juristen, Lehrer, die auf das große türkischsprachige Klientel nicht verzichten wollen“, erklärt der Türke.

 

Eine von ihnen: Ulrike Ehrentahl. Die 46-jährige Juristin hat immer wieder mit türkischsprachigen Berlinern zu tun. Noch ist sie im Anfängerkurs und kann keine juristischen Fachdiskussionen in der Sprache führen. „Doch ein bisschen Smalltalk in der Muttersprache des Gegenübers bricht oft das Eis und schafft Vertrauen“, sagt sie.

 

Nicht zuletzt sei Istanbul aktuell auch einfach eine „total hippe“ Stadt, wie Karin Yesilada der Uni Paderborn und Mitarbeiterin am Projekt Türkisch-Deutscher Kulturkontakt- und Transfer, erklärt. Anders als noch vor ein paar Jahren sei es einfach cool, hier zu studieren, zu arbeiten oder gar zu leben.

 

Das Fazit der Forscherin bleibt jedoch: „Das sind alles Spekulation, weil es zu diesem Thema keine Studien gibt. Hier gebe es eine immense Forschungslücke. Sträflich, dass ein Einwanderungsland wie Deutschland die türkisch-deutsche Beziehungen nicht intensiver untersucht.“

 

http://www.bild.de/politik/inland/integration/deutschland-lernt-tuerkisch-27661628.bild.html

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Von etwa 1 Million türkischen Schülern nehmen nur 233.000 am Türkischunterricht teil

 

Deutsche lernen begeistert Türkisch - die Deutschlandtürken nicht

 

 

Entgegen der Ansicht, türkische Eltern würden ihren Kindern durch die Pflege der Muttersprache das Erlernen der deutschen Sprache erschweren, zeigen Studien, dass es gerade an dieser wichtigen Basis fehlt. Immer mehr Deutsche lernen derweil Türkisch.

 

Von Deutsch Türkisches Journal | 07.01.2013 12:45

Seit gestern ist in Deutschland ein neuer Trend in aller Munde. „Deutschland lernt Türkisch!“ titelte bild.de. Neben Berliner Sprachschulen erfuhren besonders die Sprachzentren an den Unis deutscher Großstädte eine große Resonanz. Die Uni Hamburg verzeichne fast eine Verdopplung ihrer Türkisch-Sprachschüler seit 2009, die Ludwig-Maximilians-Universität in München gar eine Verdreifachung.

 

„Das plötzliche Interesse ist erstaunlich und so groß wie noch nie“, sagte Elke Roessler, Leiterin des Sprachenzentrums der Berliner Humboldt-Uni zu bild.de. „2008 hatten wir nur nur zwei Türkischkurse, inzwischen sind es sechs. Es müssen immer wieder Studierende von Anfängerkursen abgewiesen werden“, erklärte auch der Sprecher der Uni München Clemens Grosse.

 

Auf eine weitere Besonderheit wies die Leiterin des Sprachenzentrums der Freien Universität Berlin, Dr. Ruth Tobias, hin: Junge Menschen ohne türkischen Hintergrund bringen – anders als noch vor ein paar Jahren – aus ihrem Umfeld erste Kenntnisse des Türkischen mit. Floskeln und Redewendungen sowie kurze Alltagskonversation würden längst im Alltag umgesetzt. Vor ein paar Jahren habe sie das noch nicht beobachten können. Immerhin sind bereits über sechzig Jahre vergangen, seit die ersten türkischen Gastarbeiter nach Deutschland gekommen sind.

 

Wirtschaftsaufschwung bringt besseres Image mit sich

 

Cem Şentürk vom Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung in Essen vermutet, dass wohl vor allem der wirtschaftliche Aufschwung der Türkei der Sprache ein besseres Image verleihe. 80 000 türkische Unternehmer liefern auch an deutsche Unternehmen, 5000 deutsche Unternehmen investieren in die Türkei. Seitdem die AKP die Macht übernommen hat, erlebt die Türkei einen großen wirtschaftlichen Aufschwung. Innerhalb der letzten vier Jahre ist das BIP um 17,8 Prozent gestiegen.

 

Auch das Erasmus-Programm, das es seit 2004 zwischen der Türkei und Deutschland gibt, spielt eine wichtige Rolle. Es begann mit knapp 100 Austauschstudenten, heute sind es 700 Deutsche, die jährlich für ein oder zwei Semester in die Türkei gehen. Viele Studenten lernten heute die Sprache auch, weil sie sie für ihre zukünftige wissenschaftliche oder berufliche Tätigkeit brauchten, bei Studien und Projekten mit dem Land oder bei Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs).

 

Nicht zuletzt ziehe die Bosporusmetropole Istanbul nicht nur junge Türken, sondern auch Deutsche als Wirtschaftszentrum und Weltstadt an. Es handle sich um eine „total hippe“ Stadt, wie Karin Yeşilada von der Uni Paderborn und Mitarbeiterin am Projekt Türkisch-Deutscher Kulturkontakt- und Transfer, erklärt. Anders als noch vor ein paar Jahren sei die Stadt unter jungen Menschen als Studien-, Arbeits- oder gar Lebensort sehr beliebt.

 

Türken zeigen kein Interesse an ihrer Muttersprache

 

Hingegen gibt es einen anderen Trend, der ebenso überrascht: Das Interesse am Türkischunterricht in Deutschland nimmt zunehmend ab. Im Land Nordrhein-Westfalen, wo die höchste Anzahl an türkischen Bürgern und türkischstämmigen Deutschen befindet, hat sich die Zahl der Teilnehmer am Unterricht um bis zu 20% vermindert. Experten raten mit Blick auf die Zukunft der türkischen Sprache unverzüglich zu einer Mobilisierung auf individueller und institutioneller Ebene und warnen, dass andernfalls eine türkische Bevölkerung in Deutschland entstehen würde, die aus „Türken, die kein türkisch sprechen“, bestünde.

 

Laut einer Untersuchung des Bildungsministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen, wo mehr als ein Drittel der Betroffenen leben, nehmen von 280.000 türkischstämmigen Schülern im Bundesland nur 56.500 am Türkischunterricht teil. Von diesen Schülern nehmen 50.000 an muttersprachlichem türkischem Unterricht teil, 6.500 an einigen Oberschulen und Gymnasien lernen Türkisch als zweite Fremdsprache. Diese Information des Ministeriums beweist, dass die Teilnahme türkischstämmiger Schüler am Türkischunterricht geringer ist als erwartet und um die 20% liegt. Andernorts in Deutschland ist die Situation nicht wesentlich anders.

 

„Türken werden zu einer Gesellschaft, die kein Türkisch sprechen kann“

 

Der türkische Generalkonsul in Köln, Kemal Basa, der die Beteiligungsentwicklung am Türkisch-Unterricht auswertet, erklärt: „Meine Befürchtung ist es, dass sich die Türken in Deutschland zu einer Gesellschaft entwickeln, die kein Türkisch spricht. Mit Bedauern beobachte ich eine Generation, die nicht in der Lage ist, die türkische Sprache wenigstens als Basis für das Erlernen der deutschen oder einer anderen Sprache nehmen kann.“

 

Basa erinnert daran, dass diese Situation sich völlig von jener vorheriger Generationen unterscheidet: „Die zweite Generation ist in der Umgebung von Eltern aufgewachsen, die kein Deutsch konnten und nur Türkisch gesprochen haben. Dadurch ist das Türkisch der zweiten Generation relativ besser. Doch nun sind wir mit einer Generation konfrontiert, deren Eltern entweder nicht ausreichend Türkisch sprechen oder es vorziehen, ihren Kindern zu Hause gar kein Türkisch beizubringen – ein solches soziales Phänomen können wir momentan beobachten.“

 

Dabei sei der Gedanke, dass Eltern zu Hause mit ihren Kindern kein Türkisch sprechen sollten, sondern Deutsch, damit die Kinder die deutsche Sprache schneller erlernen könnten, wissenschaftlich und auf Grund von Erfahrungen als falsch entlarvt. Die jetzige Generation wäre jedoch dieser Idee zum Opfer gefallen.

 

„Wir sind an einer Bruchstelle angekommen“

 

Auch Dr. Yılmaz Bulut, Direktor des Yunus Emre Kulturzentrums Berlin (YETKM), teilte uns seine Meinung zu der Entwicklung mit: „Ich bin davon überzeugt, dass wir an der Bruchstelle, welche die Zukunft der türkischen Muttersprache bestimmen wird, angekommen sind. Wir müssen uns aufrappeln und zu uns kommen. Die Sprache ist der Schlüssel für die Wahrnehmung und Bewertung des eigenen Selbst für die kommenden Generationen. Sie ist die Heimat der Kultur und der Baustein einer Gesellschaft. Aus diesem Grund müssen wir uns der Bedeutung der Sprache bei der Bestimmung der Zukunft der in Europa lebenden Türken bewusst werden.“

 

Bulut - der der Meinung ist, ohne die Muttersprache könne weder eine gesunde und soziale Identität, noch ein individuelles Ego entstehen - betont außerdem, dass für die Rettung der Zukunft der türkischen Sprache unverzüglich auf individueller und institutioneller Ebene eine Mobilisierung stattfinden müsse. Statt auf nationalistische Rhetorik und politische Interessenpolitik sollte man sich auf die Produktion logischer Forderungen und die Lösung der Probleme bei der Entwicklung der Muttersprache konzentrieren: „Gleich im Anschluss muss beim Thema Türkisch in Deutschland die Umgestaltung des negativen politischen Klimas angestrebt werden. In den formalen Bildungseinrichtungen muss das Türkischangebot erweitert werden. Anstelle einer Herkunftssprache muss Türkisch als Muttersprache ab der ersten Klasse unterrichtet werden. Damit auch in den Mittel- und Oberschul-Bildungseinrichtungen Türkisch als Wahlfach gewählt werden kann, muss mit den entsprechenden Vorbereitungen begonnen werden. Zusätzlich zu den Unterrichtseinheiten in den Schulen sollte der Türkischunterricht auch in Bürgervereinen angeboten werden.“

 

„Für ein intaktes soziales Identitätsgefühl ist die Beherrschung der Muttersprache elementar“

Die türkischen und islamischen Bürgerorganisationen in Deutschland, wie DITIB, ATIB, UETD, IGMG, VIKZ, Föderation der Verbände der türkischen Eltern in Deutschland und NRW , Türkische Föderation oder die Föderation der Verbände der türkischen Lehrer in Deutschland (ATÖF, welche sich der Erosion der türkischen Sprache in Deutschland bewusst sind, hatten am 31.März letzten Jahres mit der Schaffung einer gemeinsamen „Türkischen Plattform“ einen gemeinsamen türkischen Workshop gegründet.

 

Rafet Öztürk (DITIB), der die Situation der Plattform – in welcher sich auch die „Zaman Europa“ befindet – bewertet, berichtet aus seinem eigenen Alltag: „Am Türkischunterricht, der für die Entwicklung einer Identität sehr wichtig ist, nehmen 223.000 Schüler nicht teil. Das ist ein Verlust sowohl für die hier lebenden Türken als auch für das Land. Jugendliche, deren Identität und Persönlichkeit nicht entwickelt sind, schaden einer Gesellschaft mehr als dass sie ihr nützen.“

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